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Lil

Bewertungen

Bewertung vom 01.07.2024
Mein geträumtes Leben
Arling, Julia

Mein geträumtes Leben


ausgezeichnet

„Mein geträumtes Leben“ ist das erste Selfpublisher-Buch, das mich von sich überzeugen konnte. Neben der Geschichte an sich (zu der ich gleich noch komme) und dem guten Handwerkszeug muss ich anmerken, dass es mir außerordentlich positiv aufgefallen ist, wie viel Mühe sich die Autorin offenkundig gab, um hier ein professionelles Werk abzugeben. Das Cover ist wunderschön und keins von diesen mit Gimp und Paint gemalten stumpfsinnigen 3te-Klasse-Niveau-Bildern, der Buchsatz ist sehr elegant und absolut einwandfrei zu lesen, man merkt dass dieser Geschichte ein Lektorat/Korrektorat zugute gekommen ist. Da mir durchaus bewusst ist, wie teuer diese Leistungen im einzelnen und in Summe sind und wie wenig Selfpublisher diese Kosten tatsächlich wieder reinholen können, wollte ich diesen Platz der Rezension dazu verwenden, das anzumerken und zu würdigen. Nun zu der Geschichte: Nach den groben Inhaltszusammenfassungen meiner Vor-Rezensenten war ich zugegebenermaßen zugleich neugierig und skeptisch, da es mir so schien als hätte die Autorin einige sehr schwerwiegende Themen aufgegriffen. Diese nicht nur in angemessen respektvoller sondern auch noch in angenehm nachvollziehbarer Form wiederzugeben, das gelingt nur sehr wenigen Autoren, egal ob Selbst- oder Publikumsverlag. Und ja, hier an dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich bisher gegenüber SP Autor/innen doch einige Vorurteile gehegt habe. Deshalb hat mich das Thema zwar durchaus gelockt, gleichzeitig habe ich der Autorin aber gleich von Anfang an nicht zugetraut, mich zu beeindrucken. Nun, was soll ich schreiben. Die Autorin hat mich nicht beeindruckt. Sie hat mich geradezu von den Füßen gerissen. Ich musste das Buch mehrfach unterbrechen und weglegen um den Inhalt in seiner ganzen Fülle und wahrhaftigen BEREICHERUNG wertschätzen zu können. Gleichzeitig konnte ich nie allzu lang warten. Auch wenn der Anfang etwas abschreckend wirken mag auch das ist einfach authentisch, denn ich könnte mir niemanden vorstellen, der in der Situation, in welcher die Protagonisten sich zu anfangs wiederfindet, nicht fundamental verzweifeln würde. Nichtsdestotrotz schafft es die Autorin die geneigte Leserschaft allein durch ihren großartigen Schreibstil wie sagt man doch bei der Stange zu halten. Bemerkenswert ist, dass der Stil auch bei solch ernsten, traurigen, tiefsinnigen Themen wie sie anfangs in diesem Buch zu finden sind, eine angenehme Frische und Lebendigkeit in das Gelesene hineinbringt, aber ohne die Ernsthaftigkeit abzuschwächen, im Gegenteil, er beflügelt geradezu beim Lesen. Und das ist mir wohl noch nie passiert. Dass ist beim Lesen gleichzeitig lachen und weinen wollte. Noch nie. Nicht einmal bei hochgefeierten ausgewählten Verlagsautor/innen. Der Vollständigkeit halber sei hier noch hinzugefügt dass es sich hier nicht um ein allzu schwermütiges Buch handelt - die meisten Szenen und Situationen des Buches sind ausgesprochen lebensbejahend, leichtfüßig, zum Teil subtil romantisch und ausgesprochen witzig. Es ist nur eben keine leichte Lektüre für Zwischendurch, diese Geschichte hat während des Lesens wahrlich die gesamte Aufmerksamkeit und geistige Kapazität des geneigten Lesers verdient. Die Protagonistin Cecilia ist für mich anfangs eine sehr undurchsichtige Person, was ich aufgrund ihrer Geschichte (dass sie in Grunde ja gar keinen Charakter hat sondern als unbeschriebenes Blatt aufwacht) absolut richtig und nachvollziehbar finde, es nur aber natürlich nicht leicht gemacht hat, sie zu greifen. Dadurch dass sie aufgrund ihres Zustands (unsichtbar und unhörbar) natürlich mit niemanden interagieren kann, erlebt man viel inneren Dialog und viel Gefühlsleben, was eventuell etwas überfordernd wirken könnte, wenn man die eher oberflächlich bleibenden Geschichten des Romantikgenres liest und liebt. Ich hatte ehrlicherweise auch kurz Angst, dass das Buch nun hauptsächlich aus Cecilias Leidensgeschichte und ihren Empfindungen darüber bestehen würde, doch die Autorin hat diese Situation sehr geschickt gelöst. Nämlich indem sie eine weitere Randfigur eingebracht hat. Und auch hier muss ich der Schreibenden angemessen begeistert zujubeln, ich war überaus angetan von der versteckten Bedeutung dieser Szenen. Treffen sich ein Geist und ein Obdachloser, was haben sie gemeinsam? Sie sind beide vollkommen außerhalb unserer Reichweite. Beide unsichtbar, doch bei zweiterem (dem Obdachlosen) ist dies unsere Schuld und nicht seine. Diese schwierige Thematik greift die Autorin wirklich brillant auf, sie wirft es den geneigten Lesenden geradezu ins Gesicht aber ohne einen Vorwurf, eher wie ein Appell. Die Geschichte von Euremis (und tatsächlich auch die Danksagung der Autorin) haben mich dazu gebracht, zum ersten Mal in meinem Leben einem Bettler einen Kaffee auszugeben - und dabei habe ich eine weitere interessante Geschichte gehört. Es ist also ein Buch das das Leben auch nach dem Lesen weiter bereichert.