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franzosenleser
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KN

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Insgesamt 13 Bewertungen
12
Bewertung vom 31.08.2023
Der Himmel muss warten
Reichert, Sandra

Der Himmel muss warten


ausgezeichnet

Maria Parker ist des Lebens überdrüssig, sie möchte sterben. Und das ist gar nicht so leicht, wie sie festgestellt hat. Auch von ihrem Arzt kann sie keine Hilfe erwarten. Doch der schlägt ihr einen Deal vor:

»Gehen Sie in diese Reha, bleiben Sie die vier Wochen dort. Und wenn Sie wiederkommen, gewinnen Sie mich dafür, Sie beim Suizid zu begleiten.«
(Der Himmel muss warten Seite 12)

Na gut das ist nicht nur ein Deal, der Dialog geht weiter, als Maria ihn fragt:

»Anderenfalls?«
»Soforteinweisung und Medikamententherapie wegen akuter Selbstgefährdung.«
(Der Himmel muss warten Seite 12)

Maria sieht ein, dass sie nicht ablehnen kann und erkennt die Chance. In der Klinik gibt es doch bestimmt Menschen, denen es genauso geht …

Der Anfang des Romans ist ironisch, witzig, fast in einem sarkastischen Ton erzählt. Das zieht einen rein. Und langsam, ganz langsam, ohne dass sich die Sprache spürbar ändert, wandelt sich der Ton, wurde gefühlvoll, manchmal fast zärtlich und teils schwer.

Tot. Für 72 Stunden legte sich die Glocke aus stummen Schreien schwer über die Klinik.
(Der Himmel muss warten Seite 48)

Nachvollziehbar zeigt die Autorin die Vielschichtigkeit eines Klinikaufenthaltes. Von dem Auf und Ab der Emotionen war ich gefangen, als sie mich mit ihrer treffenden Wortwahl durch Traurigkeit, Hoffnung, Freude, Ausweglosigkeit, Einsamkeit und dem Gefühl des Verstandenseins führte. Widersprüchliche Empfindungen, eine Achterbahn der Gefühle, die Sandra Reichert kunstvoll in Szene setzt.

Im Verlauf der Erzählung begegnen wir verschiedenen Charakteren. Allen voran der 17-jährige Jan, der nur noch kurz zu leben hat (aber warum ist er hier? Wir erfahren es zu gegebener Zeit). Eine Verbindung von besonderer Tiefe entdecken wir zudem zwischen Holger & Hakan und dann ist da noch Alex, dessen Schicksal mich ins Grübeln brachte, ob es wirklich diesen Platz in der Geschichte haben musste – ich finde im Nachhinein: Auf jeden Fall. Nicht zu vergessen, Julia. Sie wird uns als eine Seele beschrieben, die am eigenen Schicksal zerbricht. Dr. Grün ist der Chefarzt der Klinik – ein Mann, von dem ich mir wünschte, ihm in meinem eigenen Leben als Psychiater getroffen zu haben.

Die facettenreichen Begegnungen mit Therapeuten, Sekretärinnen und Mitpatienten führten mich tief in die menschliche Psyche und ließen mich in die Höhen und Tiefen des Klinikalltags eintauchen. Die Figuren sind in wunderbar lebendiger Art und Weise gezeichnet und ließen mich nicht mehr los. Es ist schier unmöglich, sich ihnen zu entziehen, zu starke Emotionen riefen sie in mir hervor. Doch je nach der eigenen Seelenlage kann dies ganz unterschiedliche Empfindungen auslösen.
Sandra Reichert präsentiert eine packende Schreibkunst, die einerseits präzise und andererseits leichtfüßig ist, ohne dabei jedoch die emotionalen Aspekte zu vernachlässigen. Mit ihren Worten vermag sie die tiefen Gedanken und Gefühle von Maria auf eine so authentische Weise einzufangen, dass man unweigerlich an Marias Entwicklung teilhat. Dabei bleibt die Autorin stets objektiv und vermeidet jeglichen Überschwang an Emotionalität oder ein zu mitleidiges Klangbild.

Der Erzählstil beginnt mit einer Prise Ironie und charmantem Witz, doch mit zunehmender Handlung wird er ernster und gewinnt an Hoffnung. Was anfangs von Todeswünschen dominiert wurde, verwandelt sich am Ende in einen starken Lebenswillen. Inmitten all der Schwere und Dramatik wird dieses Buch somit zu einer Hommage ans Leben: Genieße es, du hast nur das Eine!

Ihr ahnt es bestimmt schon: Ich gebe eine klare Leseempfehlung für dieses Buch ab.

