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Betty Literatur

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Insgesamt 78 Bewertungen
Bewertung vom 16.11.2024
Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Hefter, Martina

Hey guten Morgen, wie geht es dir?


gut

Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Martina Hefter
Juno, Mitte 50, ist Performancekünstlerin und lebt mit ihrem schwer erkrankten, an den Rollstuhl gebundenen Mann Jupiter in Leipzig. Der Alltag ist schwierig, finanziell und auch emotional, das Paar hat sich entfremdet. Juno lebt in ihrer „eigenen“ Welt, die aus Ballett, dem obsessiven Interesse an den Planeten sowie dem neu entdeckten Faible für Tattoos besteht. Sie hadert mit dem Älterwerden und sorgt sich um die Veränderungen ihres Körpers.
Ihre schlaflosen Nächte überbrückt sie, indem sie sich auf Anfragen fremder Männer im Internet einlässt, wohl wissend, dass es sich bei deren Profilen um sogenannte „Love-Scammer“ handelt; Männer die sich das Profil eines gut situierten, gutaussehenden „weißen“ Mannes zulegen, um einsamen Frauen die große Liebe vorzuspielen und sie dann finanziell ausnehmen. Juno „spielt“ mit diesen Männern im Internet, sie legt sich selber falsche Identitäten zu und brüskiert die Männer mit ihren abschweifenden Gedanken und Phantasien.
Als sie mit Benu aus Nigeria chattet und diesen als Scammer enttarnt, setzen die beiden trotzdem den Kontakt fort, die Chats bestehen aus Belanglosigkeiten „Hey, guten Morgen, wie geht es dir?“ und trotzdem begleiten sie ihren Alltag. Sie beginnt, sich mit der Lebenssituation der Menschen in Nigeria zu beschäftigen. Sie recherchiert aber auch über die Machenschaften der Love-Scammer und den Schaden, den die Opfer erleiden.
Der Buch endet, wie auch der Alltag weitergeht, belanglos, ohne Ende ohne Plan.
Der Roman der diesjährigen Preisträgerin des Deutschen Literaturpreises hat mich leider nur stellenweise überzeugt. Die vermutlich starken autobiographischen Anteile sorgen für eine fehlende literarische Tiefe. Das Fragmentarische, das Programm ist, aneinandergesetzte Szenen und Gedanken, unausgereifte Themen, die ausgebaut hätten werden können. Besonders enttäuschend fand ich die mangelnde sprachliche Innovationsbereitschaft.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.11.2024
Vierundsiebzig
Othmann, Ronya

Vierundsiebzig


sehr gut

Ronya Othmann Vierundsiebzig
„Auch die Sprache ist eine Waffe“
„Ich kenne keine êzîdische Familie, in der nicht jemand umgebracht wurde.“

