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manjula

Bewertungen

Insgesamt 24 Bewertungen
Bewertung vom 26.10.2024
Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen
Brüggemann, Anna

Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen


sehr gut

Unheilige Familie
Regina, in der Nachkriegszeit geboren, ist zu Beginn des Romans eine 50jährige Mutter von zwei Töchtern. Ihre als lieblos empfundene Kindheit und Jugend, in der sie nicht die für sie nötige Zuwendung, Anerkennung und Förderung erhalten hat, hängt ihr nach. Ihre Kompensation: Sie ist großartig, in allem. An dem, was in ihrem Leben nicht perfekt gelaufen ist, tragen andere Schuld. Nichts kann ihr wirklich genügen. Als Psychologin weiß Regina es - eigentlich - besser; aber eben nur, wenn es nicht um sie selbst geht. Also überträgt sie ihre unglückliche Prägung auf ihre Töchter Antonia und Wanda, indem sie bei aller vorgeblichen Fürsorge immer nur um sich selbst kreist, und stets fordert statt fördert. Beide Töchter könnten Regina im Grunde nichts recht machen. Antonia reagiert darauf, indem sie vor den an sie gestellten Erwartungen abtaucht und sich so wenig wahrnehmbar macht, wie sie sich fühlt. Wanda kämpft für die Liebe ihrer Mutter, indem sie sich ehrgeizig nach deren Vorstellungen verformt. Richtig interessant wird es auch, wenn aufgezeigt wird, was von ihrer Prägung Antonia und Wanda an die eigenen Kinder weitergeben.
Das Buch ist keine leichte Kost, tragisch und fesselnd zugleich: Eine messerscharfe Studie über eine (ganz bestimmt nicht so seltene) dysfunktionale, unheilige, Familie, bei der die Autorin hintergründig aufs allerschönste auf den Punkt bringt, woran es hakt. Für die Lesenden, die sich von all dem nicht gleich völlig abgestoßen fühlen, hat Anna Brüggemann ein großartiges Buch geschrieben, das absolut nicht kalt lässt. Von mir deshalb eine klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 07.10.2024
Die Mitford Schwestern / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.6
Benedict, Marie

Die Mitford Schwestern / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.6


ausgezeichnet

Politische Familiengeschichte
Das Buchcover zeigt Fotos von vier der sechs Mitford-Schwestern. Die Mitford-Sisters waren Mitglieder einer britischen aristokratischen Oberschichtfamilie, die besonders vor und zu Beginn des zweiten Weltkriegs für Aufsehen sorgte.
Während die älteste, Nancy, als Schriftstellerin Bekanntheit erlangte und die zweitjüngste, Jessica, genannt Decca, entgegen aller Familientradition Kommunistin wurde, wandten sich die übrigen Familienmitglieder in unterschiedlicher Ausprägung dem Faschismus zu.
Marie Benedicts Roman kreist vor allem um Unity (genannt Bobo), Diana und Nancy Mitford. Aus deren Perspektive, abwechselnd und zu bestimmten Stichtagen von 1932 bis 1941, wird die Geschichte entfaltet, wobei Nancy die einzige Ich-Erzählerin ist.
Unity begeisterte sich früh für den Faschismus und ging Mitte der 1930er Jahre nach München, wo sie durch Beharrlichkeit nicht nur Adolf Hitler persönlich kennenlernte, sondern es schaffte, in seinen engeren Kreis aufgenommen zu werden, und – auch um ihn zu beeindrucken – stärker und stärker in den Nationalsozialismus einstieg. Nicht nur die Nationalsozialisten bedienten sich ihrer zu Propaganda-Zwecken. Auch ihre Schwester Diana nutzte die von Unity hergestellte Verbindung zu Hitler, um die britische faschistische Partei zu stärken und so ihren Partner Oswald Mosley, deren Gründer, enger an sich zu binden.
Nancy steht dem Faschismus als eine der wenigen Mitglieder der Familie kritisch gegenüber und sieht sich schließlich vor der Frage, wie weit sie angesichts der Aktivitäten ihrer Schwestern gehen will.
Die Autorin scheint den literarischen Stil der Zeit treffen zu wollen. Konventionell nach den damaligen für sie geltenden gesellschaftlichen Normen waren die Mitford-Töchter Nancy, Diana, Unity und Jessica aber definitiv nicht.
Das Buch von Marie Benedict ist trotz seines historisch und politisch hochbrisanten Themas eher ein Gesellschaftsroman als ein politischer Roman. Liest sich leicht und wer bislang wenig über die Mitford-Sisters wusste, findet hier einen eingängigen, emotionalen Einstieg.

