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Benutzername: 
horseshoe28
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 8 Bewertungen
Bewertung vom 09.01.2012
Winterstarre / Robert Walcher Bd.8
Rangnick, Joachim

Winterstarre / Robert Walcher Bd.8


ausgezeichnet

Wunderbare Winterlektüre aktualisiert

Ein untypischer Krimi, der mich abends oft am Einschlafen gehindert hat, weil ich das Buch einfach nicht aus der Hand legen konnte.

Zum Inhalt

Rätselhafter Leichenfund in den Alpen: in einer Berghütte werden mehrere Tote gefunden. Im selben Tal sterben zeitgleich gehäuft Einwohner an einer Virusinfektion. Ausgangspunkt ist ein Bauernhof, auf dem eine Gruppe Marokkaner untergebracht sind, die als illegale Leiharbeiter beschäftigt werden. Der ermittelnde Kommissar macht einen Journalisten zum Mitglied seiner SOKO. Dessen Recherchen decken Zusammenhänge zwischen den Todesfällen, verschiedenen Organisationen, Konzernen und Ämtern auf. Seine Veröffentlichungen sollen eine Verschwörung ans Licht bringen, die große Kreise zieht.

Spannung

Am Ende spitzen sich die Ereignisse noch sehr dramatisch zu. Das hatte ich nicht erwartet, fand es spannend aber nicht unbedingt notwendig. Im ersten Teil der Geschichte wird schon sehr viel verraten: wer sind die Toten, wie sind sie gestorben und was hat dazu geführt. Die wirklich Verantwortlichen sitzen aber sehr viel weiter weg und werden erst im zweiten Teil gefunden.

Wie genau die Spannung hier aufgebaut wird, habe ich nicht durchschauen können. Das Buch ist aufgeteilt in ganz viele kurze Kapitel, es wird aus den verschiedensten Perspektiven erzählt, teilweise mit kurzen Zeitsprüngen. Eigentlich könnte die Aufmerksamkeit eines Lesers dabei leicht verloren gehen, aber bei mir war das Gegenteil der Fall: ich wollte unbedingt immer noch das nächste Kapitel lesen (egal wie spät es schon war).

Hauptpersonen

Die ersten beiden Robert Walcher Fälle kannte ich nicht, darum musste ich mich erst an den Journalisten als Ermittler gewöhnen. Die Hürde dabei: zu akzeptieren, dass er offiziell zum Mitglied einer SOKO wird, in der Realität wohl reichlich unwahrscheinlich. Zum Fall passt es aber und die Zusammenarbeit mit dem Kommissar ist stimmig beschrieben.

Es werden reichlich Details aus dem Alltag der Hauptpersonen berichtet, ihr Privatleben, der familiäre Hintergrund, ihre Träume und Probleme. Dadurch wird nicht nur der Journalist zu einer interessanten Figur, sondern auch alle übrigen Personen - insbesondere eine Krankenschwester, der überlebende Marokkaner und natürlich die verschrobenen, eigenbrötlerischen Talbewohner.

Für die vielen Opfer gilt dies allerdings nicht – sie bleiben anonym und Grauen entsteht nur durch die große Zahl an Todesfällen, passend zur indirekten Verursachung ihres Todes.



Kulisse

Obwohl die Recherchen teilweise auch ins europäische Ausland führen, steht im Mittelpunkt ein kleines Tal in den Allgäuer Alpen. Und dieser Schauplatz wird sehr liebevoll und sehr ausführlich beschrieben. Die winterliche Atmosphäre in den Alpen kann man sich nicht nur vorstellen, sondern fast fühlen und sich dafür begeistern – sogar wenn man aus Norddeutschland stammt und das Meer viel lieber mag als Berge.

