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Top-Rezensenten Übersicht

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Bücherfreund54
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Detmold

Bewertungen

Insgesamt 19 Bewertungen
12
Bewertung vom 05.09.2024
Das Wesen des Lebens
Turpeinen, Iida

Das Wesen des Lebens


sehr gut

Lehrreich
Der Roman "Das Wesen des Lebens" von Iida Turbinen ist keine große Literatur, stellt aber auch meiner Meinung nach gar nicht den Anspruch darauf.
ich würde auch nicht von einem Roman im eigentlichen Sinn sprechen, sondern von einem Crossover zwischen einem Sachbuch und einer fiktiven Geschichte.
Erzählt wird die Geschichte von Stellers Seekuh, einer ausgestorbenen Seekuh im nördlichen Pazifik, in drei Etappen: die Entdeckung der Seekuh im Jahr 1741 und die Darstellung ihres Aussterben, dem Auffinden eines Skeletts im Jahr 1859 und die Restaurierung dieses Skeletts im Naturkundemuseum Helsinki im Jahr 1952. Die Darstellung dieser drei Etappen lässt sich überprüfen, sie entsprechen den historischen Fakten.
Fiktiv dagegen ist die Charakterisierung der an der Handlung wesentlich beteiligten Personen: Georg Wilhelm Steller, Johan Hampus Furuhjelm, Alexander von Nordmann, Hilda Olson, John Grönwall. Sie alle werden als enthusiastische Naturforscher dargestellt, die von Idealismus angetrieben werden.
Insgesamt ist der Roman ein Plädoyer, die gegenwärtige Ausrottung der unterschiedlichsten Tierarten zu stoppen.
Eine Leseempfehlung für alle, die sich für Naturhistorie und Naturschutz interessieren. Der Roman ist spannend geschrieben.

Bewertung vom 04.04.2024
Lichtjahre im Dunkel
Ani, Friedrich

Lichtjahre im Dunkel


ausgezeichnet

Eher langweilig
Friedrich Ani ist dafür bekannt, dass seine Krimis keine Thriller sind, sondern Charakter-und Milieustudien liefern. Dies ist auch in seinem neuen Roman „Lichtjahre im Dunklen“ der Fall. Es geht um vier „Looser“, die aufeinandertreffen. Spannung soll nicht dadurch entstehen, dass der Leser versucht, den Fall zu lösen, sondern dadurch, dass er seinen Augenmerk auf das Warum der Tat legt.
Leider sind die vier zentralen Romanfiguren sehr eindimensional angelegt. Sie sind Looser und bleiben Looser, keine Chance. Und, so habe ich es empfunden, sie weisen so gar nichts auf, was sie ansatzweise dem Leser sympathisch machen könnte. Dass man Looser auch so gestalten kann, dass trotz allem, was sie abstoßend macht, der Leser mit ihnen fühlt, hat Heinz Strunk in seinem großartigen Roman „Der goldene Handschuh“ gezeigt. Das gelingt Ani nicht.
Ärgerlich ist der Klappentext, der einen völlig falschen Eindruck von der Romanhandlung weckt. Die beiden Ermittler spielen nämlich eine untergeordnete Rolle in dem Roman. Richtig allerdings ist, dass der Detektiv Süden „alle Fäden in der Hand hält“. Das betrifft allerdings nicht die Aufdeckung der Tat (s.o.), sondern er ist der Erzähler der Handlung, was aber erst sehr spät deutlich wird.
Ich kann für den Roman keine Empfehlung aussprechen.

