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TEXTWORKER
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Bielefeld

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Insgesamt 2 Bewertungen
Bewertung vom 13.09.2011
Die Bradshaw-Variationen
Cusk, Rachel

Die Bradshaw-Variationen


sehr gut

Ernüchterung und fatale Folgen

Aus 32 Variationen über ein Thema besteht der Roman „Die Bradshaw-Variationen“ von Rachel Cusk. Darin stellt sich die Autorin der Herausforderung, ihr Anliegen dem Leser in Variationen näher zu bringen. Es geht um Lebensformen, die zerfallen und sich neu formieren. Im Zentrum steht die Frage, ob Kunst mit dem herkömmlichen Familienleben und den gewohnten Strukturen im bürgerlichen Leben in Einklang zu bringen ist.
Zunächst plätschern die Variationen recht munter vor sich hin. Schon drängt sich die Frage auf, ob man von 32 Variationen über ein Thema kontinuierlich Großartiges erwarten darf. Nachdem alle Bradshaw-Familien-Mitglieder (Brüder, Eltern, Schwägerinnen, Nichten und Neffen) und sogar die polnische Untermieterin Olga als Außenstehende von Rachel Cusk vorgestellt worden sind, denkt man als Leser: jetzt könnte mal etwas passieren.
Es tut sich was, natürlich, in der Liebe zur Musik, im Verhältnis zur Liebe, auch verändern sich die Dinge, die Identitäten, auch die Zuneigungen, das Selbstverständnis, es werden laufend neue Töne angeschlagen. Die wirklich starken Aussagen liegen tief eingebettet im Text. Es ist, wie es ist: Das Leben selbst verändert sich. Vor allem in den Beschreibungen der Innenwelt von Tonie und Thomas kommt dieser Wandel zum Ausdruck. Doch eine dramatische Entwicklung – sofern man sie denn erhofft - lässt noch auf sich warten.
Im Vordergrund stehen Thomas und Tonie mit ihrer Tochter Alexa. Sie haben ihr System Familie auf den Kopf gestellt, anders geordnet, die Rollen neu verteilt. Geht ihr Lebensmodell auf? Werden die Regeln des familiären Zusammenlebens missachtet? Schon bald stellen sich Reibungen ein, zeigen sich erste Verfallserscheinungen in der Beziehung zwischen Thomas und Tonie. Kunst und bürgerliches Leben vertragen sich eben nicht. Könnte man meinen. Doch so einfach ist es auch wieder nicht.

Die Abwandlungen des Themas sind überaus vielfältig, sie schlagen im Kopf des Lesers Wurzeln und treiben noch im Nachhinein neue Blüten, sofern man sich als Leser auf die Merkwürdigkeiten der Charaktere einlässt. In welcher Form gelingt ein Leben? Und wie bringe ich Familie, Beruf und Kunst unter einen Hut? Was passiert beim Rollentausch? Welche Erwartungen haben andere? Und warum beherrschen falsche Vorstellungen das Gefühlsleben?

Im Laufe der Zeit verändern sich nicht nur die Verhältnisse. Die Lebensmodelle der handelnden Personen werden auf eine harte Probe gestellt, sie machen einen Prozess der Wandlung durch. Wie auch das Klavierspiel von Thomas. Vor allem sind es aber die feinen Beobachtungen und distanzierten Betrachtungen, die den Lesegenus ausmachen. Und mit dem Abschluss der letzten Variation wird die Komposition für den Leser insgesamt stimmig. Das, was bislang für sich stand, die vielen kleinen Episoden, die Beziehungen, die Momentaufnahmen aus Kunst und bürgerlicher Gesellschaft, fügen sich jetzt zu einem grandiosen Gesellschaftsbild zwischen falschen Erwartungen, vagen Hoffnungen und riskanten Ansprüchen. Offen bleibt, wie immer im Leben, welche Lebensform für wen ein Gewinn, welche ein Verlust ist.

Die „Variationen“ sind es, die den Reiz des Buches ausmachen. Es ist ein lesenswertes Buch, erfordert allerdings Wachsamkeit und beeindruckt fortlaufend schon allein durch den Sprachstil der Autorin. In ihrem Tonfall herrscht eine prägnante und treffsichere Erzählweise, die sich nicht aufdrängt, aber doch durch die Kraft der Bilder Eindrucksvolles bietet. Zum Schluss ist alles offen. Wie im wirklich wahren Leben. Doch jede Figur hat im Rhythmus der Variationen eine Lösung für sich entwickelt. Und Kunst lässt sich für Thomas auch im „Trillern eines Vogels“ entdecken.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.06.2011
Chronic City
Lethem, Jonathan

Chronic City


gut

Ein Buch, das Spuren hinterlässt. Fantastisch geschrieben. Deshalb auch so gut zu lesen.
Allerdings hat das Buch einige Stellen, die ermüdend wirken. Das sind jene Dialoge, die nur von Insidern nachvollziehbar sind. Einschätzungen und Vermutungen, Begegnungen und Handlungen, die aber immerhin beim Leser auf Widerstand stoßen.

Zugegeben, es passiert nicht viel. Doch das ist eher nebensächlich. Darüber kommt man hinweg. Der Schluss ist beeindruckend. Dinge verändern sich. Die Realität wird langsam durchschaut. Die Veränderungen verändern auch gleich die Wahrnehmung der Figuren.

Fazit: Jonathan Lethem durchleuchtet Schein und Sein. Viele Szenen wirken nach. Im Kopf des Lesers. Das erst macht das Buch so reizvoll. Medien spielen eine große Rolle, auch das. Liebe ist teils virtuell, meist oberflächlich, wahre LIebe unmöglich. Für die Protagonisten ist die Welt um sie herum nicht mehr eindeutig zu durchschauen. Gedanken und Gefühle lassen sich in die Irre führen. Und was bleibt für den Leser? Zwar bleiben viele Fragen offen, doch man kann die gewünschten Textstellen zweimal lesen. Ein Vorteil gegenüber der Wirklichkeit.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.