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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Xirxe
Wohnort: 
Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 869 Bewertungen
Bewertung vom 18.10.2024
Antichristie
Sanyal, Mithu

Antichristie


gut

Puh, das war mühsam. Nicht dass das Buch schwierig zu lesen wäre; es ist durchaus amüsant geschrieben. Und die Geschichte ist voller witziger Einfälle. Aber was einem bei dieser Lektüre auf über 530 Seiten um die Ohren gehauen wird, ist eine derartige Fülle von zumeist schrecklichen Informationen, die einen schier erschlägt. Doch der Reihe nach.
Durga, 50 Jahre alt, erfolgreiche Drehbuchautorin, Tochter einer Deutschen und eines Inders, fährt kurz nach dem Tod ihrer Mutter zu einem Workshop in London, wo in einer multikulturellen, diversen Gruppe an einer kritischen Verfilmung von Agatha Christies Werken gearbeitet werden soll. Als sie in der Stadt unterwegs ist, findet sie sich plötzlich im London von 1906 als junger Mann wieder und kommt in Kontakt mit indischen Nationalisten. Junge Männer, die ihr wohlbekannt sind durch ihre Mutter, die eine glühende Kämpferin für das unabhängige Indien war. Durga, jetzt ein junger indischer Mann namens Sanjeev, wird wohlwollend von der Gruppe aufgenommen, die im India House lebt, einem Studentenwohnheim für indische Studierende, das sich zur Basis der Revolutionäre entwickelt, die für die Unabhängigkeit Indiens kämpfen. Sanjeev, die sich als Durga stets für Gewaltfreiheit einsetzte und eine große Bewunderin Ghandis war, lernt nun eine Realität kennen, die viele seiner/ihrer Überzeugungen in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Parallel dazu ist Durga weiterhin Teilnehmerin des Workshops, der von heftigen Demonstrationen gegen die Neuverfilmung sowie lebhaften Diskussionen in der Gruppe über Kolonialismus, Rassismus, Unterdrückung usw. begleitet wird und muss gleichzeitig versuchen, mit ihrer Trauer über den Tod ihrer Mutter klar zu kommen.
Die Geschichte wird wirklich amüsant erzählt, aber man wird in recht kurzer Zeit derart mit Information zugeschüttet, dass man am Ende kaum noch weiß, wann wer wo was gemacht hat. Die kolonialen Verbrechen Englands (und das sind nicht wenige), über die kein Mensch redet und die dadurch kaum bekannt sind; die Lebenswege bekannter Persönlichkeiten wie beispielsweise Ghandi, der gegenüber Moslems ein Rassist ohnegleichen war; das ständige Springen in verschiedene Zeitebenen - und nicht nur die beiden von Durga; die vielen für zumindest mich ungewohnten Namen; der Wechsel zwischen realen und komplett erfundenen Geschehnissen wie auch Themen: Kolonialismus, Filmdrehbuch, Rassismus, Tod der Königin, Diskriminierung, Tod der Mutter. Zeitweise war es mir einfach zu viel und ich habe das Buch zur Seite gelegt, sodass es vergleichsweise lange dauerte, bis ich es durch hatte. Etwas weniger von Allem, weniger Themen, weniger Personen, weniger Zeitsprünge, weniger Zeitebenen - vermutlich hätte ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen. So war es leider eher eine mittlere Quälerei.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2024
Genau so, wie es immer war
Lombardo, Claire

