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Klugscheisser
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Autor und freischaffender Künstler

Bewertungen

Insgesamt 17 Bewertungen
12
Bewertung vom 08.10.2024
Das Verhalten ziemlich normaler Menschen
Reilly, K. J.

Das Verhalten ziemlich normaler Menschen


ausgezeichnet

Bewegende und humorvolle Reparaturanleitung für zerbrochene Menschen

Der 17-jährige Asher wird mit dem ein Jahr zurückliegenden Unfalltod seiner Mutter nicht fertig. In gleich drei Trauergruppen lernt er Will kennen, der seinen kleinen Bruder verloren hat und die hübsche Sloane, deren Vater gestorben ist, die beide in seinem Alter sind, sowie den gefühlt hundertjährigen Henry, der über den Tod seiner Frau nicht hinwegkommt.

Zusammen machen sie sich auf einen Roadtrip nach Memphis auf. Vier, die an ihrer Trauer und ihren Schuldgefühlen zu zerbrechen drohen. Die drei Mitreisenden ahnen jedoch nicht, daß Asher die Reise nur unternimmt, da er vorhat, den LKW-Fahrer zu ermorden, der betrunken den Unfall verursacht hat, bei dem Ashers Mutter ums Leben kam.

Der gemeinsame Verlust lässt allmählich zwischen den Vieren eine tiefe Freundschaft entstehen, denn sie sind die einzigen, die die Trauer des anderen wirklich nachempfinden können. So gerät diese Reise zum Versuch mit der Verzweiflung und Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen und den Schuldgefühlen fertig zu werden. Andererseits werden durch Reize, denen sie auf der Reise begegnen, immer wieder beim ein oder anderen die traumatischen Erlebnisse hervorgerufen.

Doch wer jetzt glaubt, dass ihn, aufgrund der Thematik, ein zutiefst depressives Buch erwartet, der irrt gewaltig, denn die Autorin versteht es geschickt, den Roman durch den Ich-Erzähler des jugendlichen Asher durchgehend mit Humor und Situationskomik zu würzen. Auf dem Weg fühlen sich Asher und Sloane zunehmend zueinander hingezogen und scheinen zu beginnen, sich ineinander zu verlieben. Je näher sie Memphis kommen, umso mehr steuert jedoch das Geschehen auf eine emotionale und tatsächliche Katastrophe zu.

Noch nie habe ich bei einem Roman im gleichen Moment so viel geweint und gelacht, wie im letzten Viertel dieses Buches. Und Sie werden es auch tun !

In Japan gibt es die traditionelle Kunst des Kintsugi, bei der man zerbrochene Gegenstände wieder kunstvoll zusammenfügt. Dabei werden die Bruchstellen aber nicht kaschiert, sondern mit Gold, Silber und Platin bewusst betont und den Gegenständen so ein ganz besonderer Wert verliehen. Erst durch das Lesen dieses Buches habe ich erfahren, daß man das auch mit zerbrochenen Menschen machen kann.

Die Autorin K.J.Reilly ist studierte Psychologin und gibt uns einen profunden Einblick in das Innenleben und Fühlen von Menschen, die mit einem schweren Verlust zurechtkommen müssen. Sie versteht es vor allem auch aus der jugendlichen Perspektive zu schildern, locker und ohne jeden falschen Pathos, zu dem die Thematik verführen könnte. Dieses Buch ist keineswegs ein spezielles Jugendbuch und ich kann es nur jedem empfehlen, denn früher oder später wird man mit einer ähnlichen Situation im Leben zurechtkommen müssen.

Das Lesen der 352 Seiten dieses zutiefst bewegenden und gleichzeitig amüsanten Romanes vergeht wie im Flug.
Dieses Buch erschien in der Reihe Hanser bei dtv. Da dtv das Kürzel für den Deutschen Taschenbuch Verlag ist und somit Hardcover für ihn Tabu sind, hat er bei der Einbandgestaltung alle Register gezogen und ein Cover gestaltet, daß sich äußerst angenehm von den Mainstream Covern der Taschenbücher des Jahres 2024 abhebt.

Die seitengroßen Klappendeckel vorne und hinten sind mit einer wunderbaren Graphik allseitig dekoriert und mit Zitaten aus dem Buch versehen. Das Äußere des Buches gibt den Inhalt und das Wesen dieses Buches zutreffend wieder. Einziger Kritikpunkt ist die Wahl des Papieres. Um sich auch bezüglich der Dicke des Buches einem Hardcover anzunähern, hat man ein dickes, aber in meinen Augen zu minderwertiges, Papier gewählt.

Dieses Buch erhält von mir satte Fünf von Fünf Sternen und ist meine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung vom 18.09.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


weniger gut

Rechtfertigungsversuch einer psychopathischen Mutter

Mit dem reißerischen Titel „Kleine Monster“, dem passenden Umschlagbild und einem völlig überzogenen, auf Voyeurismus setzenden Klappentext werden hier interessierte Leser in die Falle gelockt. Wäre dies kein Buch, so würde das Produkt wegen Irreführung vom Markt genommen werden.

Der „unglaubliche Vorfall“ in der Schule entpuppt sich als harmlose, einvernehmliche, berührungslose und friedliche Banalität zwischen einem 7-jährigen Jungen und einem gleichaltrigen Mädchen.

