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Benutzername: 
galaxaura
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 74 Bewertungen
Bewertung vom 05.01.2025
Women Living Deliciously
Given, Florence

Women Living Deliciously


sehr gut

Frauenpower meets Flowerpower

„Women living deliciously“, die Nachfolgerin zu „Frauen schulden dir gar nichts“, von Florence Given, erschienen 2024 bei KiWi, ist ein wundervoll empowerndes Buch, dessen großer bunter Blumenstrauß an Gedanken und Ratschlägen durchaus auch für Männer lesenswert ist, und wir wissen es ja eh: Vom Feminismus profitieren nicht nur weiblich gelesene Menschen!
Aufgemacht in besten Flowerpower-Look in knalligen Farben mit viel Pink und jeder Menge großartig ehrlicher Illustrationen von natürlich Florence Given selbst, macht dieses Buch einfach auf jeder Seite mega gute Laune und Hoffnung. Given unterteilt ihren Lebensretter in drei Abschnitte: Jäten, Pflanzen und Blühen. Es geht also ums Aufräumen, es geht ums Neue Wege Beschreiten und ums Wachsen und Ernten. Die Kapitel innerhalb der einzelnen Abschnitte sind kurz genug gehalten, um als Snack genossen zu werden, wann auch immer frau dafür Zeit findet.
Florence Given schafft es in ihrem Buch, die Wut, die viele Frauen so sehr zu Recht empfinden umzuwandeln in eine liebende und sich selbst gebende und gönnende Haltung, die das Leben umarmt. Es gibt zu viele kluge Sätze und Gedanken in diesem Werk, um sie alle aufzuzählen – aber das würde ja auch das Selbstlesen verhindern und selbst lesen: Sollte frau hier schon unbedingt! Vor allem das Kapitel „Kein Opfer“, in dem Given nachdrücklich klar macht, warum wir uns, gerne auch mit Angst, selbst durchweg an das Steuerrad unseres Lebensgefährts setzen sollten.
Einziges Manko ist die teilweise doch sehr pathetische Sprache und die Redundanz, wir folgen ein bisschen Givens Bewusstseinsstrom, was mich auf Dauer etwas ermüdet hat. Darum empfehle ich, das Buch snackend zu genießen in kleinen Happen, dann trägt die Redundanz wahrscheinlich nicht so auf. Given würde wahrscheinlich sagen „Ich bin halt viel und darf das sein!“ Recht hat sie! Ich habe viel mitgenommen auf der bunten Lesereise und fühle mich sehr gestärkt in meinen Gedanken. Das Buch bekommt auf jeden Fall seinen festen Platz in meinem feministischen Regalabschnitt.

Bewertung vom 04.01.2025
Die Komponistin von Köln
Meves, Hanka

Die Komponistin von Köln


sehr gut

Eine bewegendes Frauenleben aus der Vergessenheit geholt

Mit „Die Komponistin von Köln“, erschienen 2024 im Emons Verlag, legt Hanka Meves ihren ersten historischen Roman vor und lässt die Lesenden auf etwas unter 300 Seiten teilhaben am erstaunlichen Leben der Komponistin Maria Herz, die vollkommen zu Recht von Meves hier wieder ins Gedächtnis gerückt wird.

Hanka Meves beschreibt lebendig die Biographie und die großen Schwierigkeiten einer Frau in der Kunst im ausgehenden 19. Jahrhundert und hinein ins 20. und fängt dabei sehr gut die Stimmung und die Ereignisse dieser großen Umbruchszeit ein, eine Umbruchszeit für die Frauenbewegung, aber auch für die ganze Welt, denn natürlich kommen wir hier an den Weltkriegen und ihren Auswirkungen nicht vorbei, auch wenn Meves diesen Ereignissen keinen Schwerpunkt gibt. Sie fokussiert sich ganz auf das Leben und Erleben von Maria Herz und ihrer guten Freundin Franziska, zwei Frauen, wie sie von Kindheit an unterschiedlicher nicht sein könnten und doch verbunden im Kampf um Selbstsuche und Autonomie. Dicht arbeitet die Autorin die besondere Position der Frau in der Kunst heraus, das immer wieder verzweifelte Erarbeiten von einem Platz und Geltung, die bis heute unfaire Bewertung und Betrachtung von Kritik und Öffentlichkeit, die vielen Umwege, die Frauen gehen mussten und müssen, nicht zu vergessen der Faktor Care-Arbeit und Mental Load, der hier überdeutlich im Raum steht. Klug gewählt der Sidekick der Freundin Franziska, die ein ähnliches Leid auch in ihrem Leben erfährt, das deutlich angepasster und bürgerlicher ausfällt mit einer angestrebten Lehrerinnenkarriere, die dann doch lange ausmanövriert wird, da bis 1919 das Lehrerinnenzölibat gilt (kaum Auszudenken) und Franziska so erst ganz spät zu ihrer gefühlten Bestimmung finden kann – selbst da noch immer verunsichert durch die Männer, die gegenhalten gegen diesen neumodischen Kram, obwohl durch den Krieg ein Lehrermangel allerorten herrscht.