Einschätzung

Absolut empfehlenswert, ich freue mich schon sehr darauf den nächsten Krimi von Joachim Rangnick zu lesen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.01.2012
Tabu
Hill, Casey

Tabu


weniger gut

Stoff für 800 Seiten

Es ist kein gutes Zeichen, wenn man einen Krimi fast durchgelesen hat und ihn immer wieder aus der Hand legt. Bei diesem Buch ging es mir so, weil ich schon am Anfang richtig vermutet hatte, wer der Serienmörder sein würde und mich darum gelangweilt und über die vielen Schwächen dieses Thrillers geärgert habe.

Eine in Kalifornien aufgewachsene Kriminaltechnikerin wandert nach Irland aus, wo sie die Leitung einer neu aufgestellten Abteilung übernimmt. Es ist es ein beruflicher Abstieg, dessen Ursache privater Natur ist. Sie macht eine Therapie, in der sie die Beziehung zu ihrer jüngeren Schwester aufarbeitet, für die sie als Kind Mutterersatz war und zu der sie inzwischen keinerlei Kontakt mehr hat. Ihr Vater lebt ebenfalls seit kurzem in Irland und ist Alkoholiker.

Das Cover für diesen Thriller ist phantastisch: schwarz, rot und silber sind die perfekten Farben, und die gesamte Aufmachung gefällt mir sehr gut. Das war aber leider auch fast das einzige, was mir an diesem Buch sehr gut gefallen hat.

Positiv anzumerken ist sonst nur noch der Ansatz, der nach Klappentext und Leseprobe noch extrem spannend wirkte, außerdem die durchaus gelungenen Haupt- und Nebenfiguren (wobei ich mir für die Nebenfiguren mehr Raum und Handlung gewünscht hätte – ihre Gedanken, ihr Privatleben). Die Einteilung in die einzelnen Kapitel war auch gut und das Kapitelende jeweils passend oder spannend.

Schwächen

Das Hauptaugenmerk war hier zwar die Kriminaltechnik, aber die als Nebenhandlung geschilderte Polizeiarbeit war unglaubwürdig und nicht schlüssig – oder auch schlampig? Es war zum Beispiel kaum nachvollziehbar, weshalb ein Mordopfer mit auffälliger Tätowierung nicht schneller identifiziert werden konnte. Insgesamt hatte ich den Eindruck von sehr wenig hinterfragt, sehr schwammig und sehr vielen losen Enden. Die Identität des Mörders hat daran nichts geändert, der Mörder war aber am Ende viel wichtiger als jedes der Opfer: die Opfer wurden überhaupt nicht als eigenständige Personen dargestellt. Im Vergleich zu anderen Büchern dieses Genres eine unglückliche Verschiebung des Schwerpunkts.

Besonders enttäuschend fand ich, dass die Tabus nur als Schockeffekte benutzt wurden. Die geschilderten Tatorte waren abscheulich und ekelerregend, passend zur Einstufung von Tabus als absolut inakzeptabel und abstoßend. Allerdings wurden hier alle Tabus undifferenziert in einen Topf geworfen und der Leser mit grauenhaften Bildern allein gelassen, ohne an irgendeiner Stelle auf gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen einzugehen, z. B. zum Umgang mit Homosexualität oder die Diskussion um Sterbehilfe.

Als „Inspirationsquelle“ des Serienmörders wurde immer wieder Freud genannt, aber eben nur genannt – auch hier fehlte eine intensivere, vertiefende Ausarbeitung.Noch so ein oberflächlich angerissenes Thema: Die Hauptperson ist von Amerika nach Irland ausgewandert, was aber mit ein klein wenig Heimweh und zwei Vokabelproblemen sehr flach blieb. Ein weiteres Ärgernis war die rätselhafte Krankheit des einen Polizisten – nachdem man über lange Zeit mit gefiebert hatte, war das Ende dieser Geschichte enttäuschend.

