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Benutzername: 
meany
Wohnort: 
Seligenstadt

Bewertungen

Insgesamt 157 Bewertungen
Bewertung vom 06.06.2025
Der Duft des Wals
Ruban, Paul

Der Duft des Wals


gut

Möge der Urlaub beginnen

Die Idee mit dem gestrandeten toten Wal, der den Pauschalurlaubern mit seinem Verwesungsgeruch die Ferien vermiest, hat mich sofort angesprochen, auch wenn John Ironmonger Ähnliches schon vor Jahren zum Gegenstand eines beeindruckenden Romans wählte.

Möglicherweise hätte einerseits etwas harmlos Heiteres oder aber eine bitterböse Satire auf den Tourismus à la David Foster Wallace daraus entstehen können: das Problem ist meiner Ansicht nach, dass Ruban sich für keins der beiden entscheidet und sich im Ungefähren durchlaviert

Der Bestand an Personen ist übersichtlich, und alle haben "einen Wal im Bassin" oder eine Leiche im Keller, dargestellt in einer Art absurdem Theater - Belèn mit ihrer Narkolepsie, Céleste mit den Geistererscheinungen und den Geißelungen, Hugo und Judith mit den Eheschwierigkeiten wegen seiner Vasektomie. Einzig die künstlerisch begabte Ava mit ihrem feinen Empfinden für die Zusammenhänge nahm mich für sich ein.

Die kapitelweise wechselnden Perspektiven erübrigen den auktorialen Erzähler, aber zum Ende hin hätte ich mir doch eine Schürzung der verschiedenen Knoten gewünscht. Zu viele aufgeworfene Fragen blieben für mich offen, sodass ich dieses Buch zu meinem Bedauern nicht ernsthaft empfehlen kann.

Bewertung vom 04.06.2025
Sputnik
Berkel, Christian

Sputnik


gut

Paris zu meinen Füßen

Nach den Erfolgen der Bestseller "Ada" und "Der Apfelbaum" ging ich natürlich mit einer entsprechenden Erwartungshaltung an das dritte Buch in Folge heran, das nun das Leben des Schauspielers beinhaltet.

Liegt es vielleicht daran, dass die Nachkriegsgeneration nicht den existenziellen Bedrohungen ausgesetzt war wie die Älteren, dass mir so manches etwas schal vorkommt? "Du hast ihn verpimpert", wirft der Vater der Mutter vor, die zeitlebens unter ihrem Schicksal als Jüdin auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus leidet. Und so lese ich manch Selbstgefälliges zwischen den Zeilen heraus. Die frühe erotische Trophäensammlung des attraktiven "Tadzio", der uns vom Titelbild herausfordernd anschaut, nimmt einen nennenswerten Raum ein.

Interessanter fand ich seine ersten Schritte am Theater, aber hier konkurriert er auch mit Hartmann, Selge, Meyerhoff und vielen anderen mehr. Sein familiärer Hintergrund veranlasst den Zweisprachigen, sich mit seiner Nationalität auseinanderzusetzen, verknüpft mit den gesellschaftlichen Kontroversen der Siebzigerjahre, ausgelöst durch die Ausstrahlung der Fernsehserie "Holocaust" und die Diskussionen über die RAF. Dazu gelingt ihm schließlich noch ein sehr erschütterndes Kabinettstück: im Anschluss an das gemeinsame Anschauen der Sendung ergibt sich im Familienkreis eine Aussprache, die das Geistesgut der immer noch Gestrigen eindrucksvoll in authentische Worte fasst.

Und dass er am Ende einen eleganten Bogen zum Anfang schlägt, möchte ich ihm aus literarischen Gründen zu Gute halten.

Bewertung vom 30.05.2025
tiptoi® Abenteuer Großwerden - Liv geht aufs Töpfchen
Grimm, Sandra

tiptoi® Abenteuer Großwerden - Liv geht aufs Töpfchen


ausgezeichnet

Pipimachen ist gar nicht so einfach

Unglaublich, was es da wieder alles zu entdecken gibt, tiptoi ist eine wahre Fundgrube. So einfach zu handhaben, dass das schon die Kleinsten beherrschen, und für alle ist etwas dabei. Manche Kinder hören sich immer wieder die Lieder an, aber jedes einzelne Motiv ist mit einer verbalen Bemerkung verknüpft, locker und fröhlich vorgetragen von munteren Sprechern. Dabei steht der eigentliche Gegenstand durchaus im Vordergrund, aber völlig unaufdringlich inmitten der Fülle an kindgerechten Informationen, was gerade beim heiklen "Sauberwerden" von Vorteil ist. Sogar das "Clair de lune" haben sie beim Glockenspiel untergebracht - man kann auch als Erwachsener vergnügte Überraschungen erleben.