Ronya Othmann berichtet in ihrem Buch über den74. Genozid 2014 in Shingal, der an der êzîdischen Bevölkerung durch die IS-Kurden im Nord-Irak verübt wurde.
Die Autorin ist Tochter einer deutschen Mutter und eines kurdisch êsîdischen Vaters.
2018 fliegt sie nach Kurdistan, in das Camp Ashti im Irak in der Nähe der iranischen Grenze.
Sie versucht eine Sprache zu finden, für das Geschehene an ihrem Volk, das eigentlich sprachlos macht.
„Die Sprachlosigkeit liegt noch unter der Sprache, selbst wenn ein Text da ist.“
„Ich schreibe: Ich habe gesehen. Das Ich ist ein Zeuge. Es spricht, und doch hat es keine Sprache.“
„Versuche ich zu schreiben, ist es, als würde ich einzelne Stücke zusammennähen.“
Ronja besucht das Dorf der Großeltern, in dem sie als Kind war, 2014 flieht die Großmutter aus Syrien nach Deutschland, sie ist traumatisiert.
Während ihrer Recherchen in Kurdistan, aber auch in Deutschland, erfährt Ronya von den grauenhaften Taten, die ihrem Volk angetan wurden.
Das Verbrechen in Shinghal ist nicht in Worte zu fassen, verschleppte und verkaufte Frauen und Kinder, Vergewaltigungen. grauenhafte Hinrichtungen.
Die Berichte von Augenzeugen sind kaum zu ertragen
Sie will die Motive der IS-Kämpfer verstehen, aber die Frage nach dem „warum“ kann nicht beantwortet werden. Sie besucht die Peschmerga-Einheiten in zerstörten Landschaften, Kämpferinnen gegen den IS, Frauen die selber Opfer waren.
Ronja sammelt die Geschichten der überlebenden Frauen, die vom IS verkauft und versklavt wurden.
Sie besucht Gerichtsprozesse in Deutschland, in denen die Menschen angeklagt werden, die Frauen und Kinder versklavt haben.
2022 reist sie abermals an die heiligen Orte der Esîden, sie ist auf der Suche nach ihren Wurzeln, ihrer Identität. Der kulturelle Genozid führt zum Aussterben des êzîdischen Volkes.
Die êzîdischen Regeln, z. B. nur untereinander zu heiraten werden in Deutschland aufgeweicht, auch sie selber stammt aus einer multikulturellen Ehe.
Die Sprachlosigkeit der Autorin, ihre Hoffnung, der Versuch, Distanz zu dem Geschehenen zu finden, werden deutlich: „Wenn der Text fertig ist, kann ich alles vergessen.“ Aber auch „Für diesen Text gibt es kein Ende“ und „Ich will das Ich aus meinem Text streichen.“
2023 erkennt der Deutsche Bundestag den Genozid an den Eziden an.
Dieses Buch ist sicher kein Roman, denn es gibt definitiv keine Fiktion, es ist eher ein autobiografisch geprägtes Sachbuch, eine Historie der Verfolgung, Vertreibung und Ermordung des êzîdischen Volkes, eine Reportage, ein Essay, eine Reisebeschreibung.
Einschließlich Glossar.

Die Informationen über das êzîdische Volk sind wichtig, wir wissen viel zu wenig über diese Kultur, die eigentlich nur mündlich überliefert wird. Das ist der große Verdienst der Autorin.
Ich hätte mir gern etwas mehr Struktur gewünscht, eine Bündelung der Informationen. Die Zerrissenheit der Autorin kommt allerdings genau dadurch zum Ausdruck, sie möchte „alles“, was sie herausgefunden hat, in die Welt weitertragen. Und das ICH stellt die Verbindung zwischen diesen vielen Textsorten her.

Bewertung vom 10.10.2024
Hasenprosa
Kames, Maren

Hasenprosa


sehr gut

Hasenprosa -Maren Kames
Shortlist Deutscher Buchpreis 2024
„Der Himmel war lila. Die Sterne nickten wieder. Die Wiese unter uns schmatzte zufrieden.“
Ein Albtraum oder ein Märchen? Die Erzählerin begibt sich auf Reisen in die Vergangenheit
in rasender Geschwindigkeit und mit atemloser Prosa.
In dem grenzenlosen Spiel in Zeit und Raum, dem „Rutschen ins Erdinnere“ und dem Durchstreifen der Galaxien erleben sie und ihr Begleiter, eine sehr gebildeter Hase, verschiedene Erdzeitalter. Während die Erzählerin auf den Grund ihres Herzens taucht, werden vor allem die Erinnerungen an die Großeltern, ihren „Wandverwandtschaften“, wach.
Der Hase? Ich weiß nicht, ob er eine tiefere Bedeutung hat. Er ist einfach da. Das ist auch gut so, denn er ist ein sicherer Begleiter.
Die überbordende Lust am Sprachspiel „…denn als ich mir derart zurückgelassen probeweise und für den Sowiesobedarf einen Engel morste, gingen zwei Buchstaben verloren, ein anderer schlich sich zielstrebig nach vorne, und so war, was ich herausbekam, letztendlich ein Igel.“ ist überwältigend, ich kann nicht sagen welche Wortneuschöpfungen mir am besten gefallen haben. Herrlich ist auch das Spiel mit fehlender Sprache. „Es taugte nichts.“
Neben der „Donner down memory lane“ fließt auch Gesellschaftskritik ein.
„Es hing eine Dringlichkeitspenetranz und Wichtigtuerei in der Luft, dass es nicht zum Aushalten war…“
Aber vor allem liebt Maren Kames, die Experimente mit der Sprache, sie schreibt nicht, sie „scribbelt“, widersetzt sich literarischen Traditionen, liebt absurde und skurrile Elemente, sie nutzt die Leichtigkeit, den Humor und die Absurdität jedoch durchaus zur Ergründung tiefer Themen.
Hasenprosa gibt es tatsächlich auch als literarische Gattung, geprägt durch Christian Morgenstern: „Der Hase schreibt, wie er schreibt. Man nennt es Hasenprosa.“
Auch das sprachliche Vorbild Friederike Mayröcker wird durch passende Zitate gewürdigt.
Ich mag dieses wunderbare Buch sehr.