Bewertung vom 11.09.2024
Tage mit Milena
Burseg, Katrin

Tage mit Milena


gut

Aktueller Aufhänger, interessanter Plot

Die Mittfünfzigerin Annika lebt in Lübeck, wo sie den Familienbetrieb ihres Ehepartners, eine Papeterie, führt. Eines Tages taucht die junge Klimaaktivistin Luzie in ihrem Laden auf, kauft Sekundenkleber und klebt sich damit auf die Straße. Annika solidarisiert sich mit ihr und bricht danach aus ihrem Alltag aus, folgt Luzie nach Hamburg in ein Klimacamp. Annika ist durch Ereignisse in ihrer eigenen Jugend traumatisiert und fühlt sich für Luzie verantwortlich, bis zur Übergriffigkeit. Diese quittiert das mit gebremster Begeisterung. Letztlich brauchen die beiden sich gegenseitig. Annika begibt sich auf eine Reise in ihre Vergangenheit, die sie in den letzten Jahrzehnten verdrängt hatte. Auch Luzie hat ihre Geheimnisse. Die Romanhandlung, die Katrin Burseg sich ausgedacht hat, ist interessant und aktuell. Sie verflicht Ereignisse eines Klimacamps, das im August 2022 wirklich in Hamburg stattgefunden hat, Fridays for future, Aktionen der Letzten Generation und anderer Klimaaktivist:innen, Lützerath, Hambacher Forst, vor dem Hintergrund realer Pandemie-Erfahrungen mit der Besetzung der Hamburger Hafenstraße in den 1980er Jahren und erlebter Gewalt in diesen Kontexten. Die Geschichte wird sehr gemächlich aufgerollt. Den in großen Teilen anschaulichen Erzählstil fand ich an vielen anderen Stellen hölzern. Und leider ist mir keine Identifikation mit den beiden Hauptprotagonistinnen gelungen. Ihre Beweggründe, soweit erkennbar, waren für mich oft nicht nachvollziehbar, vieles blieb oberflächlich, konventionell oder klischeehaft, einiges wirkte auf mich zu konstruiert. Ein unpolitisch politisches Buch. Schön gestaltet ist der Einband mit dem Hafenpanorama. Der Roman hat mich neugierig gemacht auf die weiteren Veröffentlichungen von Katrin Burseg.

Bewertung vom 02.09.2024
Das Möbel-Handbuch
Ramstedt, Frida

Das Möbel-Handbuch


sehr gut

Auf ein solches Möbel-Handbuch hatte ich schon lange gewartet. Die anerkannte schwedische Inneneinrichtungsexpertin Frida Ramstedt gibt in ihrem tollen Buch nicht nur wertvolle Tipps für die Inneneinrichtung, sondern auch zur Materialwahl und -pflege. Und vor allem erklärt sie, welche Abmessungen, Passformen und Eigenschaften Möbel haben müssen, um zu ihren Bewohnern und in die Wohnungen zu passen. Das Buch geht ausführlich auf alle denkbaren Kategorien von Möbelstücken ein und erläutert außerdem noch Planungsgrößen und -konzepte.
So lassen sich Fehlanschaffungen vermeiden und aus schönen Stücken das Beste rausholen.
Das Buch ist also mehr als nutzbringend. Und zusätzlich ist es auch noch wunderschön und wertig aufgemacht, mit seinem Textileinband, ansprechenden minimalistischen Grafiken und einer tollen Farbgestaltung.

Bewertung vom 30.08.2024
Aus dem Haus
Böttger, Miriam

Aus dem Haus


ausgezeichnet

Unglaublich komisch, eigentlich tragisch

Die mitreißend geschriebene Geschichte einer Frau, die sehr eng mit ihren ziemlich komplexen Eltern verbunden ist. Das HAUS ist nur der Token, die Verkörperung einer emotionalen Unstimmigkeit.

