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Morten
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Köln

Bewertungen

Insgesamt 86 Bewertungen
Bewertung vom 04.03.2025
Tomke gräbt
Hach, Lena

Tomke gräbt


ausgezeichnet

Als ich das Buch zuklappte, da fragte ich mich: Ist das ein Buch für Kinder – oder doch eher für Erwachsene, um das kindliche Gemüt besser fassen zu können?

Denn Tomke gräbt, Tomke buddelt, Tomke schaufelt. Und alle geben ihren Senf dazu. Schließlich muss das doch einen tieferen Sinn haben, dass Tomke da mit ihrer Schüppe sitzt und gräbt und gräbt und gräbt.

Und das Schöne daran ist ja: Das ist völliger Quatsch. Also das mit dem Sinn. Manches darf, ja, muss auch einfach mal sinnlos im besten Sinne sein. Einfach machen ohne Ziel. Pure Entschleunigung. Kinder dürfen das und wenn man einmal ehrlich ist, auch Erwachsene sollten das tun.

Und noch wichtiger, Erwachsene sollten auch nicht alles kommentieren – und dürfen sich nach der Lektüre mal so richtig ertappt fühlen. Denn eigentlich kennt man das. Ein Kind macht was, jemand kommentiert es. Weniger die Eltern, aber Tanten, Onkels, Großeltern, Nachbarn, fremde Menschen meinen viel zu häufig, dass es ohne einen Spruch nicht geht. Während das angesprochene Kind überhaupt nicht weiß, was es dazu sagen soll. Und es dann wie Tomke macht: ignorieren und weiterbuddeln.

„Tomke gräbt“ ist so eine Geschichte ohne große Worte. Dafür eine mit schönen Illustrationen von Julia Dürr, die Tomkes Buddelei in wundervolle Bild- und Farbwelten eingefangen hat. Und natürlich einer wunderbaren Moral von Julia Hach, die dieses kleine, feine Kinderbuch zu einer Lektüre für alle macht – Kinder, Eltern, Verwandte und alle, die Kindern gerne mal einen Spruch drücken. Und für alle, die selbst mal wieder buddeln möchten. Schüpp-schüpp: Hurra!

Bewertung vom 19.02.2025
tiptoi® Meine Lern-Spiel-Welt - Logisches Denken
Neubauer, Annette

tiptoi® Meine Lern-Spiel-Welt - Logisches Denken


ausgezeichnet

Vorschulbücher sind ja eigentlich eine schöne Sache: voller Rätsel und Spiele. Nur leider meistens nach einem Rutsch Geschichte. Alles vollgekritzelt und gelöst. tiptoi ist da schon eine cleverere Wahl – die Spiele lassen sich immer wieder spielen oder bieten häufig neu zusammengewürfelte Fragestellungen. Die Neuauflage „Logisches Denken“ mit Theo Tiger macht das auf eine ganz bezaubernde Weise.

Kinder ab 4 Jahren – Ravensburger nennt als Empfehlung 4 bis 6 Jahre, aber es macht sicher auch älteren Kindern und sogar Erwachsenen Freude – begleiten Theo rund um die Welt. Im Meer, am Strand, aber auch in den Bergen, in einem Schloss und sogar auf einem Jahrmarkt geht es kunterbunt zu. Die Hauptgeschichte ist zwar nicht allzu ausgefeilt, die Spiele dafür umso mehr.

Auf jeder Doppelseite gibt es drei Rätsel (Ausnahme: Im Schloss gibt es nur zwei, dafür aber komplexere.). Mal müssen Paare gefunden werden, mal werden Summen verglichen, Töne erzeugt, Labyrinthe bewältigt, Sudokus gelöst. Das ist wirklich vielseitig und sorgt schon einmal dafür, dass allein auf einer Doppelseite mehr als 30 Minuten mit dem tiptoi Stift verbracht werden.