Bewertung vom 25.03.2024
Der Lärm des Lebens
Hartmann, Jörg

Der Lärm des Lebens


weniger gut

Überflüssig
Eine Bemerkung zuvor: Ich kenne Jörg Hartmann als Darsteller des Tatort-Kommissars Faber und ich schätze seine schauspielerische Leistung sehr. Sein Buch allerdings schätze ich überhaupt nicht.
Dass Schauspieler ihre Memoiren schreiben, ist schon seit längerem gang und gäbe. Dabei gibt es Schauspieler, die wirklich etwas zu erzählen haben. Ich nenne als Beispiele die Trilogie von Joachim Meyerhoff oder das Buch von Edgar Selge „Hast uns endlich gefunden“. Beide berichten sprachsicher Begebenheiten aus ihrem Leben, die mehr als individuelle Relevanz haben.
Jörg Hartmann dagegen hat m.E. nichts zu erzählen, was von überindividueller Relevanz wäre. Beworben wird der Roman damit, dass es um die Situation seiner gehörlosen Großeltern in der Nazizeit, die Lebensklugheit seiner Mutter, die eine zeitlang eine Pommesbude betreiben hat, und die Demenz seines Vaters geht. Diese Aspekte sind aber völlig untergeordnet, sie machen keine 10% des Buches aus. Der Rest ist Selbstdarstellung mit dem Ziel, sich in einem möglichst positiven Licht darzustellen. Am penetrantesten geschieht dies in dem Kapitel, in dem Hartmann einen Kindergeburtstag bei einer neureichen Familie darstellt, über die er Kübel von Spott ausschüttet.
Neben der Selbstdarstellung haben andere Personen keinen Platz, um differenzierter dargestellt zu werden.
Ach ja, und es gibt immer wieder Klagen über den Zustand der Welt. Aber auch diese Klagen gehen letztlich nicht über Plattitüden hinaus.
Sprachlich ist das Buch wenig anspruchsvoll. Hartmann liebt die Aneinanderreihung von kurzen Hauptsätzen und Satzellipsen. Das liest sich dann folgendermaßen: „Auf der Schwelle fällt mein Blick ins Kinderzimmer. Trifft Theos Ritterburg. Trifft Hannahs Kuschelecke. Trifft die vielen Stofftiere. Und eine Welle bricht. Direkt über mir.“ Solche Passagen gibt es zuhauf. Das mag man vielleicht noch hinnehmen.
Völlig abgeschmackt ist aber folgender Vergleich: „Jenny-Nanny flatterte strahlend voraus, Tschernobyl war nichts dagegen…“
Mein Fazit: Das Buch ist irrelevant, Es liefert der Leserin/dem Leser keine neuen Erkenntnisse oder Sichtweisen auf Welt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.03.2024
Krummes Holz
Linhof, Julja

Krummes Holz


ausgezeichnet

Bedrückende Stimmung
Julia Linhof stellt ihrem Debütroman „Krummes Holz“ ein Zitat des älteren Kant als Motto voran: „Aus so krummen Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades gezimmert werden.“ Kant äußert in dem Zitat seine Skepsis gegenüber der menschlichen Natur: Die Neigungen, Begierden, Triebe der Menschen sind so stark, dass die Vernunft sind nicht vollends im Zaume halten kann. Wenn ich es richtig verstehe, dann geht es Linhof aber nicht um die menschliche Natur, sondern um die Auswirkungen einer gewalttätigen, von wenig Liebe geprägten Erziehung eines Menschen. Am Beispiel dreier jungen Menschen, zweier Geschwister und eines Jungen, der nach dem Tod seiner Eltern mit den Geschwistern zusammen aufwächst, zeigt die Autorin die fatalen Auswirkungen einer solchen Erziehung. Diese Auswirkungen zeigen sich in gegenseitigem Misstrauen, das vielleicht (ganz sicher ist das nicht) am Ende der Romanhandlung aufgebrochen werden kann.
Diese Auswirkungen zeigt die Autorin weniger in Handlungen, als vielmehr in Stimmungen. In dem ganzen Roman herrscht eine bedrückende Stimmung, ohne dass der Leser so recht erfassen kann, was diese Stimmung eigentlich auslöst. So erscheint der Vater des Ich-Erzählers als ständige Bedrohung, ohne anwesend zu sein. Die Stimmung wird in vielen Landschafts-und Wetterbeschreibungen ausgedrückt, so herrscht weitgehend ein drückend-heißes Wetter vor ohne reinigendes Gewitter.
Die Autorin verfügt bei den Beschreibungen über eine klischeefreie, präzise Sprache. Schade, dass die Handlungsarmut des Romans die Lektüre doch insgesamt sehr anstrengend macht. Dabei ist die Ausgangskonstellation durchaus vielversprechend.