Dass Meves in Köln lebt, merkt man dem Buch an, souverän fängt sie das Lokalkolorit ein und kann die gewählten Orte detailliert beschreiben. Die Reise durch die zwei Jahrhunderte macht auch Station in England, Paris und Berlin, denn Maria Herz musste sich auch räumlich gekoppelt an ihren Ehemann viel bewegen. Wie sie bei all dem Reisen, Verändern und Unterstützen und unterbrochen von vielen Rückschlägen doch geschafft hat, ihren Lebenstraum Komponistin und Musikerin zumindest in Teilen zu verwirklichen, nötigt einem viel Respekt ab. Glaubwürdig schildert Meves die Anstrengung und die Zweifel, aber auch den notwendigen Egoismus und einen Blick, der nicht so weit über den doch auch privilegierten Tellerrand geht, was die Figur nicht immer sympathisch macht, aber ohne diese Egozentrik wäre sie auch kaum so weit gekommen. Im Kontrast dazu Franziska, die fast schon zu gutmütig, zu sehr bereit ist, sich um andere zu kümmern und ihre Interessen hintenanzustellen, so dass frau ihr aus dem 21. Jahrhundert laut zurufen möchte: Wach auf, kümmere dich um dich, du musst das nicht tun! Gut eingewoben die Babysteps, die Frauen Richtung Gleichberechtigung in dieser Zeit gehen, Berufsrechte, Wahlrecht, Entscheidungsfreiheit über kleine Dinge. Wir vergessen zu schnell, wie neu unsere selbstverständlichen Rechte noch immer sind, wie hart sie errungen wurden. Gut gezeichnet auch die dräuende Ankündigung des NS-Regimes und die zögerliche Anerkennung der Wahrheit, die Schwierigkeit zu handeln.

Die letzten Lebensjahre werden nur noch gestreift, hier hätte ich mir noch etwas Ausführlichkeit gewünscht, so kommt das Ende des Romans doch etwas abrupt. Und auch die Ehemänner erhalten nicht viel Tiefe, einerseits verständlich in einem Roman, der auf die Frauen fokussiert, andererseits wird so ihr Verhalten, das die Frauen zwar irgendwie machen lässt, sie aber auch nicht wirklich ernst nimmt und unterstützt, wenig nachvollziehbar. Wahrscheinlich gab die Datenlage nicht mehr her, aber hier hätte dann vielleicht etwas schriftstellerische Freiheit dem Roman noch etwas mehr Zug und Ambivalenz verleihen können.

Insgesamt liegt hier aber ein starker, gut recherchierter historischer Roman vor uns, der Maria Herz, ihr Leben, ihre Kompositionen und die vielen Frauen dieser Zeit wieder ins Leben und in die Erinnerung holt. Absolut lesenswert.

Bewertung vom 27.12.2024
Die blaue Stunde
Hawkins, Paula

Die blaue Stunde


ausgezeichnet

Brillanter Psychothriller-Pageturner mit Tiefgrund

„Die blaue Stunde“, nach dem unglaublich erfolgreichen Bestseller „Girl on the Train“ der neue Roman von Paula Hawkins, erschienen Anfang 2025 bei dtv, ist ein packender psychologischer Thriller, der die Spannung untergründig durchführt und sich neben den Abgründen, die in Menschen wohnen, auch mit der Rolle der Künstlerin in der heutigen Zeit beschäftigt, was der Story eine größere Dimension verleiht.

Auf der Oberfläche der Handlung geht es um einen Erbschaftsstreit: Die Künstlerin Vanessa Chapman, an Krebs verstorben, hinterlässt ihr gesamtes Werk überraschend der Fairburn Stiftung, überraschend deshalb, weil sie mit dieser zuletzt zerstritten war und alle Verbindungen gekappt hatte. Ihre Freundin und Nachlassverwalterin Grace gibt sich zögerlich beim Zusenden aller Werke sowie Notizen und Tagebüchern. Als nun in einem der skulpturalen Werke von Chapman ein menschlicher Knochen auftaucht, kommt eine Lawine ins Rollen, die weit flächendeckender ist als am Anfang erahnt.

Hawkins nutzt viele formale Mittel, um die Chronologie der Ereignisse aufzubrechen, Rückblenden, Zeitungsartikel, Briefe, Tagebucheinträge, E-Mails, Ausstellungskataloge bringen den Handlungsstrang immer wieder gelungen in Diskontinuität, so dass sich erst nach und nach ein Puzzle aus Vergangenheit und Jetzt-Zeit zusammensetzt. Die Schreibe ist gewohnt flüssig und dynamisch, Hawkins schreibt lebendig und detailreich, ohne je zu überfrachten. Die Charaktere sind greifbar und konkret, die Atmosphäre ist dicht gewoben, die Kargheit und Einsamkeit der Insel Eris, der Haupthandlungsort, ist jederzeit spürbar, genauso wie das Grollen von Eifersucht und Ehrgeiz, das unter der Handlung liegt und sich immer wieder in Unwettern, auch ganz realen, entlädt. Das Ende ist irgendwann einerseits erahnbar, in seinem Ausmaß dann aber doch sehr verblüffend.

