Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Jessi2712
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 14 Bewertungen
12
Bewertung vom 04.03.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt


ausgezeichnet

Ein wilder Ritt - einfach unfassbar gut!

Worum geht’s?

Die ›alte Welt‹ ist untergegangen. Ein giftiger Nebel hat alles Leben verschlungen, mit Ausnahme einer kleinen Insel, wo es noch ein paar Überlebende gibt. Diese führen ein friedliches Leben, jeder hat seine geregelte Beschäftigung und Hobbys, die drei Dorfältesten sorgen dafür, dass alles reibungslos läuft.

Bis eines Tages das Unvorstellbare geschieht. Niema, die Beliebteste der Dorfältesten, wird ermordet aufgefunden. Emory, wohl die Einzige auf der Insel, die bisher ihren Weg im Leben nicht gefunden hat und nie lange bei einer Beschäftigung bleibt, untersucht den Mord gemeinsam mit ihrer Tochter Clara. Die Zeit drängt, denn mit dem Mord an Niema wurden auch die Abwehrsysteme der Insel außer Kraft gesetzt, welche die Insel bis dato vor dem Giftnebel geschützt haben. Werden sie es rechtzeitig schaffen, den Mord aufzuklären, bevor der Nebel die Insel erreicht und alle tötet?

Wie war’s?

Vorab möchte ich mal die unfassbar schöne Gestaltung des Covers mit Farbschnitt loben. Ich habe selten ein so schön gestaltetes Buch gesehen und bin schon fast in Versuchung, es zukünftig als Wohnungsdeko zu benutzen, weil die Farben so gute Laune machen.

Zum Inhalt: Es ist schwer, viel über das Buch zu schreiben, ohne zu spoilern. Stuart Turton ist für mich einer dieser Autoren, die in keine Schublade passen, und genau das macht seinen Reiz aus. Ob Krimi à la »und täglich grüßt das Murmeltier«, Gespenstergeschichte auf hoher See oder wie hier düstere Endzeit-Apokalypse mit unerwarteten Twists, sein Werk ist abwechslungsreich und vielseitig.

Die Story ist unfassbar gut konstruiert, man fliegt nur so durch die Seiten. Beim Lesen kommen immer mehr Fragen auf: Was hat es mit Abi auf sich, einer KI, die in den Köpfen aller Bewohner sitzt und ihre Gedanken liest? Warum die nächtliche Sperrstunde und wieso haben die Dorfbewohner morgens oft unerklärliche Verletzungen? Die abschließende Auflösung des Ganzen ist stimmig und es bleiben eigentlich keine Fragen offen.

Auch die Übersetzung der lieben Kollegin Dorothee Merkel möchte ich nicht unerwähnt lassen. Sie hat mir sehr gut gefallen und man vergisst, dass man kein Original liest, ein größeres Lob können wir Literaturübersetzer: innen uns kaum wünschen.

Fazit

Es war mir ein Fest! Schon lange hat mich kein Buch mehr so begeistert wie dieses. Von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung und 11 von 10 Sternen. Greift zu, ihr werdet es nicht bereuen.

Bewertung vom 05.02.2025
Coast Road
Murrin, Alan

Coast Road


ausgezeichnet

Drei Frauen, gefangen in unglücklichen Ehen – ein beeindruckendes Debüt!

Worum geht’s?

Colette Crowley hat das Undenkbare getan: für eine Affäre hat sie Mann und Kinder verlassen und ist nach Dublin durchgebrannt. Doch jetzt ist sie zurück im irischen Küstenstädtchen Ardglas. Jeder ihrer Schritte wird von der Gemeinde argwöhnisch beobachtet. Sie mietet sich im Cottage von Donal und Dolores Mullen ein, um erstmal zur Ruhe zu kommen. Als ihr Mann Shaun ihr nach ihrer Rückkehr den Kontakt zum jüngsten Sohn Carl verbietet, sucht sie in ihrer Verzweiflung schließlich Rat bei Izzy, die in einer unglücklichen Ehe mit Lokalpolitiker James gefangen ist, der sich für die Legalisierung der Scheidung in Irland einsetzt. Izzy versucht, Colette den Kontakt mit Carl zu ermöglichen, was natürlich nicht lange unbemerkt bleibt. So steuern die Frauen immer näher auf die abschließende Katastrophe zu.

Wie war‘s?