Genau so, wie es immer war


weniger gut

Erzählt wird die Geschichte von Julia Ames, Ende fünfzig, die alles hat, was ein glückliches Leben ausmacht: zwei wohlgeratene Kinder, einen liebenden Ehemann, einen stabilen Freundeskreis, finanziell gut situiert. Doch als sie einer Freundin aus einer anderen Zeit begegnet und sich gleichzeitig unvorhergesehene Dinge in ihrer Familie ereignen, breitet sich in Julia eine Unruhe aus und sie beginnt, ihr Glück in Frage zu stellen.
In Rückblicken erfahren wir, wie Julia zu einer selbständigen, aber unsichereren Frau und ohne Vertrauen in Andere heranwuchs, bedingt durch den irgendwann nicht mehr existenten Vater und ihre empathielose Mutter. Immer wieder enttäuscht und verletzt durch ihre Mutter vertraut sie nur noch sich selbst und ist selbst in ihrer Ehe stets am Zweifeln, was nach der Geburt ihres ersten Kindes zu einer schweren Krise führt. Doch Julia und Mark, ihr Mann, raufen sich, wenn auch mühsam, wieder zusammen und so liegen nun 25 gemeinsame Jahre hinter ihnen, die meisten davon glücklich. Aber nun scheint sich neues Unheil anzubahnen ...
Keine Frage, Julia litt und leidet ihr ganzes Leben an ihrer unglücklichen Kindheit: der Vater, der sie verließ; die Mutter, Alkoholikerin, die ihr keine Beachtung schenkte und sie offensichtlich nicht liebte. Alle Versuche, eine Beziehung in späteren Jahren zu ihrer Mutter aufzubauen, blieben erfolglos und vergrösserten Julias Selbstzweifel stets aufs Neue. Auch wenn es richtig gut beschrieben wird: Leider wird dies in wirklich epischer Breite immer wieder aufs Neue ausgeführt, sodass es mir irgendwann zuviel wurde und ich diese Passagen nur noch überflog.
Schwierig empfand ich auch die Person Julia: Sie ist intelligent und reflektiert, aber nicht in der Lage sich auch nur ansatzweise in 40 Jahren in der Beziehung zu ihrer Mutter weiter zu entwickeln. Ihr Verhältnis zu ihr ist mit Ende 50 praktisch das gleiche wie als 17jährige - auf mich wirkte dies nicht sehr glaubwürdig.
So bleiben gemischte Gefühle bei dieser Lektüre: Einerseits ist es gut geschrieben, andererseits gibt es eine unglaubwürdige Protagonistin und stellenweise sehr langatmige Passagen. Eine Kürzung von 200 oder 300 Seiten hätten dem Buch vermutlich sehr gut getan.

Bewertung vom 21.06.2024
Das Gemälde
Brooks, Geraldine

Das Gemälde


sehr gut

Hinter dem vergleichsweise belanglosen Titel verbirgt sich ein 170 Jahre umspannender Gesellschaftsroman, in dessen Mittelpunkt der berühmte Hengst Lexington steht, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der berühmteste Zuchthengst der USA war. Doch keine Sorge, Pferde sind hier nur ein Thema von vielen.
Drei Zeitebenen umfasst diese Geschichte, die ihren Ausgang in Kentucky 1850 nimmt und über das New York der 1950er Jahre bis ins Washington D.C. der Gegenwart reicht, wo sich die Wissenschaftlerin Jess und der Kunsthistoriker Theo begegnen, die sich unabhängig voneinander mit der Geschichte Lexingtons befassen.
Der zweite Erzählstrang beginnt im Jahr der Geburt des berühmten Hengstes und berichtet über das Leben des Jungen Jarret, der als Sklave auf der Farm lebt wo Lexington auf die Welt kommt und zeit seines Lebens stets mit diesem aussergewöhnlichen Pferd verbunden bleiben wird. Dabei werden anschaulich und durchaus auch drastisch die Lebensbedingungen der SklavInnen in den Südstaaten dargestellt, kurz vor Beginn des Bürgerkrieges.
Durch die sich immer wieder abwechselnden Erzählstränge gelingt es der Autorin deutlich aufzuzeigen, wie die Folgen von Sklaverei und Rassismus die Gesellschaft der USA bis in die Gegenwart prägen.
Auch wenn es recht viele Wechsel der Erzählperspektive gibt, nicht nur der Zeit, auch der Personen, hält sich die Verwirrung bald in Grenzen 😊 Anstrengender empfand ich die Vielzahl der Themen, die die Autorin einbringt. Es geht um Rassismus, Sklaverei, aber auch Wissenschaft, Kunst, Armut, Philosophie - ein bisschen viel um allem gerecht zu werden. Etwas weniger wäre vermutlich mehr gewesen, meiner Meinung nach. Dennoch: Ein interessanter Schmöker mit einem Ende, das mir im wahrsten Sinne des Wortes den Atem verschlug. Und dennoch nah an der Realität befürchte ich.