Ein großer Pluspunkt ist die feministische Perspektive, die Hawkins bei der Betrachtung der Kunstwelt und auch der Welt generell einnimmt. Immer wieder webt sie geschickt und plausibel Anmerkungen in die Erzählung ein, die mehr als deutlich machen, wie sehr weiblich gelesene Menschen in der (Kunst-)welt noch immer viel härter um Erfolg kämpfen müssen als ihre männlich gelesenen Kollegen. Auch analysiert sie treffend die Überinterpretation von Kunstwerken, die manchmal schlicht aus einer Notwendigkeit geboren werden. Damit verleiht Hawkins diesem packenden Roman eine größere Dimension als sie sonst oft in Suspense-Prosa zu finden ist.

Unter allem wohnt auch eine große Liebe zu den einsamen Menschen dieser Welt, den vielleicht etwas skurrilen Menschen, die es nicht schaffen, einen Mainstream zu bedienen oder das vielleicht auch gar nicht wolle, den Verletzten, sozial ausgegrenzten, für die unsere Gesellschaft kaum Aufmerksamkeit übrighat. Hawkins verurteilt nicht, sie konstruiert ein folgerichtiges System des verletzten Hassens, in dem eine große indirekte Solidarität unter Frauen herrscht, die jede auf ihre Art gegen Misogynie kämpfen.

Ein Roman, der von der ersten bis zur letzten Seite begeistert und verdient erneut zum Bestseller werden wird. Volle Punktzahl für ein mehr als spannendes Leseerlebnis, das das Jahr 2025 perfekt eröffnet und die Messlatte hoch setzt.

Bewertung vom 26.12.2024
American Mother
McCann, Colum;Foley, Diane

American Mother


gut

Ein vielleicht nicht lösbarer Konflikt

„American Mother“, von Colum McCann und Diane Foley, erschienen 2025 bei Rowohlt, beschäftigt sich mit der Entführung, Geiselhaft und Hinrichtung des Kriegsjournalisten James Wright Foley in Syrien 2012-2014 – und vor allem mit dem emotionalen Kollateralschaden, den diese Entführung bei seiner in den USA zurückbleibenden Familie und hier insbesondere seiner Mutter Diane, der Co-Autorin des Buches, anrichtet.

McCann hält sich schriftstellerisch weitestgehend zurück und versucht, so scheint es, vor allem Diane Foley eine Stimme zu geben für diese Geschichte, die deren Leben in den letzten 15 Jahren vollkommen bestimmt hat. Das ist einerseits ein sehr nobler Zug von McCann, andererseits hätte dem Buch mehr Außenperspektive und analytische Einordnung sehr gutgetan.
Der Fall erzeugte seinerzeit großes öffentliches Interesse aufgrund eines viral gehenden Videos, in dem die Enthauptung Foleys als tragisches Finale seiner Entführung und Geiselhaft live dokumentiert wurde. Die Familie erfuhr von diesem Video durch Journalisten mit Interviewanfragen – eine Situation, die ganz sicher niemand so erleben sollte.
In „American Mother“ folgen wir über knapp 270 Seiten dem Erleben, der Erinnerung und den Gedanken und Fragen von Diane, der Mutter von James, und ihrem Hadern mit dem Handeln oder besser Nicht-Handeln der amerikanischen Regierung. Sie stellt vehement die moralische Frage, wer für zivile Journalisten, die sich als Freelancer in Kriegsgebiete begeben, um von dort zu berichten, Verantwortung übernehmen sollte und inwiefern es Aufgabe des Staates ist, hier schützend eine Hand über diesen Personenkreis zu halten.
Ausgang und Endpunkt des Buches ist eine Begegnung von Diane mit Alexanda Kotey, einem der Entführer von James, in der sie einerseits versucht, mehr Erkenntnis über die Motive der Entführer und James Zeit in der Geiselhaft zu gewinnen, andererseits in sich danach sucht, ob sie einen Weg finden kann zu vergeben. Diane ist äußerst christlich geprägt und ihr Glauben ist für sie eine wichtige Richt- und Halteschnur im Leben. Diese starke Gläubigkeit hat mich im Verlauf des Buches schon an Grenzen meiner eigenen Toleranz geführt, in Momenten, in denen Diane beispielsweise die Frage, ob James beten konnte, vor die Frage, ob er genug Nahrung bekam, stellt, konnte ich nicht mehr folgen. Andererseits eine attraktive Ausgangsituation, dass sich hier letztlich zwei fanatisch gläubige Systeme gegenüberstehen, die nur unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Dass dieses Fakt nicht ein einziges Mal analysiert und reflektiert wird, ist für mich ein großes Manko des Buches.
Diane stellt heraus, wie sehr sie die Zeit, die James in der Geiselhaft verbringt und ebenso die Zeit danach, versucht, möglichst keine Gefühle zu zeigen und die Fassung zu bewahren. Mich hat das verwundert, was mag ihr so wichtig daran sein, woran liegt es, dass sie Emotionalität so verdammt? Gerne hätte ich mehr über Dianes Leben erfahren, um ihre Reaktionen und ihren starken Glauben besser einordnen zu können, doch leider erfahren die Leser:innen hier nur sehr wenig.
„American Mother“ heißt das Buch – und genau als solche zeigt sich Diane für mich auch: Politisch naiv – aber sehr schützend und kämpferisch. Ihr Patriotismus ist eher eine Begründung bei der Suche nach individueller Hilfe. Großen Respekt habe ich vor ihrer Lösungsstrategie: Sie gründet eine Stiftung, die sich seither aktiv für in Geiselhaft geratene Menschen im Ausland einsetzt und schon viel bewirkt hat. Davor kann man nur den imaginären Hut ziehen.
Dieses Buch final zu bewerten ist sehr schwierig, weil es einen mit vielen Fragen an die eigene Ethik und Moral konfrontiert und die Bewertung unter Umständen massiv abhängig ist von den eigenen Urteilen, die wir fällen. Eine schriftstellerische Bewertung erscheint mir dagegen kaum möglich, weil ich den Eindruck habe, der Autor verschwindet bis auf wenige Stellen weitestgehend im Hintergrund, er geht in Diane auf. Sie formuliert in der Danksagung, er wäre ein Freund geworden – für mich stellt das ein Problem dar, denn diese Haltung ist einem Sachbuch oder auch einer Biografie nicht dienlich. Dem Buch fehlen Fokus und Einordnung, es fehlt an Reflektion und Objektivität. Der zugrundeliegende Fall und die ethischen Fragen, die dieser aufwirft, sind sehr spannend. Aber insgesamt konnte mich das Buch leider nicht überzeugen. Es bleibt daher für mich bei 3 Sternen und der Empfehlung, sich zusätzlich unbedingt die Doku „Jim Foley – Die Realität des Terrors“ begleitend anzuschauen.