Das dem Buch vorangestellte, auch noch doppeldeutige, Zitat von Wes Anderson: „Family isn’t a word - it’s a sentence“ verdeutlicht sehr gut, worum es hier geht.

Die Familie der Ich-Erzählerin wird stark durch die Mutter geprägt, die an Migräne und „Zeitpanik“, einer Art Fassungslosigkeit gegenüber dem schnellen Verstreichen der Lebenszeit, leidet, und in einer Grundhaltung steckt, die sie ständig Negatives erwarten und erleben lässt. Alle anderen Familienmitglieder treten angesichts dessen mit ihren Bedürfnissen in den Hintergrund, niemand beklagt sich darüber. (Eine küchenpsychologische Anmaßung wäre es, bei der Mutter eine Depression zu vermuten und auch im Zusammenspiel aller Familienmitglieder eine dazu komplementäre interessante Konstellation zu sehen.)

Das klingt wie ein finsteres, sogar tragisches Setting. Das Buch liest sich aber nicht vorrangig als Beschreibung eines emotionalen Mangelzustands, sondern als scharfgezeichnete, urkomische, teilweise absurde, nur manchmal resignative Skizze eines Familienlebens. Und als schonungslose Abrechnung mit Kassel.

Für mich ein tolles Buch. Interessante Reflexionen über Familie. Die Protagonist:innen sind mir in ihrer Kompliziertheit sehr schnell ans Herz gewachsen. Schon der Einstieg ist atemberaubend und ungewöhnlich, in fesselnder Atemlosigkeit geht es weiter. Ich konnte nicht aufhören zu lesen und bin jetzt nach ein paar Stunden mit dem Buch durch, aber immer noch gedanklich drin. Vielleicht muss ich es auch gleich nochmal lesen.

Bewertung vom 26.08.2024
Lass die anderen reden
Engelstädter, Vanessa

Lass die anderen reden


gut

Gut für Hund und Mensch
Die Verfasserin dieses Buches, die Resilienztrainerin Vanessa Engelstädter, ist nicht nur Hundetrainerin, sondern auch (Menschen-)Coach. Und weil im Umgang mit Tieren die Befindlichkeiten und psychischen Herausforderungen, Belastungen und Probleme sowie die Stressbelastung ihrer Menschen eine immens wichtige Rolle spielen, geht es in diesem Sachbuch eben nicht nur darum, wie Hunde möglichst effektiv zu trainieren sind. Vielmehr verdeutlicht die Autorin im Detail, welchen Einfluss auf die Hunde die Verfassung, die Erwartungen (positiv wie negativ) und das Stresslevel der besten Freunde der Hunde, also ihrer Menschen, haben. Das schlägt sich unter anderem darin nieder, dass die Betrachtungen des „du“ (also der das Buch lesenden Hunde-Menschen) deutlich mehr Raum einnehmen als der thematische Schwerpunkt „du und dein Hund“. Das Buch ist deshalb wahrscheinlich auch ein interessanter Ratgeber für stressgetriebene Menschen ohne Hund. Vor allem gefällt mir aber, dass der Ansatz von Engelstädter, bei herausfordernden Hunden auch ihre Menschen deutlich in den Blick zu nehmen, so deutlich formuliert wird; oft genug gilt „nicht der Hund ist das Problem, sondern sein Mensch“, wird aber gern verdrängt. Das Buch ist gut lesbar und anschaulich geschrieben. Negativ aufgefallen sind mir auch die vielen fehlerhaften, den Lesefluss behindernden Satzkonstruktionen, die ein Lektorat eigentlich hätte finden und korrigieren sollen.

Bewertung vom 18.08.2024
Nur nachts ist es hell
Taschler, Judith W.

Nur nachts ist es hell


sehr gut

Beeindruckende Frau, ereignisreiches Leben

Eine äußerst interessante Lebensgeschichte, die mehrere für Österreich (und Deutschland sowie ganz Europa) prägende, dramatische historische Phasen überspannt, wird hier dargestellt. Elisabeth Brugger, eine österreichische Ärztin, die noch in der k.u.k. Monarchie aufwuchs, erzählt Anfang der 1970er Jahre ihre eigene und die Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Weltgeschichte.