Kurzum: der tiptoi-Stift erschließt Erziehern und Kindern neue Welten mit einem gut durchdachten Konzept und einem attraktiven, vielfältigen Angebot an Themen.

Bewertung vom 26.05.2025
Der Junge aus dem Meer
Carr, Garrett

Der Junge aus dem Meer


sehr gut

Sei gut zu deinem Bruder

Im Mittelpunkt dieses Familienromans steht der Konflikt zweier Brüder in einem irischen Fischerdorf, von denen die Eltern Ambrose und Christine einen als Findelkind adoptierten. Vom Eintreffen Ambroses in der Stadt und seiner Begegnung mit Christine an geht es für die beiden persönlich und wirtschaftlich bergauf, auch durch die Initiative und Schaffenskraft des jungen Mannes, bis sich die ökonomischen Umstände, bedingt durch EU-Regelungen und den Zwang zur Konzentration in immer größere Unternehmen seinen Erfolg kippen lassen und die Gemeinschaft in Mitleidenschaft ziehen. Dabei lockt in der Ferne ein imaginäres Rockall: "Alle Mühen und Sorgen fallen von einem ab."

Christines pflegebedürftiger Vater nimmt zusammen mit ihrer Schwester Phyllis weitere Kapazitäten in Anspruch, und dauernd müssen sie die Balance finden zwischen Effizienz und Ethos. Parallel dazu verläuft das Schicksal der Gemeinde, die wie ein Chor der antiken Tragödie als anonymes "Wir" den Hergang erzählt und kommentiert und dabei originalgetreu die bodenständige Mentalität der irischen Landbevölkerung verdeutlicht.

Bei der Zeichnung der komplexen Charaktere vermeidet Carr jegliche Schwarz-Weißmalerei, anekdotische Begebenheiten lassen die Leser sich in die jeweilige Wesensart einfühlen und geben niemals einem Einzelnen die Schuld am Unfrieden, der oftmals unvorhersehbare Wendungen nimmt. Durch die tiefe Mitmenschlichkeit und die praktizierte Hilfsbereitschaft hat mich das Buch nachhaltig berührt.

Bewertung vom 26.05.2025
Ein ungezähmtes Tier
Dicker, Joël

Ein ungezähmtes Tier


gut

Klischee auf Hochglanzpapier

Das war nun mein vierter Roman des versierten Bestsellerautors - ich habe ihn als Hörbuch gehört, eindringlich und unaufdringlich gelesen von Torben Kessler. Und ich denke, bis auf weiteres ist mein Bedarf gedeckt.

Es ist ein höchst vergnügliches Spiel, das Dicker da mit seinem Publikum inszeniert. Mit seinen Rückblenden stellt es immer wieder alles davor Geschehene auf den Kopf. Da er das an den passenden Stellen einflicht, kann man durchaus einigermaßen den Überblick behalten. Nur am Ende, wo es Schlag auf Schlag geht, fiel mir das zunehmend schwer, aber da war es mir auch schon gar nicht mehr so wichtig, denn vor lauter Purzelbäumen schwirrte mir der Kopf. Insofern ist das Buch ein Meisterwerk: kunstvoll wie ein Makrameegeflecht gäbe es einen attraktiven Wandschmuck ab, würde aber als Tasche kein Gewicht tragen können.

Denn Tiefgang darf man hier absolut nicht erwarten. Sophie ist schon von vornherein "schön" für ihre fast vierzig Jahre und wird immer "schöner" - auf welche Weise, das kann sich der Leser selbst ausdenken. Der aufwendige Lebensstil reicher Leute drückt sich im Porsche aus und im Konsum von Champagner und Kaviar. Ob die Handlungsweisen der Akteure psychologisch nachzuvollziehen sind, tritt in den Hintergrund der Dramaturgie, auch wenn sich der Autor bemüht, in mehr oder weniger glaubwürdigen Dialogen die Motive zu erklären.

Wer noch nicht genug von Dickers Masche hat, wird auch hier wieder voll auf seine Kosten kommen. Immerhin ist das Buch ja auch nicht ganz so dick wie die vorangegangenen und deshalb gar kein schlechter Einstieg.