Bewertung vom 08.12.2024
Die Tochter der Drachenkrone
Qunaj, Sabrina

Die Tochter der Drachenkrone


ausgezeichnet

Perfekt geglückter Reihenauftakt mit Suchtfaktor

„Die Tochter der Drachenkrone“, von Sabrina Qunaj, erschienen 2024 im Aufbau Verlag, ist der packende Auftakt zu einer neuen Reihe über die kämpferischen Zeiten im Wales des 12./13. Jahrhunderts – und lässt mich jetzt schon dringlich auf Band zwei warten. Für alle Fans von Rebecca Gablé ein Muss, denn von der Qualität der Recherche, des Schreibstils und des Plots befinden wir uns hier absolut auf Augenhöhe.

Im Zentrum des Geschehens steht die junge Fürstentochter Gwenllian, die Tochter der Drachenkrone, die nach dem Tod ihres Vaters immer wieder um ihre Unabhängigkeit und ihre Heimat kämpfen muss und geworfen ist zwischen die Loyalität zu ihrem Heimatland und den Briten, ihrer Familie, die immer weiter in Lager zerbricht und ihrer Liebe und damit einer neuen Gruppierung von Menschen und Volk. Wir folgen ihr in diesem Band von ihrer Jugend bis über die erste Lebenshälfte hinaus – so dass wir ihr im zweiten Band sicher noch wiederbegegnen werden.

Qunaj schreibt einfach großartig, sie bannt die Lesenden von der ersten Seite an und webt in eine durchgebundene, spannende und immer wieder mit Wendungen versehene, intensive Handlung sehr geschickt eine Menge historische Informationen über diese Zeit in Wales ein, ohne dass dieses jemals aufträgt. Die Figuren sind lebendig und identifikationsfähig, die Zerrissenheit zwischen Pflicht und Neigung wird immer wieder in allen Figuren sehr deutlich. Wie sehr das Land in seine Einzelteile zerlegt wurde, was Besatzermacht mit Menschen macht, wie hart und durchweg kriegerisch geprägt diese Zeit war, und wie Kinder und Frauen als Mittel zur Macht genutzt wurden mit hoher Grausamkeit – all das macht Qunaj mehr als deutlich. Es ist ein entpsychologisiertes Zeitalter, was man auch daran festmachen kann, wie schwer es den Figuren fällt, über ihre Gefühle zu sprechen. Dass Qunaj das mit ins Zentrum ihres Romans stellt, ist für mich ein großer Verdienst, zu oft wird hier in historischen Romanen die Gefühlsskala des 21. Jahrhunderts angelegt, was wenig glaubwürdig ist – eine Falle, die Qunaj souverän umgeht und uns dennoch beim Lesen ständig das Herz aus dem Leib reißt.

Gwenllian ist eine starke Frauenfigur mit einer seherischen Gabe, die aber die Handlung nicht dominiert, so dass es in dem Sinne kein phantastisches Element gibt, es ist eher gute Wahrnehmung, die diese Figur auszeichnet, was sie auch zum Dreh- und Angelpunkt prädestiniert. Dass Qunaj ihrer Heldin dennoch auch Schwächen zuschreibt und Fehler, macht sie zugänglich und komplex, was auch für die weiteren Hauptfiguren zutrifft. Hier ist niemand nur schwarz oder weiß. Dabei wird vor allem auch beleuchtet, wie mit mehr Macht auch mehr Verantwortung einhergeht – und dass Verantwortung zu Kompromissen nötigt und zu Handlungen und Entscheidungen, die man gar nicht so treffen möchte – im Sinne des Gemeinwohls aber muss. Ein wichtiger Aspekt, der immer wieder herausgearbeitet und so deutlich selten in historischen Romanen sichtbar wird. Das Thema der Fremdheit und der Vereinzelung von Gruppierungen innerhalb einer Bevölkerung, das Formen von Lagern und der Kleinkrieg untereinander, der eine Nation schwächt – leider wieder sehr aktuell.