Die völlige Aufklärung dieses Ereignisses, mit dem das Interesse geweckt wurde, hat bereits nach wenigen Seiten nur noch die Funktion als Aufhänger für die Betrachtung des psychopathischen Verhaltens von Lucas Mutter Pia zu dienen. Um den Leser bei der Stange zu halten wird ihm nun die Aufklärung des mysteriösen Ertrinkungstodes der Schwester von Pia in Aussicht gestellt und wie einem Hund die Wurst vor die Nase gehalten. Doch diese Wurst wird der Hund nie bekommen, denn die behält die Autorin am Ende für sich und setzt die Lesenden im letzten Kapitel, auf das alles zusteuert, vor die Türe und somit bleibt der Tod der Schwester unaufgeklärt.

Bis dahin muß der Leser eine Mischung aus Auto-Psycho-Analyse und Thriller über sich ergehen lassen in der er Zeuge werden muß, wie eine Mutter ihren Sohn tyrannisiert und traumatisiert.

Hierbei richtet aber die Autorin den Fokus ausschließlich auf die Motive und Befindlichkeiten der Täterin, während die Qualen des kindlichen Opfers verharmlost und bagatellisiert werden. Wenn man es genauer betrachtet findet hier sogar über weite Strecken eine rechtfertigende Täter-Opfer-Umkehr statt.

Dieses Büchlein wird sich ganz sicher glänzend verkaufen, da es nicht nur einer heutigen, sondern vermutlich auch künftigen Generationen von Müttern als Rechtfertigung dienen kann, sich überwiegend mit ihren persönlichen Befindlichkeiten zu beschäftigen und ihre etwaigen Unzulänglichkeiten damit zu rechtfertigen, anstatt sich liebevoll, beschützend und aufmerksam ihren Kindern zuzuwenden und diese als eigenständige mit Rechten ausgestattete Persönlichkeiten zu respektieren.

Bewertung vom 13.09.2024
Das Möbel-Handbuch
Ramstedt, Frida

Das Möbel-Handbuch


ausgezeichnet

Das Möbel-Handbuch von Frida Ramstedt

Hervorragender Ratgeber für Möbel und Einrichtung. Ein neues Standardwerk.

Ich kann mich kaum mehr erinnern, wann ich zuletzt ein neues Buch in Ganzleinen-Einband in Händen hielt. Das zeugt von hohem Qualitätsbewusstsein. Dass ich mich nicht getäuscht habe erkenne ich bereits nach wenigen Seiten.

Aufgrund der Tiefe mit der die Autorin die Thematik Möbel und Einrichtung behandelt dachte ich zunächst dieses Buch richte sich primär an Möbelhersteller und -designer. Doch schnell wurde mir klar, daß dieses Buch nicht auch, sondern geradezu für Jedefrau und Jedermann ist. Wenn man sich ein Wochenende Zeit nimmt, um dieses Buch zu studieren ist dies vermutlich das beste Zeitinvestment, denn mit diesem Wissen wird man sich im Laufe des Lebens Fehlkäufe im fünf- bis sechsstelligen Eurobereich sparen. Ganz zu schweigen von den gesundheitlichen Problemen aufgrund ungeeigneter Möbel, die man sich mit diesem Wissen erst gar nicht einhandelt.

Das Buch beginnt mit der Thematik der Anthropometrie und Ergonomie, die sich aus der Erkenntnis ergibt, daß Maße und Beschaffenheit unseres Körpers primärer Maßstab für Möbeldesign sein müssen.
Nachdem wir so für das Wesentliche sensibilisiert wurden, werden in einzelnen Kapiteln nacheinander systematisch die Sitzmöbel, die Tische, der Stauraum und die Betten in all ihren Aspekten anwendungsbezogen behandelt.

Danach folgt eine ausführliche Materialkunde: Holz, Stein, Verbundstoffe, Leder, Textilien, Metalle und Glas werden sehr tiefgehend in all ihren Arten und Aspekten, Eigenschaften und Verwendbarkeiten und Verwendungen im Möbelbereich beleuchtet.

Eine Zeitleiste beschreibt über mehrere Seiten hinweg den schwedischen Weg und die Entwicklung der Möbel „Von der Armut zur Ästhetik“.

in weitere Abschnitt ist vor allem für die planende Raumgestaltung wertvoll:
Themen wie Öffnungsradien, Durchgangsmaße, Bewegungsraum, Möblierbarkeit, Das Näheprinzip, Das ABL-Prinzip, räumliche Organisation, Axialität, Umhülltheit, Lichteinfall und Schatten lassen schon erahnen, was beim Einrichten alles zu beachten ist, daß wir uns in Räumen wohlfüllen und jeder dieser Aspekte wird praxisbezogen und für jeden verständlich erklärt.

Eine dreiseitige Erläuterung der Gütezeichen in der Möbelindustrie leistet hilfreiche Dienste.

Garniert sind alle Kapitel zudem mit guten Tipps und Tricks.

Dieses Buch könnte das moderne Standard- und Nachschlagewerk in Sachen Möbel und Einrichtung werden.

Dieses Buch erhält von mir selbstverständlich 5 von 5 möglichen Sternen.

Zur Autorin (Stand 2024): Frida Ramstedt, 1979 geb., ist eine schwedische, mehrfach ausgezeichnete Innendesignerin (u.a. the Elle Decoration Award für “Best Interior Design Blog”). Sie schreibt Skandinaviens größten Innendesign-Blog "Trendenser.se", den weltweit über 200.000 Follower pro Monat besuchen. Mit 200.000 Followern auf Instagram und über 3 Millionen Klicks pro Monat auf Pinterest gehört Frida zu den populärsten Innendesign-Influencern national wie international: Von Skandinavien über die USA bis nach Südamerika. Deutschland gehört zu den Top 5 Ländern, die Frida auf Pinterest and Facebook folgen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2024
Mitte des Lebens
Bleisch, Barbara

Mitte des Lebens


ausgezeichnet

Ein überaus kluges und feinsinniges Buch für Menschen jeden Alters !