Bewertung vom 31.08.2023
Instagram-Marketing für Unternehmen
Kobilke, Kristina

Instagram-Marketing für Unternehmen


ausgezeichnet

Mit »Instagram-Marketing für Unternehmen« liefert Kristina Kobilke einen umfassenden Leitfaden für Unternehmen, die das Potenzial dieser beliebten Social-Media-Plattform nutzen möchten. Mit ihrem präzisen und informativen Schreibstil gelingt es Kobilke, komplexe Informationen gut verständlich für Leser jeder Erfahrungsstufe aufzubereiten.
Das Buch ist klar strukturiert, was die Lektüre angenehm und leicht verständlich macht. Sie beginnt mit einer Einführung in die Grundlagen des Instagram-Marketings und erklärt die verschiedenen Funktionen und Möglichkeiten, die Unternehmen nutzen können, um ihre Zielgruppe anzusprechen und ihre Marke und Produkte zu stärken. Sie geht dabei nicht nur auf die technischen Aspekte ein, sondern gibt auch wertvolle Tipps zur Entwicklung einer effektiven Content-Strategie, indem sie aktuelle Beispiele präsentiert.
Die Autorin beleuchtet auch die neuesten Trends und Entwicklungen im Bereich des Instagram-Marketings und bietet den Lesenden somit einen echten Mehrwert. Ihre Fähigkeit, komplexe Konzepte verständlich zu erklären und mit anschaulichen Beispielen zu veranschaulichen, macht das Buch zu einer wichtigen Hilfe für alle, die ihren Instagram-Auftritt optimieren möchten.
Darüber hinaus zeichnet sich das Buch durch eine Fülle von Hintergrundinformationen und Fallstudien aus, die den Lesenden einen umfassenden Einblick und ein tiefgehendes Verständnis für das Thema vermitteln. Sie schafft es, Theorie mit praktischer Anwendung zu verbinden, was das Buch sowohl für Anfänger als auch für erfahrene Marketer wertvoll macht. Ihre sachliche und zugleich interessante Art des Schreibens weckt das Interesse der Lesenden und macht das Buch zu einem echten Page-Turner. Dabei geht sie auf alle wichtigen Aspekte von Instagram-Marketing ein, angefangen bei der Erstellung eines ansprechenden Profils über die Nutzung von Hashtags bis hin zum Aufbau einer Community und dem Einsatz von Werbeanzeigen.

Besonders nützlich sind die vielen Tipps und Tricks, die das Buch bietet. Diese stammen vor allem aus der Erfahrung der Autorin als Social Media Managerin. So gibt sie beispielsweise konkrete Empfehlungen zur optimalen Posting-Frequenz oder zeigt auf, wie man durch gezieltes Storytelling eine emotionale Bindung zu seinen Followern aufbauen kann.

Fazit:
Insgesamt ist “Instagram Marketing” ein absolutes Muss für alle, die das Potenzial von Instagram voll ausschöpfen möchten. Das Buch bietet nicht nur wertvolles Wissen, sondern auch Inspiration und Motivation für den eigenen Instagram-Auftritt – unabhängig davon, ob man gerade erst anfängt oder bereits fortgeschritten ist. Deshalb eine fette Leseempfehlung von mir für alle, die mit ihrem Instagram-Auftritt mehr Menschen erreichen möchten.

Bewertung vom 31.08.2023
Die Kunst der Anonymität im Internet
Mitnick, Kevin D.

Die Kunst der Anonymität im Internet


ausgezeichnet

Ich habe in letzter Zeit einige Bücher rund um Internet-Themen gelesen, die ich für empfehlenswert halte, so auch dieses, was ich deshalb gerne vorstellen möchte. Aber keine Angst mein Interesse gilt weiterhin in erster Linie Romanen.

Kevin D. Mitnick, ein weltweit renommierter Experte für Cybersecurity und ehemaliger Hacker, präsentiert in seinem Sachbuch »Die Kunst der Anonymität im Internet« eine gründliche und umfassende Untersuchung der digitalen Privatsphäre und des Schutzes persönlicher Daten in der Ära der Informationsgesellschaft.

Das Buch zeichnet sich durch eine gut strukturierte und leicht verständliche Darstellung aus, die es dem Leser ermöglicht, auch komplexe Themen der Cybersecurity nachzuvollziehen. Mitnick vermittelt sein fundiertes Fachwissen auf eine zugängliche Weise und spricht dabei sowohl technisch versierte Leser als auch Laien an, ohne dabei in technische Abgründe zu entgleiten.

Was man selbst wahrscheinlich längst weiß, aber immer wieder vergisst, zeigt der Autor auf eindringliche Weise: Er zeigt die Bedeutung der digitalen Anonymität und betont, wie wichtig es ist, unsere persönlichen Daten in der heutigen vernetzten Welt zu schützen. Er verdeutlicht die Gefahren und Risiken, denen wir im Internet ausgesetzt sind, sei es durch Datendiebstahl, Identitätsmissbrauch oder unerwünschte Überwachung.