Der Roman ist als Reihenauftakt in sich abgeschlossen und ohne Cliffhanger geschrieben – was ich sehr begrüße, das macht das Warten auf den nächsten Band sehr vorfreudig aber ohne Zeitdruck. Ein wirklich von vorn bis hinten gelungener erster Band, den ich schnell verschlungen habe und der genau das richtige Buch für packende Lesestunden ist. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 29.11.2024
Der längste Schlaf
Raabe, Melanie

Der längste Schlaf


ausgezeichnet

Alles andere als verschlafen

„Der längste Schlaf“, der neue Roman von Melanie Raabe, erschienen 2024 bei btb, ist ein intensives und packendes Leseerlebnis, ein Buch, das man kaum aus der Hand legen mag und das einem deshalb, entgegen zum Titel, komplett den Schlaf raubt.

Mara lebt in London und hat ein Problem: Schon seit ihrer Kindheit neigt sie zu intensiven und prophetischen Träumen. Träume, die sich vor allem um ein Thema ranken: Sie sieht den Tod von Menschen voraus. Dabei hat sie nie erlebt, dass sie in das Geschehen eingreifen könnte – und so sah sie sogar den Tod ihrer Eltern voraus, ohne ihn verhindern zu können. Inzwischen erwachsen leidet Mara unter massiver Schlaflosigkeit – was insofern ironisch ist, als dass sie beruflich über Schlaf forscht und niemand mehr über Schlaf weiß, als sie selbst. Inmitten einer neuen Phase verwirrender, kaum zu greifender Träume erreicht sie eine E-Mail aus Deutschland: Eine ihr nicht bekannte Person, Richard Conrad Hallberg, vermacht ihr als Erbe ein Herrenhaus in Limmerfeldt. Nach ihrem ersten Impuls, das Erbe abzulehnen, ist Mara, die gebürtig aus Deutschland stammt, dann doch zu neugierig und reist zurück in das Land ihrer Kindheit – wo eine ganz andere Reise beginnt, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellt...

Raabe schreibt von Anfang an dicht und atmosphärisch, die Charaktere sind greifbar und nahbar, eine zunächst subtile und dann immer stärker werdende Spannung zieht sich durch die Handlung, die sich in zwei verschiedene, auch durch die Schriftart abgesetzte, Handlungsstränge teilt: die Geschichte um Mara und die Geschichte um ein Geschwisterpaar, Kai und Lucy. Quantenphysik und paranormale Phänomene spielen eine zunehmend große Rolle – keine Sorge, Wissenschaft ist nicht vonnöten. Immer atemloser wird das Geschehen und immer näher rücken einem beim Lesen die Figuren, das Buch ist sinnlich und alles andere als papieren, Limmerfeldt saugt einen ein und man wird irgendwie Teil dieser kleinen Ansammlung von Häusern und Menschen. Der Schlaf, die Träume, die Erinnerung, das Leben, der Tod, das Dazwischen – all das Felder, die wohl jeden Menschen beschäftigen und die in diesem besonderen Roman ihre Wirkung entfalten dürfen. Dass wir uns dieser Welt und den Menschen mehr öffnen dürfen und daran reich werden können, ist eine leise Botschaft dieser irgendwie magischen Geschichte, die es schafft, am Ende alle Kreise perfekt zu schließen und dennoch Zukunft offen zu lassen. Ein Buch wie gemacht für eine lange schlaflose Nacht – oder einfach für ein ganz langes genüssliches Lesen. Es hinterlässt etwas Wehmut und Schmerz – aber auch ganz viel Liebe und Herrlichkeit.
Absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 26.11.2024
Das perfekte Grau
Jamal, Salih

Das perfekte Grau


sehr gut

Ohne zuerst bei sich selbst anzukommen, entdeckt man keine neue Welt

„Das perfekte Grau“, von Salih Jamal, erschienen 2024 bei btb, ist ein verblüffender Boat-Trip mit vielen soziologischen und philosophischen Einschüben, der durchaus als „Tschick für Erwachsene“ durchgehen kann. Salih Jamal gelingt über knapp 240 Seiten das Kunststück, weitestgehend die Waage zwischen Handlung und Gesellschaftsanalyse zu halten – und das mit einer mehrheitlich wirklich großartigen und besonderen Sprache.

