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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 130 Bewertungen
Bewertung vom 22.11.2024
Das Buch der neuen Anfänge
Page, Sally

Das Buch der neuen Anfänge


weniger gut

Auch wenn die Grundidee, auf der dieser Roman aufbaut, wirklich nicht neu ist, ist sie auf den ersten Blick doch immer wieder vielversprechend. Wenn sie gut umgesetzt und gut geschrieben ist, macht die Geschichte um eine Frau, die nach einer gescheiterten Beziehung einen Neuanfang versucht, immer wieder Spaß.
Bei diesem Roman, der erste, den ich von dieser Autorin gelesen habe, passt aber leider nichts. Zu hölzern, zu dilettantisch ist der Schreibstil, zu dröge der Handlungsverlauf, zu viel wird erklärt und zu ausführlich dargestellt.
Die junge Jo, Ende dreißig und sich damit zu alt fühlend, wurde von ihrem langjährigen Freund betrogen und verlassen. Sie schlüpft bei ihrem Onkel unter, der wegen fortschreitender Demenz in einem Pflegeheim ist, und führt seinen Schreibwarenladen weiter. Nach und nach drückt sie diesem Laden ihren Stempel auf und lernt immer mehr Menschen aus dem Umgebung kennen.
Darunter natürlich der gutaussehende Optiker von nebenan, der Inhaber eines Tattoo-Studios, ein älterer treuer Kunde, der zugleich ein Freund ihres Onkels ist. Und eine zuerst geheimnisvolle Frau, die sich als spurlos verschwundene Vikarin entpuppt.
Während Jo permanent und penetrant ihrem Ex nachtrauert und immer noch hofft, dass er zu ihr zurückkommt, obwohl sich schnell herausstellt, welch ein Unsympath und Despot er ihr gegenüber war, sucht sie neuerlich Kontakt zu einer langjährigen Freundin. Die Beziehung zu Lucy war eingeschlafen während Jo mit James zusammen war.
Man ahnt zu schnell, worauf das alles hinausläuft. Und ist bei der Lektüre sehr schnell genervt von den ständigen, ausführlichen Gedankengängen Jos, die sich quasi selbst beobachtet und analysiert. Alles wird auserzählt, breitgetreten und das mehrfach wiederholt.
Diese Selbstanalyse der Protagonistin ist so offensichtlich und so unmotiviert, kommt so plötzlich und ohne Auslöser, kommt viel zu schnell. Das wirkt derart unglaubwürdig und dick aufgetragen, dass es wirklich sehr stört. Dazu kommt der sehr langatmige, um nicht zu sagen langweilige Schreibstil. Die Figuren sind Abziehbilder, ohne Konturen. Die Dialoge hölzern, oft hanebüchen und sinnentleert.
Leider hat mich der Roman so gar nicht abgeholt. Einziger Lichtblick ist die, von mir immer favorisierte, monoperspektivische Erzählweise, der das Buch in meiner Bewertung immerhin einen zusätzlichen Stern verdankt.
Sally Page - Das Buch der neuen Anfänge
aus den Englischen von Yola Schmitz
dtv, Oktober 2024
Taschenbuch, 447 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 20.11.2024
Das Verhalten ziemlich normaler Menschen
Reilly, K. J.