Bewertung vom 06.10.2023
Als wir an Wunder glaubten
Bürster, Helga

Als wir an Wunder glaubten


gut

Durchaus aktuell
Es gibt viele Romane, die die unmittelbare Nachkriegszeit zum Thema haben. Helga Bürster gelingt es in ihrem Roman „Als wir an Wunder glaubten“ einen neuen Aspekt hinzuzufügen. Sie lässt die Handlung 1949 in Unnendorf spielen, einem fiktiven Ort in einer Moorgegend in Norddeutschland. Und entsprechend dieser Landschaft spielen Aberglaube und vermeintliche Wunderheilung eine zentrale Rolle. Deutlich wird die Naivität, mit der Menschen sich in der Krisensituation der Nachkriegszeit Opfer suchen, denen sie die Schuld an ihrer Krise zuschieben können. Ebenso deutlich wird die Rücksichtslosigkeit, mit der Menschen diese Naivität zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen.
Thematisiert wird aber auch der Einbruch der Moderne in das eher mittelalterlich anmutende Unnenbach: Das Moor wird trockengelegt, da es vermeintlich ökonomisch ohne Wert ist. Und die einstige Hausiererin gründet ein Versandhaus für Dessous und Sexspielzeuge.
Die Figuren des Romans sind nachvollziehbar gestaltet, wenn auch zum Teil etwas eindimensional: der Böse ist durch und durch böse ohne jegliche Schattierung.
Einige Rezensenten haben den Titel kritisiert mit dem Hinweis, es gebe einen Unterschied zwischen Aberglaube und Wunder. In der Tat nimmt der Titel die Perspektive derjenigen auf, die an Übersinnliches glauben. Mich irritiert der Titel auch, da es ja auch um Hexenglauben und Hexenverfolgung geht und damit kann ich den Begriff „Wunder“ nicht in Verbindung bringen.
Die stärksten Passagen in dem Roman sind für mich die Kapitel, die aus Sicht des Kriegsversehrten Otto/Josef erzählen. Diese Passagen habe ich als wirklich anrührend empfunden.
Die Thematik des Romans ist im Übrigen hochaktuell, haben wir doch erlebt, wie in der jüngsten Krisenzeit, der Corona-Krise, Verschwörungstheorien massenweise im Internet verbreitet wurden.

Bewertung vom 11.09.2023
Eigentum
Haas, Wolf

Eigentum


ausgezeichnet

Kann man vom Leben schreiben
Reinhold Beckmann hat einen anrührenden Roman über die Jugend seiner Mutter und deren vier Brüder geschrieben, die alle vier im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind.
Beckmann hat sich viel vorgenommen. Auf der einen Seite stellt er die Geschichte des Nationalsozialismus von ca. 1930 bis 1945 dar, auf der anderen Seite schildert er das einfache Leben in seinem ländlich geprägten Heimatdorf. Ich glaube, sein Vorhaben war es, den Einfluss der „ großen“ Politik auf das Leben der einfachen Leute zu verdeutlichen. Und nicht zuletzt will er das Schicksal der vier jungen Soldaten anhand der vielen Feldpostbriefe aufarbeiten, die seine Mutter aufbewahrt hat.
Ich glaube, dass Vorhaben ist nicht so gelungen, wie Beckmann es sich am Beginn des Schreibprozesses vorgestellt haben mag. Die Feldpostbriefe sind, was das Kriegsgeschehen angeht, sehr unergiebig. Dafür mag zum einen die Zensur verantwortlich sein. Zum anderen könnte auch sein, dass die Brüder ihrer Schwester, an die die Briefe gerichtet sind, die genaue Beschreibung des Kriegselends ersparen wollten. Natürlich zeugen sie aber von der Sehnsucht, nach Hause zu dürfen, in die Heimat. Aber sie machen doch nicht recht deutlich, was es hieß, im zweiten Weltkrieg in Russland kämpfen zu müssen.
Das Dorf Wellingholzhausen, in dem seine Mutter und seine Onkel aufgewachsen sind, ist in vielerlei Hinsicht eine Enklave. Es gibt keine Juden, also haben die Nürnberger Gesetze und die Judenverfolgung keine praktischen Auswirkungen. Sie werden folglich auch kaum erwähnt. Die Reichsprogomnacht erleben die Dörfler nur als weit entfernten Feuerschein aus der Richtung von Osnabrück wahr.
Die Menschen sind auch nicht sehr politisch. Ihre Haltung gegenüber Hitler und seinem Regime ist nicht von Widerstand geprägt. Folglich kommt auch das Unterdrückungssystem der Nazis mit der totalen Überwachung durch die Gestapo nicht zur Sprache (ich erinnere mich nicht, dass der Begriff Gestapo überhaupt fällt). Überzeugte, ausgesprochene Nazis sind eher rar. Die Konsequenz ist, dass der unmenschliche Unrechtsstaat der Nazis letztlich nur angedeutet wird.
Reinhold Beckmann schreibt in einem sehr einfach gehaltenen Sprachstil. Der einfache Hauptsatz überwiegt als Satzkonstruktion. Nur in seltenen Fällen umfasst ein Satz einmal mehr als zwei Zeilen. Das erleichtert auf der einen Seite die Lektüre, führt auf der anderen Seite aber auch zur Simplifizierung.
Viel Mühe hat sich Beckmann damit gegeben, den Weg der vier Brüder als Soldaten im zweiten Weltkrieg zu rekonstruieren. Und anhand offizieller Aufzeichnungen kann auch etwas von der Grausamkeit und Unmenschlichkeit des Krieges deutlich werden.
Beckmann vermeidet es, Fragen zu stellen. Inwieweit waren seine Onkel in die Kriegsereignissen involviert: Haben sie Menschen erschossen? Haben sie sich an der Verbrechen der Wehrmacht beteiligt? Beckmann vermeidet die Fragen, da damit die Onkel aus der Opferrolle, in der Beckmann sie sieht, herausfallen würden.
Überhaupt neigt Beckmann dazu, sich auf die Seiten der Deutschen zu stellen. So wird etwa die Stadt Duisburg von den Bombern der Alliierten „heimgesucht“, wie eine Plage.
Allen Bedenken zum Trotz ist das Buch lesenswert: Als Beispiel für die extreme Schwierigkeit von jungen Frauen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und als leicht zu lesende Geschichte der politischen Ereignisse zur Zeit des Nationalsozialismus.
Als Schullektüre aber mag ich den Roman nicht empfehlen, sowie andere Rezensenten dies tun.