Bewertung

Die angeschnittenen Themen hätten Stoff für mindestens 800 Seiten geliefert, aber leider haben die Autoren nur 400 geschrieben. Das Buch hätte auch in dieser Länge gut werden können, wenn ein klarer Schwerpunkt gesetzt worden wäre: entweder nur die Tabus oder die Familiengeschichte. Leider war das nicht der Fall und beide Handlungsstränge sind deshalb viel zu kurz gekommen, es gab lose Enden und enttäuschende Lücken in der Umsetzung der vielen Themen. Als Bewertung insgesamt sogar etwas schlechter als 2, eher 1,5 Sternchen, und die auch nur für den Ansatz und die Figuren. Es gibt wesentlich bessere Bücher als dieses und schon nach der Hälfte wusste ich: falls es von diesem Autorenpaar eine Fortsetzung oder einen neuen Thriller geben sollte, werde ich damit nicht meine Zeit verschwenden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.01.2012
Happy Family
Safier, David

Happy Family


gut

Monstermäßig…

Zum Inhalt

In der "Happy Familie" ist niemand glücklich: die Mutter will ihre ehemalige Freundin mit einer Musterfamilie beeindrucken, obwohl sie selbst nicht dran glaubt und auch ihr Geschäft nicht gut läuft, der Vater ist ausgelaugt von einem Job, den er nicht mag, die pubertierende Tochter hat nur ihren neuen Freund im Kopf, auch wenn sie bald sitzenbleiben wird und der kleine Bruder hat sich völlig in seine eigene Welt zurückgezogen.

Die Mutter schafft es alle Familienmitglieder als Monster kostümiert zu einer Party mitzuschleppen, bei der sie ihre Freundin, die keine Kinder hat, neidisch machen möchte und nebenbei auch ihre Buchhandlung vorm Ruin retten könnte. Leider handelt es sich nicht um ein Kostümfest und da das noch nicht peinlich genug ist, schafft es die ganze Familie innerhalb kürzester Zeit in jedes nur erdenkliche Fettnäpfchen zu treten.

Auf dem Rückweg von dieser Feier ist die Stimmung entsprechend geladen und endet mit einem riesigen Streit auf dem Bürgersteig. Hier nimmt die Handlung eine unerwartete Wendung: eine Bettlerin/ Hexe, die ihnen vorwirft ihr Leben nicht genug zu schätzen, verflucht die Familie. Jeder wird zu dem, als der er verkleidet war: der Vater ist Frankensteins Monster, die Tochter eine Mumie, der Sohn ein Werwolf und die Mutter ein Vampir.

Es folgt eine aberwitzige Verfolgungsjagd, bei der die Familie mehr als einmal zu zerbrechen droht. Auf der Suche nach der Hexe gesellen sich noch zwei weitere „Familienmitglieder“ dazu: eine alte Angestellte aus der Buchhandlung, die schon mit fast jeder Berühmtheit geschlafen hat, sowie ein Mädchen, das den Sohn in der Schule gequält hat. Er hat aber Mitleide mit ihr, weil sie selbst auch misshandelt wird.

Im Laufe der Reisen, immer auf der Suche nach der Hexe, folgen Turbulenzen und Eifersuchtsdramen: der Sohn möchte ein mutiger Held sein, weil er sich verliebt hat. Die Mutter wird von Dracula hofiert, dessen Pläne keineswegs positiv sind. Der Vater trifft seine Reiseleiterin aus dem letzten Urlaub wieder, die ihm nicht gleichgültig ist. Und die Tochter schließlich ist mitten in der Selbstfindung, sucht nach dem Sinn ihres Lebens. Wird die Familie daran zerbrechen oder gelingt es, den Zauber rückgängig zu machen und gemeinsam ein glückliches Leben als in menschlicher Gestalt zu leben?
Einschätzung



Monstermäßig gut? Nein, leider war das Buch eher monstermäßig mittelmäßig.