Das Verhalten ziemlich normaler Menschen


ausgezeichnet

Wie damit umgehen, wenn die eigene Mutter bei einem Verkehrsunfall getötet wird? Wie die Trauer, die Wut verarbeiten? Und die Rachegefühle.
Der 17jährige Asher steht vor diesen Fragen, die ihn völlig überfordern. Seine Mutter wurde getötet, als sie für ihn neue Fußballschuhe kaufen wollte. Ein Sattelschlepper hat ihr Auto zertrümmert, sie starb. Zurück blieben Asher, sein Vater und die vierjährige kleine Schwester.
Er fühlt sich schuldig an ihrem Tod, wegen der Fußballschuhe, und möchte gleichzeitig Rache nehmen an dem betrunkenen Fahrer des Sattelschleppers. Er will ihn töten.
An diesem Vorhaben ändern auch die Trauergruppen nichts, die er fast täglich besucht. Da ist die eine mit alten Menschen, darunter Henry, der seine verstorbene Frau Evelyn schmerzlich vermisst. Und da ist die zweite Gruppe Trauernder, deren Leiterin Asher stets Peter Pan nennt wegen ihrer grünen Strumpfhose. In dieser Gruppe trifft er Sloane, deren Vater an einer Krankheit starb und Will, der seinen kleinen Bruder verlor, der an einem Tumor litt.
Sloane trägt stets die ihr viel zu große Jacke des Vaters und seine Stiefel, während Will sich hinter einem Helm aus langen Haaren versteckt. Zwischen den dreien entsteht nach und nach sehr viel Verständnis, Verständnis, auf das sie außerhalb der Gruppe nur selten stoßen, zu groß ist ihr Schmerz, zu groß der Verlust.
Als Asher sich aufmachen will, den Fahrer des Sattelschleppers, der seine Mutter tötete, zu besuchen, um diesen umzubringen, kann er sowohl den alten Henry wie auch Sloane und Will überreden, mitzukommen. Und so begeben sich die Vier, begleitet von der Urne mit der Asche von Henrys Frau, auf einen Roadtrip durch die USA.
Wie sie auf dieser Fahrt lernen, ihre Trauer zu begreifen, sie zu artikulieren, sie zu akzeptieren, das ist so wunderbar einfühlsam beschrieben, dass man diese jungen Menschen gerne trösten würde, obwohl es für sie ja kaum einen Trost gibt. Welche Trigger bei ihnen heftige Anfälle von Schmerz und Trauer auslösen, aus denen sie oftmals wie befreit wieder auftauchen, wie sie sich gegenseitig immer wieder aufrichten, wie sie sich dabei unterstützen, die unmöglichsten Dinge zu tun, um den Verstorbenen nahe zu sein, das schildert die Autorin so ergreifend, so realistisch und zu Herzen gehend, dass man stets mitfühlt, mitleidet.
Die Figuren sind authentisch, die Sprache, die Burschikosität, die Ruppigkeit und gleichzeitig Einfühlsamkeit, die Ehrlichkeit und das Verständnis, mit dem die drei jungen Menschen miteinander umgehen, das mag manchmal etwas übertrieben, etwas unwahrscheinlich für jemanden in ihrem Alter anmuten. Dabei wirkt es im Gegenteil gerade passend für Teenager an der Schwelle zum Erwachsensein, die viel ehrlicher ihre Gefühle zeigen können als Erwachsene das gemeinhin tun.
Und immer wieder geschieht völlig überraschendes, unvorhersehbares, agieren die Menschen ganz anders als man erwarten würde.
Manchmal wiederholt sich vieles, manchmal wünscht man sich weniger Drama, mehr Optimismus. Doch immer wieder kriegt die Geschichte die Kurve, bevor es wirklich zu viel, zu unerträglich wird, reißt die Autorin das Steuer herum und bekommt wieder die Richtung, fährt ihren Roman wieder in Richtung Zukunft.
Sie trifft so genau die Sprache der Jugendlichen, auch wenn manches etwas weit hergeholt ist, manches etwas unglaubwürdig, jedenfalls für europäische Verhältnisse, in denen wir uns so eine Fahrt mit 17Jährigen am Steuer kaum vorstellen können, auch nicht, dass ein solcher Jugendlicher problemlos die Kreditkarte des Vaters überall einsetzen kann.
Man mag sich nicht vorstellen, wie es einem selbst in diesen Situationen ergehen würde, man wünscht sich aber unbedingt solche Freunde an der Seite.
Nur Henry ist ein bisschen blass. Manchmal darf er eine Rolle spielen, bekommt einen kurzen Auftritt, ansonsten ist er oft nur Staffage. Das ist etwas schade, hier wäre mehr Potential gewesen.
Ein aus vollem Herzen zu empfehlender Roman, bei dessen Lektüre man das eine oder andere Taschentuch griffbereit haben sollte.
K.J. Reilly - Das Verhalten ziemlich normaler Menschen
aus dem Englischen von Ute Mihr
dtv Reihe Hanser, Oktober 2024
Klappenbroschur, 346 Seiten, 16,00 €

Bewertung vom 18.11.2024
KUNTH Die faszinierendsten Friedhöfe der Welt
Henss, Rita