Bewertung vom 18.05.2025
Das Teufelshorn
Nicholas, Anna

Das Teufelshorn


gut

Das wahre Juwel in der Krone dieses Tals

Die in Deutschland wie in Großbritannien über die Maßen beliebte Urlaubsinsel Mallorca hat eigentlich das ganze Jahr über Saison. Nun wartet der Diogenes-Verlag mit einer Übersetzung eines bereits vor sechs Jahren erschienenen Krimis auf, der uns in jeglicher Hinsicht Appetit machen soll auf eine Reise dorthin und uns mit allerlei Informationen versorgt über die dortige Natur, allerlei Gebräuche und vor allem auch eine Menge den Mund wässernden Speisen. Als sprachlich Unkundige habe ich allerdings ein Glossar vermisst, auch eine Aussprachehilfe für die mallorquinischen Spezialbegriffe hätte ich als hilfreich empfunden.

Wir haben es hier mit einem Krimi zu tun, in dem sich die sympathische, engagierte Kommissarin mit mindestens zwei Fällen befasst: der Entführung eines kleinen Mädchens und einem brutalen Mord, dessen Spuren nach Südamerika führen. Die Ermittlungen leiten sich logisch aus den vorliegenden Indizien her und sind auch für zartere Gemüter nicht nicht allzu aufregend. Wie immer wieder nach einem Erfolg bei den Recherchen die Ergebnisse in mir reichlich gestelzt vorkommenden Dialogen referiert werden, erscheint mir ausgesprochen realitätsfremd. Das Ende ist so gestaltet, dass man zur Klärung offener Fragen eine Fortsetzung erwartet, die auf Englisch auch bereits vorliegt.

Bewertung vom 08.05.2025
Schwimmen im Glas
Lugbauer, Eva

Schwimmen im Glas


sehr gut

Die Möglichkeit eines Ausgangs

In dieser Coming-of-Age-Geschichte eines Mädchens auf einem Dorf der Achtzigerjahre erzählt die auch als Lyrikerin erfolgreiche Eva Lugbauer die Vorgänge in Lores Kindheit . Dabei stehen Diskriminierungen durch ihre Brüder und andere männliche Bezugspersonen, aber auch deren Zudringlichkeiten im Vordergrund, konterkariert durch die besondere Rolle von Tante Ursula, der der Absprung in ein selbstständiges Leben als Künstlerin in der Stadt gelungen ist und die sich dann und wann ihrer Nichte annimmt.

Frühzeitig am Lesen interessiert und am Formulieren eigener Texte zum Beispiel im Tagebuch, in dem sie um einzelne Wörter regelrecht ringt, flicht die Autorin durch die Perspektive ihrer Protagonistin Betrachtungen ein über die Sprache an sich und wie diese die Kommunikation prägt. Der elaborierte Stil lebt nicht von langen Sätzen, die vermeintlich kindliche Sprache klingt lakonisch und zieht Andeutungen vor, deren Sinn man zwischen den Zeilen erfasst.

Dabei erörtert sie Themen, die allen vertraut sind: die Neugier auf Sex, die sich im Sammeln von "Busenbildern" äußert, das Nachdenken über "Zungenküsse", deren erste Erfahrung sich schließlich als sehr widerlich erweist. Pubertären Irritationen der introvertierten Jugendlichen stehen verständnislose, kontrollierende Eltern gegenüber. Die Erlebnisse auf dem Kindermaskenball haben mich sehr ergriffen.

Aus jedem Satz sprüht Zorn über die dauernde Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, und mir wird bewusst, wie selbstverständlich das damals das Gros der Gesellschaft akzeptierte. Nach etwa der Hälfte des Buchs kommt auch die Sicht der erwachsenen Lore ins Spiel, die eine gesunde, reflektierte Entwicklung aufzeigt.

Bewertung vom 05.05.2025
Hase und ich
Dalton, Chloe

Hase und ich


ausgezeichnet

An der Schwelle zwischen den beiden Welten

Eine weltläufige, beruflich stark eingespannte Londonerin sieht sich durch die Coronamaßnahmen auf ihr Landgut zurückgeworfen, wo sie völlig neue Erfahrungen mit der Natur macht, als sie einen kleinen Feldhasen findet und ihn adoptiert, um sein Leben zu retten.

In grundlegendem Respekt vor dieser wilden Kreatur lernt sie, sich einzufühlen in dessen Erfordernisse. Internetrecherchen und Fachbücher helfen ihr, die richtigen Entscheidungen bezüglich Nahrung, Wohnstätte und Tagesablauf zu treffen, um dieser heiklen Situation gerecht zu werden. Subtil und detailreich beschreibt sie die Gestalt und die Entwicklung des unscheinbaren Tiers. In poetischer Sprache schildert sie fasziniert und eindrucksvoll ihre Beobachtungen einer ihr bis dahin fremden Welt. Dabei erkennt sie diese den Menschen meist verborgene, völlig unspektakuläre Sphäre, zu der sie mit viel Sensibilität Zugang findet und doch die gegebenen Grenzen achtet. Ihr gelingt es, sich harmonisch einzuschwingen in eine bisher unbekannte Existenzform, und die Ruhe, die sich dabei in ihr ausbreitet, vermittelt sie auch ihren Lesern.