Bei der „Mitte des Lebens“ geht Barbara Bleisch von einem Zeitraum aus, der sich vom Ende der 30er bis Anfang der 60er Lebensjahre erstreckt, also grob genommen die 40er und 50er Lebensjahre.
Die Autorin ist Jahrgang 1973 und mit Ihren bei Erscheinen des Buches 50 Lebensjahren so ziemlich genau in der von ihr definierten Mitte des Lebens. Sie wählt für das Leben die schöne Metapher einer Landschaft, durch die man seinen Lebensweg reist, mit all ihren Lieblichkeiten und Gefahren. Nach mehr oder weniger mühsamem Aufstieg stellt die Mitte des Lebens für sie ein Hochplateau dar, von dem aus man zurück und nach vorne blicken kann.
Ich nehme es gleich vorweg, die Mitte des Lebens kann, mit der richtigen Einstellung, eine Zeit der Fülle sein, wenn wir nicht der Versuchung nachgeben, in Anbetracht der entschwundenen Jugend, der „unwiederbringlich abgefahrenen Züge“ unseres Lebens und der Begrenztheit der uns noch verbliebenen Jahre, sowie der beginnenden Unzulänglichkeiten unseres Körpers in Jammern oder Resignation zu verfallen.
Erst in der Mitte des Lebens verfügen wir über „genügend Material des eigenen bereits gelebten Lebens“ um daraus etwas gestalten zu können und verfügen in der Regel über genug Lebenserfahrung, um den Erscheinungsformen des Lebens den ihnen gebührenden Stellenwert zu geben.
Barbara Bleisch ist Philosophin und so ist dieses Buch nicht nur Jedem und Jeder hilfreich , wenn irgendwann die Frage auftaucht „Soll das nun Alles gewesen sein?“, sondern es ist gleichzeitig ein hochphilosophisches Buch, das alle wichtigen Aspekte unseres Lebensweges betrachtet.
Auch die Teile der derzeitigen Jugend für die an oberster Stelle der Ausbildungsberufe eine Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte/r oder Bürokaufmann/frau steht und die verständlicher Weise in unruhigen Zeiten, ihren Fokus weniger auf Selbstverwirklichung, als auf Lebenssicherheit auszurichten scheinen, werden vermutlich von den Sinnkrisen der Lebensmitte eher verschont bleiben.

Obschon die Autorin betont, daß ihr Buch eben gerade kein Ratgeber sein soll, so ist es dennoch einer in dieser schwierigen Lebensphase, da es den Lesenden hilft, sich der Dinge bewußt zu werden und diese einzuordnen.
Wie nebenbei beschenkt uns die Autorin laufend mit großartigen Metaphern wie dem „zähen Morast des Alltags“ oder dem „braungrauen Gefühl einer existenziellen Einöde“ das uns in der Lebensmitte heimsuchen kann und Zitaten wie „.. das Strickstück des Lebens auftrennen, um aus dem Faden etwas Neues zu machen“.
Dies ist nicht einer der unzähligen Lebensratgeber, der sich beim Lesen so gut anfühlt, aber schnell verpufft ohne uns weitergebracht zu haben. Nein, dieses Buch ist nicht „leicht und bekömmlich“. Es ist anspruchsvolle Kost, ein Konzentrat, das erst durch eigene Reflexion verdünnt werden muß, um bekömmlich zu sein.



Veränderungen in der Mitte des Lebens sollten also wohl überlegt sein und man sollte in sich gehen, bevor man seine Altersvorsorge riskiert. Vor allem sollten die Überlegungen frei von jedem Prestigedenken und Geltungsdrang sein und sich nur auf die vermutete innere Bestimmung konzentrieren.

Das 241 Seiten umfassende Hauptwerk ihres Buches ergänzt die Autorin durch einen 27 seitigen Anhang mit Quellenangaben und interessanten Anmerkungen und Barbara Bleisch hat es in folgende Kapitel unterteilt:
1 In der Lebensmitte
2 Ende in Sicht
3 Reue, Bedauern und Ambivalenz
4 In den besten Jahren
5 Alles erreicht
6 War es das schon ?
7 Inmitten des Lebens

Diese Kapitelüberschriften geben schon Hinweis auf die wichtigsten Themen und Fragen die sich in der „Mitte des Lebens“ stellen und die im Buch beleuchtet werden.
Dieses Buch ist gehalt- und wertvoll. Es ist auch Lesenden zu empfehlen, die sich aufgrund ihres Alters noch nicht für die „Mitte des Lebens“ interessieren oder diejenigen, die sich schon jenseits der „Mitte des Lebens“ befinden. Es sollte ein lebenslanger Begleiter sein, den man immer wieder zur Hand nimmt um die eigene Positionierung zu überprüfen.
Mein ganz persönlicher Aha-Satz in diesem Buch ist folgendes Zitat:
„ Lebendig sein ist wichtig. Alles andere ist Zeitverschwendung“
Das Buch erhält von mir 5 Sterne (ich hätte auch mehr vergeben, wenn dies möglich wäre) und ist meine absolute Leseempfehlung. Für mich das bisherige literarische Highlight im Jahre 2024.
Ich hoffe, daß Barbara Bleisch uns künftig noch mit weiteren derart klugen und feinsinnigen Büchern beschenkt.