KUNTH Die faszinierendsten Friedhöfe der Welt


ausgezeichnet

Was macht die Faszination von Friedhöfen aus? Warum gehen manche Menschen gerne dort spazieren, betrachten Grabsteine, lesen die Inschriften? Und warum meiden andere gerade diese Orte?
Welche merkwürdigen Formen von Bestattungen, welch ungewöhnliche Friedhöfe es gibt, das zeigt dieser interessante Fotoband. Nach Kontinenten sortiert, mit groben Karten vorab, führt das Buch zu wirklich außergewöhnlich gestalteten Gräbern, zu kuriosen Särgen, zu Grabstätten berühmter Persönlichkeiten.
Vor allem die Fotos, die zwar nicht immer die tatsächliche Wirkung des Ortes erfassen können, sind es, die beeindrucken. Da werden besonders schöne oder auffällig gearbeitete Grabsteine gezeigt, da finden sich reich geschmückte Gräber neben eher schmucklosen Steinwänden, in denen sich einzelne Fächer für Urnen befinden.
Bevor es auf die Reise durch die so unterschiedlichen Gräberfelder geht, bietet der Band zuerst ein paar Seiten voller Kuriositäten. Da gibt es dann sowas wie den Hochhausfriedhof in Brasilien, es gibt sogar einen Friedhof für Eissorten! In Nevada findet sich ein Friedhof für Leuchtreklamen. Ja, was es nicht alles gibt.
Dann aber zeigt das Fotobuch sogar einen Wikingerfriedhof. Man besucht natürlich auch so berühmte Friedhöfe wie Père-Lachaise in Paris oder Melaten in Köln. Es gibt den fröhlichen Friedhof in einer Stadt in Rumänien.
Besonders faszinierend, weil ungewohnt, sind dann vor allem die Grabstätten in afrikanischen Ländern oder in Asien, in Japan oder Indonesien. Dabei bekommen dann insbesondere die unterschiedlichen Bestattungsriten, die durch die jeweiligen Religionen und Glaubensrichtungen vorgegeben Rituale, eine besondere Bedeutung.
Natürlich handelt es sich um ein Fotobuch, das heißt der jeweilige Textteil hält sich in Grenzen, wartet aber dennoch mit interessanter und insgesamt, für einen ersten Überblick, ausreichender Information auf. Vor allem aber nimmt dieses Buch die Angst, die Ehrfurcht und den Schrecken, den Friedhöfe auf viele ausüben, macht stattdessen Lust, mal wieder über einen solchen zu spazieren.
Rita Henss - Die faszinierendsten Friedhöfe der Welt
Kunth, Oktober 2024
Gebundene Ausgabe, 304 Seiten, 32,95 €

Bewertung vom 15.11.2024
Meuchelei in der Weihnachtsbäckerei
Plötner, Astrid;Kemper, Anke

Meuchelei in der Weihnachtsbäckerei


gut

Bereits vergangenes Jahr hatten diese beiden erfahrenen Krimi-Autorinnen eine Weihnachtsanthologie herausgebracht. Kurzkrimis, die in diversen nordrhein-westfälischen Orten spielen, amüsant sind und meist mit einer Pointe enden.
Nun also auch in diesem Jahr eine solche Sammlung an kurzweiligen Kriminalgeschichten, die sich alle mit mehr oder minder erfolgreichen Verbrechen beschäftigen, die sich wiederum alle in der Vorweihnachtszeit zutragen. Passenderweise handelt es sich um exakt 24 Geschichten, ein, wie der Untertitel lautet, mörderischer Adventskalender also.
Da gibt es den Bierwagenfahrer, dessen Tod seine Witwe auf ihre Weise rächen will. Da ist die Angestellte einer verarmten Dame, die mit Kryptogeld Geschäfte macht. Und da gibt es die Damen des Buchclubs, die einer der ihren beim Beseitigen einer Leiche behilflich sind. Oder den Ex-Knacki, der vom Rauben nicht lassen kann und seine Beute in einer Höhle versteckt, was ihm aber nicht gut bekommt.
Wie so oft in dieser Art Kurzgeschichten sind es innerfamiliäre Verbrechen, die erzählt werden. Da meucheln die Ehefrauen ihre Gatten, da entsorgen Söhne die Väter oder wahlweise die Brüder. Manchmal müssen auch die Nachbarn dran glauben, die Kollegen oder Komplizen.
Die Geschichten der beiden Autorinnen sind vielseitig, meist witzig, fast alle mit einer mehr oder weniger überraschenden Pointe (oft kann man sie halt auch erahnen), vor allem aber sind sie nicht langweilig.
Allerdings gefielen mir die Kurzkrimis des letztjährigen Bandes um einiges besser, sie hatten mehr Verve, mehr Tempo und auch mal mehr Spannung. Dieses Mal wirken die Geschichten eher seicht, harmlos. Die Protagonisten ist überwiegend ältere Menschen, Senioren und Seniorinnen, die unliebsame Zeitgenossen entsorgen. Dafür aber gibt es viel Lokalkolorit, werden gerne die Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Stadt vorgestellt, in welcher die Handlung spielt.
Zu jeder Geschichte, das sei noch erwähnt, gibt es jeweils ein Rezept zu einem im Text erwähnten Gericht, süße Leckereien, süffige Getränke und ähnliches.
Eine Sammlung an kurzen Kriminalgeschichten, unterhaltsam, gut geeignet als Ausgleich gegen die Vorweihnachtshektik, ein bisschen mehr Tiefgang, mehr Substanz hätte den Texten aber schon gutgetan.
Astrid Plötner & Anke Kemper - Meuchelei in der Weihnachtsbäckerei
Gmeiner, Oktober 2024
Taschenbuch, 360 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 13.11.2024
Sag mir, was ich bin
Mannion, Una