Auch zwei Lieder dürfen nicht fehlen. In unserer Theorie sind diese besonders dafür da, dass die Elternteile Ohrwürmer fürs Leben haben – Grüße gehen raus an den Cowboy Joe. Abgerundet wird dieses sehr gelungene Buch durch die wie immer in den tiptoi Büchern schönen Illustrationen. Im Vergleich zu den Wimmelbüchern sind diese vielleicht etwas weniger detailliert, aber auch das hat seinen Sinn, sollen sie bei Suchspielen doch nicht ablenken.

Für wen ist das tiptoi Buch „Meine Lern-Spiel-Welt Logisches Denken“ am besten geeignet? Vermutlich für Kinder zwischen letztem Kindergarten- und erstem Schuljahr. Die Spiele haben unterschiedliche Ausprägungen und Schwierigkeitsgrade – wenn’s bei einem hakt, wird ein anders souverän bewältigt und irgendwann klappt eh alles. Und nach der Bettzeit? Sitzen die Eltern mit Zunge zwischen den Zähnen und Stift in der Hand und hoffen auf das Erfolgsglöckchen.

Bewertung vom 14.02.2025
Shanghai Story
Min, Juli

Shanghai Story


sehr gut

Vielleicht hilft es, wenn man „Shanghai Story“ direkt anders betrachtet: Nicht als Roman, sondern als Kurzgeschichtensammlung. Als Roman scheitert das Experiment, eine Familiengeschichte von 2040 in Richtung Vergangenheit zu erzählen, am fehlenden roten Faden. Auf der anderen Seite: die unterschiedlich langen Episoden aus dem Leben der Familie Yang sind wirklich gut.

Juli Min nimmt die Leser:innen mit in das Leben einer asiatischen Familie mit chinesisch-japanischen Wurzeln. Wobei Grenzen eigentlich keine Rolle spielen. Zwei der drei Kinder studieren in den Staaten, die Eltern haben lange in Frankreich gelebt, man jettet zu jeder Gelegenheit rund um den Globus. Aber auch das Leben in der Shang-High Society hat seine Schattenseiten – und die Autorin beleuchtet diese grandios.

Eheprobleme, Abtreibung, illegale Autorennen, Prostitution, ja, selbst Corona sind Elemente, die in den einzelnen Geschichten vorkommen. Zu Beginn sitzt Leo, der Familienvater, im Hochgeschwindigkeitszug vom Flughafen zurück in die Stadt und reflektiert den aktuellen Status seiner Ehe. Und auch andere Figuren tauchen auf, nehmen die Lesenden mit in ihre Gedankenwelt. Damit beginnt das Experiment, denn: „Shanghai Story“ ist rückwärts erzählt. Man wird nie erfahren, was aus Juli Mins Figuren wird. Aber kleiner, enttäuschender Spoiler: Man erfährt größtenteils auch nicht, worin die Wurzeln ihrer Gedanken, ihrer Lebenssituationen sind. Denn nur wenig ist miteinander verwoben.

Eigentlich enttäuschend, sollte man meinen. Viele Nebenfiguren, die in den Geschichten auftauchen, sind gut gezeichnet, man möchte mehr über sie erfahren, aber nein, um sie soll und wird es nur am Rande gehen. Und auch die vielen Erlebnisse der Familie Yang sind größtenteils nur kleine Spotlights, die einmal aufglühen und danach nicht mehr thematisiert werden. Viel Potenzial verschenkt, „Shanghai Story“ hätte zu einem epochalen Werk werden können.
Aber: Die Geschichten sind schon gut. Liest man sie für sich und macht sich keine Hoffnung, dass Plots wieder aufgegriffen werden, sind es wirklich starke, spannende Episoden rund um das Leben der Familie und der Personen, die ihnen nahestehen. Besonders berührend die über das Kindermädchen der Familie, fast schon herzzerreißend die Begegnungen und Abschiede rund um ihr vormals betreutes Kind.

Kritzelt man also dieses Wort „Roman“ vom Cover, ändert den Titel minimal auf „Shanghai Stories“, dann ist Juli Mins Debüt wirklich richtig gelungen. So bleibt ein fader Beigeschmack, dass mehr möglich gewesen wäre. Schon schade. Aber lesenswert allemal.