Bewertung vom 11.09.2023
Aenne und ihre Brüder
Beckmann, Reinhold

Aenne und ihre Brüder


gut

Anrührend, aber letztlich nicht überzeugend
Reinhold Beckmann hat einen anrührenden Roman über die Jugend seiner Mutter und deren vier Brüder geschrieben, die alle vier im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind.
Beckmann hat sich viel vorgenommen. Auf der einen Seite stellt er die Geschichte des Nationalsozialismus von ca. 1930 bis 1945 dar, auf der anderen Seite schildert er das einfache Leben in seinem ländlich geprägten Heimatdorf. Ich glaube, sein Vorhaben war es, den Einfluss der „ großen“ Politik auf das Leben der einfachen Leute zu verdeutlichen. Und nicht zuletzt will er das Schicksal der vier jungen Soldaten anhand der vielen Feldpostbriefe aufarbeiten, die seine Mutter aufbewahrt hat.
Ich glaube, dass Vorhaben ist nicht so gelungen, wie Beckmann es sich am Beginn des Schreibprozesses vorgestellt haben mag. Die Feldpostbriefe sind, was das Kriegsgeschehen angeht, sehr unergiebig. Dafür mag zum einen die Zensur verantwortlich sein. Zum anderen könnte auch sein, dass die Brüder ihrer Schwester, an die die Briefe gerichtet sind, die genaue Beschreibung des Kriegselends ersparen wollten. Natürlich zeugen sie aber von der Sehnsucht, nach Hause zu dürfen, in die Heimat. Aber sie machen doch nicht recht deutlich, was es hieß, im zweiten Weltkrieg in Russland kämpfen zu müssen.
Das Dorf Wellingholzhausen, in dem seine Mutter und seine Onkel aufgewachsen sind, ist in vielerlei Hinsicht eine Enklave. Es gibt keine Juden, also haben die Nürnberger Gesetze und die Judenverfolgung keine praktischen Auswirkungen. Sie werden folglich auch kaum erwähnt. Die Reichsprogomnacht erleben die Dörfler nur als weit entfernten Feuerschein aus der Richtung von Osnabrück wahr.
Die Menschen sind auch nicht sehr politisch. Ihre Haltung gegenüber Hitler und seinem Regime ist nicht von Widerstand geprägt. Folglich kommt auch das Unterdrückungssystem der Nazis mit der totalen Überwachung durch die Gestapo nicht zur Sprache (ich erinnere mich nicht, dass der Begriff Gestapo überhaupt fällt). Überzeugte, ausgesprochene Nazis sind eher rar. Die Konsequenz ist, dass der unmenschliche Unrechtsstaat der Nazis letztlich nur angedeutet wird.
Reinhold Beckmann schreibt in einem sehr einfach gehaltenen Sprachstil. Der einfache Hauptsatz überwiegt als Satzkonstruktion. Nur in seltenen Fällen umfasst ein Satz einmal mehr als zwei Zeilen. Das erleichtert auf der einen Seite die Lektüre, führt auf der anderen Seite aber auch zur Simplifizierung.
Viel Mühe hat sich Beckmann damit gegeben, den Weg der vier Brüder als Soldaten im zweiten Weltkrieg zu rekonstruieren. Und anhand offizieller Aufzeichnungen kann auch etwas von der Grausamkeit und Unmenschlichkeit des Krieges deutlich werden.
Beckmann vermeidet es, Fragen zu stellen. Inwieweit waren seine Onkel in die Kriegsereignissen involviert: Haben sie Menschen erschossen? Haben sie sich an der Verbrechen der Wehrmacht beteiligt? Beckmann vermeidet die Fragen, da damit die Onkel aus der Opferrolle, in der Beckmann sie sieht, herausfallen würden.
Überhaupt neigt Beckmann dazu, sich auf die Seiten der Deutschen zu stellen. So wird etwa die Stadt Duisburg von den Bombern der Alliierten „heimgesucht“, wie eine Plage.
Allen Bedenken zum Trotz ist das Buch lesenswert: Als Beispiel für die extreme Schwierigkeit von jungen Frauen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und als leicht zu lesende Geschichte der politischen Ereignisse zur Zeit des Nationalsozialismus.
Als Schullektüre aber mag ich den Roman nicht empfehlen, sowie andere Rezensenten dies tun.