Sag mir, was ich bin


ausgezeichnet

Der Erstlingsroman dieser Autorin wird für mich immer ein Highlight sein in der Welt der Bücher. „Das Licht zwischen den Bäumen“ war und ist ein ganz besonderes Buch, auf vielfältige Weise.
Nun ist ihr nächstes Buch erschienen. In dem als Krimi bezeichneten Roman geht es vordergründig um die Aufklärung des Verschwindens von Deena Gravey. Die junge Frau kehrte eines Tages nicht nach Hause zurück, zu ihrer kleinen Tochter Ruby und zu ihrer Schwester Nessa. Sie war mit ihrem Kind zu ihrer Schwester gezogen, nach einigen Vorfällen, gewalttätigen Angriffen ihres Lebensgefährten Lucas, des Vaters von Ruby.
Nessa ist verzweifelt, will ihre Schwester finden, verdächtigt von Anfang an Lucas, Deena etwas angetan zu haben. Ihre Verzweiflung wird erhöht, denn Lucas beansprucht Ruby für sich und verweigert jeden Kontakt zwischen Tante und Nichte.
Ruby wächst also bei ihrem Vater auf einer etwas heruntergekommenen Farm in Vermont auf, seine Mutter Clover lebt ebenfalls dort. Das Mädchen lernt schnell, dass man gegenüber dem Vater nicht alles sagen, dass man ihn nicht alles fragen darf. Auch die Großmutter schweigt, wenn das Kind nach seiner Mutter fragt.
Erst auf Anweisung der Behörden lässt Lucas Ruby schließlich zur Schule gehen, sie gewinnt erste Freundinnen, bekommt mehr von der Welt und dem Geschehen dort draußen mit. Und eines Tages gelingt es ihr, einen Brief zu bekommen, bevor Lucas alle an sie adressierte Post verschwinden lässt.
Das löst einige Nachforschungen bei ihr aus, doch immer wieder läuft sie gegen eine Wand des Schweigens. Derweil, auch nach etlichen Jahren, lässt Nessa nichts unversucht, ihre Schwester zu finden und wieder mit Ruby in Kontakt zu kommen. Aber erst nach vielen Ereignissen und Fehlschlägen kommen die Nachforschungen wieder in Gang und dann überschlagen sich die Dinge.
Einerseits ist diese Geschichte hochspannend, sehr dramatisch und auch sehr berührend. Wieder gelingt es Una Mannion, tief in die menschlichen Seelen zu blicken, ihr Leid und ihre Narben zu zeigen. Keine der Figuren bleibt blass, bleibt oberflächlich und keine bleibt unverletzt.
Lucas allerdings bleibt lange nur ein Schatten, man kann ihn nicht durchschauen, ihn nicht einschätzen. Nie weiß man, was er denkt, was er als nächstes tun wird. So findet man zu keinem Urteil über ihn, was die Spannung naturgemäß stark antreibt.
Und doch konnte mich der Roman diesmal nicht so erreichen, wirkte die Darstellung der Charaktere nicht so völlig überzeugend, konnte ich mich nicht so ganz in die Figuren hineinfühlen. Das liegt möglicherweise daran, dass die Autorin diesmal viel deutlicher wird, vieles auserzählt, statt es, wie in ihrem Debüt, zwischen den Zeilen auszudrücken, von dort aus wirken zu lassen.
Insbesondere die Szenen mit Nessa, in denen ihre Verzweiflung, die sie körperlich und seelisch nach und nach völlig zerfrisst, dargestellt wird, sind sehr ausführlich, sehr intensiv, aber auch eben etwas zu stark ausgedrückt, es bleibt zu wenig übrig für die Fantasie der Leserin.
Schließlich gibt es lange Absätze voller Abschweifungen, sieht man Nessa bei ihrer Arbeit, beobachtet Szenen aus der Kindheit der Schwestern, die ablenken, aber die Handlung nicht befördern. Hingegen wirken die Szenen aus der Sicht von Ruby, die heranwächst und immer verzweifelter wissen möchte, was mit ihrer Mutter geschah, viel emotionaler, viel nachvollziehbarer.
Das Ende, die Auflösung ist dann fast unspektakulär, fast dokumentarisch, dann aber doch wieder mit berührenden Szenen.
Trotz der erwähnten Einschränkungen ist natürlich aber auch dieser Roman, der viel mehr Psychogramm als Krimi ist, wieder sehr zu empfehlen.
Una Mannion - Sag mir, was ich bin
aus dem Englischen von Tanja Handels
Steidl, Oktober 2024
Gebundene Ausgabe, 304 Seiten, 28,00 €