Vier Outcasts des Lebens, Dante, Mimi, Novelle und Rofu, treffen jobbend in einem Hotel aufeinander. Jede dieser Personen für sich ist so eigen und sperrig, aber irgendwie gehen sie einem auch sofort ans Herz. Schräge, verschlossene Menschen, die offenkundig eine Geschichte mit sich herumtragen, die tiefe Wunden geschlagen hat. Nachdem es zu einem Zwischenfall kommt, machen die vier sich als Zweckgemeinschaft auf den Weg, egal wohin, vor allem weg. Als Fluchtfahrtzeug dient ihnen ein geklautes Boot und je weiter die Reise geht, desto mehr verschränken sich ihre Gedanken, Seelen und ihr Reiseziel. Erzählt aus der Ich-Perspektive von Dante erleben wir von Anfang an eine morbide Stimmung, die sich natürlich immer mehr als das Innen der Figuren erklärt. Gepaart ist diese Stimmung aber mit sehr viel Humor. Einfach ein gelungener Mix.

Während der lesende Mensch dem bunten Quartett auf seiner Reise folgt, beglückt der Autor mit vielen sehr wahren Gedanken über das Leben und die Schwierigkeiten, die dieses mit sich bringt. Ich fand viele gesellschaftlich-philosophische Ansätze, die ich teile oder die noch einmal etwas zusammenfassen, was ich ähnlich sehe, aber noch nie so gebündelt gelesen habe. Beeindruckend genau hingeschaut. Manchmal waren es mir allerdings fast zu viel Gedanken, es ist ein bisschen so, als würde wirklich jeder Handlungsmoment für eine soziologische oder philosophische Ausweitung genutzt. Ähnlich verhält es sich mit der literarischen Qualität, auch hier übertreibt der Autor manchmal und benutzt dann fast in jedem Satz noch ein Sprachbild, noch eine Analogie, noch eine Ladung Adjektive – so dass die Sprache manchmal ins schwülstige abrutscht. Da drängte sich mir der Vergleich zu Hermann Hesse auf – was einerseits unbedingt die besondere Qualität betonen soll, andererseits aber auch die Ausschweifung beinhaltet.

Problematisch im Buch sind leider auch misogyne Äußerungen, Bodyshaming, unmotivierte Gewalt. All das ist Teil der Realität und ergibt auch Sinn, da wir aus einer bestimmten Perspektive auf das Geschehen schauen. Es hätte mich aber gefreut, wenn eine andere Figur dieser Perspektive etwas entgegengesetzt hätte. Zumal der Autor an anderer Stelle verblüffend sensibel ist, ich habe glaube ich noch nie eine durch eine männlich gelesene Person geschriebene, so gute Beschreibung der Bedrohung und Gewalt gelesen, der weiblich gelesene Menschen in unserer Welt von Kind auf ausgesetzt sind.

Nach einer umfassenden Reise durch das Innen und Außen findet das Buch neben Freundschaft auch ein sehr ungewöhnliches und für mich genau passendes Ende. Es geht viel und in vielen Facetten um Identität in diesem Roman. Die Reise zu dieser ist immer auch eine Lebensreise. Ohne zuerst bei sich selbst anzukommen, entdeckt man keine neue Welt, so wird es an einer Stelle auf der Reise des Quartetts gesagt. Salih Jamal hat viel Welt in sein perfektes Grau geladen, viele wunderschöne Farben, die sich dort drin verbergen und entdeckt werden können. Ein ziemlich gutes Buch, das sich zu lesen lohnt! Vor allem sprachlich und soziologisch-philosophisch über weite Strecken beeindruckend mit wenigen Ausreißern.

Bewertung vom 17.11.2024
When Women were Dragons - Unterdrückt. Entfesselt. Wiedergeboren: Eine feurige, feministische Fabel für Fans von Die Unbändigen
Barnhill, Kelly

When Women were Dragons - Unterdrückt. Entfesselt. Wiedergeboren: Eine feurige, feministische Fabel für Fans von Die Unbändigen


gut

Und wenn wir doch einfach losfliegen würden?

„When Women Were Dragons“, der neue Roman von Kelly Barnhill, auf Deutsch erschienen 2024 bei Cross Cult, bringt uns dem Matriarchat einen kleinen Schritt näher und zeigt dabei in einer nur scheinbar phantastischen Geschichte, in was für einer Fesselung weiblich gelesene Menschen in der heutigen Welt jeden Tag nach wie vor stecken.

Alex Green wächst als junges Mädchen in einem eindeutig patriarchalen System auf, in der ihre Zukunft klar vorgezeichnet ist: Heiraten, Kinder bekommen, einem Mann zur Seite stehen. Dass sie die Schule besuchen darf – eigentlich unnötig, dass sie naturwissenschaftlich hochbegabt ist – geschenkt. Viel zu früh in ihrem Leben erkrankt ihre Mutter an Krebs und wird durch ihre Tante Marla ersetzt. Doch als es 1955 zum Großen Drachenwandelns kommt und xxx Drachinnen in den Himmel steigen, verschwindet auch Tante Marla – zurück bleibt deren kleine Tochter Beatrice, die zu Alex Schwester wird. Über die Drachinnen wird zuhause geschwiegen. Die gesamte Gesellschaft versucht, das Ereignis zu ignorieren – auch als immer wieder und immer mehr Drachenwandlungen auftreten, während Alex immer mehr Verantwortung für Beatrice übernehmen muss und zeitgleich um ihren Platz in der akademischen Welt kämpft.