Bewertung vom 10.01.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


gut

Etwas enttäuschend
Ich habe zwei Bücher von Arno Geiger mit großem Interesse und Gewinn gelesen: „Der alte König im Exil“ und „Unter der Drachenwand“. Deshalb war ich sehr gespannt auf sein neues Buch und nach dem Lesen enttäuscht. Die Leseprobe war vielversprechend: Ein angehender Schriftsteller wühlt im Altpapier nach brauchbaren Büchern und nach persönlichen Zeugnissen wie Tagebüchern und Briefen, um sie literarisch zu verwerten. Darüber hätte ich gerne mehr erfahren. Es folgt dann aber überwiegend eine Selbstbespiegelung, die ein Rezensent -vielleicht etwas überzeichnend - als „Nabelschau“ abqualifiziert. In der Tat ist aber das häufigste Wort in dem Bericht das Personalpronomen „ich“. Die Selbstbespiegelung fällt zum Teil m.E. recht unreflektiert aus. Seine Freundin macht dem Ich-Erzähler (ich weiß nicht, ob „erzählen“ der richtige Begriff ist) Vorwürfe, weil er mit einer anderen Frau ohne Kondom geschlafen hat. Doch auch in der Rückschau findet er keine selbstkritischen Worte.
Die Beziehung zu seiner Freundin und späteren Frau nimmt einen breiten Raum in der Darstellung ein, bleibt aber trotzdem an der Oberfläche. Das gilt auch für die Darstellung der Beziehung zu seiner Geliebten. Da ist von stundenlangen Telefonaten die Rede, ich weiß aber nicht, worüber sie gesprochen haben könnten.
Ähnliches gilt für die Darstellung seines schriftstellerischen Verfahrens. Gut, man erfährt, dass er seine Menschenkenntnis aus den vielen Briefen und Tagebüchern gewonnen hat. Aber konkretisiert wird das nicht. An einer Stelle ist von einem „Schwarzindien-Projekt“ die Rede, das in eine Ecke seines Schreibtisches verbannt ist und erst später ausgestaltet wird. Näheres erfährt man nicht. Der kundige Leser weiß, dass es sich bei diesem Projekt um den Roman „Unter der Drachenwand“ handelt, in dem Briefe unterschiedlicher Absender eine wichtige Rolle spielen. Über den Prozess der Entstehung des Romans hätte ich gerne mehr erfahren.
Gelungen immerhin sind einige Reflexion zum „Müll“, dem durch die Verwendung in Literatur eine neuenFunktion zugewiesen wird, bevor er wieder Müll wird.
Arno Geiger stellt an seine schriftstellerische Tätigkeit den Anspruch, ein „Kunstwerk“ zu schaffen. Mit „ Das glückliche Geheimnis“ ist das in meinen Augen nicht gelungen.