Bewertung vom 22.01.2025
Der Goldhügel
Roller, Tobias

Der Goldhügel


sehr gut

Ja, das Buch macht ein bisschen Arbeit. Emotionale zumindest. Man muss den Erich Kästner seiner Kindheit ausblenden, vielleicht auch hinter sich lassen. In dieser fiktionalisierten Geschichte geht es um den Mann Kästner. Gealtert, aber nicht weniger lüsternd, sobald junge attraktive Frauen in seinem Umfeld auftauchen. Immerhin: Der Autor glorifiziert es nicht, im Gegenteil, schafft es dennoch, das Denkmal Kästner nicht mit dem Vorschlaghammer zu zertrümmern.

Es sind die 1960er-Jahre, Kästner ist nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch in ein Sanatorium am Luganer See. Ganz allein, fern von seiner Frau, fern von seiner Geliebten und ihrem gemeinsamen Sohn. Immer wieder betrachtet er die Beziehungen zwischen seinen Frauen, wägt ab, hofft auf eine Nachricht von der einen, bekommt aber bloß die der anderen. Freude kommt in dieser freudlosen klinischen Gegend nur von Schnaps und Zigaretten, die ihm bald verboten werden, und einem jungen Fräulein, Fan seiner Bücher, die sich abends an seinen Tisch setzt. Kritisch beäugt von einer älteren Tischnachbarin, die Kästner wie dem Fräulein nicht nur einmal ins Gewissen redet.

Die Kulisse ist bewusst an den Zauberberg angelehnt, was ja irgendwie doppelt passt, vom Kästner-Jahr 2024 zum Mann-Jahr 2025. Und zauberhaft geht es auch in Tobias Rollers Roman zu. Denn die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen dort auf dem Collina d’Oro, dem Goldhügel, zunehmend, und schon bald wissen Leser:innen kaum noch, welche der Figuren echt sind und welche nur Kästners Fantasie entspringen und auf Personen in seinem Umfeld basieren – Ehefrau, Geliebte, Vater, Mutter, …

Autor Roller wurde, so heißt es, für „Der Goldhügel“ nicht immer freundlich empfangen, sahen manche sein Buch doch als Verunglimpfung Kästners. Dabei ist es das gar nicht. Kästner wird nicht bejubelt, aber auch nicht zerstört. Sein Verhältnis zu Frauen reflektiert der fiktionale Kästner durchaus kritisch, es wird nicht als „Ach, damals war das halt so.“ abgetan. Es wird ein Blick in sein Innerstes geworfen, zwischen den Erfolgen der Vorjahre und vor seinen letzten Romanen, die er für seinen Sohn schrieb.

Und es ist auch ein Buch, in dem die Frauen vom Lustobjekt zu kraftvollen Personen werden, die Kästner in die Schranken weisen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, die auch selbst Abschied von einem Bild Kästners nehmen, um mit einem anderen weiterzuleben. In diesem Sinne ist „Der Goldhügel“ also keine kritische Auseinandersetzung mit dem Autor, sondern doch eine Art freundliche, unterhaltsame und gut erzählte Verbeugung.

Bewertung vom 13.11.2024
Earhart
Kuhlmann, Torben

Earhart


sehr gut

Vielleicht ist es wichtig: „Earhart“ ist unser erstes Mausabenteuer. Der Stil daher erst einmal ein bisschen ungewohnt. Kurze Kapitel mit einer halben Seite wechseln sich mit Abschnitten über zwei, drei Seiten ab. Manches passiert Comic-artig mit großen, schönen Bildern ohne Text zwischendurch. Eine Art des Erzählens, an die man sich erst einmal gewöhnen muss. Als Vorlesender und Zuhörende. Ist man dann mal drin, macht es größtenteils Spaß.