Bewertung vom 01.04.2024
Der Fluch der Nachthexe / Emblem Island Bd.1
Aster, Alex

Der Fluch der Nachthexe / Emblem Island Bd.1


ausgezeichnet

Der 12jährige Tor muss sich eigentlich keine Sorgen um seine Zukunft machen: Das seltene Emblem an seinem Arm weist ihn als Anführer aus, doch er ist alles andere als glücklich damit. Als er am Neujahrsfest wie alle Emblemtragenden seinen Wunsch einer Änderung ins Feuer wirft, wird er jedoch mit einem Fluch bestraft, der seinen baldigen Tod zur Folge haben wird. Es gibt nur eine Lösung: Er muss die Nachthexe finden, die ihn verflucht hat, denn nur sie kann ihn retten. Mit seinem besten Freund Engle und seiner verhassten Klassenkameradin Melda machen sie sich auf den Weg über Emblem Island, wo überraschenderweise eine Menge gruseliger Kreaturen leben, die ihnen nach dem Leben trachten.
Ist das eine phantasievolle Geschichte! Was besonders auffällt, ist die unglaubliche Farbenpracht und Formenreichtum in dieser Welt von Tor, die ein wahres Paradies zu sein scheint. Und auch die ganze Insel weist eine enorme Vielfalt an unterschiedlichen Lebenswelten und -formen auf, die von einem Extrem zum anderen reichen: hell-dunkel, bunt-grau, modern-alt. Zudem findet sich ein ganzes Panoptikum der verschiedensten Charaktere von liebenswert bis abgrundtiefböse, sodass jede neue Begegnung immer wieder eine Überraschung ist.
Ich habe mich auch als Erwachsene gut bei dieser Lektüre unterhalten und bin mir sicher, dass die eigentliche Zielgruppe (Kinder ab 10 Jahren) begeistert von diesem Fantasyabenteuer sein wird. Hut ab vor der Phantasie der Autorin!

Bewertung vom 28.01.2024
Askendor - Spiel mit der Wirklichkeit
Schellhammer, Silke

Askendor - Spiel mit der Wirklichkeit


sehr gut

Die fast schon 16jährige Florentine ist an Computerspielen nicht interessiert – ihre wenige freie Zeit verbringt sie lieber mit ihrer besten Freundin Paula. Ansonsten wird sie von ihrer nervigen Mutter in einen straffen Zeitplan eingebunden, vollgestopft mit Nachhilfe, Lernen, Musikunterricht …. Als sie eines Tages Finn, Paulas jüngeren Bruder, beim Computerspiel Askendor zusieht, registriert sie, dass die Hauptfigur des Spiels sie beobachtet. Völlig irritiert beschäftigt sie sich zu Hause mit Askendor und gelangt dabei durch ein Portal in die virtuelle Welt, wo sie ihrem Beobachter, dem Thronfolger Thosse von Baar begegnet, der überraschend menschlich wirkt. Dieser nimmt Florentine gefangen, da bereits mehrfach versucht wurde, ihn zu töten und er ihr misstraut. Und schon befindet sich Florentine mitten in einer Welt von Intrigen und einer tödlichen Rebellion, die ihrem Höhepunkt entgegenstrebt.

Auch wenn das Buch einige, auch etwas größere Unlogiken beinhaltet (ein 22jähriger grandios aussehender Trohnfolger interessiert sich für eine knapp 16jährige; vom schüchternen Teenager zur todesmutigen Amazone in sieben Tagen), ist es dennoch eine richtig amüsante und unterhaltsame Lektüre. Denn Florentine, die die Ich-Erzählerin ist, lässt uns auch an ihren Gedanken teilhaben – und die sind durchweg (selbst-)ironisch und provozierend. Obwohl die Geschichte insgesamt recht vorhersehbar ist, gibt es doch immer wieder überraschende Wendungen, wozu auch die Erklärung des Ganzen gehört.

Zielgruppe des Buches sind vor allem wohl 13-, 14jährige Mädchen, wobei mir als Erwachsene das Lesen auch viel Freude bereitet hat. Manchmal ist ’nur‘ amüsant und unterhaltsam auch ganz schön 😀

Bewertung vom 12.07.2023
One of the Girls
Clarke, Lucy

One of the Girls


sehr gut

Eigentlich sind Bücher mit Toten immer gleich aufgebaut: Jemand stirbt und dann erfahren wir Lesenden, wieso, weshalb, warum und wie der oder die ÜbeltäterIn erwischt wird. Nicht so bei Lucy Clarke in diesem Buch.
Fünf Frauen reisen für einen Junggesellinnenabschied für ein Wochenende nach Griechenland und am Ende ist ein Mensch tot und eine der Frauen offenbar die Schuldige. Doch wer die beiden Personen sind, bleibt tatsächlich bis kurz vor Schluss offen. Bis dahin erfahren wir nach und nach, dass in der scheinbar so fröhlichen Gruppe jede ein Geheimnis mit sich herumträgt; manches größer, manches kleiner. Und jedes davon könnte grundsätzlich die Ursache sein, dass ein Mensch sein Leben verliert.
Dass letztendlich plötzlich Alle irgendwie miteinander verbunden sind, wirkt zwar ziemlich konstruiert, aber im Großen und Ganzen ist die Überraschung am Ende gelungen - die man mit SEHR aufmerksamen Lesen vielleicht hätte ahnen können.
Insgesamt eine gute Unterhaltung, wobei die Lesefreude durch die vielen Schreibfehler (falscher Name, Worte doppelt oder eines fehlt usw.) etwas getrübt wird.

