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Benutzername: 
Leon Miller
Wohnort: 
Radebeul

Bewertungen

Bewertung vom 11.09.2010
Magdalena Sybilla von Neitschütz
Martin, Andrea

Magdalena Sybilla von Neitschütz


sehr gut

Der Tauchaer Verlag beschert uns in Abständen „Kurzweiliges“ aus der sächsischen Geschichte, und bewegt sich dabei sensibel auf der Trennlinie zwischen Insider-Fachliteratur und subtiler Unterhaltungslektüre für den Hobbyhistoriker.
Die editorisch anspruchsvolle Reihe dürfte inzwischen das Markenzeichen des Verlages sein. Die langlebige sächsische Herrscherdynastie der Wettiner bietet ausreichend Stoff und ist eine ergötzliche Fundgrube für Geschichten voller „Glanz und Gloria“ und „Wein, Weib und Gesang“. Immer wieder haben geschichtsträchtige Ereignisse das Herrscherhaus erschüttert, weniger auf dem „Feld der Ehre“, als in den Hinterzimmern mit nachhaltigen Bettgeschichten, mit mehr oder weniger imposanten Frauenfiguren, die bekanntesten: die Gräfin Cosel und Louise von Toscana.
Jetzt hat die Dresdner Autorin Andrea Martin eine fast tragische und tieftraurige Randglosse ausgegraben und näher beschrieben und damit die Galerie der Mätressen erweitert: Magdalena Sybilla von Neitschütz.
Johann Georg IV., der ältere Bruder August des Starken, hat nur wenig Lebenszeit, um als Kurfürst in die Analen der sächsischen Landesgeschichte einzugehen. Er ist ein glückloser Regent, sein Bruder wird ihn weithin überstrahlen, erst mit dem sogenannten augusteischen Zeitalter verschaffen sich die Wettiner die Einlasskarte für das hohe europäische Parkett, wirtschaftlich, kulturell und politisch. Augusts Vorgänger – Johann Georg – hinterlässt eine in zaghaften Anfängen verbleibende Reformpolitik und - vor allem eine berührende Liebesgeschichte. Denn er liebt sie wirklich, teils heimlich, teils in für seine Zeit schockierender Offenheit: die vom Hofe gnadenlos abgelehnte Magdalena Sybilla, die Johann Georg unbedingt zur Kurfürstin machen will, doch Sybilla ist von niederem Stande! Eine entfernte Romeo-und-Julia-Geschichte: Sie konnten nicht zu einander kommen. Nur im Tode. Johann Georg und Sybilla sterben im frühen Alter. Der „Skandal“ war somit ausgestanden.
Andrea Martin hat sehr einfühlsam hinter die Kulissen geschaut, hat eine Menge an interessanten Episoden zusammengetragen, und das alles ist sehr spannend erzählt. Die Protagonisten der Geschehnisse sind plastisch portraitiert, und die Autorin kommentiert zuweilen mit spürbarer Anteilnahme all die Seelennöte und Konflikte, in denen sich der junge Kurfürst und seine Geliebte befinden. Auch das dramatische Nachspiel dieser unglücklichen Liaison ist beeindruckend recherchiert. Gewünscht hätte ich mir allerdings, dass noch intensiver, facettenreicher die außergewöhnliche Persönlichkeit der Magdalena Sybilla von der Autorin beschreiben worden wäre. Die absolute Hingabe Johann Georgs an diese Frau könnte so noch verständlicher und nachvollziehbarer erscheinen. Die Frage also: Was war an dieser Neitschütz wirklich dran, dass der aufstrebende Kurfürst nicht von ihr lassen konnte und wollte? Es muss mehr gewesen sein als nur eine „Bettgeschichte“.
Andrea Martin hat ein höchst lesenswertes Debüt-Büchlein vorgelegt, dem Verlag ein Dankeschön für diese Entdeckungen: Magdalena Sybilla und Andrea Martin.
Leon Miller

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