Besonders lobenswert ist, dass der Autor nicht nur die teils erschreckenden Probleme des Online-Lebens aufzeigt, sondern auch konkrete Lösungsansätze präsentiert. Mitnick bietet eine Vielzahl von Strategien und Techniken, um die eigene digitale Identität zu schützen und sich anonym im Internet zu bewegen. Dabei legt er besonderen Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl technische als auch verhaltensbasierte Maßnahmen umfasst.

Das #sachbuch ist durchgehend gut recherchiert und mit zahlreichen Beispielen sowie aktuellen Fallstudien angereichert, was dem Leser hilft, die vorgestellten Konzepte besser zu verstehen und in den realen Kontext einzuordnen. Man merkt auf jeder Seite, dass es ein echter Experte geschrieben hat. Doch der Schreibstil ist keineswegs technisch oder trocken, nein, das Buch ist durch passend eingestreute Anekdoten auch unterhaltsam und stellenweise richtig spannend.

Allerdings sollte erwähnt werden, dass die ständige Weiterentwicklung der Technologie dazu führt, dass einige der in diesem Buch genannten Tools und Techniken möglicherweise nicht mehr auf dem neuesten Stand sind. Eine kontinuierliche Aktualisierung des Inhalts wäre daher wünschenswert, um den Lesern aktuelle und wirksame Lösungen zu bieten.

Fazit:

Zusammenfassend ist »Die Kunst der Anonymität im Internet« von Kevin D. Mitnick ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich für Datenschutz und Cybersecurity interessieren. Der Autor vermittelt nicht nur ein solides Verständnis für die Bedeutung der digitalen Privatsphäre, sondern bietet auch praktische und umsetzbare Maßnahmen, um die eigene Sicherheit im digitalen Raum zu erhöhen. Das Werk ist eine wertvolle Ressource für jeden, der sich in der schnelllebigen und komplexen Welt des Internets sicherer bewegen möchte.

Bewertung vom 31.08.2023
Ein ehrenhafter Abgang
Vuillard, Éric

Ein ehrenhafter Abgang


ausgezeichnet

»Ein ehrenhafter Abgang« ist kein Roman im klassischen Sinn, sondern eine Form von literarischer Geschichtsdarstellung und kommt ohne einen menschlichen Protagonisten aus. Ganz im Stil seiner vorherigen Werke hat sich Vuillard erneut ein Schlüsselereignis aus der Vergangenheit gegriffen und es mit beeindruckender Faktenfülle zu einem packenden literarischen Erlebnis verwoben. In seinem neuesten Werk widmet er sich dem Zusammenbruch der französischen Kolonialbesatzung in Indochina, in Vietnam.

Die Art wie Vuillard die Geschichte erzählt, ist außergewöhnlich: Eine Vielzahl vermeintlich isolierter Szenen – sei es auf Kautschukplantagen, auf dem Schlachtfeld oder im französischen Parlament – fügen sich am Ende harmonisch zu einem Gesamtbild der Vorkommnisse zusammen. Indem Vuillard die Geschichte aus der Sicht der Besatzer erzählt, gelingt es ihm, die Hintergründe und Ursachen dieser tragischen Ereignisse in ihrem komplexen Kontext zu beleuchten. Wir als Leserinnen und Leser werden Zeugen einer unvermeidlichen Niederlage der Besatzer. Dabei vermittelt Vuillard auf exzellente Weise, fast genüsslich, die Struktur des Niedergangs, der nach 10 Jahren Krieg mit dem Abzug der Franzosen endet. Die Kriegsgräuel werden das Land noch weitere 20 Jahre erschüttern und erst mit dem Abzug der Amerikaner enden.

Vuillards Erzählstil ist von einer eindrücklichen Intensität geprägt, die uns tief in die Gedankenwelt, die Hintergründe der Geschehnisse eintauchen lässt. Durch seine präzisen Beschreibungen von Orten, Menschen und Begebenheiten zeichnet er ein lebendiges Bild vor unseren Augen. So werden die Kautschukplantagen zu einem quälenden Symbol für die Ausbeutung und das Leid der Menschen, das Schlachtfeld zum Schauplatz verzweifelter Versuche der Besatzer, die schwindende Macht zu retten, das Parlament zum Schauplatz von politischem Geplänkel und strategischen Entscheidungen und die Vorstandssitzungen in der Banque de l’Indochine zum Synonym von menschenverachtendem, gierigen Kapitalismus.