„Earhart“ erzählt aus den Augen einer kleinen Wühlmaus die Geschichte der Pilotin Amelia Earhart nach. Die kleine Maus entdeckt eine Briefmarke und so, dass die Welt größer ist als der rechteckige Heimatgarten. Und sie macht sich auf Entdeckungsreise, baut sich ein Flugzeug, umrundet die Welt und …

Wer die Geschichte von Amelia Earhart kennt, der weiß, dass sie mit allerlei Widerständen zu kämpfen hatte. Pilotinnen gab es zu ihrer Zeit nicht viele, das Fliegen war wie vieles eine Männerdomäne und Pionierinnen wie Earhart wurden kritisch beäugt, verspottet und angefeindet. So wie die kleine Wühlmaus es erlebt als ihre Wühlmauskamerad:innen von ihren Flugplänen erfahren. Und dennoch hat sich Earhart durchgesetzt und mit einem Flugzeug die Welt fast umrundet bis sie auf mysteriöse Weise kurz vor dem Ziel verschwand. Ist sie abgestürzt? Hat sie sich versteckt? Bis heute ungeklärt, das Flugzeug wurde nie gefunden. Und auch das Buch von Torben Kuhlmann endet mit einem gewissen Interpretationsspielraum.

Es ist schön, dass eine Biografie wie die von Amelia Earhart auf eine solch erzählerische Weise für Kinder aufbereitet wird. Das Buch hat zwar ein paar Längen, gerade in der ersten Hälfte, und der Stil ist ein bisschen anders als der anderer Kinderbücher, aber sobald man sich daran gewöhnt hat, entwickelt sich ein schönes Abenteuer über das Ausbrechen aus Konventionen und die Entdeckung der Welt. Die Reise selbst nimmt zwar wenig (Text-)Platz ein, aber mit schönen Bildern bietet sie den Vorlesenden Spielraum, die Geschichte selbst auszuschmücken.

Aber was ist das Wichtigste? Genau, die Meinung des Kindes. Und das fragte: Gibt’s noch mehr Bücher davon? Holen wir uns die auch? Es hat also gefallen. Auf ins nächste Mausabenteuer!

Bewertung vom 18.10.2024
Intermezzo
Rooney, Sally

Intermezzo


gut

Sally Rooney hat ein erwachsenes Buch geschrieben, heißt es. Und ja, es stimmt, größtenteils. Zwei der Hauptfiguren sind zwar immer noch im Alter vergangener Rooney-Romane, drei andere aber Mid-30s. Im Alter der Autorin also. Und das Hauptthema neben Trauer ist eben die Liebe mit Altersunterschied. Klingt eigentlich vielversprechend. Ist aber leider, zumindest in der ersten Hälfte des Buchs, furchtbar zäh.

Kann man natürlich auch positiv betrachten. Rooney nimmt sich Zeit, ihre Figuren vorzustellen. Ivan und Peter, zwei Brüder, gut zehn Jahre Altersunterschied. Der Ältere ist Jurist, der Jüngere Noch-Student und Schachspieler. Und beide trauern auf ihre Weise um den jüngst an Krebs verstorbenen Vater. Bei einem Schachturnier lernt Ivan die 36-jährige Margaret kennen und trotz des Altersunterschieds funkt es zwischen dem jungen Mann und der in Scheidung lebenden Frau. Peter findet das kritisch, obwohl er selbst eine Freundin in Peters Alter hat, was zu einem weiteren Streit zwischen den Brüdern führt. Und dann ist da noch Sylvia, Peters frühere Beziehung, die nach einem Autounfall zerbrach und sich in Freundschaft auflöste, auf ihren Wunsch.

Nur: Sie nimmt sich zu viel Zeit. In kurzen Sätzen, mit vielen Dialogen ohne wörtliche Rede, eigentlich kein Problem für meinen Lesefluss, hier eher anstrengend. Peter und Ivan lamentieren, schweigen, schmeißen ihr Kopfkino an oder kotzen sich aus. Die Nebenfiguren performen dabei höchst unterschiedlich: Margaret bleibt trotz eigener Hintergrundgeschichte (Ex-Mann ist Alkoholiker, die Beziehung zu ihrer Mutter ist gestört) und ihrer Bedeutung für Ivan erschreckend blass. Sylvia ist eine interessante Figur, doch erfährt man relativ wenig über ihr Leben und den Autounfall, der eben jenes auf den Kopf gestellt hat. Am spannendsten ist dann doch die eher im typischen Alter einer Rooney-Figur gezeichnete Naomi, Studentin, Drogendealerin und, vermutlich, Onlyfans-Model. Mit ihrer kühlen Art, Peter zu betrachten, ihr Spiel zu spielen, dabei aber auch souverän mit Sylvia und Ivan umzugehen, ist sie trotz ihrer Probleme die einzige irgendwie positive Figur in Intermezzo.