Um 1895 geboren ist sie die einzige Tochter einer wohlhabenden Familie im Mühlviertel. Weil die Familie Wert auf Bildung legt, kann sie in Wien die Matura machen. Die Möglichkeit, ihren Traumberuf als Ärztin zu leben, muss sie sich aber gegen Widerstände in der Familie erkämpfen, auch an der Universität und von Patient:innen wird Frauen das Leben schwer gemacht. Sie erlebt beide Weltkriege, im 1. Weltkrieg geht sie als Krankenschwester in ein Lazarett, im 2. Weltkrieg führt sie schon ihre eigene Arztpraxis, geht aber nach dem Tod ihres Mannes erneut in ein Feldlazarett. Sowohl die Kriegszeiten als auch die Zwischenkriegszeit durchlebt sie sehr intensiv, auch in ihrer Familie gibt es einige dramatische Entwicklungen. Sie verliert ihren Lieblingsbruder an den Krieg, und den Mann, den sie liebt.

Elisabeth ist eine sehr fortschrittliche und starke Frau, die sich nimmt, was sie will - in ihrer Zeit eher ungewöhnlich. Sie ist als Individuum also durchaus emanzipiert, allerdings keine feministische Kämpferin. Nach dem Klappentext hätte ich hier mehr Substanz erwartet. Auch, was weitere Geschehnisse betrifft, führt der Klappentext meiner Meinung etwas in die Irre.

Die Geschichte ist verpackt in einen vorgeblichen Dialog Elisabeths mit ihrer Großnichte. Tatsächlich handelt es sich aber um einen langen, langen Monolog, weil die angesprochene Zuhörerin nie zu Wort kommt; sie tat mir am Ende fast leid, einem solchen Schwall an Worten ausgesetzt.

Die Erzählung ist stark von Melancholie geprägt, obwohl die Protagonistin Elisabeth durchgängig sehr sachlich schildert, als solle ein Befundbericht erstattet werden. Diese Sachlichkeit gefällt mir sehr gut. Da die Geschehnisse allerdings zum Teil sehr gemächlich ausgeführt werden, tröpfelt die Erzählung an einigen Stellen etwas langatmig vor sich hin und enthält auch Schilderungen, deren Belang sich nicht erschließt. Längen ergeben sich zudem daraus, dass Geschehnisse mehrfach abgehandelt werden, weil in Zeitschleifen erzählt wird, vorwärts, rückwärts, es gibt immer wieder große Sprünge. Letztlich ist auch der etwas antiquiert wirkende sprachliche Ausdruck der Protagonistin nicht ganz meins (das ginge vielleicht auch anders, wenn man sich z.B. die Texte von Irmgard Keun anschaut); es scheint mir aber vorstellbar, dass eine auf die 80 zugehende Frau in den 1970er Jahren so erzählt hätte.

Trotz dieser Kritikpunkte: Alles in allem ein interessantes Buch, in dem Zeitgeschichte verwoben wird mit der persönlichen Geschichte einer starken Person, die - gemessen an dem, was Frauen ihrer Generation durften und konnten - ein ereignisreiches und engagiertes Leben geführt hat.

Bewertung vom 14.08.2024
Sobald wir angekommen sind
Lewinsky, Micha

Sobald wir angekommen sind


sehr gut

Lustiges, schonungsloses Psychogramm

Ben ist Schriftsteller, Werbetexter und Drehbuchautor. An den Erfolg seines frühen Erstlingswerks hat er bis jetzt nicht mehr anschließen können. Dann hat sich auch noch seine Frau Marina von ihm getrennt, und weil das Geld nicht für zwei Wohnungen reicht, teilen sich Marina und Ben mit Tochter und Sohn die ehemals gemeinsame Wohnung nun tageweise nach dem Nestprinzip. Ben, der befürchtet, nicht nur als Autor erfolglos zu bleiben, sondern künftig auch einsam und allein, hat ziemlich schnell eine neue Partnerin gefunden, die angesagte Künstlerin Julia.