Bewertung vom 27.09.2024
Die schönste Version
Thomas, Ruth-Maria

Die schönste Version


ausgezeichnet

Absolut lesenswert

„Wenn ich ein Moment wäre, dann wäre ich dieser“, so beginnt die Geschichte von Jella und Yannick, doch das Glück bekommt Risse, es kommt zu Gewalt in der Beziehung, bis Yannick eines Tages zu weit geht und Jella würgt.
„Meine gestorbene Alleswürde“, so sagt sie und verlässt ihn, zieht wieder zu ihrem Vater in ihr altes Kinderzimmer und lässt in schonungsloser Introspektion ihre Erinnerungen Revue passieren.
Jella wächst in einer ostdeutschen Kleinstadt auf, die Familie musste das Dorf verlassen, der Kohleabbau vernichtet die Landschaft. Nun lebt sie mit ihrem Vater in einem Plattenbau, die Mutter ist nach Berlin gegangen.
Jalla lebt ganz in den Schönheitsidealen der Mädchen der frühen 2000er und sie definiert sich vollständig über die Beachtung durch die Jungen und jungen Männer, dafür ist sie zu allem bereit, auch beim Sex, auch bis zur Erniedrigung. Bis eines Tages ein Erlebnis ihr Leben verändert. Sie läuft gegen die Angst, gegen die Gedanken in ihrem Kopf und sie sucht sexuelle Abenteuer.
Als sie den geheimnisvollen Yannik kennenlernt, passt sie sich bis zur Selbstaufgabe seinen Erwartungen an, denn der Traum von einer „richtigen“ Beziehung ist noch da. Aber Yannik ist zerfressen von Selbstzweifeln und Eifersucht und so „spielen“ die beiden das giftige Spiel zwischen Streit, Wut, Beleidigungen, Gewalt und inniger körperlicher Versöhnung.
Das ist verwirrend und anziehend zugleich für Jella und bis zum Schluss kämpft sie mit der Frage, ihrer eigenen Schuld an diesen Eskalationen und der Frage, ob sie Yannik den extremen Übergriff verzeihen kann.
Ich bin begeistert von der Sprache der Autorin, so nah und eindringlich, von verspielt romantisch zu nüchtern sachlich.
Kurze stakkatoartige Sätze, winzige Momente, Beobachtungsschnipsel, Gedankensplitter
nehmen uns mit in die Gedanken im Kopf der Protagonistin.
Ein verstörendes Buch über eine selbstzerstörerische Frau, die den Schmerz sucht, um sich zu fühlen
Absolut lesenswert