Bewertung vom 02.05.2023
Feuer
Pourchet, Maria

Feuer


sehr gut

Laure ist vierzig Jahre alt, Mutter von zwei Töchtern und lebt in einem Vorstadthaus mit ihrem Ehemann, einem Arzt. Sie ist Professorin für Literatur an einer Universität und führt ein scheinbar geordnetes Leben. Doch tatsächlich hat sie das Gefühl, dass das Leben an ihr vorbeizieht und sie selbst im Alltag und in Routinen erstarrt ist. Insgeheim beneidet sie ihre älteste Tochter Véra, die sich als Feministin engagiert und gegen die Ungerechtigkeiten der Welt kämpft.
Clément ist fünfzig Jahre alt, Single und arbeitet in einer Investmentfirma. Er hat viel Geld, aber wenig Sinn in seinem Leben, joggt an der Seine entlang, schaut YouPorn und redet mit seinem Hund Papa, der das einzige Wesen ist, dem er sich verbunden fühlt. Er hat keine Illusionen mehr über die Welt und wartet darauf, dass alles vorbei ist.
Als sich Laure und Clément für die Vorbereitung eines Vortrages von ihm begegnen, spüren sie sofort eine starke Anziehungskraft. Sie beginnen eine leidenschaftliche Affäre, die beide aus ihrem Alltag herausreißt. Heimliche Treffen in Hotels, obszöne und/oder erotische Nachrichten per SMS - sie lassen sich von ihrer Lust treiben. Doch während Laure voller Leidenschaft ihren Gefühlen freien Lauf lässt, fühlt sich Clément zunehmend nicht nur von ihr, sondern auch von seiner Arbeit unter Druck gesetzt und versucht sich ihr zu entziehen.
Maria Pourchet beschreibt die Gefühle und Gedanken ihrer beiden Protagonisten, die gegensätzlicher kaum sein könnten, abwechselnd aus deren Perspektive, wobei Clément seine Gedanken an seinen Hund adressiert, sein einziges Bezugswesen. Laures Erleben wird hingegen in der Du-Form erzählt, was zu Beginn etwas irritierend wirken kann. Doch lässt man sich darauf ein, entsteht zusehends das Gefühl in Laures Kopf zu stecken und die Dinge unmittelbar mitzuerleben. Dass somit keine ‚normale‘ nachvollziehbare Geschichte entsteht, ist nachvollziehbar: Wer denkt schon streng chronologisch? Erlebtes, eigene Gedankensplitter zu Gegenwärtigem und Vergangenem, Stimmen von Verstorbenen – manches taucht unvermittelt auf und verschwindet auf ebensolche Weise wieder.
Cléments Einstellung entsprechend wird sein Alltag immer wieder recht sarkastisch, wenn nicht sogar zynisch dargestellt und zustimmend nicken wir beim Lesen: Jaja, Banker halt. Wobei Clément wohl lieber ganz anders wäre.
Das Ende hält zwei große Überraschungen bereit, wobei sich letztendlich auch ein schöner Widerspruch zeigt: Bei allem Feminismus – schöner ist es doch, wenn in der eigenen Familie alles bleibt wie es schon immer war.
Eine ungewöhnliche Lektüre, die sich zu lesen lohnt!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.01.2023
Alva und das Rätsel der flüsternden Pflanzen
Townsend, Yarrow

Alva und das Rätsel der flüsternden Pflanzen


gut

Die zwölfjährige Alva lebt alleine in einem kleinen Haus in einem großen Garten etwas abseits des Dorfes Thorn Creek. Nachdem ihre Mutter gestorben ist, misstraut sie den Menschen und will ausser ihrem Pferd Caspar niemanden um sich haben - ihr reicht die Nähe zu ihren Pflanzen. Denn sie kann sie verstehen, mit ihnen reden und weiß von ihrer Mutter, welche Kräfte die Pflanzen haben. Doch eines Tages bemerkt Alva seltsame Flecken auf den Blättern, während gleichzeitig immer mehr Menschen krank werden und daran sterben. Als es heisst, dass die Pflanzen die Ursachen für die Krankheit wären und vernichtet werden müssten, ist Alva klar, dass sie die Wahrheit herausfinden muss. Heimlich schleicht sie sich auf ein Boot und macht sich auf die Reise.