Bewertung vom 11.09.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


sehr gut

Wortgewaltige, fesselnde Beschreibung von Gewalt und Hoffnungslosigkeit im sozialen Brennpunkt. Ein literarisches Juwel.

In seinem zweiten Roman beschreibt der gebürtige Iraner Behzad Karim Khani, der mit seinen Eltern im Alter von zehn Jahren aus dem Iran nach Deutschland fliehen mußte, sein Aufwachsen in einem von Gewalt geprägten Problemviertel im Ruhrgebiet.
Dieses vergleicht er mit einem sich selbst überlassenen Aquarium aus dem es nur die Wenigsten heraus schaffen. Obwohl er dieses Aquarium der Gewalt, Lieblosigkeit und Hoffnungslosigkeit verlassen will, möchte er auch nicht Teil der Welt außerhalb des Aquariums sein, da er sich auch der Sphäre der „normalen“ deutschen Gesellschaft nicht zugehörig fühlt.
Und so möchte sich Reza, sein Alter Ego im Roman, in der Trennscheibe dieser beiden Welten einrichten und diese soll so dick wie möglich sein.
Genau genommen ist dieses Buch eine chronologische Aneinanderreihung von kleinen, oft nur wenige Seiten umfassenden Essays die schlaglichtartig das Leben von Reza und seine kriminelle Entwicklung beleuchten, bis er es mit zwanzig Jahren schafft, sich diesem Leben zu entwinden und nach drei Jahren harter Arbeit, seine neue Heimat in Berlin findet.
Die knappen Kapitel machen das Lesen kurzweilig und abwechslungsreich, wenngleich auch bisweilen tagebuchartig. Doch zeigt es mir, daß der Autor ein Gunstvoller ist, denn er schenkt uns Lesenden Beobachtungen, Erkenntnisse und Weisheiten in konzentrierter Form, manch anderer Autor hätte diesen Stoff auf 500 Seiten aufgebläht.
Wie mit einer Armbrust aus kurzer Distanz abgefeuerte Pfeile schlagen hier manche Worte und Sätze beim Leser ein. Als wolle uns der Autor mit Gewalt aus dem Sessel kippen, in dem wir es uns nur allzu bequem gemacht haben. So lesen wir teilweise mit offenem Mund voller Entsetzen ob der Gefühls- und Lieblosigkeit, ob der Gewalt einer Parallelgesellschaft. Und dennoch kann ich manche Zwangsläufigkeit wie, daß z.B. der Mangel an Markenklamotten und -schuhen direkt in die Prostitution führt, nicht als Automatismus anerkennen. Den Großteil der Gewalt, die in diesem Viertel quasi als Lebenseinstellung zelebriert wird, haben die dort Lebenden durch das Erlebte mitgebracht, sie ist nur teilweise auf das Verhalten der Gesellschaft außerhalb des Aquariums zurückzuführen.
Als Leser komme ich mir fast vor wie ein Boxer. Manche Sätze sind wie ein Schlag gegen die Brust, der mir den Atem nimmt, in den Magen und mich fast zusammenbrechen läßt oder voll auf die Zwölf.
Doch nicht alle Schläge treffen, manche Metaphern, Vergleiche, Wortschöpfungen sind nur angetäuscht, begeistern beim erstmaligen lesen, aber verpuffen, laufen ins Leere und sind bei näherer Betrachtung nicht zu Ende gedacht.
Doch schon lange habe ich mir nicht mehr so viele großartige Sätze, Wortschöpfungen und Metaphern aus einem Buch aufgeschrieben, um ihrer nicht verlustig zu gehen.
Die Eltern haben studiert, doch wird nur das Abitur der Mutter in Deutschland anerkannt und der Vater, Soziologe, muß den Lebensunterhalt nachts mit Taxifahren und tagsüber als Kioskverkäufer verdienen, kreist in sich selbst in der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Fragen wie dem Nationalsozialismus. Doch ein Dialog zwischen Vater und Sohn findet nicht statt.
Seltsam fremd untereinander kommt mir die Familie vor. Was sie im Heimatland erlebt haben, und woher die Gewaltbereitschaft des Sohnes kommt, bleibt im Dunkeln. Vieles bleibt im Dunkeln.
Doch auch Reza treibt die Frage um, in welchem Land er denn da nun gelandet ist und da möchte ich einen Satz zitieren, den er über Deutschland schreibt:
„Dieses Monster, das mal alles um sich herum zu töten versucht hat und jetzt in der Ecke sitzt und sich ritzt in der verlogenen, giftigen Hoffnung, dass ihn die anderen wieder zu sich rufen“
und noch einen Satz, der zeigt, wie er sich in diesem Land fühlt und sieht:
„ Wir sind Stacheln im Fleisch. Eindringlinge. Wo immer wir sind bildet der Körper Eiter um uns. Wir stecken im Körper und berühren ihn doch nicht „
Trotz seiner nur 192 Seiten ist dieses Buch wesentlich gehaltvoller als viele 600 Seiten umfassenden Romane, es wirkt stellenweise wie ein Konzentrat.
Dieser Roman ist ein ganz außergewöhnliches Stück Literatur und ich würde am liebsten 5 Sterne vergeben. Doch da kommt bei mir der Pädagoge durch, der nicht will, daß sich dieser großartige Autor auf fünf Sternen ausruht und der ihm zuruft „Du kannst noch viel, viel mehr. Du hast uns hier viel, aber nur einen Teil deines literarischen Talentes offenbart ! In Dir schlummert ein literarischer Vulkan auf dessen Ausbruch wir einen Anspruch haben !“
Dieses Buch ist meine unbedingte Leseempfehlung.