Coast Road war für mich ein packendes, erschütterndes Debüt. Ein Buch, dessen Handlung gut vor 100 Jahren spielen könnte, denn ich konnte kaum glauben und mir war bis dato nicht bewusst, dass es 1994 in Irland nicht möglich war, sich einfach scheiden zu lassen, wenn eine Ehe nicht mehr funktioniert. Alan Murrin schildert sehr eindrücklich, was es mit den Frauen macht, nicht aus ihren unglücklichen Beziehungen ausbrechen zu können. Vor allem der Hass, den Izzy auf ihren Mann James entwickelt, war meiner Meinung nach sehr anschaulich dargestellt und auch gut nachzuvollziehen.


Fazit

Kein vergnügliches Buch, kein Buch, das man einfach so nebenbei liest – dafür ein Debüt, das einen lange beschäftigt und im Gedächtnis bleibt.

Bewertung vom 20.01.2025
Drei Wochen im August
Bußmann, Nina

Drei Wochen im August


gut

Worum gehts?

Elena macht Urlaub in Frankreich. Nana, die Frau ihrer Chefin Ali, liegt im Sterben, deswegen steht das Haus leer. Elena nutzt also die Gelegenheit und macht sich für drei Wochen mit Kind und Kegel auf an die französische Atlantikküste. Mit dabei sind ihre beiden Kinder Rinus und Linn, Nanny Eve sowie eine Freundin ihrer Tochter. Ihr Mann Kolja bleibt zu Hause, in der Ehe läuft es nicht rund. Was als entspannte Urlaubsreise beginnt, steht von Anfang an unter keinem guten Stern und läuft aufgrund innerer Konflikte und äußerer Bedrohungen immer mehr aus dem Ruder.

Wie wars?

Irgendwie wollte ich den Roman mögen, richtig warm geworden bin ich mit meinem ersten Buch von Nina Bussmann allerdings nicht. Das alles wirkt etwas lieblos runter erzählt, die Charaktere bleiben blass, unnahbar und man kann sich mit niemandem so richtig identifizieren (abgesehen davon, dass mir beim Lesen immer wieder durch den Kopf schoss, dass die eigentlich alle eine Therapie bräuchten). Viele Handlungsfäden verlaufen irgendwie ins Nichts, vor allem die plötzlich auftauchenden ungebetenen Besucher, die sich ebenfalls bei Elena einnisten. Was genau will Franz eigentlich dort? Auch dieser latente Konflikt zwischen Eve und Elena. Beide scheinen um die Liebe und Aufmerksamkeit der Kinder zu buhlen, Ehrlichkeit und Offenheit sucht man zwischen ihnen vergeblich. Das im Klappentext groß angekündigte Verschwinden eines der Mädchen spielt sich erst auf den letzten Seiten des Romans ab und ist irgendwie auch weder schlüssig, noch sonderlich interessant.

Fazit

Weglegen und abbrechen war keine Option, weil mich trotz allem interessiert hat, wie die Geschichte ausgeht und was genau Elena in diesen Wochen in Frage stellt oder auf welche Katastrophe das ganze nun hinausläuft (obwohl es sich die ganze Geschichte über schon angedeutet hat und mich letztlich auch nicht überraschen konnte). Insgesamt hat mich das Buch zwar ganz gut unterhalten, fällt aber meiner Meinung nach in die Kategorie »kann man mal lesen, muss man aber nicht«. Auf jeden Fall nichts, was einem längere Zeit im Gedächtnis bleibt.

Bewertung vom 19.01.2025
Ab ins All!
Ziems, Anne-Dorette

Ab ins All!


sehr gut

Auf dem Weg zur multiplanetaren Spezies

Worum geht’s?

Das Thema ist so alt wie die Frage, ob wir tatsächlich allein im Universum sind. Wenn wir schon nicht von außerirdischen Lebensformen besucht werden, wie könnten wir uns dann aufmachen, um andere Planeten zu besuchen oder uns vielleicht sogar dort niederzulassen?

Interessant, mit welchen Fragen man sich im Vorfeld so alles beschäftigen muss. Welcher Planet kommt in Frage? Wie sorgen wir für lebensfreundliche Bedingungen, um nicht sofort tot umzufallen, sobald wir fremden Boden betreten? Oder können wir uns am Ende sogar unwirtliche Verhältnisse so zurechtbiegen, dass auch wir Menschen dort überleben können? Wie lange dauert die Reise, wie stehen wir das (physisch wie psychisch) überhaupt durch? Was ist mit Schlaf, was gibt’s zu Essen und wie funktioniert eigentlich eine Weltraumtoilette?

