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Nathalie

Bewertungen

Insgesamt 10 Bewertungen
Bewertung vom 28.04.2023
Als wir Vögel waren
Banwo, Ayanna Lloyd

Als wir Vögel waren


ausgezeichnet

Sprachlich hervorragend, aber zu morbide

Ich habe das Buch „Als wir Vögel waren“ von Ayanna Lloyd Banwo gespannt zur Hand genommen, sprach mich doch das poetische und farbintensive Cover mit seinen ausdrucksstarken Formen und Motiven an. Ich erwartete also ein sprachlich ansprechendes, lebensbejahendes Buch. Schon die ersten Seiten zeigten die große Stärke des Romans: die plastischen Schilderungen, die Bilder vor dem Auge entstehen lassen. Leider schaffte der Roman es nicht, mich inhaltlich zu überzeugen. Zwar entspricht die Rahmenhandlung einem Liebesroman, aber er ist bei weitem nicht lebensbejahend. Behandelt wird der Tod (wenn er auch nicht wirklich erörtert wird).
Der Roman vereint zwei Erzählstränge: Zum einen den von Yejide, die von ihrer Mutter die Fähigkeit erbt, die Toten sehen zu können, und derjenige von Darwin, der als Totengräber arbeiten muss, um seiner Mutter Geld überweisen zu können.
In der ersten Hälfte des Romans begegnen diese Personen sich nicht bzw. kaum. Dabei gleichen die Schilderungen, die Yejides Familie betreffen, einem morbiden, mystifizierenden Familienroman. Der Tod durchdringt ihr komplettes Dasein. So erfahren wir auf vielen Seiten, dass ihre Familie schon immer mit den Toten verbunden gewesen ist. Über den Tod lernt sie auch Darwin kennen.
Die ihn betreffenden Schilderungen gleichen mehr einer Milieustudie. Und diese Darstellung ist interessant. Ich hätte gern mehr davon gelesen.
Das Buch ist zu empfehlen für Menschen, die Sprache lieben, denn die Sprache ist wunderschön, ebenso sind die Schilderungen plastisch. Fremde Welten erscheinen vor dem inneren Auge. Dennoch versteift sich der Roman zu sehr auf die Todesthematik, ohne hierbei inhaltlich in die Tiefe zu gehen.

Bewertung vom 26.01.2023
NIGHT - Nacht der Angst
Sager, Riley

NIGHT - Nacht der Angst


ausgezeichnet

Spannend, klaustrophobisch, unterhaltsam!

Mit „Night“ ist Riley Sager ein wirklich spannendes Buch geglückt. Recht schnell findet sich der Leser inmitten einer Situation wieder, in der sich ihm die Nackenhaare sträuben: im Auto mit einem vermeintlichen Mörder.
Die sympathische Protagonistin Charlie möchte nach dem Mord an ihrer besten Freundin nur eines: die gemeinsam besuchte Universität verlassen und (per Mitfahrgelegenheit) nach Hause fahren. Doch schon nach kurzer Zeit der Fahrt bemerkt sie, dass der Fahrer ihr nicht die ganze Wahrheit über sich erzählt hat, und so wird die Fahrt zu einer Suche nach der Wahrheit und der Antwort auf die Frage, ob der Mörder vielleicht gerade neben ihr sitzt. Dabei zweifelt sie jedoch nicht nur am Fahrer, auch ihrer eigenen Wahrnehmung muss sie misstrauen, denn sie neigt zu Halluzinationen. Während das Geschehen zunächst etwas haarsträubend wirkt (wer setzt sich so kurz nach einem Mord zu einem Fremden ins Auto, noch dazu, wenn man ab und an halluziniert), wird dies im Laufe der Geschichte jedoch plausibilisiert, welche noch dazu eine rasante Wendung nach der anderen nimmt und wirklich alles logisch zusammenbringt.
Alles in allem: Ein wirklich sehr unterhaltsames und auch ein wenig nostalgisches Buch (es spielt in den 90ern, so dass ich auch immer ein wenig an Filme wie Scream denken musste), das nur zu empfehlen ist.

Bewertung vom 13.09.2022
Zwischen Brüdern
Böhm, Wolfgang

Zwischen Brüdern


ausgezeichnet

Bewegend und einfühlsam

Wolfgang Böhm ist mit seinem Roman „Zwischen Brüdern“ ein wunderbares Buch über das Leben und die Beziehung zwischen zwei ungleichen Brüdern im Wien der Zeit nach dem ersten Weltkrieg gelungen.