When Women Were Dragons ist ein eindringliches Buch über das Potenzial des Matriarchats, über die Frage, was mit der Welt wohl passieren würde, wäre sie nicht männlich, sondern weiblich regiert – und, da bin ich mit der Autorin einig: Die Welt wäre eindeutig ein besserer Ort. Klug zeigt Barnhill auf, an wie vielen Punkten weiblich gelesene Menschen von außen wie von innen überreglementiert und unterdrückt werden – und dass nur die Wut uns befreien kann. Wenn wir sie denn zulassen.

Das Buch erzählt lebendig und emotional, es schafft eine komplexe und doch zeitlich sehr nahe phantastische Welt. Durch eine zweite wissenschaftliche Ebene, das eingebundene Werk „Eine kurze Geschichte der Drachinnen“, können charmant zusätzliche analytische Informationen eingestreut werden. Der Kampf der Frauen um ihre Freiheit und Schwierigkeiten, sich für diese und die Konsequenzen zu entscheiden wird durch die Wandlung sehr deutlich. Barnhill stellt viele kluge Fragen über unsere Zeit, ohne dabei belehrend zu sein.

Leider ging es mir jedoch so, dass insgesamt viel zu weitschweifig erzählt wird und das Buch für seine knapp 500 Seiten mit zu wenig Handlung aufwartet. Es verfängt sich in redundanten Gedankenkreisen und kommt vor allem im ersten Drittel eigentlich gar nicht in den Gang. Was sehr schade ist, da ich die Grundidee wirklich hervorragend finde und viele Gedanken sehr teilen konnte – dennoch musste ich immer wieder pausieren, weil einfach kein richtiger Lesesog aufkam. Ich hätte mir auch gewünscht, dass das Thema weibliche Wut genauer herausgearbeitet wird, insgesamt blieb mir das Buch zu allgemein und dadurch etwas harmlos. An einer Stelle im Buch wird gesagt: „Sie müssen die Kleine im Auge behalten, sonst wachsen ihr eines Tages noch Flügel und sie fliegt davon.“ Dieses starke Bild für patriarchale Unterdrückung hätte ich gern mit mehr Details im ganzen Buch erlebt, genauso wie ich gerne mehr darüber erfahren hätte, wie die Drachinnen nach ihrer Wandlung leben, was genau für sie Freiheit ausmacht. Und auch die im Buch eingeführte Knotenmagie wird leider nie entziffert – was für mich auch ein großes Manko ist.

Ein starker Ansatz also, der sich leider in sich wiederholenden Endlosschleifen verheddert, ohne in die Tiefe zu gehen. Ich hatte mir mehr von diesem Buch erwartet, mehr Mut, mehr Radikalität. Das Patriarchat wird nicht mit sanften Worten aufgehoben werden, im Gegenteil, es ist gerade wieder im Aufwind. Wenn wir dem etwas entgegensetzen wollen, müssen unsere Drachinnen Feuer speien, nicht nur Kerzen anzünden.

Bewertung vom 09.11.2024
Balaclava
Jefferys, Campbell

Balaclava


gut

Kluge Gesellschaftsanalyse mit Action, der etwas Reduktion gutgetan hätte

„Balaclava“, von Campbell Jefferys, erschienen 2024 bei Ripple Books, ist ein kluger Roman, der, geschrieben von einem Australier, eine verblüffend gute Gesellschaftsanalyse des Ist-Zustandes in Deutschland bietet, es dabei an Action auch nicht vermissen lässt, dem aber insgesamt eine erhebliche Straffung und klarere Auswahl der zu behandelnden Themen bestimmt sehr gutgetan hätte.

Das intelligente Cover umschließt fast 550 eng bedruckte Seiten, die einem leider dank schlechter Bindung zunehmend auch entgegenkommen beim Lesen, und die mir ein Leseerlebnis beschert haben, dass sich immer wieder sehr wie Arbeit angefühlt hat, was einerseits am mangelnden Lesekomfort, andererseits an einfach zu viel Inhalt gelegen hat.

Wie fasst mensch dieses Buch grob zusammen? Die Polizistin Mara kehrt nach üblen Vorfällen in Berlin als Undercover Agentin in ihre Heimat Hamburg zurück, wo sie schnell wieder in die linke Szene eintaucht, der sie ehemals angehörte und, ab von ihrem eigentlichen Auftrag, auf die Suche nach ihrem verschollenen Bruder geht, den sie vermeintlich auf einem Video unter einer Balaclava erkannt haben will. Von diesem Punkt aus entspinnt sich eine wahre Odyssee, die Mara quer durch Deutschland und darüber hinaus jagen lässt und in der sie immer mehr auch zur Gejagten wird.

Jefferys schreibt klug, mit erstaunlicher Ortskenntnis für einen Australier und analysiert unser Land, unsere Gesellschaft, unseren Zeitgeist treffsicher und erschreckend. Wohin unsere Gesellschaft gehen kann und wird, wenn sich die Fronten weiter so verhärten und der ignorante Rechtsruck sich weiter breitmacht, ist in diesem Buch ganz deutlich zu spüren. Hier und da liegt er dann doch mal daneben, z.B. das Wahlverhalten der jungen Generation imaginiert er vollkommen falsch, aber 99 Prozent des Buches sind schmerzhaft wahr.