Wie war’s?

Ich war positiv überrascht, wie gut es der Autorin gelungen ist, auch recht trockene Abschnitte wie Entfernungen, berechnete Reisegeschwindigkeiten usw. so Laienverständlich aufzubereiten, dass es sogar mir als leidenschaftlicher Mathe- und Naturwissenschaftsmuffel gelungen ist, bis zur letzten Seite durchzuhalten und mir tatsächlich auch das eine oder andere zu merken.

Faszinierend war auch die Auflockerung durch diverse Farbfotos und Grafiken, die ich allerdings leider am E-Book-Reader in schwarz-weiß anfangs gar nicht so wahrgenommen habe, beim späteren Durchblättern am Tablett war ich dafür richtig begeistert davon.

Besonders schön sind die kleinen Einblicke in Details, von denen man sonst nichts oder nur am Rande erfährt, zum Beispiel das Weihnachtsmenü der NASA als kleine Überraschung für die Astronauten.

Fazit

Ein hochinteressantes Sachbuch für alle, die sich für Raumfahrt und unseren möglichen Weg zur multiplanetaren Spezies interessieren.

Bewertung vom 19.12.2024
Das mörderische Christmas Puzzle
Benedict, Alexandra

Das mörderische Christmas Puzzle


sehr gut

Unblutiger britischer Weihnachtskrimi für gemütliche Lesestunden

Worum geht’s?

Edie O’Sullivan, die achtzigjährige Rätsel-Expertin und Kreuzworträtsel-Autorin, kann mit Weihnachten so überhaupt nichts anfangen. Der Dezember ist für sie der schlimmste Monat des Jahres. Zu viele Schicksalsschläge, die ausgerechnet an Weihnachten passiert sind, haben ihr das schönste Fest des Jahres dauerhaft verleidet.
Als am 19. Dezember plötzlich ein Päckchen mit 6 Puzzle-Teilen, die Ausschnitte eines blutigen Tatorts zeigen und einem Brief vor ihrer Tür liegt, ist Edie gefordert. Der mysteriöse Absender droht: sollte es Edie nicht gelingen, bis Weihnachten die Puzzleteile zusammenzufügen, werden mindestens 4 Menschen sterben. Wird sie diese Herausforderung meistern?


Wie war’s?

»Das mörderische Christmas Puzzle« ist ein recht unblutiger Krimi, der trotzdem mit einem tollen Spannungsbogen punkten kann.
Edie als Protagonistin war für mich sehr stimmig dargestellt. Sie schleppt eine Menge seelischen Ballast mit sich rum, unter anderem durch eine sehr schmerzhafte Trennung von ihrer damaligen Freundin Sky und den tragischen Tod ihrer Angehörigen.
Besonders gut gefallen hat mir auch ihre Nachbarin, die neunzigjährige Riga Novack, die immer wieder für einen Lacher sorgt, auch wenn die Ermittlungen mit jedem neuen Mordfall immer schwieriger werden.
Edies Adoptivsohn Sean blieb im Vergleich dazu ein bisschen blass, obwohl auch er grundsätzlich eine interessante Geschichte mitbringt, was seinen Mann Liam und die geplante Adoption angeht, die alles andere als einfach ist.

Die Mordermittlungen, die Edie teils auch im Alleingang erledigt, indem sie der Polizei neue Hinweise verschweigt, sind ebenfalls stimmig, die eingebauten Rätsel zum Mitraten raffiniert (wobei ich darauf ehrlich gesagt nicht so viel Augenmerk gelegt habe, da ich kein großer Rätselfreund bin).

Fazit

Dieses Buch ist jetzt zwar nicht so spannend, dass man es kaum aus der Hand legen könnte, trotzdem habe ich es sehr gerne gelesen und es hat gerade jetzt vor Weihnachten schon eine heimelige Stimmung beim Lesen vermittelt, die mich auf das Fest eingestimmt hat.

Bewertung vom 08.11.2024
Die Lungenschwimmprobe
Renberg, Tore

Die Lungenschwimmprobe


ausgezeichnet

Worum geht’s?

Leipzig im Jahr 1681. Anna, ein junges Mädchen, wird beschuldigt, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Ein Verbrechen, das mit dem Tod bestraft wird.
Ein Arzt und ein Anwalt versuchen mit für die damalige Zeit neuartigen Methoden wie der Lungenschwimmprobe und fortschrittlichen Ideen, Annas Unschuld zu beweisen und sie vor dem sicheren Tod zu bewahren. Ob es gelingt?