Bewertung vom 09.09.2024
Aus dem Haus
Böttger, Miriam

Aus dem Haus


ausgezeichnet

Aus dem Haus von Miriam Böttger

Der Roman „Aus dem Haus“ ist wie ein zielsicherer Schuss aus 1000 Meter Entfernung genau ins Schwarze. Und dieses Schwarze kann man nur als „Das Deutsche“ bezeichnen.

Mit kluger Ironie und einem gehörigen Schuß Sarkasmus beschreibt die ZDF-Journalistin Miriam Böttger in ihrem Debütroman ihre Eltern und analysiert und zerlegt dabei auch noch gleich die restliche Familie.

Dreh- und Angelpunkt ist das HAUS oder das Scheißhaus, wie es von der Familie bezeichnet wird. Dieses scheint ein Eigenleben zu führen und ist Sinnbild für das gefühlte Unglück der Familie.
Doch nicht das HAUS ist das eigentliche Problem, sondern dessen Bewohner, also die Eltern der Autorin, die mit ihrem urdeutschen Hang zur Morbidität und zum Jammern ihr objektiv im Wohlstand verbrachtes Leben schwarzreden und sich einem vermeintlichen Schicksal ergeben, dessen Ursache ausschließlich sie selbst sind.

Genuß, Freude, Liebe, wunderbar, herrlich, schön, gerne, ja, hell, friedlich, Danke, Segen, all das sind Wörter, die im Wortschatz dieser Familie nicht vorkommen. Deren jeweiliges Gegenteil jedoch in mannigfaltiger Ausprägung.

Doch kaum ist das Verhaßte verloren oder preisgegeben, wird es über den grünen Klee gelobt und schmerzlich vermißt und nun ob dieses Verlustes gejammert. In der Gegenwart aber hat sich alles immer gegen einen verschworen und man ist permanent unglücklich und den Gezeiten des Lebens hilflos ausgeliefert. Mit „Man hätte eben … „ beginnt jeder zweite Satz der Eltern.

Ich habe mich in meinen verschiedenen Lebensphasen sowohl in der Tochter, als auch teilweise in den Eltern wiedererkannt und denke, daß es vielen Lesern so gehen wird.

Mit langen Sätzen, die sich teilweise über eine halbe Seite erstrecken, hat mir die Autorin ein besonderes Lesevergnügen geschenkt, denn ich liebe derartige literarische Satz-Konstrukte. Vor allem, wenn diese so stilsichere und kluge Wort- und Satzschöpfungen sind, wie in diesem Buch. Diese hier sind der reine Genuß, wie eine wunderbare Melodie in Variationen.

Schade, daß es nur 220 Seiten hat, ich hätte noch ewig weiterlesen können. Beim Lesen so herzhaft gelacht habe ich schon lange nicht mehr. Ihr Sinn für Ironie und Sarkasmus ist einfach großartig und der Kontrast zwischen dem Thema und dem frischen Schwung mit dem sie schreibt äußerst reizvoll.

Ich habe dieses Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge gelesen, also mit der einzigen Haltung die uns eigentlich gegenüber dem Leben bleibt. Diesem lächerlichen Trauerspiel der menschlichen Existenz mit einiger Distanz die lustige Seite abzugewinnen, lehrt uns dieses Buch auf äußerst amüsante Weise. Und ich denke, auch Loriot würde dieses Buch lieben.

Ich hoffe, daß nun bald weitere Werke von Miriam Böttger erscheinen, fast wünsche ich mir, daß sie Ihren Job beim ZDF an den Nagel hängt.

Dieses großartige Debüt erhält von mir satte Fünf von Fünf Sternen. Es ist meine ausgesprochene Kaufempfehlung. Es ist auch ein ideales Geschenkbuch.

Bewertung vom 08.08.2024
Die Perserinnen
Mahloudji, Sanam

Die Perserinnen


ausgezeichnet

„Die Woche war eine einzige Cartoon- und Drogenparty gewesen, bis vor einer Stunde, als ich meine Tante Shirin gegen Kaution aus dem Gefängnis von Aspen holen musste, wo sie wegen versuchter Prostitution festgehalten wurde“

So beginnt der Roman und dies ist die umgreifende Klammer in der Ist-Zeit im Jahr 2009. Die Autorin schildert uns am Ende des Buches zwar noch den Prozeß, den Richterspruch allerdings enthält sie uns vor.

Die Iranerin SHIRIN Valiat verläßt mit ihrem Mann HOUMAN, ihrem Sohn MOHAMMED, ihrem Bruder NADER, sowie ihrer Schwester SIMA und deren Säugling BITA in den Revolutionswirren 1978 in letzter Minute den Iran in Richtung USA. Ihre sechsjährige Tochter NIAZ läßt sie, mehr ungewollt, als gewollt, bei ihrer Mutter ELIZABETH, der Großmutter der kleinen Niaz, zurück, ging man doch davon aus, daß man bald zurückkehrt, sobald sich die Lage im Heimatland wieder beruhigt hat. Zur Sicherheit hat jede der Exilantinnen etliche Millionen auf Schweizer Konten gebunkert und noch eine Handvoll Diamanten im Gepäck.