Bewertung vom 11.11.2024
Tee auf Windsor Castle
Parker, Claire

Tee auf Windsor Castle


sehr gut

Eine junge Frau, die mit den Royals überhaupt so gar nichts im Sinn hat, begleitet eine Freundin auf einer Führung durch Windsor Castle. Ein menschliches Bedürfnis sorgt dafür, dass sie sich im Schloss verläuft und das führt zu einer besonderen Begegnung.
Kate, aus einfachen Verhältnissen stammend und sich mit mehreren Jobs mühsam über Wasser haltend, findet Monarchien anachronistisch und ist überzeugt, dass der König und seine Familie die „einfachen“ Leute, insbesondere sein Personal, nur ausbeuten. Doch als sie, auf der verzweifelten Suche nach einer Toilette in eine gemütliche Küche des Schlosses gerät, trifft sie dort auf Betty, eine alte Frau, voller Gelassenheit, sehr freundlich und mit viel verschmitztem Humor.
Ganz anders, als Kate sich das vorstellte, behauptet diese Betty, dass es ihr und allen Bediensteten auf dem Schloss ganz wunderbar geht, dass sie alle gerne dort arbeiten, auch wenn sich manche Dinge für Kate eher seltsam anhören. Dass Betty beispielsweise noch nie im Dorf war, noch nie im Pub. Dass Betty sich traut, ganz einfach überall in dem riesigen Anwesen herumzulaufen, dass sie gar das ehemalige Zimmer des abtrünnigen Ex-Königs Edward betritt, ja sogar dort nächtigt.
Während ihrer langen Gespräche mit Betty, die sich durch die ganze Nacht hinziehen, lernt Kate viel, lernt auch ihr eigenes Leben mit anderen Augen zu betrachten. Und Betty spart nicht mit lebensklugen, wenn auch manchmal arg auf Harmonie gebürsteten Sprüchen, die Kate immer wieder zum Nachdenken bringen. Als schließlich auch noch ein Mr. Hutton auftaucht, der ganz offensichtlich starke Gefühle für diese Betty hegt, wird aus Kate auch noch so etwas wie eine Liebesbotin.
Natürlich ahnt man, im Grunde schon bevor man überhaupt mit der Lektüre beginnt, wer sich hinter dieser Betty verbirgt. Da das Buch nach dem Tod der Queen spielt, ist man besonders auf die Auflösung gespannt, fragt sich die ganze Zeit, wie die Autorin das Ganze wohl erklärt.
So ganz überzeugt dieses Ende mich dann aber leider doch nicht, ist mir etwas zu sehr an den Haaren herbeigezogen (wie aber ja eigentlich die gesamte Handlung). Aber immerhin, das kann man ohne zu spoilern erwähnen, hat sie sich den so arg abgedroschenen Kunstgriff, alles als Traum darzustellen, erfolgreich verkniffen.
Insgesamt ein netter, warmherziger Roman, ein bisschen kitschig, ein bisschen zu sehr voller Gutmenschen, ein bisschen zu sehr erhobener Zeigefinger, dafür aber ein Buch, das auf leichte Weise gute Laune verbreitet.
Claire Parker - Tee auf Windsor Castle
Atlantik, Oktober 2024
Gebundene Ausgabe, 160 Seiten, 20,00 €