Bewertung vom 22.09.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


sehr gut

Lichtungen - Iris Wolff
Shortlist zum Deutschen Buchpreis
Lev und Kato kennen sich seit ihrer Kindheit und sehen sich nach 5 Jahren in Zürich wieder.
Lev lebt in Rumänien, Kato ist Straßenkünstlerin und reist durch Europa.
Rückblickend wird erzählt, wie sie sich gefunden und verloren haben und so sind auch die Kapitel von hinten nach vorne geordnet (Kapitel 1 am Schluss).
Während seiner Schulzeit muss Lev aufgrund eines Unfalls zu Hause im Bett verbringen, er kann die Beine nicht mehr bewegen. Kato, dieses sonderbare Mädchen aus seiner Klasse, mit der niemand etwas zu tun haben möchte, versorgt ihn mit Aufgaben.
Und er verliebt sich in Kato.
Lev erlebt die Schulzeit voller Quälerei durch einen Mitschüler.
Er bricht die Schule ab und arbeitet mit seinen Brüdern im Wald, erlebt die Intensität der Natur, die Einsamkeit, die wortkargen Männer und leidet unter dem Heimweh nach Kato.
Levs große Verliebtheit mit 18 ist eingebettet in die düsteren Zeiten beim Militär unter der Diktatur Ceaușescus.
„Er konnte sich nicht sattsehen an ihrem Gesicht, das von einem Augenblick zum nächsten in etwas anderes kippen konnte, von übermütig in nachdenklich, aus ernst in euphorisch.“
Eines Tages taucht Tom in dem rumänischen Dorf auf. Er ist auf seiner Reise mit dem Fahrrad durch Osteuropa und Kato folgt ihm.
Lev macht sich auch auf den Weg, allein.
Er fährt durch einsame, verlassene Landschaften und Orte, Siebenbürgen, irrt umher, auch in seinen Gedanken. Aber er kehrt in sein Dorf zurück.
Es geht auch um die politische Wende in Rumänien, das Ende der Diktatur und um eine Familie (deutsch-österreichisch-rumänisch) mit ihren verschiedenen Wurzeln und die Frage: Was ist eigentlich Heimat?
„Sie lebten unter Wölfen. Das hatte er schon vorher gewusst.“
„Gut war man geworden. Im Wegsehen, Weghören. Auch: Wegdenken.“
Es geht auch um die Freiheit, mit der viele Menschen nach dem Ende der Diktatur noch gar nichts anfangen können.
Aber Kato hat diese Freiheit genutzt.
Iris Wolff erzählt leise und eindringlich, die Retrospektive in der Erzählweise ist am Anfang etwas anstrengend, aber sie schafft natürlich auch Spannung. Es ist nicht immer leicht sich in der Außensicht von Levs Perspektive zurechtzufinden.
Aber das Buch hat auch etwas Magisches in seiner Intensität, der Symbolik und der teilweise traurigen Düsternis.

Bewertung vom 12.09.2024
Mein Mann
Ventura, Maud

Mein Mann


ausgezeichnet

Mein Mann - Maud Ventura
Aus dem Französischen von Michaela Meßner

„Ich liebe und will geliebt werden, und zwar mit einem solchen Ernst, dass diese Liebe schnell anstrengend wird (für mich, für den anderen). Kurz, es ist immer eine unglückliche Liebe.“
Eine Frau, die alles hat, einen interessanten Beruf, einen Ehemann, den sie abgöttisch liebt, 2 Kinder, ein schönes Haus, ist geplagt von Selbstzweifeln. Sie achtet auf ein tadelloses Aussehen, verdrängt ihre eher bürgerliche Herkunft, um sich den Codes und Verhaltensregeln der Gesellschaftsschicht ihres Mannes anzupassen, um alles „richtig“ zu machen.

Ihr Leben ist vollständig auf „ihren“ Mann ausgerichtet, mit dem sie seit 15 Jahren verheiratet ist.
Sie ist besessen von der Vorstellung, dass er sie nicht mehr oder nicht genug liebt.
Diese „verzehrende Passion“ für ihren namenlosen Mann ist kaum zu ertragen.
Wir erleben das Psychogramm einer Frau, die an der Liebe ihres Mannes zweifelt und ihn immer wieder „auf die Probe“ stellt.
„Ich liebe so stark, dass meine eigene Liebe mich verzehrt (ständiges Analysieren, ständige Eifersucht, ständige Zweifel) - so sehr, dass ich, wenn ich verliebt bin, am Ende immer ein wenig erloschen wirke.“
Akribisch sammelt sie Notizen über die Beweise der nachlassenden Liebe ihres Mannes, Tipps aus Beziehungsratgebern, wie die Liebe eines Paares am Leben bleibt, aber sie notiert auch die kleinen Vergehen der Lieblosigkeit samt Strafen ihrerseits. Dabei geht sie sehr weit.
Sprachlich virtuos und eindringlich schreibt die Erzählerin über eine Woche, in der jeder Wochentag eine andere Farbe, eine besondere Bedeutung, eine bestimmte Stimmung und auch eine andere visuelle Wahrnehmung für sie hat.
„Ich habe die Tage immer in Farben gesehen.“
„Heute weiß ich, dass montags blaue Gegenstände mit größerer Intensität in
meinem Gesichtsfeld aufscheinend und mittwochs die orangefarbenen.
Ihr unerschöpfliches Liebesbedürfnis ist so existentiell, ihre Gedanken und Phantasien drehen sich nur um dieses Thema.
„Ich war nicht so sehr von dem einen oder anderen jungen Mann abhängig, die einzige Konstante war meine Abhängigkeit von der Liebe.“
Dieses Buch hat mich völlig in seinen Bann gezogen. Die Selbstzerstörung einer Frau auf der Suche nach Liebe. Und ein starkes, überraschendes Ende.