Als der Krieg in Osteuropa atomar zu eskalieren droht, beschließt Ben - wie er empfindet: in der Tradition seiner jüdischen Vorfahren und Vorvorfahren, die nur deshalb überlebt haben, weil sie in brenzligen Situationen rechtzeitig geflohen sind - sich und die Kinder dadurch zu retten, dass sie sich nach Brasilien absetzen. Die Reise tritt er gemeinsam mit seiner Expartnerin Marina an, während er Julia in Zürich hinter sich lässt.

Das Buch ist sowohl inhaltlich als auch stilistisch unterhaltsam und fesselnd. Das Geschehen wird aus Bens Perspektive geschildert. Die Erzählung ist vor allem ein Psychogramm des von Ängsten geprägten Ben, allerdings zugleich auch - aus der Wahrnehmung von Ben, daher oft genug verzerrt - von Marina. Der Ausgang der Geschichte hat mich sehr überzeugt - er ist unerwartet, aber absolut folgerichtig (um hier nichts zu spoilern). Ben wird nicht nur mit viel (Selbst-)Ironie dargestellt, er wird auch extrem schonungslos betrachtet. Ben ist super sympathisch, ich habe ihn sofort ins Herz geschlossen. Und zugleich empfinde ich ihn als eine unglaublich unangenehme, egozentrische Person. Mich hat sehr beeindruckt, wie der Autor es geschafft hat, dass Leser:innen sich so emotional und so ambivalent auf die Geschichte einlassen können.

Bewertung vom 13.08.2024
Ich komme nicht zurück
Khayat, Rasha

Ich komme nicht zurück


sehr gut

Liebe, Zusammenhalt, Verlust

Hanna, Zeyna und Cem sind zusammen in einem wirtschaftlich etwas abgehängten Wohnviertel im Ruhrgebiet aufgewachsen. Sie sind als Kinder unzertrennlich. Hanna und Zeyna werden schnell allerbeste Freundinnen, sind fast wie Schwestern. Cem muss häufig den Puffer zwischen den Mädchen geben. Hanna und Zeyna wachsen beide ohne Mutter auf. Zwischen Zeyna und Hannas Großmutter Felizia entwickelt sich deshalb ein sehr liebevolles Verhältnis. Auch Zeynas Vater Nabil verbindet direkt eine ganz enge Freundschaft mit Hannas Großvater Theo. Auf allen Ebenen Wahlverwandschaften also.

Als sie erwachsen werden, bleibt Cem im Ruhrgebiet, Hanna und Zeyna gehen weg. Zwischen Hanna und Zeyna kommt es durch ein als dramatisch empfundenes Ereignis zum Bruch.

Als ihre geliebte Großmutter Felizia stirbt, kommt Hanna zurück, zieht in die Wohnung der Großeltern. Hanna ist nach der gemeinsamen Kindheit nie wieder woanders richtig angekommen, sie bringt viel Einsamkeit mit, stolpert außerdem in die Corona-Lockdowns und versucht verzweifelt, wieder mit Zeyna in Kontakt zu kommen.

Rasha Khayat erzählt hier eine vielschichtige Geschichte. Vordergründig scheint das Buch nur von Hannas Suche nach ihrer Freundin Zeyna zu handeln, von ihren Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. Tatsächlich dreht sich aber ganz viel um Hannas tiefe Liebe zu ihrer Großmutter, und um die Eifersucht, die Hannas Verhältnis zu Zeyna unterschwellig prägt. Es geht auch um das Leben und Aufwachsen in abgehängten Wohnvierteln, um relative Armut und soziale Ungleichheit, um Migration und Rassismus, um die Bewältigung von Verlusten, um Verbundenheit und Zugehörigkeit und ganz viel um Freundschaft, Familie und Wahlfamilie. Dennoch ist die Erzählung aber nicht überladen, nur wenige dieser verschiedenen Aspekte werden ausdrücklich angesprochen - sie sind einfach nur da.

Khayat hat hier ein tolles Buch geschrieben, atmosphärisch dicht und voller Gefühl, zugleich modern und anspruchsvoll. Besonders spannend fand ich, dass die Erfahrungen und die Weltsicht von Einwandererkindern und Menschen mit Fluchterfahrung thematisiert werden, auch vor dem Hintergrund von Nine Eleven und den gesellschaftlichen Auswirkungen des damit begründeten sog. War on Terror. Außerdem ist es das erste Buch, das ich lese, das die Pandemie nicht übergeht oder sie nur am Rand streift, sondern sie im Gegenteil ausdrücklich thematisiert - das finde ich super: kein Totschweigen und Verdrängen.