Die Idee eines »ehrenhaften Abgangs« in dieser Geschichte scheint nahezu unerreichbar, auch wenn die Verantwortlichen diesen Begriff anders interpretierten. Ihre Absichten waren keineswegs von Moral geprägt, sondern von einem militärischen Sieg, bevor sie die Kolonie freigeben wollten. Vuillard demontiert den Mythos des »ehrenhaften Abgangs« mit eindringlicher Präzision und enthüllt stattdessen die schmerzhafte Realität dahinter.

Seine Sprache ist von einer knappen, aber eindringlichen Eleganz geprägt, die es ihm ermöglicht, sowohl die Fakten als auch die emotionale Tiefe der Ereignisse zu vermitteln. Ich würde sie als dicht, detailreich und faktengetrieben beschreiben. Vuillard zeichnet sich durch die außergewöhnliche Fähigkeit aus, historische Ereignisse in ihren kleinsten Nuancen zu erfassen und uns Leserinnen und Leser in die Atmosphäre und Stimmung jener Zeit eintauchen zu lassen.
Die präzise Wortwahl ermöglicht es, die komplexen Zusammenhänge der Geschichte klar und verständlich zu vermitteln. Man sollte sich jedoch in der französischen Geschichte des 20. Jahrhunderts gut auskennen oder bereit sein, den einen oder anderen Namen der französischen Finanzaristokratie zu googeln, was ich auch tat. Dann erschließt sich ein außergewöhnlich aufbereitetes Stück französischer Geschichte.

Fazit

»Ein ehrenhafter Abgang« von Éric Vuillard ist mit seiner historischen Akribie, der präzisen Sprache und der eindrucksvollen Atmosphäre zweifellos ein literarisches Meisterwerk, das Leserinnen und Leser mit seiner Tiefe, Genauigkeit und eindringlichen Darstellung in den Bann zieht. Das Buch bietet einen tiefen Einblick in die Epoche des ersten Vietnamkrieges und regt dazu an, über die Bedeutung und Lehren der Geschichte nachzudenken. Es ist eine Lektion über die Tragik der Verflechtung von Wirtschaftsinteressen und Kriegen und ein aufrüttelnder Aufruf, aus geschichtlichen Gegebenheiten zu lernen. Vuillard entfaltet ein beeindruckendes Panorama historischer Ereignisse und macht dabei deutlich, dass der Weg des Zerfalls oft von den Illusionen der Macht und wirtschaftlichem Egoismus gepflastert ist.

Bewertung vom 22.06.2023
Alles Arschlöcher überall
Bratenstein, Jan

Alles Arschlöcher überall


ausgezeichnet

»Alles Arschlöcher überall« hat mich sofort gepackt und von von Anfang bis Ende gefesselt. Jan Bratenstein entführt uns in das Setting einer kleinen Kneipe, in der sich eine faszinierende Geschichte entfaltet, die in nur einer einzigen Nacht spielt.
Der ortsfremde Klarinettist Tom Peter sucht nach einem Konzert einen ruhigen Ort zum Entspannen und findet diesen scheinbar im Café Exquisit. Was als erholsamer Abend beginnt, wird zum Albtraum, als eine Gruppe von Nazis zuerst im Lokal pöbelt und anschließend das Lokal belagert.

Bratenstein zeichnet herrliche Charaktere, die er mit feinster satirischer Überzeichnung ausstattet. Er beobachtet die Menschen vor und in der Kneipe genau und zeigt uns an die Verflechtungen von Polizei, Politik und der bedrohlichen braunen Suppe. In dieser Kleinstadt treffen wir auf Überzeugungstäter auf beiden Seiten des Konflikts, Stimmen der Vernunft, die zur Ruhe mahnen, und opportunistische Figuren, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Sie alle sind auf ihre eigene Art und Weise miteinander verbunden, und der Autor zeigt auf meisterhafte Weise die komplexe Dynamik zwischen ihnen auf.

Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Spannung, die Bratenstein in seinem Buch erzeugt, obwohl die Figuren sich kaum von der Stelle bewegen. Mit seinem markanten Erzählstil und außergewöhnlich prägnanten Figurenstimmen zieht er uns in den Bann der Geschichte. Schon nach den ersten Seiten war es mir unmöglich, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Ich fühlte mich sofort in die Geschichte hineingezogen und möchte unbedingt erfahren, wie sich die Situation weiterentwickelt und welche Konsequenzen sie haben wird.

»Alles Arschlöcher überall« ist jedoch nicht nur ein unterhaltsames Buch, sondern auch ein Plädoyer für Verständnis. Jan Bratenstein zeigt auf eindringliche und humorvolle Weise, dass viele Probleme aus der Welt geschaffen werden können, wenn man bereit ist, miteinander zu reden und Vorurteile abzubauen. Es gelingt ihm, humorvoll und dennoch tiefgründig zu vermitteln, dass Kommunikation und gegenseitiges Verständnis die Schlüssel zur Lösung von Konflikten sind.