Bewertung vom 08.11.2024
Die Durchtriebenen
Friedman, Elyse

Die Durchtriebenen


sehr gut

Dass Reichtum nicht glücklich macht, ist eine Binsenweisheit. Und dass reiche Familien vor allem durch Intrigen und Erbstreitigkeiten gekennzeichnet sind, ist ein Klischee.
Das hier in diesem Roman umfassend bedient wird, sind doch alle Mitglieder der im Mittelpunkt stehenden Familie Shropshire wahre Durchtriebene, die es weder mit der Familienliebe noch mit der Wahrheit allzu genau nehmen.
In diesem wendungsreichen Roman dreht sich alles um das künftige Erbe von Ed Shropshire, knapp 80jähriger Patriarch und steinreicher Industrieller. Seine Kinder Martin, Teddy und Alana sind so ganz und gar nicht damit einverstanden, dass er plant, seine 50 Jahre jüngere Krankenpflegerin zu heiraten. Also spinnen sie diverse Pläne, die junge Kelly zu vertreiben, sei es notfalls mit Gewalt.
Doch die Dinge sind alle nicht so, wie sie zu sein scheinen, jeder denkt zuerst nur an sich selbst, keiner traut dem anderen. Dabei ist Alana, aus deren Sicht der Roman erzählt, eine völlige Außenseiterin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter einer schwer kranken Tochter von einem Teilzeitjob in einem Frauenhaus, kann gerade so die Miete aufbringen und die Pflege ihrer Tochter finanzieren.
Sie wird nun von ihrem Stiefbruder Martin aufgefordert, ihn und Teddy bei der Intrige gegen Kelly zu unterstützen, er bietet ihr dafür eine immens hohe Summe an. Nur irgendwie klappen alle Pläne nicht so, wie sie sollen, stets entwickeln sich die Dinge in eine ganz andere Richtung.
Es ereignen sich Unfälle, es ergeben sich ständig wechselnde Bündnisse und keiner weiß so richtig, wer eigentlich die Fäden zieht.
Das ist spannend geschrieben, gerade weil man nie vorausahnen kann, was als nächstes geschieht, welche „Bombe“ nun wieder nach hinten losgehen könnte. Niemandem kann man auch als Leserin trauen, nichts ist, wie es scheint.
Die Figuren sind einigermaßen ausgearbeitet, aber leider auch teils wandelnde Klischees. Dies gilt für den frauenverschlingenden Teddy, für den geldversessenen Martin und es gilt für Gertrud, Martins als arg tumb und naiv dargestellte Freundin. Und es gilt natürlich auch für den strengen, selbstgerechten Übervater Ed.
Je weiter die Handlung voranschreitet, desto weniger kann man vorhersehen, wie es ausgeht. Das Ende, das dann kommt, die Auflösung, ist somit völlig überraschend. Was an sich für einen Roman fabelhaft ist, andererseits fehlen hier alle möglichen Hinweise im Vorfeld, es gibt keinerlei wie auch immer geartete Andeutungen auf dieses Ende, so dass es ein wenig anmutet, als wäre es der Autorin eben auch erst am Ende eingefallen. Es wirkt ein bisschen sehr konstruiert und auch nicht recht realistisch, von daher hat mich das Ende, nach den vorherigen zahlreichen Spannungsmomenten und fiesen Verwicklungen etwas enttäuscht.
Insgesamt aber eine fesselnde Geschichte um eine durchtriebene Familie, die man am besten mit Humor nimmt.
Elyse Friedman - Die Durchtriebenen
aus dem Englischen von Peter Hammans
Droemer, Oktober 2024
Klappenbroschur, 303 Seiten, 16,99 €

Bewertung vom 01.11.2024
Myrrhe, Mord und Marzipan
Achilles;Winkelmann, Andreas;Verhoeven, Anne

