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bernd
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Bewertung vom 26.10.2016
Amerika vor Kolumbus
Mann, Charles C.

Amerika vor Kolumbus


ausgezeichnet

Ich bin hocherfreut, daß es dieses wichtige Buch für Landschaftsplaner, Ökologen, Historiker und Indianerfreunde endlich auf dt. gibt. Zur engl. Fassung schreib ich in den Notizbüchern der Kasseler Schule 2006
Das europäische Bild indianischer Kulturen und der vorkolumbianischen Landschaft Amerikas ist von Karl May und James F. Cooper geprägt: Heroische Naturvölker, die sich vor allem in Nordamerika gegen die europäischen Eindringlinge wehrten. Die Ankunft der Europäer reißt sie aus einem Dasein als Jäger und Sammler. Hollywoodfilme zeigen die Weite der Prärie; eine Naturlandschaft, in der riesige Herden wilder Büffel lebten.
In Mittel- und Südamerika hingegen sind die mächtigen Bauten der Indianerhochkultuen nicht zu übersehen. Deren Bewässerungskulturen und die zur Landbewirtschaftung großflächig terrassierten Bergzüge werden allen-falls als regionales Phänomen wahrgenommen. Wesentlicher und charakteristischer für die indianische Bevölkerung scheinen die nackten Urwaldindianer am Amazonas. Als Jäger und Sammler gelten sie als Überlebende steinzeitlicher Kultur im Urwald. Das Klischee der indianischen Naturvölker, einer Naturlandschaft der Romane und Filme basiert auf frühen Reiseberichten der Eroberer und 'Entdecker'. Der Urwald Süd- und die Prärien Nordamerikas erschienen ihnen gleich-ermaßen wenig vom Menschen beeinflußt.
Ch. C. Mann beginnt chronologisch mit der Einwanderungs- und Kulturgeschichte der indianischen Völker. Nicht erst im 11. Jhd. v. Ch. und auch nicht allein über die Beringstraße wurde der Kontinent besiedelt, sondern wesentlich früher und in Etappen.
Tatsächlich war die vorkolumbianische Landschaft vom Menschen hergestellt: nahezu durchgängig von den Prärien Nordamerikas bis hin zu den Urwäldern des Amazonas. Die Weite der nordamerikanischen Prärie war nur zum Teil Weide für die Büffelherden. Die Büffeljagd war für die meisten Völker notwendig, nicht zum Fleischerwerb (das aßen sie freilich auch) sondern vor allem, um die Herden von ihren Äckern fern zu halten. Maisäcker, brachgefallen nachdem die indianischen Bauern an europäischen Seuchen gestorben waren: Das war in weiten Teilen die "Prärie", die die Europäer vorfanden. Frühe Reisebeschreibungen der ersten europäischen Siedler (Briten, sic!), die begeistert von herrlichen, aufgelockerten natürlichen Parklandschaften berichten, dechiffriert Ch. C. Mann als Beschreibungen von brachem, verbuschendem Acker- und Weideland. Ebenso verbracht ist der Terrassen- und Bewässerungsland-bau der Hochkulturen Mittel- und Südamerikas. Die Einflüsse dieser Kulturen auf die Landschaft sind heute noch sichtbar.
Überraschend ist, daß selbst das Amazonas-Gebiet vom Menschen geprägt ist. Die Amazonas-Kulturen rodeten den Urwald. Die siedlungsnahen Felder sind bodenkundlich nachweisbar. Großflächig legten die frühen Amazonas-Indianer 'Obsthaine' zum Anbau von allerlei Frucht- und Nutzbäumen an. Die 'Urwälder' am Amazonas waren 'Forste'. Zur Erzeugung von Werkhölzer, -stoffen und zur Gewinnung von Baumfrüchten waren die 'Wälder' jahrtausendelang durch gezielte Rodung, Entnahme oder Förderung wie Pflanzungen geformt. Einige der Kulturbäume und -palmen sind Neuzüchtungen, d.h. Kulturarten wie Mais. Die Orchard-Kultur formte maßgeblich die Vegetationsausstattung und die Landschaft des Amazonasbeckens.
Nachdem die Amazonas-Völker durch eingeschleppte Seuchen dahingerafft waren, fielen die Orchards brach. Gleichzeitig bzw. kurze Zeit später wanderten von Seuchen und Conquistadoren vertriebene Volkstämme ein. Die heutigen 'Urwald'indianer migrierten erst im 17. Jhd. in das Amazonas-Becken. Sie ernteten die Früchte der verbrachten Obsthaine (Orchards).
Dies also ist die Idylle der Amazonas: Der Urwald, die grüne Lunge der Nachhaltigkeitspropaganda, ist eine 500 Jahre alte Brache und die dort lebenden Naturvölker sind pauperisierte, vertriebene Völker; Migranten, denen nichts weiter blieb, als die Früchte bracher, verfallender Obsthaine zu ernten.