Nun aber schreiben wir bereits das Jahr 2009, Shirin ist mittlerweile 54 Jahre alt und wird im US-amerikanischen Nobelskiort Aspen der Anbahnung zur Prostitution verdächtigt. In 25 sich abwechselnden Kapiteln kommen nun Elizabeth, Shirin, Bita, Niaz und Sima zu Wort und schildern Kindheit, Jugend, Ist-Zeit und die Familienverhältnisse aus ihrer Sicht.

Abgestoßen hat mich verstörende Empathie- und Lieblosigkeit, die bei den Frauen dieser Familie vorherrscht und der grenzenlose Dünkel dieser Familie.

Diesen Frauen geht es in einer derart penetranten Art und Weise ausschließlich um das Aussehen und Äußerlichkeiten, daß nichts anderes mehr Thema ist. Ohne jeglichen Esprit, Geist oder Gefühl, von Mitgefühl ganz zu schweigen. Lesende werden gequält mit ständigen Beschreibungen des Aussehens, der Gesichtsgestaltung, Kosmetik, Kleidung, Accessoires, Schmuck, Modemarken etc. Natürlich, man kann als Autorin die ständige Beschäftigung der Protagonistinnen mit der Oberfläche des Körpers auch als Metapher für die Oberflächlichkeit ihres Wesens verwenden, doch die Intensität, mit der dies hier betrieben wird, deutet für mich darauf hin, daß es die Autorin nicht schafft, die nötige Distanz zu ihren Figuren einzulegen, was die Begeisterung für Äußerlichkeiten anbelangt. Die Männer werden in diesem Roman fast durchgehend als Witzfiguren dargestellt, Karikaturen ihrer selbst, meist tumbe übergroße Playmobil-Männchen und kaum der Erwähnung wert. Willkommen im Matriarchat der schlechten Art.

Selten hat mich Gelesenes so wenig berührt. Die Autorin ist teilweise sehr um Metaphern bemüht, die aber sehr gewollt und seltsam substanzlos ins Leere laufen, nur wenige treffen ins Schwarze. Überwiegend werden kurze Sätze oder Fragen bezugslos hintereinander gereiht. Ich befürchtete schon, daß sich sowohl der anspruchslose Schreibstil, als auch der belanglose Inhalt über die nächsten gut 300 Seiten von Teil II und Teil III fortsetzten.

Wir Menschen gewöhnen uns ja erstaunlich schnell an einen Umstand und so kann ich nun nicht mit Sicherheit sagen, ob es darauf zurückzuführen ist oder ob nun im II. und III. Abschnitt tatsächlich der Stil des Buches anspruchsvoller geworden ist.

Auch im II. Teil wird wieder in den Zeiten hin und hergesprungen, was dem Roman aber in keinster Weise Abbruch tut. Diese sich abwechselnden Kapitel aus verschiedener Sicht lesen sich sehr gut. Alle weiblichen Mitglieder der Familie erzählen in der Ich-Form, lediglich in den Kapiteln über Elisabeth weicht die Autorin davon ab. Warum, erschließt sich mir nicht. Obwohl dramatische und ihrem Wesen nach herzzerreißende Geschehnisse geschildert werden, bleibe ich von diesen auch im Rest des Buches seltsam unberührt.

Gegen Ende dieses II. Teils hält die Autorin für die Lesenden aber noch einen absoluten Knaller bereit, diesen werde ich aber nicht einmal andeuten, nur so viel sei verraten, es geht um familiäre Verhältnisse, es platzt quasi die Bombe.

Im III. Teil kommt dann die ganze Familie in der Ist-Zeit, etwa im Jahre 2009, in Amerika zusammen, um Shirin bei ihrem Prozeß zu unterstützen

Shirin, die Hauptfigur, ist das perfekte Stereotyp der reichen, verwöhnten, arroganten, geist- und empathielosen Orientalin. Natürlich gibt es diese auch in der US-amerikanischen und europäischen Ausführung, dann eher in blond. Würde man ihnen ihr Geld nehmen, hätte man vermutlich stinknormale Proleten vor sich. Umgekehrt funktioniert das natürlich auch.
Emotional berührt oder mit Erkenntnissen in Erstaunen versetzt wurde ich in diesem Roman nur an ganz wenigen Stellen.
Doch, eine Stelle hat mich zutiefst berührt, und zwar, als Elisabeth ihrer Enkelin Niaz gesteht, daß deren Mutter Shirin sie sehr wohl mit in die USA nehmen wollte. Ich wünschte die Autorin hätte auch an anderer Stelle des Romans mit derartiger Verve erzählt.“

Bewertung vom 02.07.2024
Warkiaptu
Sert, Hannes

Warkiaptu


ausgezeichnet

DIE PHANTASTISCHE WELT DER AUS DEM FENSTER GEFALLENEN - Spannend und klug !

David, die Hauptfigur, Mitte zwanzig, fällt besoffen aus seinem Fenster im vierten Stock. Er landet in Warkiaptu, einer Welt, in der seit Jahrtausenden alle Lebewesen ankommen, deren Fenstersturz tödlich endet. Da Gegenstände per se unlebendig sind, landet auch alles was sonst noch so aus dem Fenster geworfen wird in dieser Welt und diese ist also mit Vielem gut ausgestattet und technologisch relativ gut aufgestellt.

Einmal in Warkiaptu angekommen altert man nicht mehr und lebt ewig unverändert, sofern man nicht ermordet wird oder einen tödlichen Unfall hat.