Ich bin kein ganz schneller Leser, manchmal fliege ich in zwei, drei, vier Tagen durch ein Buch, manchmal dauert es eine Woche – bei Intermezzo waren es mehr als drei. Die meisten Tage gingen für die erste Hälfte des Buchs drauf, ich kam so gar nicht rein, war oft nach wenigen Zeilen wieder genervt von Peter, aber auch von Ivan, ihrer Lethargie, ihrer Unfähigkeit miteinander zu sprechen, ihrer Art übereinander zu sprechen. Muss man ihnen vielleicht auch nicht zum Vorwurf machen, jeder Mensch trauert anders. Vor allem wenn Machtmenschen wie Peter nicht nur um den Vater, sondern auch um die frühere Beziehung und das Verhältnis zum Bruder trauern, ja, vielleicht auch um das leichte Leben der Jugend- und Studentenzeit. Trauer ist vielschichtig und das aufzuzeigen, ist eine Stärke von Rooneys Roman.

Und tatsächlich, irgendwann, so nach der Hälfte der 500 Seiten, wenn genau das konkreter wird, die Geschichte ins Elternhaus von Peter und Ivan verlagert wird und die beiden ungleichen Brüder aktiv(er) werden, beginnt auch die Geschichte Fahrt aufzunehmen, der Lesefluss wird direkt schneller und Intermezzo wird zu einem, ja, doch recht guten Buch. Wären die ersten 250 Seiten nicht gewesen, wäre es vielleicht sogar ein sehr gutes.

Bewertung vom 07.10.2024
Okaye Tage
Mustard, Jenny

Okaye Tage


sehr gut

Manchmal ertappt man sich ja bei diesen „Was wäre, wenn“-Gedanken. Was wäre, wenn aus einer Jugendfreundschaft mehr geworden wäre. Was wäre, wenn man sich nicht aus den Augen verloren hätte. Oder was wäre, wenn man sich plötzlich, Jahre später, wieder sehen würde?

Jenny Mustard schickt ihre beiden Hauptfiguren Sam(antha) und Luc(as) genau in so eine Situation. Ein halbwildes Partygeknutsche mit 18, bevor sie zurück zu ihrer Familie nach Stockholm musste. Und dann ein Wiedersehen, Jahre später, auf einer Party in London, plötzlich mehr, plötzlich intensiver, plötzlich … ein Bruch.

Late-Twenty-somethings-Beziehungsgeschichten sind kein neues Genre, aber auch wenn fast alle Geschichten erzählt sind, so können sie durch einen Twist, durch eine gute Erzählweise doch spannend sein. Empathie wecken, für das, was zwischen Sam und Luc passiert, wie sie damit umgehen, mit sich, mit dem Bruch, mit ihrer Beziehung, ihrer Freundschaft. Und wo es enden mag.

Die große Stärke von Mustards „Okaye Tage“: Es ist verdammt authentisch. Es gibt ganz viele Momente, die nachvollziehbar sind. Oder die man zumindest verstehen kann. Die nicht Romance-Drama-Fiction sind, sondern aus dem wahren Leben gegriffen. Die man vielleicht erlebt oder zumindest miterlebt oder von ihnen gehört hat. Das gibt dem Roman eine persönliche Ebene, lässt aus den Figuren fast so etwas wie Bekannte werden. Und das macht es fast noch spannender, die Geschichte aus den beiden Perspektiven zu lesen. Wie sie denken, wie sie die Situationen um sich herum wahrnehmen. Wie nah sie sich sind und wie wenig sie sich doch einander öffnen, um den anderen nicht zu verprellen, anfangs, oder ihre verletzliche Seite zu zeigen, später.