Ganz unaufdringlich und dabei doch eindringlich nimmt uns Viktor, der ältere und bodenständigere Bruder, als Erzähler mit in eine Welt, die zwischen Schönheit und Fortschrittsoptimismus einerseits und Nationalismus und Antisemitismus andererseits zunehmend zerrissen ist. Wir erleben die gesellschaftlichen Veränderungen im düsterer werdenden Wien, fühlen mit Viktor die schon im Untergrund der goldenen Zwanziger brodelnde Bedrohung, die letztlich in der Diktatur des Nationalsozialismus mündet. Obwohl Böhms Roman nicht nur Gesellschaftsroman, sondern vor allem ein familiärer Beziehungsroman ist, bleibt diese entfaltete Welt noch lange nach Beendigung der Lektüre präsent.

Vielleicht ist das so, weil es dem Autor gelingt, uns mit den beiden Hauptfiguren, aber auch den Nebenfiguren intensiv mitfühlen zu lassen. Das ist umso bemerkenswerter, weil der Erzähler Viktor seinen Bruder Hans keineswegs idealisiert, sondern in all seiner Widersprüchlichkeit und Unfassbarkeit darstellt – und doch ergeht es uns Lesenden wie Viktor, der seinen Bruder bei all seinen Fehlern nicht hassen, sondern seine „Liebe für ihn nur in eine andere Form“ gießen kann. Letztlich schreibt Böhm einen Roman über Liebe, und zwar einen der schönsten, die ich diesbezüglich je gelesen habe. Das Buch macht nachdenklich und betroffen, es berührt, erstaunt, es erschafft neben den beiden genannten Protagonisten mit wenigen Pinselstrichen weitere Figuren, deren Lebensgeschichte man gerne weiterverfolgen würde, z.B. Annemarie, die Kellnerin in Hans‘ Stammcafé…

Noch hervorheben möchte ich die sprachliche Gestaltung: Viktors besonnener Art entsprechend fließt die Sprache zart und von bemerkenswerter Treffsicherheit zumeist ruhig dahin, um immer wieder unvergesslich schöne Formulierungen zu finden wie die oben zitierte, an denen auch Hans mit seinem unvergänglichen Sinn für das Schöne seine helle Freude hätte.

Unbedingt lesen! Eine Empfehlung für alle Feingeister.

Bewertung vom 22.08.2022
Intimitäten (eBook, ePUB)
Kitamura, Katie

Intimitäten (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein besonderer Roman

Katie Kitamura ist mit „Intimitäten“ ein facettenreicher Roman über das wurzellose Leben des modernen Menschen gelungen, der gefangen ist zwischen verschiedenen Sprachen, Kulturen, Menschen und dabei sein Leben selbst wählen muss. Der Roman besticht hierbei insbesondere durch seine herausragenden Reflexionen: Dies zeigt sich, wenn die Protagonistin messerscharf das Verhalten der anderen Figuren seziert oder über Malerei und Kunst sinniert. Auch ihre sehr genauen Gedanken zum Dolmetschen, das eine ungewöhnliche Nähe heraufbeschwört und auf das im vieldeutigen und gelungenen Cover angespielt wird, haben mich stark beeindruckt.
Ich konnte mich streckenweise stark mit der Protagonistin identifizieren. Die anderen Figuren blieben, wahrscheinlich gewollt, eher eindimensional. Sie werden zwar auch sehr genau beschrieben und analysiert, aber ich fühlte nicht mit ihnen. Sie schienen mir mehr Typen zu entsprechen, anhand derer sich die Protagonistin orientiert, zu denen sie sich in Beziehung setzt, um so sich selbst zu finden.
Ich kann diesen Roman nur jedem empfohlen, der sich auch schon einmal unter Fremden ein wenig orientierungslos gefühlt hat oder auf der Suche nach sich selbst ist. Ein wirklich schönes Buch.