Wie war’s?

Ich sollte vielleicht vorab erwähnen, dass historische Romane so gar nicht mein Beuteschema sind.
Trotzdem hat mich der Grundgedanke, anhand der sogenannten Lungenschwimmprobe, die später in die Medizingeschichte eingehen sollte, zu beweisen, dass Anna die Wahrheit sagt, fasziniert, und ich wollte dem Buch unbedingt eine Chance geben.
Und ich wurde nicht enttäuscht und habe mich trotz der umfangreichen 700 Seiten nicht eine Sekunde gelangweilt.

Tore Renberg hat die damalige Zeit für mich lebendig werden lassen. Passenderweise durfte ich dieses Buch auf einer Rundreise durch Leipzig und Dresden lesen, was die historischen Orte für mich noch eindrucksvoller erlebbar gemacht hat.

Komplett hingerissen war ich von der Darstellung der verschiedenen Charaktere, allen voran Dr. Johann Schreyer, der erstmals eine Lungenschwimmprobe durchführt, und Dr. Christian Thomasius, der Rechtsanwalt mit dem Faible für gutes Essen, den wir quasi durchs gesamte Buch begleiten. Renberg hat ihn so gut beschrieben, dass ich oft das Gefühl hatte, direkt neben ihm zu sitzen.

»Er war das Neue.
Über seinem Kopf, davon gehe ich aus, stand eine sengende Sonne.
Manchen Menschen geht es so.« (S. 95).

Auch die Übersetzung von Karoline Hippe und Ina Kronenberger hat mir sehr gut gefallen, sie haben es geschafft, die damalige Zeit auch sprachlich erlebbar zu machen, ohne dass der Text irgendwie anstrengend oder schwierig zu lesen wird.

Einzig und allein bestimmte Szenen, wie z. B. der spätere Rachefeldzug von Hans Heinrich Voigt, Annas Vater, der das Unrecht, das seiner Tochter angetan wurde, rächen will, waren manchmal schwer zu ertragen, was unter anderem natürlich der sehr bildhaften Sprache geschuldet ist, bei der sofort ein Film vor dem inneren Auge abläuft. Aber alles passt, ist stimmig und sicherlich für die damalige Zeit auch authentisch.


Fazit

Ich habe es nicht bereut, mich diesem dicken Wälzer gestellt zu haben, von mir volle Punktzahl und eine uneingeschränkte Leseempfehlung! Ein Buch, bei dem man nach der letzten Seite so traurig ist, als hätte man einen treuen Wegbegleiter verloren.

Bewertung vom 11.10.2024
Juli, August, September
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


gut

Ein Sommer auf Identitätssuche

Worum geht’s?

Lou hat’s nicht leicht. Den Job als Galeristin hat sie nach einem Schicksalsschlag vorübergehend an den Nagel gehängt, eigentlich will sie ein Buch schreiben, treibt aber orientierungslos dahin und verbringt viel Zeit mit ihrer kleinen Tochter Rosa. Sergej, ihr zweiter Ehemann, ist Pianist und jüdisch, genau wie sie. Eine ganz normale Familie in Berlin. Bis Lou einer Einladung zum 90. Geburtstag ihrer Tante folgt, die auf Gran Canaria feiert. Plötzlich wieder mit dem alten ex-sowjetischen Clan aus Israel konfrontiert, der sich dort trifft, wächst in ihr das Bedürfnis nach einer Identitätssuche. Sie stellt ihre Ehe in Frage, sinniert über ihre Familiengeschichte und landet schließlich unverhofft in Israel, um den drängenden Fragen auf den Grund zu gehen.

Wie war’s?

Ein Buch, das ich innerhalb weniger Tage verschlungen habe. Prinzipiell habe ich mich gut unterhalten gefühlt, auch wenn mir nicht so richtig klar ist, worauf die Autorin mit ihrer Geschichte nun eigentlich hinauswollte.
Gut nachvollziehbar waren für mich Lous Probleme mit ihrem Mann, ich kann mir gut vorstellen, dass das Leben mit einem Künstler, der sozusagen in seiner eigenen Welt lebt, nicht einfach ist. Auch die Beziehung zu ihrer Mutter und ungeliebten Schwiegermutter wurde sehr glaubhaft dargestellt. Die Buschtrommeln, mit denen die Gerüchte über Lou in ihrer Familie die Runde machen, haben mich oft zum Lächeln gebracht. An einem bestimmten Punkt scheint die Scheidung schon fast beschlossene Sache zu sein, obwohl von Lous Seite davon niemals die Rede war.
Weniger gelungen fand ich den Handlungsstrang rund um ihre Tante Maya und deren verstorbene Schwester Rosa. Was genau war die Message dahinter? Dass in keiner Familie die Dinge so sind, wie sie zu sein scheinen? Dass es immer mehrere Wahrheiten hinter einer Geschichte gibt?