Da sich in Warkiaptu Menschen aller Jahrhunderte tummeln, findet dort eine Einordnung und Bewertung geschichtlicher Ereignisse kaum statt und so sind z.B. Drogen mehr oder weniger freigegeben und auch ein SS-Mann kann sich ungeniert in Uniform in der Öffentlichkeit bewegen.

Die in Warkiaptu ankommenden Menschen verteilen sich auf fünf Bezirke, die den verschiedenen Epochen entsprechen und werden im Groben auch von den Menschen der entprechenden Zeit bewohnt, da sich diese unter ihresgleichen am Wohlsten fühlen.

David landet im 5. Bezirk, der überwiegend von Menschen unserer Zeit und des 20. Jahrhundert bewohnt wird.

Wie in jeder Gesellschaft ringen auch in Warkiaptu verschiedene Gruppierungen um Macht, Einfluß und Geld. Es steht ein großes Referendum an, in dem entschieden werden soll, ob die weitgehende Eigenständigkeit der fünf Bezirke durch eine Zentralmacht ersetzt wird.

Ziemlich schnell gerät der gutmütige und etwas gleichgültig dem Leben und den Menschen gegenüberstehende Vegetarier David zwischen die Fronten und unter die Knute des brutalen SS-Mannes Strohmüller. Da David neu in dieser Welt ist, weiß er nicht, wem er trauen kann, bis er die Polizistin Gudrun kennenlernt.

In der ersten Hälfte dieses klugen und philosophisch anspruchsvollen Romans liegt der Schwerpunkt weniger auf der Entwicklung der Handlung, als auf der Beschreibung der miteinander konkurrierenden politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen und deren zugrunde liegenden Weltanschauungen und mag für manche der Lesenden etwas anstrengend sein. Doch dann nimmt die Handlung Fahrt auf und die Spannung steigt bis zum Showdown, nur hie und da retardiert durch Ausflüge ins Philosophische.

Was die Hauptfigur David anbelangt, haben wir es durchaus mit einem Entwicklungsroman zu tun, was Warkiaptu anbelangt mit einem politischen und Gesellschaftsroman und der Frage wieviel und wie wenig Staat braucht der Mensch um sich frei entfalten zu können.

Mir hat der kluge, von feinsinnigem Humor durchzogene Stil des Autors sehr zugesagt. Die Grundidee ist großartig und durchdacht ausgestaltet. Mir persönlich hätte es etwas weniger Beschreibung der konkurrierenden Gruppen und ihrer Führer, sowie derer Intrigen und dafür etwas mehr Beschreibung des Alltagslebens in Warkiaptu im Detail sein können. Noch besser gefallen hätte mir dieses Buch im Hardcover.

Dennoch gebe ich diesem sehr empfehlenswerten Roman fünf von fünf Sternen, da hier eine großartige Idee klug und stringent umgesetzt und mit viel Philosophischem unterfüttert wurde. Fragen der individuellen Freiheit anhand einer phantastischen Welt. Wieviel Staat braucht der Mensch um in Freiheit leben zu können ? Fragen mit denen sich jeder von uns früher oder später beschäftigt.

Bewertung vom 17.06.2024
Wenn du schon hundert wirst, kannst du genauso gut auch glücklich sein
Kun Hoo, Rhee

Wenn du schon hundert wirst, kannst du genauso gut auch glücklich sein


sehr gut

In diesem schönen kleinen Büchlein gibt der emeritierte Arzt und Psychiater und Vater von vier Kindern wertvolle Tipps, wie wir mit der richtigen Einstellung das Beste aus Altwerden und Altsein machen.

Ohne rosarote Brille blickt der fast 90- jährige selbstkritisch auf ein beruflich fast zu ausgefülltes Leben zurück, das zu einem gerüttelt Maß auch aus Krieg, Gefängnis, Armut und Entbehrungen bestand und läßt uns an seinen Erfahrungen und Erkenntnissen teilhaben, die von Empathie und Menschenliebe getragen sind.

Dankbar sein. Sich und anderen verzeihen lernen. Neugierig bleiben. Nicht über Unveränderbares klagen und jammern. Und so vieles mehr ! Mein ständiger innerer Kommentar beim Lesen war „Klug und richtig, aber haben wir das alles nicht bereits irgendwo schon mal gehört.“ Doch genau das ist die Stärke dieses Büchleins. Hier doziert kein Zen-Meister, der die letzten zwanzig Jahre auf einer Bergzinne im Kopfstand verbracht hat, sondern ein ganz normaler Mensch mit seinen Alltagssorgen spricht über das Altwerden, das Altsein, den Tod und wie er mit der Angst vor ihm umgeht. Spricht aufrichtig von den Fehlern, die er im Leben gemacht hat und noch macht und wie der falsche Umgang mit Vergangenem und Gegenwärtigem verhindern kann, daß wir im Alter glücklich sind.

Doch nicht die Tatsachen, die wir nicht ändern können, sind es, die uns am Glücklichsein im Alter hindern, sondern unsere Einstellungen zu diesen Tatsachen. So wie es auch in jungen Jahren falsche Einstellungen waren, die uns am Glücklichsein hinderten, was entschuldbar war, denn es fehlte an Erfahrung.

Dieses Buch ist auf jeden Fall jedem ans Herz zu legen, der nach einem ausgefüllten, überwiegend auf den Beruf und die berufliche Stellung konzentrierten Leben, sich nun mit dem Verlust der beruflichen Wichtigkeit seiner Person konfrontiert sieht, der, in der Regel, mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben einhergeht.