Bewertung vom 02.11.2022
Feldpost
Borrmann, Mechtild

Feldpost


ausgezeichnet

Pageturner
Im Jahr 2022 sind zwei Romane erschienen, die sich auf der Grundlage historischer Dokumente mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen: Alexa Hennig von Lange, Die karierten Mädchen und Mechtild Bormann, Feldpost. Aber welch ein Unterschied in der Aufarbeitung der Dokumente. Alexa Hennig von Lange kennt in ihrer Darstellung keine Täter, sondern nur Opfer. Sie fügt den Tondokumenten ihrer Großmutter fiktive Gegebenheiten hinzu, die die Schuld ihrer Großmutter abmildern sollen. Ganz anders Mechtild Bormann. Sie hat im Deutschen Tagebucharchiv recherchiert und die Geschichte zweier homosexueller Freunde aufgearbeitet. Dabei gelingt es ihr überzeugend, die Problematik von Verrat, Schuld und Egoismus zu verarbeiten.
Sehr überzeugt hat mich, dass das Rätsel um eine verschwundene Frau erst am Ende der Romanhandlung gelöst wird. Die Ursache des Verschwindens wird aber nur angedeutet. Die Leserin/der Leser kann sich aber die Details selbst ausmalen und gewinnt einen vertiefenden Blick auf eine der Handlungsfiguren.
Für mich störend waren die „Cliffhanger“ bei einigen Kapitelenden. Die Romanhandlung ist spannend genug und braucht solche künstlichen Spannungselemente nicht.
Dem Buch sind vor allem auch jugendliche LeserInnen zu wünschen, die einen aufschlussreichen Einblick in die Moral und in die Machtstrukturen der Nazi-Zeit erhalten.

Bewertung vom 30.09.2022
Die karierten Mädchen / Heimkehr-Trilogie Bd.1
Hennig von Lange, Alexa

Die karierten Mädchen / Heimkehr-Trilogie Bd.1


schlecht

Verpasste Chance
Was für eine Chance. Die Schriftstellerin Alexa von Hennig-Lange findet auf dem Dachboden 130 von ihrer Großmutter besprochene Kassetten. Die Großmutter stellt darauf ihr Leben in der Zeit zwischen 1929 und 1945 dar, in der sie zunächst in einem Kinderheim gearbeitet und es dann später auch geleitet hat. Um das finanzielle Überleben des Kinderheimes zu gewährleisten, kollaboriert die Großmutter mit den Nazis und übernimmt die Erziehungsziele der Nazis bei der Erziehung ihrer Schößlinge. Alexa von Hennig-Lange macht aus der Erzählung der Großmutter einen Roman und füllt Leerstellen in der Erzählung der Großmutter, wie sie selbst in einem Interview äußert. Da ist zunächst ein völlig legitimes Verfahren der Literatur, der es primär nicht darauf ankommt, pure Fakten zu liefern. Literatur hat immer auch die Möglichkeit darzustellen, wie es auch hätte gewesen sein können. Von Hennig-Lange verzichtet auf diese Möglichkeit. Sie stilisiert vielmehr die Großmutter zu einer harmlosen Mitläuferin, die innerlich zwar gegen die Nazis protestiert, ihr Handeln aber gemäß dem „Zwang der Verhältnisse“ nicht danach ausrichtet. Von Hennig-Lange geht sogar noch einen Schritt weiter und erfindet eine „Heldentat“ der Großmutter, in dem sie ein jüdisches Mädchen als ihre eigene Tochter ausgibt, es dann aber, als die politischen Verhältnisse immer schwieriger werden, in ein jüdisches Kinderheim gibt. Folgt man dieser Darstellung, hat es in Deutschland eben keine Täter, sondern nur Mitläufer gegeben.
Auch erzähltechnisch ist der Roman wenig überzeugend. Jede, aber auch jede innere Regung wird offen gelegt, ein Deutungsspielraum ist nicht vorgesehen. Dem Leser wird alles präsentiert, seine Haltung kann nur eine rezeptive sein.
Ein spannender Roman hätte entstehen können, wenn denn Alexa von Hennig-Lange wirklich die Auseinandersetzung mit ihrer Großmutter gesucht und ausgelotet hätte, welche Handlungsmöglichkeiten es jenseits aller politischen Verhältnisse gegeben hätte.

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