Dabei streift Jefferys viele Themen neben der Protestkultur und dem Klimawandel, jedes einzelne hat absolut seine Berechtigung und kann, muss, sollte besprochen werden – alle zusammen in einem Buch sind aber einfach zu viel. Was mich begeistert hat: Jefferys schreibt feministisch, gut feministisch, glaubhaft feministisch, was ich sehr ungewöhnlich finde von einem männlich gelesenen Autor, ist mir in dieser Qualität noch nicht begegnet.

Wenn man es über die ersten 70 Seiten hinausschafft, die etwas sehr namens- und infolastig sind, steigt die Handlungsorientierung und streckenweise befinden wir uns fast in einem Politthriller. Leider aber geht dem Autor am Ende die Luft aus und er schreibt nach vielen dramatischen Wendungen ein schnelles Happy End herbei – das für mich keine Glaubwürdigkeit hat und auf einmal auch all die vielen Themen einfach dropped. Nichts ist wirklich besser geworden – aber irgendwie sind auf einmal alle zufrieden. Das hat mich sehr unzufrieden zurückgelassen, weshalb ich dem Buch nicht mehr als 3,5 Sterne geben kann – auch wenn ich mir wünsche, dass sich ganz viele Menschen mit den Themen des Buches auseinandersetzen – für eine bessere Welt! Etwas langen Atem braucht es für dieses Buch – aber für die Weltverbesserung ja auch.

Bewertung vom 08.11.2024
Frevel
Kain, Nora

Frevel


ausgezeichnet

Spannung pur und starke Figuren im historischen Frankfurt

„Frevel“, ein historischer Thriller, erschienen 2024 bei dtv und geschrieben von Nora Kain, laut Verlag ein Pseudonym für eine deutsche Bestsellerautorin, wartet auf jeden Fall mit Bestsellerqualitäten auf und ist ein hervorragender – ich würde eher sagen Historienkrimi, der mit Atmosphäre, großartig gestalteten Figuren, einer spannenden Story mit so einigen Plottwists und genau der richtigen Dosis Zeitkolorit besticht und bestens unterhält.

Situiert in Frankfurt am Main im Jahr 1800 geschehen in kurzer Abfolge mehrere bestialische Morde und die Spur von Zeitungsredakteur Johann und, eine tolle feministische Figur, Rechtsmedizinertochter Manon führt immer mehr in eine Richtung, die nach allen Gesetzen der Logik einfach nicht sein kann. Und bei ihren Nachforschungen geraten die beiden immer mehr selbst in Gefahr.

Kain schreibt flüssig und schwungvoll, mit einem guten Maß an Humor und einer immer guten Spannungskurve, die einen beim Lesen nie loslässt. Ich liebe den Eröffnungssatz des Buches: „Ich darf mich nicht übergeben, dachte Johann verzweifelt.“ Der setzt schon gut den Ton und zeigt etwas, was den Thriller sehr ausmacht: Die Hauptfiguren haben charmante Schwächen. Johann hat seinen Magen einfach nicht im Griff und Manon ihre Zunge genauso wenig. Das führt immer wieder zu herrlichen Situationen inmitten des aufregenden Geschehens um die Morde. Souverän bindet die Autorin in dieses auch Themen aus der Zeit ein, den Judenhass, den großen Aberglauben, der herrschte und absurde Blüten trieb, die Rolle der Frau, die Grausamkeit in Gefängnissen, um nur einiges zu nennen. Das geschieht ganz selbstverständlich, ohne dass Kain ihren Handlungspfad dafür verlassen muss. Und auch Frankfurt wird wunderbar beschrieben und mit kleinen historischen Informationen und Anekdoten lebendig gemacht.

Besonders gut aber hat mir gefallen, dass es immer wieder für mich unvorhersehbare Wendungen gab, die aber plausibel waren und wirklich herzuleiten aus dem Geschehen. Das macht für mich einen guten Thriller aus. Dieser war für mich deshalb eher ein Krimi, weil es doch sehr klar um den Kriminalfall geht und auch wenn das Tempo hoch war, ist es doch nicht atemlos, die Spannung ist wirklich gut gearbeitet, lässt einem aber immer Zeit zum Denken und Fühlen. Darum stimmt das Genre für mich nicht ganz – was aber nichts an einer Top-Bewertung und absoluten Leseempfehlung ändert. Ein auf allen Ebenen gelungenes Buch! Ganz großer Pluspunkt noch, dass die Autorin am Ende nicht auf der Erfüllung einer sich anbahnenden Romanze besteht, sondern die starke Manon, die ein so großartiger Charakter ist, in die Freiheit führt und ihr somit ihre Stärke wirklich lässt. Das habe ich so lange nicht gelesen und das hat mich wirklich begeistert. Also schnell einen Tee kochen und das Buch dann an kalten Abenden ganz wunderbar in einem Rutsch verknuspern.