Jan Bratenstein hat mit »Alles Arschlöcher überall« ein außergewöhnliches Buch geschrieben, das sowohl zum Nachdenken anregt als auch bestens unterhält. Sein talentierter Erzählstil und die scharfsinnigen Charakterzeichnungen machen das Lesen zu einem einzigartigen Erlebnis. Ich kann dieses Buch uneingeschränkt empfehlen und es allen Leserinnen und Lesern nahelegen, die amüsante und zugleich intelligente Literatur zu schätzen wissen. »Alles Arschlöcher überall« hat mich überrascht und mich begeistert zurückgelassen. Es wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Bewertung vom 19.06.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


sehr gut

Was treibt einen Bestsellerautor an, über ein viertel Jahrhundert hinweg die Altpapiertonnen Wiens zu durchsuchen? Wenn man Arno Geigers Buch in die Hand nimmt, stellt man sich zwangsläufig diese Frage. Insofern ist dem preisbewehrten österreichischen Literaten mit seinem neuesten Buch, das jüngst bei Hanser erschienen ist, ein Coup gelungen.
Seine morgendlichen Streifzüge waren, für den stets monetär klammen Jungautor, anfangs eine Möglichkeit an Bücher zu kommen. Die restlichen Bücher verkauft er auf dem Flohmarkt, was ihm den Lebensunterhalt sicherte. Später sammelt er auch Notizzettel, Briefe und Tagebücher, die er mit besonderer Hingabe liest.
In Arno Geigers Romanen werden die Charaktere so tief und authentisch dargestellt, dass man das Gefühl hat, der Autor müsse die Erlebnisse selbst erlebt haben. Wie sonst kann man sonst so unterschiedliche Figuren, wie Sally (eine 50-jährige Frau in »Alles über Sally«) oder Veit (ein 23-jähriger Soldat im Krieg) so lebendig erschaffen? Das können nur wenige. Jetzt ist es raus, es war sein »glückliches Geheimnis«, das Lesen fremder Briefe und Tagebücher, die ihm eine solche Menschenkenntnis erlangen ließen. So haben die Streifzüge auf der Suche nach etwas Interessantem nicht nur den Autor, sondern auch viele Leser glücklich gemacht. Und doch, an dieser Stelle bleibt bei mir ein schaler Nachgeschmack. Bücher aus dem Altpapier ziehen ist das Eine. Aber Briefe und Tagebücher herauszusuchen und derart Privates zu lesen, das halte ich moralisch für bedenklich. Da helfen auch die Rechtfertigungen nichts, die Menschen hätten sich davon gelöst und es genau deshalb weggeworfen. Das ist ein heimliches Eindringen in die Privatsphäre anderer Menschen. Doch vielleicht ist das eine erfundene Geschichte, schließlich schreibt Geiger literarisch, also fiktiv. Wer weiß das schon.
Geigers Werk erzählt eine Geschichte, die man nicht aus der Hand legen möchte, und gibt dabei interessante Einblicke in gesellschaftliche Änderungen und tiefe Einblicke in ein Schriftstellerleben. Es wirkt fast so, als wenn der Autor nun, mit 54 Jahren, auf sein Leben zurückblickt, auf einen steinigen Weg, den er gegangen ist. Es ist, als wenn er Bilanz zieht. – nicht nur über das Schreiben, auch über sein Liebesleben. Und so ist es auch eine ungewöhnliche Liebeserklärung an K., seine Frau.
Er erzählt von den Zweifeln, ja der Verzweiflung, dem unbedingten Willen vom Schreiben zu leben, vom Glück, von Erfolgen, Rückschlägen und Niederlagen. Von Menschen, die an ihn und sein Talent glauben und denen, die es nicht tun. Auf seinen großen Durchbruch folgt der Zusammenbruch, er ist ausgebrannt. Und so ist dieses Buch fast eine Art »anderer Schreibratgeber«, eines, das man jedem schreibenden Menschen nur empfehlen kann.
Und noch etwas zeigt dieses Buch. Als der Autor mit seinen Streifzügen begann, da fanden sich viele private Notizen, Briefe und Tagebücher zwischen dem Papier. Im Laufe der Jahre wurden es weniger, die elektronische Kommunikation zog in unser Gesellschaftsleben ein. Geschriebenes wurde weniger weggeworfen, es reichte, es mit einem Mausklick zu löschen. Waren es anfangs auffallend viele Liebesromane, die im Müll landeten, so waren es später mehr Kriminalromane. Auch Archäologen suchen im Müll alter Gesellschaften um diese zu verstehen. In gewisser Weise liegt im Müll das Wissen. So ganz nebenbei hat Arno Geiger auch ein Zeitzeugnis, einer Gesellschaft im Wandel geschrieben. Und auch mit der Vergänglichkeit seines eigenen Erfolgs wird der Autor konfrontiert. Eines Tages zieht er ein abgegriffenes Exemplar seines Bestsellers »Es geht uns gut« aus dem Altpapier.