Bewertung vom 10.09.2024
Pineapple Street
Jackson, Jenny

Pineapple Street


sehr gut

Pineapple Street - Jenny Jackson
Aus dem Amerikanischen von Barbara Schaden

Die äußerst vermögende Familie Stockton lebt in Brooklyn, New York.
Sasha, angeheiratete Ehefrau wohnt mit Sohn Cord im ehemaligen Haus seiner Eltern in der Pineapple Street, das die Erinnerungsstücke und Möbel sämtlicher Familienmitglieder beherbergt. Sie passt nicht wirklich in deren Welt, stammt aus einfachen Verhältnissen

Darley, Mutter zweier Kinder, ist mit einem koreanischen Mann verheiratet, der natürlich beruflich erfolgreich ist und deshalb auch in der Familie akzeptiert ist. Sie ist nicht berufstätig.

Georgiana, die jüngste Tochter, ist unglücklich verliebt, arbeitet bei einem Unternehmen, das soziale Projekte organisiert und hadert mit der Vorstellung so viel Geld zu besitzen, das sie geerbt hat.

Dominiert wird diese Welt von der alles bestimmenden Mutter Tilda, die in ihrer versnobten Art die „Regeln“ bestimmt.
Die Charaktere sind durchaus menschlich, sympathisch, die Entwicklungen und Konflikte der 3 jungen Frauen verständlich und nachvollziehbar.

In der Welt dieser reichen Familiendynastien herrschen die Macht und auch Arroganz des Geldes. Erleichterung findet das Gewissen dann auf Wohltätigkeitsveranstaltungen, auf denen man sich in Großzügigkeit „überbietet.“
Es gibt durchaus Kritik am obszönen Reichtum der Erben dieser Dynastien, gepaart mit der Frage, ob sich das viele Geld nicht sinnvoller in Stiftungen und sozialen Projekten einbringen lässt.

Es ist leichtes, unterhaltsames Buch, mich hat es nur teilweise überzeugt. Vor allem das „harmonische Ende“ wirkt fast banal, angesichts der wirklichen Probleme in der Welt.

Bewertung vom 31.08.2024
Mein drittes Leben
Krien, Daniela

Mein drittes Leben


ausgezeichnet

Daniela Krien- Mein drittes Leben
„Mein Name ist Linda. Linda bedeutet die Milde, die Freundliche, die Sanfte. Dieser Name hat nichts mehr mit mir zu tun.“

Der Verlust der 17-jährigen Tochter hat das Leben der Erzählerin zerstört. Sie zieht sich in die Einsamkeit eines alten Bauernhofes auf dem Land zurück.
Dort durchlebt sie ihren täglichen Schmerz und taucht ein in die Vergangenheit mit ihrem Mann Richard und ihrer Tochter.
„Das Niemandsland zwischen Leben und Tod, das ich bewohne, spiegelt sich in der Landschaft wider und verschmilzt mit ihr. Die Schönheit hat hier kein Recht.“
Der Schmerz der Ich-Erzählerin ist spürbar, kaum zu ertragen.
Aber es ist auch der Prozess einer Heilung, das langsame Wiederentdecken des Lebens, gepaart auch immer wieder mit Rückschritten.
Obwohl Linda den Kontakt zu Menschen meidet, nimmt sie sie doch wahr, jeden detailgenau beobachtend und auf treffende Weise beschreibend.
Die Natur und die Arbeit im Garten geben ihr Halt und Struktur, auch nach ihrer Rückkehr in die Stadt.
Daniela Krien schreibt in kraftvoller Sprache, findet treffende sprachliche Bilder und zeigt uns auf überwältigende Weise den Kampf einer Frau auf dem Weg in ihr „Drittes Leben.“
Faszinierend die unkommentierten „belanglosen“ Dinge des Alltags, die hier literarische Qualität bekommen.
Dieses Buch steht zu Recht auf der Liste der Nominierungen zum „Deutschen Literaturpreis“.
Diogenes Verlag 2024

Bewertung vom 24.08.2024
Lass uns noch mal los
Matthiessen, Susanne

Lass uns noch mal los


sehr gut

Lass uns noch mal los - Susanne Matthiessen
„Immer war irgendwas zu viel. Ich war zu laut, zu selbstbewusst, zu anstrengend, zu fordernd, zu emotional, zu frech, zu anspruchsvoll. Immer war irgendetwas falsch.“