Fazit

Da sich das Buch flüssig liest und man sich beim Lesen gut unterhalten fühlt, vergebe ich gerne 3 Sterne, auch wenn die Handlung bei mir so einige Fragen offen gelassen hat.

Bewertung vom 11.10.2024
La Louisiane
Malye, Julia

La Louisiane


weniger gut

Neue Ehefrauen braucht das Land!

Worum geht’s?

1720. Die französische Kolonie La Louisiane braucht dringend neue Ehefrauen, die den Fortbestand der Kolonie sichern. In der Pariser Salpêtrière erhält Superiorin Marguerite deshalb den Auftrag, eine Liste mit 90 Frauen zusammenzustellen, die mehr oder weniger freiwillig an Bord der La Baleine gehen und die beschwerliche Reise in die Kolonie antreten sollen.

Wir begleiten Charlotte, eine junge Waise, Geneviève, eine verurteilte Engelmacherin und Pétronille, eine Tochter aus besserem Hause, deren Gesicht von einem großen Muttermal entstellt ist und die alle, ob sie nun wollen oder nicht, auf der ominösen Liste landen, bei den Reisevorbereitungen, der beschwerlichen, langen Reise in ein neues Land und Leben, dem Verheiratet-Werden mit ihnen völlig unbekannten Männern und ihrer Zukunft in den USA.

Wie war’s?

Witzigerweise hat jemand in einer anderen Rezension geschrieben, die ersten 150 Seiten müssen man irgendwie „durchstehen“, danach würde es besser. Mir ging es nun genau umgekehrt. Ich war geflasht von der Leseprobe, habe mich riesig auf das Buch gefreut und bin auch voller Enthusiasmus in den ersten Teil gestartet.

Gerade die Beschreibung der Salpêtrière, der Stimmung in Paris, die meiner Meinung nach sehr gut eingefangen wurde, haben mir richtig gut gefallen. In diesem ersten Teil konnte ich mich noch mit der einen oder anderen der Frauen identifizieren, habe gespannt mitgefiebert, wie es nun mit ihnen weitergeht.

Und ziemlich genau nach diesem Teil ist dieser Lesefluss bei mir extrem gekippt. Die Autorin verliert sich in ziemlich langatmigen Landschaftsbeschreibungen, extrem konstruiert wirkenden Metaphern, der Text wirkt auf mich künstlich aufgeblasen und in die Länge gezogen, und durch das ständige Hin- und Herspringen zwischen den einzelnen Frauen kam ich irgendwann auch komplett durcheinander, zumal es sehr viele Namen und Nebenpersonen gibt, von denen man gar nicht weiß, ob sie irgendwann wichtig werden oder nicht. Alles in allem war bei mir nach 300 Seiten einfach die Luft raus und ich habe die Lektüre daher vorzeitig beendet.

Fazit

Packender Anfang, ein interessantes Stück vergessener Geschichte, aber der Stil hat mir in dem Fall ein „Durchhalten“ bis zur letzten Seite unmöglich gemacht. Die erste Leseenttäuschung 2024 und tatsächlich das erste Buch dieses Jahr, das ich leider nicht zu Ende lesen möchte.

Bewertung vom 24.09.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


ausgezeichnet

Wer ist hier das wahre Monster?

Worum geht’s?

Pia, Jakob und Luca, ihr sechsjähriger Sohn – eine glückliche kleine Familie. Bis sich die Grundschule mit einem unglaublichen Vorwurf meldet, den die Eltern kaum fassen können. Ab diesem Tag sieht Pia ihren Sohn mit anderen Augen. Ist er wirklich der süße, kleine Unschuldsengel oder ein hinterlistiges kleines Monster? Was genau ist in der Schule vorgefallen? Und wie hängt das alles mit Pias eigener Kindheit, dem tragischen Verlust ihrer jüngsten Schwester und dem Verhältnis zu ihrer Adoptivschwester zusammen, zu der sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hat?

Wie war’s?