Fazit
Ein Buch, dass zu lesen lohnt! Einfühlsam, frei von gekünstelten und theatralischen Formulierungen, erzählt Arno Geiger seine Geschichte mit starken Wortbildern. Dafür gibt’s eine klare Leseempfehlung von mir.

Bewertung vom 19.06.2023
Lektionen
McEwan, Ian

Lektionen


ausgezeichnet

or über 120 Jahren erschien »Buddenbrooks: Verfall einer Familie« von Thomas Mann. Ein ganz anderes Buch, als dieses hier und doch musste ich beim Lesen von »Lektionen« ständig an Buddenbrooks denken.
Es war nicht nur der Umfang von über 700 Seiten, der ähnlich ist, beide Romane handeln über die Dauer eines ganzen Menschenlebens. »Lektionen« hat das Zeug dauerhaft in die Literaturgeschichte einzugehen.

Es beginnt mit einer Erinnerung, des Protagonisten, Roland Baines. Es ist die Erinnerung an eine Klavierstunde, die Einfluss auf sein ganzes restliches Leben haben wird.
Tatsächlich spielt der Roman ab dem Jahr 1986. Roland wurde gerade von seiner Frau verlassen und über Europa breitet sich die nukleare Wolke von Tschernobyl aus. Er wird kurz des Mordes an seiner glücksuchenden Frau verdächtigt, bleibt letztendlich mit dem Baby zurück und wir begleiten ihn durch die kommenden Jahrzehnte.
Ian McEwan erzählt auch die scheinbar banalen Ereignisse in Rolands Leben auf eine Art, die fesselnd ist, einen fast zwingt weiterzulesen. Es ist kein Roman, der gewaltig angerauscht kommt, sondern einer, dessen Geschichte sich langsam entfaltet. Von Tschernobyl über den Falklandkrieg und den Mauerfall bis hin zu Corona führt er uns durch Baines’ Leben. Über allem steht die Frage: Welche Lektionen prägen ein Menschenleben? Wie beeinflussen einzelne Entscheidungen unser Leben? Bei der Lektüre dieses Buchs bekommt man das Gefühl das Leben zu verstehen. McEwan bringt uns das sowohl für die einzelnen Personen, wie auch für globale und historische Ereignisse nahe. Der Zusammenhang von Persönlichem und Politischem wird fast überdeutlich.

Es ist auch eine Geschichte von Liebe und ihrer Vergänglichkeit und von Missbrauch. Es drängt sich das Gefühl auf, hier hat einer sein Leben autofiktional erzählt. Es zeigen sich deutliche Parallelen zu McEwans Biografie. Und Missbrauch ist nicht zum ersten Mal ein Thema in seinem Werk.

Der Autor hat die Figuren tief gezeichnet und es sind starke Konflikte vorhanden – so wie wir es vom Autor kennen. Insgesamt ist es ein ungewöhnlicher McEwan, ich halte »Lektionen« für sein tiefgehendstes Werk. Der Autor ist ja auch nicht mehr der Jüngste und hat hier die Weisheit eines ganzen Lebens in ein Literaturwerk gepackt, dass es verdient hat in 100 Jahren ein Klassiker zu sein. Auf wenigen Seiten kam mir das Buch etwas langatmig vor. Aber was machen diese wenigen Seiten schon bei über 700 aus? Bei Buddenbrocks war es mehr!