Bewertung vom 20.08.2022
Sanfte Einführung ins Chaos
Orriols, Marta

Sanfte Einführung ins Chaos


ausgezeichnet

Ein gelungener Roman, der aufzeigt, wie es sich anfühlt, heute erwachsen zu werden

„Sanfte Einführung ins Chaos“ ist ein behutsamer Roman. In vorsichtiger, klingender Sprache nä­hert sich die Autorin Marta Orriols in ihrem zweiten Buch dem Innenleben ihrer beiden Protagonis­ten: Sie erzählt aus der Sicht von Daniel und Marta, wie diese die Tage zwischen der Feststellung von Martas Schwangerschaft und dem ausgemachten Termin für die Abtreibung erleben. Sie sind erst seit zwei Jahren ein Paar, und das Erleben beider ist geprägt von Reflexionen über ihre Bezie­hung und ihre Geschichte als Individuum. Es wird gezeigt, wie sie versuchen, den neuen Umstand in ihren Erfahrungshorizont zu integrieren und wie sie dabei mit Erfahrungen aus ihrem eigenen, frühesten Familienleben konfrontiert werden.
So ist der Roman zum einen ein behutsames Aufzeigen individueller Bedürfnisse, deren Wurzeln weit unter der Oberfläche liegen, aber auch eine Auseinandersetzung mit den Erfordernissen des Erwachsenseins und dem Leben in der heutigen, schnelllebigen Gesellschaft, in der es leichter fällt, flache Wurzeln zu schlagen. Insbesondere Daniel kommt einem in der Introspektive nahe und ist einem dabei zumeist auch sympathisch.
Ein, wie ich finde, sehr gelungener, sehr moderner Roman, der die Dinge in der Schwebe hält, wie es nur in wenigen real erlebten Momenten der Fall ist, und zwar in jenen, in denen die Veränderung noch aussteht, aber sich schon deutlich abzeichnet und nicht verdrängen lässt.

Ein Roman für alle Paare, die an der Schwelle zur Sesshaftigkeit stehen, die noch im Zwischenreich zwischen Unverbindlichkeit und fester Bindung wohnen. Aber auch für alle, die dem noch entge­gensehen und daraus lernen können oder aber selbst nur zu gern Menschen beobachten: Der Roman gibt einen hervorragenden Einblick hinter die Kulisse des modernen Menschen an der Schwelle zur Verantwortung.

Bewertung vom 13.08.2022
Auf See
Enzensberger, Theresia

Auf See


ausgezeichnet

Ein facettenreicher Roman über das Erwachsenwerden im Ausnahmezustand

„Auf See“ ist ein sehr vielgestaltiger Roman, für den sich keine Schublade finden lässt. Und das ist gut so! Die Geschichte von Yada und Helena ist eine gut recherchierte Gesellschaftskritik, teils Utopie und doch so realistisch. Ein Coming-of-Age-Roman einer so gar nicht gewöhnlichen jungen Frau, die Kosmopolitin auf ganz besondere Weise ist.
Die Handlung erstreckt sich insbesondere über drei Erzählstränge, von denen man zunächst nicht weiß, wie sie sich zueinander verhalten. Während einer anekdotisch durch Faktenwissen philosophisches Schlaglicht auf die Erzählung wirft, dienen die anderen beiden dazu, die Handlung voranzutreiben. Und diese entwickelt sich rasant. Die Sprache ist dabei schnörkellos, manchmal schnoddrig, und doch präzise, vielseitig und kenntnisreich.
Eine Freude, das Buch zu lesen. Inspirierend und kreativ ist es dabei empfehlenswert für all die mutigen Utopisten und intellektuellen Realisten dieser Welt, auf dass sie viel zu diskutieren haben.

Bewertung vom 11.08.2022
Die Wunder
Medel, Elena

Die Wunder


ausgezeichnet

Ein wundervoller Roman über Tragik und Schönheit des nur manchmal selbstbestimmten Lebens

„Die Wunder“ ist ein Roman von großer Eindrücklichkeit, der sich insbesondere über seine Auslassungen entfaltet. Sowohl die Sprache, in der manche Sätze versanden, als auch der Textfluss, der einzelne Textstellen wie Gedankensprünge manchmal erst aus dem Zusammenhang erschließbar macht. Aber auch, weil er nur wenige Stationen im Leben von Alicia und Maria beschreibt. Erst diese Leerstellen machen spürbar, was die Tragik ihrer Leben für sie und für ihre Lebensgestaltung bedeutet. Die Auslassung muss spürbar werden, das Fehlende sich entfalten. Die Geschichte muss sich erst festsetzen.
Ein großes Thema dieses Buches ist das Verfehlen. Es ist auch ein Familienroman, aber nahe kommen sich die beiden dabei insbesondere durch die Texte, die nebeneinander gestellt sind. So ist dieser Roman auch nicht in einem Rutsch lesbar. Unterstützt wird die Notwendigkeit des Innehaltens dadurch, dass wir zeitversetzt Einblick in das Leben (und darüber in die Lebensgeschichte) der beiden Protagonistinnen erhalten, zwei ganze Leben werden erzählt, dies aber abwechselnd. Zwei Dutzend Seiten sind der einen gewidmet, zwei Dutzend der anderen. Will man die Leben nicht durchmischen, so kann man nach meiner Erfahrung nicht mehr als ein Kapitel am Stück lesen. Erzählweise und Erzählung greifen nahtlos ineinander, und die eine wiederholt die Motive der anderen.
Ein wirklich sehr gelungener Roman.