Doch auch alle anderen werden von diesem Rezeptbuch fürs Glücklichsein im Alter profitieren, in dem von jedermann einfach anzuwendende Lebens-Rezepte für eine gute ehrliche Küche angeboten werden und keine philosophische Haute Cuisine oder esoterische Molekularküche.

Der Autor ist Süd- Koreaner und die koreanische Gesellschaft ist gerade erst dabei, die Ära der Kultur der individuellen Überarbeitung und langen Arbeitszeiten hinter sich zu lassen, insofern mag manches nicht so ganz auf die deutsche Lebenswirklichkeit zutreffen in der das Thema Work-Life-Balance ja bereits in den 1990er Jahren populär wurde. Doch gerade Führende auch bei uns würden vermutlich auch heute noch überwiegend von Work-Work-Balance sprechen. Unterschiede in gesellschaftlichen Gepflogenheiten der Koreaner und Europäer sind vorhanden, aber die Erkenntnis, wie man mit diesen umgehen sollte, damit sie uns im Alter nicht belasten, können die Lesenden problemlos auf ihre eigene Lebenswirklichkeit übertragen.

Viele von uns werden sich im Autor stellenweise wiedererkennen. In diesem Buch sind viele kluge Sätze und Erkenntnisse und manche Weisheit zu finden, aber nie aus dem Munde eines Meisters, sondern eines bescheidenen Menschen, der sich seiner Unzulänglichkeit bewußt ist.

Folgender Satz ist für mich ein Schlüsselsatz in diesem Buch:
„ Ich habe gelernt das Leben in seiner ganzen herrlichen Durchschnittlichkeit zu schätzen.“
Ich denke, das trifft den Nagel auf den Kopf und ist der Schlüssel zur Zufriedenheit. Egal ob im Alter oder in jungen Jahren. Denn alles jenseits der Durchschnittlichkeit ist teuer bezahlte Illusion, sofern es überhaupt existiert.

Noch zwei Sätze erlaube ich mir hervorzuheben :
„Wenn wir lernen, uns auf ein einfaches Leben einzulassen, kann uns das im Alter befreien.“
„Im Alter ist Einfachheit unsere beste Freundin“

Dies bezieht er auf alle Lebensbereiche, also auf das Materielle aber auch auf die Gestaltung von Beziehungen, die Abläufe des Alltags, die Gedankenwelt, usw.

Das Buch ist in fünf Abschnitte eingeteilt:
1. Die bittere Wahrheit über das Älterwerden
2. Die Welt ohne Bedauern verlassen
3. Geheimnisse für ein glückliches Leben
4. Die Vorteile des Alters
5. Ab heute glücklich und zufrieden

Das schön gestaltete 238 Seiten umfassende gebundene Büchlein ist mit einem Nachwort der Übersetzerin Suphil Lee Park versehen, welche die Übersetzung aus dem Koreanischen ins Englische vorgenommen hat.
Aus dem Englischen ins Deutsche hervorragend übersetzt von Sabine Schulte.

Das Buch ist eine Leseempfehlungen für Menschen jeden Alters.

Ich gebe diesem Buch vier von 5 Sternen.

Das Buch ist im Juni 2024 bei Rowohlt erschienen und kostet 20,- Euro.

Bewertung vom 21.05.2024
Mord im Antiquitätenladen
Lehnertz, Waldi

Mord im Antiquitätenladen


ausgezeichnet

Kurzweiliger Wohlfühl-Krimi nicht nur für Waldi-Fans
Für alle, die Waldi kennen, ist dieser Krimi sicher ein besonderer Genuß, denn bei Siggi, der Hauptfigur, sehen wir natürlich Waldi vor uns. Vor allem auch, weil dieser genauso spricht wie Waldi.
Doch nicht nur damit, Waldi hautnah erleben zu können , sondern auch mit einer spannenden Geschichte werden die Lesenden belohnt.
In seinem Antiquitätenladen entdeckt Siggi einen Toten, doch als die Polizei eintrifft ist dieser verschwunden und man glaubt ihm nicht. Doch ein rätselhaftes Stück Wandteppich hängt plötzlich neben dem Sessel, in dem Siggi die Leiche entdeckt hat. Nun muß Siggi vs. Waldi auf eigene Faust ermitteln. Hierbei hilft ihm die aus dem Nichts aufgetauchte attraktive Doro, die sich als Putzfrau bei ihm selbst einstellt und der befreundete Galerist Anton.
Mit diesem Buch kann man sich ein schönes Wohlfühl-Wochenende bereiten, denn die Story ist spannend bis zum Schluß und die lockere Schreibe ein Genuß. Das Setting der Welt des Kunst- und Antiquitätenhandels bereitet zudem interessante Einblicke für jeden Interessierten.
Gewürzt ist die ganze Geschichte mit viel trockenem Waldi-Humor, wie wir ihn auch aus dem Fernsehen kennen, mit dem Herz am rechten Fleck und nie um einen Kommentar verlegen. Über ein paar kleine Ungereimtheiten habe ich gerne hinweg gelesen.
Ich habe mich an meine Jugendzeit erinnert, als ich „Die Abenteuer der Schwarzen Hand“ und andere Jugendkrimis las. Mir hat’s riesig Spaß gemacht und für mich könnte es ruhig der Auftakt zu einer Reihe von Waldi-Krimis sein. Für die Hinzuziehung einer Co-Autorin gibt es hier nichts einzuwenden.
Meine Erwartungen haben sich voll erfüllt und daher gibt es von mir fünf Sterne.

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