Bewertung vom 19.06.2023
Sein Sohn
Lewinsky, Charles

Sein Sohn


ausgezeichnet

»Sein Sohn« erzählt das fiktive Leben des Louis Chabos, der 1794 als Baby in ein Mailänder Waisenhaus gebracht wird. Die Kosten der Unterkunft wurden bei der Abgabe gleich für die folgenden 18 Jahre beglichen. Dies ist der Start in ein ereignisreiches Leben, an dem uns Lewinsky teilhaben lässt.
Poetisch, mit kräftigen Worten schildert der Autor den Werdegang des Protagonisten und gibt eidetische Einblicke in das Leben des frühen 19. Jahrhunderts.
In einem spektakulären Plot zieht er als Vagabund umher, landet im Gefängnis, kann fliehen und nimmt an Napoleons Russlandfeldzug teil und danach folgt die Suche nach den Eltern, seinen Wurzeln, seiner Herkunft. Und das ist auch das große Thema des Romans:
Die Suche nach den eigenen Wurzeln, die Zweifel und Nöte, die eine unbekannte Herkunft mit sich bringt. Aber dieses Buch zeigt auch, dass es nicht unbedingt Erlösung bringt, die eigene Abstammung dann aufzuklären. Die Begegnung mit der Mutter ist mehr als verstörend und die weitere Suche nach dem Vater führt zu einem Ergebnis, dass Louis enttäuscht und wütend macht. So wütend, dass er einen entsetzlichen Plan fasst, der wiederum uns Leser verstören könnte. Wohlgemerkt könnte und nicht kann, denn Lewinsky fädelt Louis Beweggründe so geschickt in die Geschichte ein, dass wir sein Handeln nachvollziehen können – es sogar für die logische Auflösung halten. Mehr kann ich dazu nicht sagen, ich will ja nicht spoilern.
Eindrucksvoll empfand ich auch die Schilderungen der Zustände im Kinderheim und die der Schrecken des Krieges. In all diese Begebenheiten sind historische Fakten sorgsam eingearbeitet. Das gibt dem Roman einen besonderen Reiz, wenn man sich etwas in der Geschichte jener Zeit auskennt, allerdings tut es der Geschichte keinen Abbruch, wenn man geschichtlich uninteressiert ist.

Lewinskys Erzählweise ist beeindruckend. Die schnellen und häufigen Wechsel des Sprachtempos, aber immer stimmig mit der Handlung, schaffen eine eigene Spannung. Es war wieder eines jener Bücher, die ich gar nicht mehr aus der Hand legen wollte. Dieser Roman wirkt auch nach dem Lesen nach, es ist vor allem die unbeirrbare, hartnäckige Suche nach der eigenen Herkunft, die mich noch immer beschäftigt.

Bewertung vom 19.06.2023
Grimms Märchen Band 3: Lumpengesindel

Grimms Märchen Band 3: Lumpengesindel


ausgezeichnet

Ich halte ein Buch in den Händen und ich mag es gar nicht mehr weglegen, ich streichel über das Cover. So weich. Es fühlt sich an wie ein sanftes Fell einer Kurzhaarkatze. Doch halt! Ihr wollt sicher etwas über den Inhalt hören.
»Lumpengesindel. Tiere und Menschen« ist der dritte von insgesamt 5 Bänden mit Grimms Märchen. Ich glaube, jeder kennt Grimms Märchen. Wir haben alle ein mehr oder weniger dickes Buch, vermutlich aus Kindertagen, vor Augen und viele der Märchen sind uns sofort bekannt. Schneewittchen, Hänsel & Gretel, der Froschkönig und noch einige andere. Wie erstaunt war ich, dass es 240 von Grimms Märchen gibt und wie viele mir Unbekannte entdeckte ich in diesem Buch.
Ich begann zu blättern, warf einen oberflächlichen Blick auf die beeindruckenden Illustrationen und las das eine oder andere Märchen. Trotzdem über die Märchen brauche ich nicht viel zu sagen. Es sind die Illustrationen, die das Buch zu etwas ganz Besonderem machen. Es sind fast magische Momente, wenn sich im Kopf Text und Zeichnungen verknüpfen. Die Zeitlosigkeit von Grimms Märchen wird einem plötzlich klar.
Scheint das, was zu sehen ist im ersten Moment so wunderbar passend zum Text zu sein, so offenbart der zweite Blick eine Ungeheuerlichkeit; entpuppt sich doch ein Haus als ein moderner Bungalow oder es ist eine Motorjacht zu finden (Ich will nicht zu viel verraten, entdeckt es selbst!). Unmöglich, dass dabei die Gedanken sich nicht verselbstständigen, um dem Paradox des klassischen Textes mit den modernen Zeichnungen auf den Grund zu gehen. Die werden Märchen aus einer angestaubten Ecke mitten hinein in die Gegenwart geholt. Plötzlich tun sich intellektuelle Abgründe vor einem auf: Man erfasst eine ganz andere Bedeutung der Texte, die tiefe Aktualität dieses Werks, die wahrhafte Zeitlosigkeit. Märcheninterpretationen in der Schule, was für einen Mist haben wir doch gelernt. Doch dieser Moment des Erkennens, der ist das Wahrhaftige an diesem Buch und deshalb langweile ich euch nicht mit dem was, mir aufgegangen ist. Ich will euch nicht dieser Erfahrung berauben.
Ob es die Bilder von Henrik Schrat waren, die mir die Augen für eine neue Sicht auf diese Texte öffneten? Ich weiß es nicht, aber sie haben die Gedanken angestoßen.