Dieses Buch habe ich innerhalb von zwei Tagen förmlich verschlungen. Jessica Lind versteht es, sehr geschickt Gegenwart und Vergangenheit miteinander zu verweben.

Auf der einen Seite Pia, die plötzlich einen ganz anderen Blick auf ihren Sohn bekommt, deren Verunsicherung von Tag zu Tag immer größer wird. Die Fassade der heilen Welt, die schnell erste Risse bekommt, als Pia und Jakob sofort aus der WhatsApp-Gruppe der Eltern ausgeschlossen werden, nachdem der Vorwurf gegen Luca offen auf dem Tisch liegt.

Auf der anderen Seite Pias Kindheit mit dem tragischen Tod ihrer kleinen Schwester Linda, ein Tag, ab dem sich ihr Leben von Grund auf geändert hat. Die ungeklärte Frage, ob ihre Adoptivschwester Romi möglicherweise was damit zu tun hatte. Das jahrelange Todschweigen innerhalb der Familie, die eigene Mutter, die Pia und Romi mit Verboten schikaniert und sich vor allem Romi gegenüber sehr grausam verhält.

Und schließlich auf dem Höhepunkt des Spannungsbogens die Frage, wie weit Pia selbst bereit wäre zu gehen, um die Wahrheit aus Luca herauszuholen. Hier ist mir schon die eine oder andere Gänsehaut über den Rücken gelaufen.

Fazit

Auch wenn mir Pia als eigentlich Protagonistin dieser Geschichte oft sehr unsympathisch war (deshalb auch die Frage eingangs, wer hier das wahre Monster ist), habe ich mich von dieser sehr geschickt aufgebauten Story bestens unterhalten gefühlt und empfehle sie gerne weiter.

Bewertung vom 23.09.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


ausgezeichnet

Ein Buch, das uns allen einen Spiegel vorhält

Worum geht’s?

Reza, im Iran geboren, kommt im Alter von 9 Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland. »Als wir Schwäne waren« erzählt die Geschichte einer Kindheit zwischen zwei Stühlen in den siebziger Jahren im Ruhrgebiet.

Wie war’s?

Vorab, das ist kein einfaches Buch. Ein Werk, das uns alle zum Nachdenken anregen sollte, wie wir mit dem Thema Migration, Integration und den Menschen umgehen, die zu uns nach Deutschland kommen.

Spannend geschildert fand ich vor allem den Spagat zwischen der Lebenswirklichkeit der Eltern, die sich gedanklich noch voll im Iran abspielt (»Sie kennen den Mullah, der im Fernsehen behauptet, Frauen, die keine Büstenhalter tragen, verursachen Erdbeben. Oder Gespräche von Geistlichen, bei denen es um die Frage geht, ob ein Kind haram ist, wenn sein Erzeuger bei einem Unfall auf die eigene Tante gefallen ist und sie dabei versehentlich geschwängert hat«).

Und als krassen Gegensatz dazu die Kindheit in der deutschen Siedlung, zwischen den Versprechungen des Kabelfernsehens, den Ostermärschen, einer regelrechten Hierarchie zwischen den verschiedenen Lagern, in der beispielsweise die Roma nochmal eine Stufe unter den Iranern stehen und noch »schlimmer« scheinen als alle anderen.

Den Bemühungen der Eltern, dieses Deutschland zu verstehen, die Sprache, die Schuhe, die dem Vater nicht passen, der Wassermelone, die nicht schmeckt. Und wie all ihre Versuche, hier eine Heimat zu finden, am Ende doch scheitern.

Beeindruckend war vor allem Rezas Weg, der anfangs wie seine Freunde immer mehr auf die schiefe Bahn zu geraten droht und irgendwann doch beschließt, sich zusammenzureißen und »Meter zu machen«.

Fazit

Ein Buch, das aktueller kaum sein könnte. Wie verhalten wir uns selbst dem Andersartigen gegenüber und was könnten wir besser machen? Beeindruckend die Szene, in der Reza mit seiner Mutter Kornelkirschen pflückt, die die allermeisten in Deutschland für giftig halten. Viele Leute gehen vorbei, bis sie irgendwann eine Frau darauf anspricht. Der Vater fragt sich später, warum denn die anderen nichts gesagt hätten. Ja, warum eigentlich? Hier habe ich mich beim Lesen an die eigene Nase gefasst und gefragt, ob ich was gesagt hätte. Ehrlicherweise muss ich zugeben, wahrscheinlich nicht. Ein Buch, das mich nachdenklich gemacht hat und eine unbedingte Leseempfehlung.

12