Das Buch bringt also deutlich mehr als erwartet, lässt dafür aber in anderer Hinsicht Leerstellen. Denn wenn ich mit ein paar Stunden Abstand über das Gelesene nachdenke, wundert mich, dass der eigentlich allgegenwärtige Alltagsrassismus in den 1980er/90er Jahren im Leben der drei keine Rolle gespielt hat, dass der Neonazianschlag von Mölln die erste Rassismus-Erfahrung für sie gewesen sein soll. Kann ich mir nicht ganz vorstellen, aber ok, die Geschichte wird ja aus der Sicht von Hanna erzählt, nicht von Zeyna und Cem. Das Ereignis, das zum Zerwürfnis zwischen Hanna und Zeyna führte, schien mir in der Relation eher belanglos, deshalb fehlt mir ein bisschen das Verständnis für den harten Cut - zugleich dann auch für den Ausgang der Geschichte. Und dann wüsste ich sehr gern mehr darüber, woher Hannas offensichtliche Unfähigkeit zur Bindung an andere Menschen als ihren ganz engen Kreis kommt. Obwohl die Erzählung ansprechend ist und auf den ersten Blick nichts fehlt, hätte ich mich im Ergebnis über ein bisschen mehr Unterfütterung zu ihrer Persönlichkeit und den Persönlichkeiten aller anderen Charaktere gefreut.

Trotz der kleinen kritischen Anmerkungen: Leseempfehlung. Das Buch zieht eine:n mit seiner Komplexität, Dichte und Emotionalität in seinen Bann - ich habe es innerhalb weniger Stunden verschlungen.

Bewertung vom 31.07.2024
Verbrannte Gnade / Die Punkrock-Nonne ermittelt Bd.1
Douaihy, Margot

Verbrannte Gnade / Die Punkrock-Nonne ermittelt Bd.1


gut

Holiday, die queere, exzess- und drogenerprobte, stark tätowierte, leicht anarchische, heftige Musik liebende Gitarristin einer New Yorker Frauenband hat ihr bisheriges Leben hinter sich gelassen. Sie ist in New Orleans als Musiklehrerin ins Kloster des Ordens der Schwestern vom Erhabenen Blut eingetreten. Ihre Beweggründe fächern sich in der Erzählung nach und nach auf. Ihr Gelübde steht kurz bevor. Da ereignen sich mehrere Brände. Es trifft auch Personen, die Schwester Holiday nahestehen. Offensichtlich wurden die Feuer gelegt. Da das etwas schräge amtliche Brandermittler- und Polizei-Personal nicht so richtig in die Gänge zu kommen scheint, beginnt Schwester Holiday selbst zu ermitteln. So weit, so gut, also schön unkonventionell.

Das Buch wird als Krimi vermarktet. Nur: Ein Krimi ist es nicht so wirklich. Eher ein wildes, auf Provokation setzendes Action Painting. Zwischendurch hat mich das, in Erwartung einer konventionelleren Krimihandlung, manchmal geärgert (wie wird denn da mit Beweismitteln umgegangen? etc), zumal auch die Auflösung des Falls leider nach gut einem Drittel des Textes einigermaßen vorhersehbar ist. Andererseits ist die Geschichte teilweise so surreal, absurd und over the top, dass es richtig genial ist. Was mich, als Ungläubige, in seiner Breite etwas irritiert, sind die vielen, vielen religiösen Einsprengsel im Buch. Mir wurde das nach und nach zu viel. Vielleicht habe ich aber auch nur die Ironie nicht verstanden. Ich wüsste gern, wie sich das für religiöse Menschen liest.

Mein Fazit fällt daher gemischt aus: Wer mal wieder Lust auf etwas Farbenfrohes hat, das manchmal etwas inkonsistent ist, und sich einfach an Holidays unkonventionellem Universum und vielen unerwarteten Einsichten erfreuen möchte, der/dem würde ich das Buch sehr empfehlen. Auf die angekündigte Fortsetzung der Reihe freue ich mich jedenfalls schon.