Für wen ist das Buch? Leser:innen zwischen 20 und 45, die gerne realistische Beziehungsgeschichten mögen. Die vielleicht „Liebewesen“ von Caroline Schmitt toll fanden, „Klarkommen“ von Ilona Hartmann oder auch Autorinnen wie Chloe Ashby und Sally Rooney. Die, Achtung, Mini-Spoiler und Triggerwarnung, auch Themen wie Drogenkonsum und Abtreibung abkönnen. Die London in ihr Herz geschlossen haben und bestimmt den ein oder anderen Ort wiedererkennen werden. Oder alle, die einfach Lust auf eine gute Geschichte haben. Und sich vielleicht hin und wieder eine „Was wäre, wenn“-Frage stellen.

Bewertung vom 09.09.2024
Winterwölfe
Jones, Dan

Winterwölfe


sehr gut

Dan Jones Essex Dogs-Trilogie scheint vor allem eines zu sein: klassisch. Der erste Teil lässt es erst einmal krachen, führt die Helden ein und am Ende gibt es noch einmal Lärm. Der zweite Teil lässt es ruhiger angehen und legt mehr Fokus auf einzelne Figuren. Der dritte Teil ist gespickt von Drama, von Abschieden und Entscheidungen.

Im ersten Band sind die Essex Dogs, eine Handvoll britischer Söldner, im Hundertjährigen Krieg in Frankreich gelandet, haben Städte erobert und Freunde verloren. Es ist das Jahr 1346, die Truppen von King Edward III haben die des französischen Königs in der verlustreichen Schlacht um Crecy geschlagen. Während die Dogs hoffen, endlich zurück nach England zu kommen, nehmen die Truppen Kurs auf Calais.

So viel zur Vorgeschichte. Kann man „Winterwölfe“ lesen, ohne „Essex Dogs“ gelesen zu haben? Eher nein. Das Thema des Historienromans ist zwar die Belagerung von Calais von 1346 bis 1347, aber Jones nimmt häufig Bezug auf den ersten Teil, auf bereits gestorbene Figuren und vergangene Schlachten. Aufgrund der Fülle der Figuren dürfte es schwer sein, der Geschichte in Gänze folgen zu können.

Drei Figuren stehen im Zentrum von „Winterwölfe“: Der Anführer der Dogs, Lovejoy, der junge Bogenschütze Romford und die mystische Squelette, die Rache an Prinz Edward für den Tod ihrer Familie und ihrer Vergewaltigung im Lager der Engländer nehmen will. Abwechselnd wird aus ihrer Sicht der Feldzug der Engländer in Richtung Calais, der Aufbau einer improvisierten Stadt und die fast einjährige Belagerung und das Aushungern der Bevölkerung erzählt.

Und es ist, wie erwähnt, der klassische zweite Teil: Es gibt nur wenige Schlachten (wem das ersten Band zu viel war, dürfte sich freuen), Jones legt den Fokus auf das Leben in Calais und direkt davor, das zähe Warten auf beiden Seiten der Mauer. Leider ist das Buch selbst dadurch auch zäher, zumindest phasenweise.

Mit der Flämin Hircent wird eine extrem unangenehme Figur eingeführt, die weder den Dogs noch den Leser:innen viel Freude bereitet. Und in Romfords manischen Visionen taucht der ehemalige Essex Dog Father wieder auf, im ersten Band verstorben, damals schon unangenehm und jetzt nicht besser. Und auch Lovejoy sind die Kriegstage und Lebensjahre anzumerken, er ist deutlich weniger energiegeladen, was den Ton von „Winterwölfe“ durchaus mitbestimmt. Ein bisschen schade ist, dass nur wenige Kapitel die Französin Squelette behandeln, die sich hungernd und frierende im Wald versteckt, auf Rache lauert und dann, möglicherweise, ein relativ schnelles Ende findet.