Es ist ein richtiges Abenteuer mit vielen Gefahren, das Alva bestehen muss - doch nicht nur sie allein. Unterwegs trifft sie Idris und Ariana, die auf der Suche nach einem Heilmittel gegen die Krankheit sind, aber nur widerwillig schließen sich die Drei zusammen, denn allein haben sie keine Chance.

Die Aufmachung des Buches ist gut gelungen: Der Umschlag sowie die Landkarte auf den Innenseiten und die einzelnen Pflanzen, die jedem Kapitel voranstehen, sind mit viel Sinn für Details von Torben Kuhlmann gezeichnet, dem Autor und Illustrator von "Lindbergh - Die abenteuerliche Reise einer fliegenden Maus". Zu jeder Pflanze gibt es zudem Informationen, für bzw. gegen was sie hilft - beispielsweise, dass man aus den Nadeln der Waldkiefer einen fiebersenkenden Tee herstellen kann.

Womit ich hingegen etwas hadere, ist die Hauptfigur der Geschichte, Alva. Fast bis zum Ende des Buches blieb sie mir eher unsympathisch: misstrauisch gegen alle und jeden sowie weitestgehend empathielos, sieht man von ihren Pflanzen und ihrem Pferd ab. Man könnte fast meinen, sie sei völlig verbittert, wenn sie nicht erst zwölf Jahre alt wäre. Ich weiß nicht, wie das bei Kindern ankommt, aber vielleicht können diese eher mit ihr fühlen, die ihre Mutter auf brutale Art verloren hat (ohne dass dabei nun Gewalt geschildert wird).
Etwas fehlten mir auch die Zwischentöne: Zwischen dem Bösen, den nur das Geld interessiert und den Guten, die die Natur lieben und achten, gibt es praktisch nichts. Zu viel verlangt für ein Kinderbuch?

Alles in allem dennoch ein spannendes Abenteuerbuch mit einer eigentümlichen Heldin und dem eher ungewöhnlichen Thema Heilpflanzen.

Bewertung vom 16.11.2022
Fräulein Wunder / Die Wunder-Frauen Bd.1
Pauly, Gisa

Fräulein Wunder / Die Wunder-Frauen Bd.1


weniger gut

1959 lebt die 16jährige Brit in dem kleinen Dorf Riekenbüren und träumt davon, wegzukommen. Raus in die große weite Welt! Als sie mit ihrer Klasse eine Woche nach Sylt fährt, ahnt sie nicht, dass diese Reise ihr ganzes Leben verändern wird - denn sie trifft die Liebe ihres Lebens. Doch ihr gemeinsames Glück ist nicht von Dauer, denn die Eltern der beiden Liebenden haben andere Pläne.
Brits Geschichte die nun folgt, ist dramatisch, manchmal langatmig, ergreifend und auch herzbewegend, insbesondere wenn man sich vorstellt, dass die Verhältnisse die hier geschildert werden, durchaus real waren und gerade mal 60 Jahre zurückliegen. Mädchen und Frauen hatten zu gehorchen, eigene Entscheidungen zu treffen war in deren Leben nicht vorgesehen. Mit Fassungslosigkeit habe ich beispielsweise gelesen, dass es Lehrerinnen nicht erlaubt war, zu unterrichten UND verheiratet zu sein - das Lehrerinnenzölibat. Allerdings stimmt der zeitliche Zusammenhang nicht, denn mit Urteil vom 10. Mai 1957 hob das Bundesarbeitsgericht die Zölibatsregelung auf - und die Geschichte spielt von 1959 bis 1963.
Obwohl ich die Geschichte im Großen und Ganzen nicht schlecht fand, hat mich das Buch doch nur mäßig begeistert. Schuld daran ist die Sprache, ausgesprochen schlicht und mit stellenweise sehr seltsamen Vergleichen. Zur Verdeutlichung die Beschreibung des Geschlechts eines nackten Mannes: "Der gelatinöse (sic!) Wurm, auf den ihr Blick fiel, war dunkel und behaart und krümmte sich wie ein Tier, das noch nicht wusste, ob es angreifen oder sich verstecken sollte. Was unter ihm hing, dieses Graue, Schlaffe, erinnerte an den Jutesack von Opa Johann, der nicht mehr schwer tragen durfte und deshalb mit halber Ernte, manchmal nur mit zwei Kohlköpfen, vom Feld geschickt wurde." UAH! Dazu noch viele Figuren, die so ziemlich jedem Klischee entsprechen - alles in allem eine Lektüre, die nicht unbedingt sein muss.