Myrrhe, Mord und Marzipan


sehr gut

Schon letztes Jahr waren die weihnachtlichen Kurzkrimis witzig, spannend und vor allem mörderisch gut. Und auch im diesjährigen Band versammeln sich wieder 24 lesenswerte Kurzgeschichten quer durch Deutschland.
Bekannte und weniger bekannte Autorinnen und Autoren entführen beispielsweise nach Frankfurt, Berlin oder Köln, nach Otterndorf, Neuharlingersiel, nach St. Moritz, Bregenz oder Wien. Und überall wird gemordet, was das Zeug hält.
So erzählt Sonja Rüther von der „Heiligen Nacht in Hohwacht“, in welcher eine Frau in ihrem Zuhause überfallen wird, was aber eher für den Einbrecher ungut ausgeht.
Anne Verhoeven berichtet vom „Geheimnis unter dem Schnee“ in Voerde am Niederrhein, worin eine Familie und ihre Nachbarn während eines Schneesturms eingeschneit werden und heftig aneinandergeraten. Auch das geht schließlich für einen von ihnen eher nicht gut aus.
Überhaupt sind Nachbarn nicht ganz ungefährlich, wie man auch in der in Berlin spielenden Geschichte „Der Tote unterm Baum“ von ‚Achilles“ erfährt. Hinter dem Pseudonym verbergen sich zwei Autoren, die nicht ganz unbekannt sind.
Spannend ist die Geschichte „Hafenliebe“ von Justine Pust, in welcher eine junge Frau im Hafen von Rostock für Ordnung sorgt, was einigen Männern nicht gut bekommt.
In Otterndorf schließlich leiden mehrere ehrenamtliche Weihnachtsmänner unter der Fuchtel einer Fitnesstrainerin, doch es wird für (tödliche) Abhilfe gesorgt.
Weitere Geschichten wurden u.a. von Eva Völler, Gisa Pauly, Iny Lorentz, Simon Ammer, Andreas Winkelmann oder Thomas Kastura verfasst, um nur ein paar herauszugreifen.
All diese Geschichte machen viel Spaß beim Lesen, sorgen für Spannung, Spaß und warten fast alle mit überraschenden Pointen auf. Natürlich gefallen nicht alle Kurzkrimis gleich gut, sind nicht alle gleich witzig oder gleich spannend, für eine unterhaltsame und abwechslungsreiche Vorweihnachtszeit sorgen sie allemal. Und eine Rundreise durch Deutschland und ein wenig Österreich bekommt man noch dazu.
Miriam Gramoschke (Hg.) - Myrrhe, Mord und Marzipan
Knaur, Oktober 2024
Taschenbuch, 413 Seiten, 12,99 €

Bewertung vom 30.10.2024
Die Frau, die Weihnachten nicht mochte
Brisby, Zoe

Die Frau, die Weihnachten nicht mochte


sehr gut

Die Geschichte ist ziemlich vorhersehbar und auch eigentlich altbekannt, dennoch macht die Lektüre diese fröhlichen Romans voller sympathischer Figuren viel Spaß.
Der schüchterne und verklemmte Ben, voller ungelöster innerer Knoten aufgrund seiner Kindheit, möchte in dem Verlag, in dem er arbeitet, Karriere als Lektor machen. Momentan fristet er sein Dasein als letztes Glied in der Kette, er schreibt die vorformulierten Absagebriefe an die Autorinnen und Autoren, die ihre Manuskripte an den Verlag gesandt hatten. Dass er dabei verbotenerweise immer mal eines der abgelehnten Bücher liest, führt schließlich dazu, dass er glaubt, ein Juwel entdeckt zu haben.
Seine Vorgesetzte lehnt es ab, darüber zu reden, erlaubt ihm jedoch, mit den Autor Kontakt aufzunehmen. Dessen Namen weiß Ben nicht, nur die Absenderadresse, ein winziges abgelegenes Dörfchen in der französischen Provinz. Dorthin fährt er ein paar Tage vor Weihnachten, schlecht ausgerüstet, aber voller Optimismus.
Der wird jedoch schnell gedämpft, denn der Autor, den er gefunden zu haben glaubt, stellt eine Bedingung für seine Unterschrift unter einem Vertrag mit dem Verlag. Ben soll die Tochter des Autors wieder in positive Stimmung versetzen und ihr vor allem wieder Freude an Weihnachten bringen. Das kleine Dorf ist nämlich sozusagen das Herz der Weihnachtsfreude, alles und alle richten sich für das Fest, mit weihnachtlichem Schmuck, Wettbewerben, Backkünsten und vor allem viel Herzblut.
Es kommt natürlich wie es kommen muss, in Ben entstehen Gefühle für Laly, die Tochter des Schriftstellers. Darüber vergisst er fast seine Mission und insbesondere die eigentlichen Aufträge seiner Chefin, die sie ihm aufgedrückt hatte. Zum Glück bekommt er Unterstützung von einem Kollegen aus seiner IT-Abteilung, Phineas, eine der witzigsten Figuren des Romans.
Auch wenn die vielen Fettnäpfchen, in die Ben immer wieder tappt, die vielen Peinlichkeiten, in die er sich manövriert, die ständigen Missgeschicke, die ihm passieren, etwas zu viel sind, die man vor allem immer vorher ahnt, auch wenn die sich entwickelnde Beziehung zwischen Ben und Laly ebenso vorhersehbar ist, so macht dieser Roman doch viel Spaß und weckt immense Vorfreude auf Weihnachten (oder erreicht bei manchem vielleicht auch das Gegenteil?). Das liegt vor allem an den wirklich liebenswerten Figuren, sei es der vielseitige Bürgermeister oder die Pensionswirtin mit ihrem zahmen Cuy (ich verrate nicht, was das ist) oder eben der erwähnte Phileas.
Ein anheimelnder Roman voller Gefühl und Humor.
Zoe Brisby - Die Frau, die Weihnachten nicht mochte
aus dem Französischen von Monika Buchgeister
Eichborn, September 2024
Gebundene Ausgabe, 366 Seiten, 20,00 €