Susanne Matthiessen nimmt uns in ihrem autobiographisch geprägten Roman mit auf eine Zeitreise, als die 24-Jährige 1987 nach Berlin fährt.
Sie möchte Radiojournalistin beim NDR werden und scheitert beim Bewerbungsverfahren.
„Sie treten hier sehr burschikos auf, junge Dame. Als Hobby geben Sie Motorradfahren an. Tragen Sie eigentlich auch mal Kleider und Röcke? Sie haben doch eine ganz passable Figur. Nagellack? Lippenstift?“
Es ist ein Blick auf eine Zeit, in der Herren in Anzügen wie selbstverständlich und selbstherrlich mit einer jungen Frau umgehen. Und auch die Frage: „Wo müssen wir Sie politisch einordnen?“ klingt absurd, ist aber angesichts der drohenden RAF-Gefahr in der verunsicherten Bundesrepublik anscheinend legitim.
Die junge Frau erhält eine letzte Chance, um in Berlin über eine Hundezüchterausstellung zu berichten.
Sie gerät in die berüchtigte Straßenschlacht am 1.5.1987 und lernt Frauen aus einem „Frauenkollektiv“ kennen. Und sie entscheidet sich, dort zu bleiben.
Berlin ist ein „wilder Abenteuerspielplatz“, Punks, Hausbesetzer, Feministinnen sowie Menschen aller Kulturen prägen die Kreuzberger Szene.
Die Autorin gründet mit anderen Frauen ein feministisches Wohnprojekt.
Mittlerweile sind die Frauen in „die Jahre gekommen“ und erfahren am eigenen Leib, wie sich Wohnungsnot, steigende Inflation, Arbeitslosigkeit, Altersarmut auf ihr Leben auswirken.
Und auch die Kraft für gute feministische Aktionen fehlt. „Wir haben aufgegeben“, beklagt die Autorin und resümiert über die geplatzten Träume des Feminismus.
Aber irgendwie sind diese gealterten sympathischen Frauen auch in den 80er Jahren hängen geblieben.
Es kommt jedoch immer wieder neues „Leben“ in das Wohnprojekt, Aufgaben müssen gemeinsam bewältigt werden und neue kreative Ideen werden geboren, um z.B. auf häusliche Gewalt aufmerksam zu machen.
Die Charaktere der Frauen sind sensibel und humorvoll beschrieben, für mich ein bisschen unverständlich, warum der Prozess des Alterns und die damit verbundenen körperlichen Veränderungen so negativ bewertet werden.
Susanne Matthiessen beschreibt auf humorvolle Weise das Leben in dem Kreuzberger Frauen-Wohnprojekt. Das Lachen wird jedoch überlagert von der bitteren Erkenntnis, dass noch viel zu tun ist.
Die Probleme der Altersarmut von Frauen, dem teilweise tiefgreifenden Hass gegen Feministinnen, der Gewalt gegen Frauen, zeigen, dass es wirklich noch ein langer Weg sein wird, bis Frauen gleichwertig zur Gesellschaft gehören.
Aber es gibt sie noch! Die Feministinnen. Und sie machen weiter. Also: „Lass uns noch mal los.“
Ullstein Verlag 2024

Bewertung vom 17.08.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


ausgezeichnet

Kleine Monster-Jessica Lind
„Er gehört mir nicht. Er gehört sich selbst“
Nach einem Vorfall mit dem 7-jährigen Sohn der Erzählerin werden die Eltern aus der WhatsApp Gruppe entfernt.
Sie wissen nicht genau, was passiert ist und finden keinen Zugang zu ihrem Kind.
Gleichzeitig werden die Erinnerungen der Erzählerin an die eigene Kindheit wieder wach.
Die Qual der Mutter, die Wahrheit herauszufinden bestimmt ihren Alltag.
Jessica Lind hat ein sehr kluges und berührendes Buch über die Beziehung zwischen Eltern und Kind, Liebe und Vertrauen geschrieben.
Es gelingt ihr durch den Wechsel zwischen aktuellen Situation und dem Rückblick auf die eigene Kindheit eine große Spannung und Dynamik aufzubauen, gleichzeitig die Gedankenwelt der Erzählerin fast schmerzhaft zu durchdringen.
Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen.
#hanserverlag