Bewertung vom 12.11.2021
Besichtigung eines Unglücks
Loschütz, Gert

Besichtigung eines Unglücks


sehr gut

Kurz vor Weihnachten 1939 kommt es vor dem Bahnhof Genthin zum schwersten Zugunglück der deutschen Geschichte. Ein D-Zug rast mit voller Geschwindigkeit auf einen anderen, stehenden D-Zug – offiziell gibt es mindestens 196 Tote.
70 Jahre später recherchiert der Journalist Vandersee, der nach diesem Unglück in Genthin geboren wurde, zu diesem Geschehnis und ihm wird klar, dass seine Mutter Lisa, damals ein junges Mädchen, die Folgen miterlebt haben musste. Bei der Durchsicht der Unterlagen fällt ihm der mysteriöse Fall Carla Finck auf, die bei dem Unfall schwer verletzt wurde und sich im Krankenhaus Carla Buonomo nannte. Ihr Begleiter, der im Zug starb, hieß Giuseppe Buonomo und war Neapolitaner, beide waren auf dem Weg von Berlin nach Düsseldorf. In welchem Verhältnis die Beiden zueinander standen, ist noch immer unklar und so forscht Vandersee weiter, was es mit der falschen Namensnennung von Carla Finck auf sich hat. Er findet heraus, dass sie Halbjüdin war und mit Richard Kuiper verlobt, einem Juden aus Neuss. Was machte sie dann mit Buonomo in Berlin?

Obwohl der Titel suggeriert, dass es hier vorrangig um das Eisenbahnunglück geht, nehmen die Geschichten um Carla Finck und Lisa, der Mutter Vandersees, annähernd den gleichen Raum ein. Wie der Autor selbst nimmt sein Alter Ego die wirklichen Vorgaben (den Aufeinanderprall, die Existenz Carla Fincks, ihres Verlobten und Giuseppe Buonomos sowie die Vorkommnisse im Krankenhaus) neben den für uns fiktiven, aber für ihn realen Personen als Grundlage, die damaligen Geschehnisse zu rekonstruieren. So entsteht eine minutiöse Beschreibung, wie es zu dem Aufprall kam, während Carlas und Lisas Leben meist in Umrissen dargestellt werden. Kein Wunder wenn man bedenkt, dass die Faktenlage hier eher dürftig ist. Doch auf beeindruckende Weise ergänzt er die ihm vorliegenden ‚Tatsachen‘ mit Möglichkeiten, die so wahrscheinlich wirken, dass sie sich wie selbstverständlich als das wirklich Geschehene lesen.

Ausgangspunkt des Ganzen ist das Unglück, von dem ausgehend ein Teil von Carlas Leben erzählt wird und daran anschließend Lisas, die, nicht ganz unwahrscheinlich, Carla begegnete. An weiteren losen Fäden, die an diesen und Vandersees eigener Geschichte hängen, gibt es zudem eine Reihe zusätzlicher Episoden: Hedwig Vorbeck, die die Toten und Verletzten zur Klinik brachte, wo sie ihr Mann als Arzt versorgte; Stolzenburgs Geschichte, der Ex-Mann von Lisas Tante sowie Der Eisfleck und viele mehr. Auch wenn Gert Loschütz diese ganzen Begebenheiten kunstvoll miteinbindet, finde ich den dazu genötigten Zufall doch etwas bemüht, der alles miteinander verbindende rote Faden ist gegen Ende kaum noch sichtbar.

Hervorzuheben ist die Sprache des Autors, die zwar eher sachlich-kühl, fast schon wie in einer Dokumentation wirkt, aber ungemein detailliert und bildhaft ist, sodass man dem Geschehenen und den Figuren trotzdem nahe kommt.

"Kein Winter wie aus dem Reiseprospekt, sondern ein dunkler, bedrückender, nach hinten verlegter Totensonntag."

Eine ungewöhnliche Lektüre, bei der Wahrheit und Fiktion nicht zu unterscheiden sind.