Bewertung vom 28.10.2024
FEUER UND FLAMME: Konflikte als Zündfunken für komplexe Figuren, packende Plots, tiefgründige Themen und atemlose Spannu
Waldscheidt, Stephan

FEUER UND FLAMME: Konflikte als Zündfunken für komplexe Figuren, packende Plots, tiefgründige Themen und atemlose Spannu


ausgezeichnet

Was macht einen Roman aus, was macht einen Roman spannend, worum geht es in jedem Roman? Konflikte. Sie sind die Quintessenz, die Zutat, die einen Text erst zu einem Roman macht, jedenfalls einem lesenswerten.
Der Autor dieses neuen Ratgebers zum Kreativen Schreiben ist wohlbekannt und zu Recht hochgelobt für seine Bücher. In denen er anschaulich, nachvollziehbar, verständlich und vor allem gut lesbar zu speziellen Themen des Schreibens seine Tipps und Ratschläge gibt.
Viele seine Bücher geben Gesamtbilder, zeigen, was alles gutes Schreiben ausmacht. Viele jedoch, vor allem die letzten, befassen sich mit ganz gezielten, sehr begrenzten Bereichen, auf die es beim Verfassen guter Romane ankommt. Sei es die Erzählperspektive, sei es das Thema Spannung und Suspense oder wie hier in dem gerade neu erschienenen Band, das Thema Konflikte.
Sie sind das Salz in der Suppe, die Hefe im Teig, der Funke für die Spannung. Ohne Konflikt keine fesselnde Handlung, ohne Konflikt keine fesselnde Figur.
Mit vielen Vergleichen, vielen sehr aussagekräftigen Bildern bringt der Autor den Schreibenden nahe, wie wichtig, wie unverzichtbar Konflikte sind. Und welche Arten es gibt und wie sie Figuren, Spannung und Thema beeinflussen. Dabei ist es gerade die so anschauliche Erzählweise von Stephan Waldscheidt, die es schafft, dass man seine Bücher, so theoretisch sie doch eigentlich sind, verschlingt wie einen hochspannenden Thriller.
Er bringt das, worum es geht, auf einfache Formeln, die nachvollziehbar und gut verständlich sind. So wie das Konfliktdreieck aus Konfliktstoff, -umfeld und -auslöser. Wie bei einem Brandbeschleuniger müssen diese Zutaten in der richtigen Mischung zusammentreffen, um das „Feuer“, also die Spannung, zu erzünden.
Dabei zeigt er, wie ein Konflikt den Plot voranbringt oder vielmehr wie der Konflikt schlussendlich ja im Grunde der Plot ist. Er zeigt, dass Protagonisten Konflikte brauchen, um die Leser:innen zu binden, in ihnen Gefühle zu wecken. Und – worum es schließlich immer geht – sie dazu zu bringen, den Roman bis zum Ende zu lesen.
Waldscheidt schildert die verschiedenen Ebenen eines Romans und was für diese Konflikt bedeutet. Er zeigt, worin Konflikte liegen können, was ein Konflikt im Grunde ist, was er bewirkt und wie er – das wichtigste in einem Schreibratgeber – zu erschaffen ist. Er zeigt, dass Konflikte auf ganz verschiedenen Ebenen angelegt werden können, in der Vorgeschichte der Figuren, von außen oder von innen entstehen können, dass ein Konflikt den anderen beeinflusst und vieles mehr.
Der Autor geht sehr ins Detail, was naheliegend ist, wenn man sich einem begrenzten Thema widmet. Manches wird oft wiederholt, so dass man hin und wieder das Gefühl bekommt, die Informationen würden einem beim Lesen regelrecht eingehämmert. Dafür entschädigt immer wieder der Humor, der aus fast jedem Satz scheint. Hier lohnt es sich auch immer, unbedingt die meist herrlich komischen Fußnoten zu lesen.
Ein wieder rundherum gelungener Ratgeber zum Kreativen Schreiben, der zusammen mit den vorigen und hoffentlich weiteren Bänden ein umfassendes, fast unentbehrliches Werk bildet.
Stephan Waldscheidt - Feuer und Flamme
Independent, September 2024
Broschur, 288 Seiten, 19,99 €