Dynamik erhält die Story durch die Geburt zweier Häschen, die auch im Haus wohnen. Als die Population überhand nimmt, wundert es mich, was sich Chloe alles gefallen lässt. Sie teilt uns grundlegende Erkenntisse mit über den Eingriff der Menschen in die Umwelt und deren Auswirkungen und lässt uns teilhaben an philosophischen Betrachtungen zu diesem Thema und welchen Einfluss diese langfristig auf ihre Mentalität ausüben.

Für mich ist es ein Buch zum Durchatmen und zum Hinterfragen unserer gewohnten Prioritäten. Die Lektüre dieser Naturschilderung hat mich regelrecht des Alltagsgetriebes enthoben, das doch oft auch an unseren ganz elementaren Bedürfnissen vorbeigeht.

Bewertung vom 01.05.2025
Wo wir uns treffen
Hope, Anna

Wo wir uns treffen


ausgezeichnet

Die verworrenen Netze des Leids

Schon im Vorfeld der Beisetzung ihres Vaters entbrennen die Auseinandersetzungen seiner drei Kinder um das hinterlassene hochherrschaftliche Anwesen in Südengland. Eine sieben Generationen alte Familientradition gilt es fortzuführen und zu entwickeln, und sowohl der Sohn als auch eine Tochter fühlen sich durch widersprüchliche Botschaften des Vaters dazu berufen: sie baut schon seit zehn Jahren einen ökologischen Landwirtschaftsbetrieb auf, ihm steht der Finanzier für ein Wellnessressort zur Seite. Eine periphere Rolle spielen zwei emotional eingeflochtene Angestellte. Die herbeizitierte Tochter einer ehemaligen langjährigen Geliebten des Verblichenen aus den USA befeuert mit ihren Erkenntnissen die Angelegenheit und gibt ihr wie ein Katalysator eine völlig neue Wendung, die sich natürlich auch auf die persönlichen Beziehungen auswirkt.

Es ist spannend zu lesen, wie sich Hope in die Lebensläufe hinein und durch sie hindurchtastet. Ein Muster ergibt sich von schmerzlich einander zugefügten Verletzungen, blinden Stellen, über die sie nicht kommunizieren können. Die Verwicklungen entblättern sich in Einzelepisoden und in Diskursen über Randthemen wie Kunstgeschichte und Umweltschutz im Hinblick auf künftige Generationen. Mit außerordentlicher Sensibilität stellt die Autorin die komplexen psychologischen Zusammenhänge dar, die sie logisch aus der Vergangenheit herleitet. Dabei kristallisiert sich der Grundkonflikt heraus - Tradition versus Erbsünde.

Am meisten hat mich beeindruckt, wie Hope aus der unheilvollen Vergangenheit getreu ihrem Namen (!) einen Hoffnungsschimmer erwachsen lässt, indem sie sich mit der Frage auseinandersetzt, ob Heilung möglich ist, ob aus Üblem letztendlich Gutes entstehen kann, gipfelnd in der Erkenntnis: "Die Zukunft ist da".

Bewertung vom 24.04.2025
Bei den Wikingern / Muffin und Tört! Bd.1
Stower, Adam

Bei den Wikingern / Muffin und Tört! Bd.1


sehr gut

Die Trolle jagen sich nicht von allein

Auf dieses Kinderbuch musste ich mich ganz bewusst einlassen, aber die Jugend hat wohl einen anderen Humor als unsereins. Und Humor spielt eine ganz große Rolle in dieser Mischform zwischen einem Comic und einer Geschichte für Leseanfänger.

Die beiden eigenartigen und gegensätzlichen Charaktere Muffin, ein fauler Kater, und Tört, ein quirliges Kaninchen, verschlägt es durch Zufall in ein Abenteuer, im Laufe dessen sie den Wikinger Eierich von den Trollen befreien müssen. Dabei kommen ihnen derart hanebüchene Wendungen zugute, dass sich die Kinder sicher den Bauch halten vor Lachen. In ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Zeichnungen bildet Adam Stower die ganzen Aufregungen deutlich ab, sodass lange Texte überflüssig werden. Trotzdem werden Zweitklässer aufgrund der Dicke des Bands vielleicht erst einmal davon Abstand nehmen, ihn auch nur aufzuschlagen. Tun sie es dann doch, werden sie ihre helle Freude haben.