Aber: Es ist Jammern auf recht hohem Niveau. Jones beschreibt kleinere Episoden rund um die Belagerung von Calais durchaus unterhaltsam, zeigt anschaulich, wie eine kleine Kriegsstadt entstehen kann, was die Soldaten erleben und erdulden müssen, dass der Krieg nicht immer Unterschied einen zwischen Fußsoldaten und Rittern macht, wie neue Waffen wie die Kanone eingeführt werden. Und welche Leiden die belagerte Bevölkerung zu erleiden hat, welche Gräueltaten ihnen angetan werden. Wer sich für Geschichte interessiert, wer unkitschige Historienromane schätzt, der kommt hier sicherlich auf seine Kosten. Wer den Bezug auf das reale, aktuelle Zeitgeschehen macht, wird schwer schlucken müssen.

Bleibt offen, welchen Teil des Krieges das Finale der Trilogie behandelt – ob es einen Zeitsprung zur Landung in Bordeaux gibt oder Jones die verbliebenen Dogs einen unbekannteren Teil des Hundertjährigen Kriegs direkt nach Calais erleben lässt. Und ob es für Lovejoy eine Heimkehr nach England oder ein Grab in Frankreich geben wird. Recht sicher ist: Wenn Dan Jones bei seiner klassischen Komposition einer Trilogie bleibt, wird es am Ende noch einmal richtig krachen.

Bewertung vom 30.08.2024
Taumeln
Scherzant, Sina

Taumeln


ausgezeichnet

Beklemmend ist „Taumeln“ über weite Strecken. Beklemmend, aber furchtbar gut dabei. Denn in Sina Scherzants zweitem Roman treffen in einem kleinen Ort ganz viele Leute aufeinander, die irgendwie dazwischen leben, denen das Leben nicht gut oder sogar grausam mitgespielt hat. Das zu lesen ist kein Voyeurismus. Es ist eher Empathie – oder vielleicht sogar ein Hilfsmittel, Selbsterlebtes zu verarbeiten.

Das vermutlich schlimmste Schicksal haben Luisa und ihre Eltern erlitten. Luisas Schwester Hannah ist verschwunden. Seit zwei Jahren fehlt jegliche Spur von ihr. Luisa hat ihr Studium unterbrochen und wohnt wieder zuhause. Allein mit ihrem Vater, ihre Mutter ist traumatisiert, Broken Heart Syndrome, und in stationärer Behandlung.

Jedes Wochenende trifft sich Luisa mit einer Handvoll Menschen in Wanderkleidung und durchsucht den Wald nach einem Hinweis, nach einer Wahrheit zum Verbleib von Hannah. Ans Licht kommen aber nur die Versehrtheiten der anderen Gruppenmitglieder. Inge wurde erst von ihrem Mann, dann von ihrem Sohn geschlagen. Emma in Pflegefamilien und Jugendhilfeeinrichtungen aufgewachsen. Frank hat das Ende seiner ersten richtigen Beziehung und den frühen Tod seines Vaters nie verarbeitet. Und auch dem Rest geht’s irgendwie nur so halbwegs gut. Immerhin: Während sie über Wochen und Monate Hannah suchen und nichts finden, finden sie, zumindest zum Teil, sich selbst.

„Taumeln“ ist ein schmerzhaftes Buch. Ein trauriger Roman, dem die Leichtigkeit und der Witz von Scherzants auch nicht undramatischen Debüt „Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne“ zwar fehlt, aber aufgrund seines Themas und seiner Stärke nicht vermissen lässt. Dabei muss man das von den Figuren Erlebte gar nicht selbst erlebt haben, nicht mal jemanden kennen, der da durchmusste (was fast unwahrscheinlich ist, aber hey, good for you).

Und so ist „Taumeln“ ein Buch, das Empathie fördert, zu Tage bringt, Leser:innen schlucken, Tränen verdrücken oder zumindest wissend nickend lässt. Sprachlich wundervoll in Szene gesetzt, nur an wenigen Stellen zu lang. Und manche Versehrtheit wird zumindest ein bisschen geheilt. Denn auch wenn der Roman – halber Spoiler-Alert – kein klassisches Happy End hat, so scheint sich das Leben einzelner Figuren doch zu einem besseren zu ändern. Mehr kann man nicht erwarten, von ehrlicher Literatur und vom Leben an sich.