Ich möchte noch einmal auf die Haptik und Optik des Buches zurückkommen, schließlich hatte das mein Interesse geweckt. Ein schlicht und einfach als schön zu bezeichnendes Buch, das erwartete ich – ich liebe ja schöne Bücher. Mit dem dunkelgrünen Farbschnitt, dem rosa Lesebändchen und dem besonderen Material des Umschlags wurde meine Erwartung auch nicht enttäuscht. Auch die Gestaltung des Inhalts ist gelungen: Das Arrangement der Illustrationen im Text schafft auch für das Auge eine Spannung.
Man muss kein Fan von Märchen sein, um dieses Buch zu mögen. Ich habe das Buch neben meinem Bett liegen und werde ganz sicher abends immer mal wieder eines der mir unbekannten Märchen lesen, die Illustrationen betrachte und immer wieder über diese so herrlich passend unpassenden Grafiken nachdenken.

Bewertung vom 19.06.2023
Das Buch des Löwen
Reber, Roland

Das Buch des Löwen


ausgezeichnet

»Und als die Tage des Löwen zu Ende gingen, kamen die Monate des Lammes. Und man schlug die, die stark gewesen waren, und man erhörte nur noch die, die gefolgt waren dem Metzger, der sie rief.«
Die Tage des Löwen, Roland Reber

So fängt die Geschichte an – und so geht sie weiter. Jetzt sitze ich mit einer großen Frage hier. Gerne möchte ich meinen Leseeindruck mit der Welt teilen, doch wie soll ich es anstellen? Dieses Buch, nein Büchlein, ist so gewaltig, da steht so viel drin, dass es mich fast erschlagen hat.
Nachdem ich es gelesen hatte, war ich mir sicher: Dieser Text ist reiner Bullshit oder eben absolut genial. Schnell tendierte ich zum Zweiteren. Mich erinnerte es an eine gewaltige Schöpfungsgeschichte, auch der Schreibstil erinnert an die Bibel, genauer an das Alte Testament, was auch noch durch die Unterteilung in Verse unterstützt. Wort- und tatgewaltig ist der Text, leicht lesbar und von einer ganz eigenen Schönheit. Doch ich hatte das Gefühl, ich habe den Sinn noch nicht verstanden, was will uns Roland Reber mit diesem Text sagen? Eine Metapher auf die menschliche Schöpfung und Entwicklung? Ich las es noch einmal. Diesmal erkannte ich eine Geschichte von Machtausübung, von dummer Obrigkeitsgläubigkeit dem Auf- und Niedergang von Gesellschaftssystemen. Auch eine kleine Geschichte der Menschheit.
Ich war verwirrt wegen meiner Unklarheit und ihr ahnt es, ich musste es noch einmal lesen. Was ich las, war eine Geschichte der institutionellen Kirchen, blindem Glauben und dessen Folgen. Ich war besessen vom Text, ich musste dem auf den Grund gehen. Während ich versuchte herauszubekommen, was der Autor mit diesem Text sagen will, las es mein Sohn.

»Und?«
»Es ist ein Gleichnis gegen den Krieg, Gewalt und Unterdrückung.«

Im Kern geht es bei jeder möglichen Interpretation um Macht, Ohnmacht, Unterwerfung und Dummheit. »Gelobt seist du, Metzger, der uns holt. Und heilig, heilig sei die Stätte, auf der wir unser Blut vergießen am Tage des Todes.«
Die Tage des Löwen, Roland Reber

Doch was sagte nun der Autor zu der Bedeutung seines Textes?

»Die Deutung liegt bei jedem selbst!«
Roland Reber über seinen Text

Unbestritten ist der Text höchst symbolisch, ein fabelhaftes Gleichnis. Eine Fabel ohne Zweifel, denn es kommen nur Tiere darin vor, auch wenn eines davon das »Tier Mensch« ist.
Ich habe mich an diesem Text ergötzt, er hat mich zum Nachdenken gebracht, er hat mich fasziniert. Unterhaltung? Ja, der Text hat mich auch unterhalten, doch wer die reine Unterhaltung sucht, der ist mit diesem Text schlecht beraten. Die wahre Freude an diesem Büchlein werden jedoch alle haben, die gerne außergewöhnliches lesen, die Sprache lieben und die philosophisch in Texte eintauchen möchten.

Ergänzt ist der Text mit passenden Illustrationen der Künstlerin Ute Meisenheimer. Außerdem enthalten sind weitere kurze Texte und Gedanken des Autors, allen voran das unvollständige »Buch der Prophezeiungen«. Rebers literarischer Nachlass, den ich jedem Literaturfreund wärmstens ans Herz legen möchte.

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