Bewertung vom 25.07.2022
Matrix
Groff, Lauren

Matrix


ausgezeichnet

Das Buch „Matrix“ ist wirklich ein ungewöhnliches Buch. Man weiß zunächst nicht – ist es ein historischer Roman, nah dran am damaligen Leben, oder hat er gar etwas mit dem Film zu tun? Weder noch. „Matrix“ ist ein elegisch geschriebenes Manifest, angesiedelt zwar im 12. Jahrhundert, aber eigentlich eine Parabel auf die Schaffenskraft des Weiblichen. Zunächst möchte ich betonen, dass mir das Lesen ein Genuss war – die Sprache ist poetisch, der Ton getragen. Gesprochenes wird nur indirekt, also im Konjunktiv wiedergegeben. Kein Buch, dass sich mal nebenbei am Strand zur leichten Unterhaltung lesen lässt. Sehr wohl aber lässt es sich bei einem Glas guten Weins genießen. Die Sprache entwickelt eine große Sogkraft, und Bilder entstehen vor dem inneren Auge ganz unverhofft. Dies ist aber nicht darauf zurückzuführen, dass der Roman besonders detailreich geschrieben wäre – das ist er nicht. Sondern auf die Poesie seiner Sprache. Wir erfahren zwar ein wenig über das Zusammenleben vieler Frauen und haben auch manchen Einblick in das Klosterleben (ein Glossar wäre hier praktisch gewesen), aber nah kommen einem die Dargestellten nicht. Aber das macht nichts. Seine große Stärke ist die Strahlkraft seiner Sprache.

Bewertung vom 06.07.2022
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Bervoets, Hanna

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ausgezeichnet

Das Cover ist bunter, als das, was der Leser zu sehen bekommt. Der Titel verweist, wie so vieles in diesem Buch, auf verschiedene Bedeutungsebenen.
Kayleigh arbeitet für einen Dienst, der Online-Beiträge darauf prüft, ob sie nicht gegen die Nutzungsrichtlinien verstoßen. Dabei begegnen ihr verstörende Bilder, und der Umgang mit diesen färbt ab auf sie und ihre Kolleg*innen.
Das Buch ist zugleich ein Sozialdrama – da wäre das prekäre Beschäftigungsverhältnis – als auch ein LGBTQ+-Roman. Die Ich-Erzählerin berichtet direkt und schnörkellos aus ihrem Leben. Das Buch ist weder reißerisch noch Thriller, sondern eine verstörende Beobachtung menschlicher Verlorenheit und Beeinflussbarkeit. Ein Buch, das unter die Haut geht und zum Nachdenken anregt. Dabei nur ein kurzes Aufflackern vor dem Verlöschen – wie der Beitrag kurz vor seiner Entfernung.

Bewertung vom 12.05.2022
Ein französischer Sommer
Reece, Francesca

Ein französischer Sommer


ausgezeichnet

„Ein französischer Sommer“ ist eine aus zwei zumeist zeitlich stark versetzten Perspektiven erzählte Geschichte: Einmal aus der Sicht von Leah, die orientierungslos nach ihrem Studium in Paris dahintreibt und sich von einem Job zum nächsten hangelt. Dann ist da Michael, ein in die Jahre gekommener, charakterlich fragwürdiger Autor. Michael sucht eine Assistentin, und Leah ist begeistert davon, für einen Schriftsteller arbeiten zu können. Bald lädt er sie ein, mit ihm, seiner Familie und deren Freunden den Sommer an der französischen Riviera zu verbringen. Die Leichtigkeit, mit der dort gelebt wird, färbt auch auf Leah ab, und so gibt sie sich dem schwelgerischen Leben hin. Ein Roman über das Leben, das Erwachsenwerden aber auch das Altern und den Umgang mit der eigenen Schuld. Der Roman lebt insbesondere durch seine intensiven Erzählungen, die schillernden Farben, man spürt das Sommerlicht flirren, als wäre man dabei. Unglaublich intelligent geschrieben, voller spritziger Details, in manchmal bewusst derber Sprache aber zumeist einfach unglaublich poetisch.