Bewertung vom 29.07.2024
Verbrannte Gnade / Die Punkrock-Nonne ermittelt Bd.1
Douaihy, Margot

Verbrannte Gnade / Die Punkrock-Nonne ermittelt Bd.1


sehr gut

Ein Krimi über einen Feuerteufel – und der Funke springt erstmal nicht über. Was eigentlich schade ist, denn seine Hauptfigur, Schwester Melody, ist großartig gezeichnet. Leider schafft Margot Douaihy es trotz aller Bemühen nicht, New Orleans als Kulisse aufzubauen. Macht aber nichts, denn hinten raus wird das Buch spannend und macht Lust auf mehr.

Ein Feuer bricht an der Saint Sebastian Klosterschule aus, Hausmeister Jack stürzt tot aus einem Fenster, zwei Schüler werden in letzter Sekunde von Schwester Holiday lebensgefährlich verletzt aus dem brennenden Gebäude gerettet. Während die Nonne selbst unter Verdacht gerät, macht sie sich auf die Suche nach den Schuldigen. Und auf ihrer Verdachtsliste stehen so manche Personen – von einer missmutigen Nonne über eine Physiklehrerin bis zu einem Krawallschüler. Aber so richtig scheint nichts zu passen, während Sachen aus ihrem eigenen Fundus verschwinden und in der Nähe weiterer Tatort auftauchen.

Ich bin kein ausgemachter Krimileser, daher fehlt mir ein bisschen der Quervergleich zu verwandten Büchern. Aber der Fall ist durchaus spannend, manchmal scheinen ein paar Logiklöcher eher mühevoll gestopft zu sein und mein erster Täterverdacht sollte sich als richtig erweisen. Dennoch ist es ein Buch mit zwei Geschichten, denn neben des Kriminalfalls geht es vor allem um Holiday Walsh, frühere Punkrock-Sängerin, die ihre Tattoos im Klosterleben abdecken und ihre Vergangenheit verstecken muss. Immer mehr Details werden verraten, von ihrer großen Liebe Nina, von ihrer Familientragödie. Und tatsächlich macht es sehr viel Freude (und auch Leid), in Holidays Leben einzutauchen und mehr über ihren Weg von New Yorker Konzertbühnen in das Kloster in The Big Easy zu erfahren.

Der Einstieg ist dennoch etwas zäh, die am Anfang recht langen Kapitel – am Ende erhöht sich die Schlagzahl deutlich, die Abschnitte sind oft nur noch wenige Seiten lang – machten mir den Beginn, trotz des ersten Feuers auf den ersten Seiten, etwas mühevoll. Fast klischeemäßig beschreibt Douaihy die Schwüle von New Orleans, den Jazz, alles irgendwie zu bekannt und ohne, dass ich persönlich in die Welt Nahe des Missisippi-Deltas hineingezogen wurde.

Aber die Stärken des Buch sind andere, vor allem die Figuren, die noch viel Potenzial für die Folgebände bieten. Vom zweiten Hausmeister Bernand über die Antagonistin und potenzielle neue Love Interest in Form der Physiklehrerin Rosemary Flynn, den Geschichtslehrer John mit seiner an ALS-erkrankten Frau, den Ermittlern und natürlich die Mitschwestern im Kloster Saint Sebastian. Und nein, nicht alles ist perfekt, vielleicht fehlt an manchen Stellen auch die Tiefe, aber irgendwann, nach so 100, vielleicht 150 der etwas über 350 Seiten, wird „Verbrannte Gnade“ zu einem durchaus charmanten, sehr lesenswerten Pageturner.

Auch wenn ich es am Anfang nicht erwartet hätte, ein sehr lesenswerter Krimi mit einem brandheißen Fall, einer tollen Hauptfigur und spannenden Nebencharaketeren und ein guter Einstieg in eine neue Serie. Und falls das jemand befürchtet oder erhofft: Nein, das Buch ist kein Stück blasphemisch. Trotz Punkrock und Queerness. Oder vielleicht sogar genau deswegen.