Für mich blieben bei den Wünschmanns doch viele Wünsche offen – sehr schade, denn die Grundidee hatte mir richtig gut gefallen. Der Schreibstil von David Safier ist einzigartig und hat einen hohen Wiedererkennungswert - eigentlich ein großer Vorteil, aber hier war es ein Manko und hat mich gestört. In einem Roman mit mehreren Hauptpersonen, bei dem aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird, hätte jede Hauptperson ihre eigene Stimme verdient. Das ist aber hier nicht der Fall bzw. es geht unter im übermächtigen Sprachstil des Autors. Ohne die Überschriften, in denen der Name der jeweiligen Personen genannt wird, hätte man als Leser keinen Hinweis darauf ob gerade aus Sicht von Mutter, Tochter oder Sohn erzählt wird.

Eine Besonderheit ist noch das tolle Cover und die liebevoll mit Zeichnungen gestalteten Innenseiten. Diese Zeichnungen erscheinen auch im Text, weil der Vater mit seinem auf „Ufta“ beschränkten Wortschatz nicht viel reden kann, deshalb zeichnet er zur Verständigung. So hat er als einzige Hauptperson seine eigene Ausdrucksweise – für mich das Beste am ganzen Buch, aber leider kommt der Vater nicht so oft zu Wort.

Schlussfolgerung


Für Fans von David Safier ist dieses Buch sicherlich trotz der Schwächen ein Muss, allen anderen würde ich raten lieber „Mieses Karma“ zu lesen.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.09.2011
Vor dem Regen kommt der Tod / Kommissar Vegter Bd.2
Dijkzeul, Lieneke

Vor dem Regen kommt der Tod / Kommissar Vegter Bd.2


ausgezeichnet

Irreführend

Das Buch beginnt mit dem Mordversuch an einer jungen rothaarigen Polizistin, erzählt in rasantem Tempo und mit gruseligen Details: ihr wird ein Stück ihrer Kopfhaut entfernt und eine Nummer in den Bauch geritzt. Wer jetzt einen blutrünstigen Thriller erwartet, wird aber enttäuscht werden. Es geht in wesentlich bedächtigerem Tempo weiter, als sehr gut erzählter Psychothriller. Wichtig ist dabei überhaupt nicht WER der Täter ist (das erfährt der Leser schon sehr früh), sondern mehr die Beweggründe und wie er gestoppt werden kann.

Die verschiedenen Erzählperspektiven zeigen alle, welche Schicksale die Hauptpersonen geprägt haben. Die junge Polizistin leidet seit dem Mordversuch unter einem Trauma. Ihr Vorgesetzter, der gleichzeitig der ermittelnde Kommissar in diesem Fall ist, hat den Unfalltod seiner Frau noch nicht wirklich verarbeitet. Eine rothaarige Galeristin, die sich als potentielles weiteres Opfer sieht, leidet unter ihrer Gehbehinderung. Ihr Mann leidet darunter, nicht so kultiviert zu sein wie seine reiche Frau und auf diese Unterlegenheit reagiert er mit extremer Wut.

Polizeiarbeit wird in diesem Buch im Gegensatz zu vielen anderen Kriminalromanen wenig gezeigt. Der Kommissar ist mehr in seinem privaten Umfeld zu sehen, besonders die langsam aufkeimende romantische Beziehung zu seiner Kollegin. Dagegen beginnt die Galeristin private Ermittlungen, die einige Ergebnisse bringen: nach dem ersten Mordversuch findet sie ein Beweisstück und sie beschattet sogar den Täter, als er das zweite Verbrechen begeht: den Mord an einer rothaarigen Studentin, die ebenfalls skalpiert wird. Die Spannung steigt noch einmal enorm an, als der dritte Mord geplant wird und „vor dem Regen“ die Handlung eine überraschende Wendung nimmt.

Alles in allem ein ungewöhnlicher und ausgesprochen gut erzählter Kriminalroman, der es aber leider schwer haben dürfte: Fans von blutigeren Thrillern mit vielen Schockeffekten werden das Buch irgendwann ab dem zweiten Kapitel wahrscheinlich enttäuscht wieder aus der Hand legen, während zart besaitete Leser, die aber sehr gerne Psychothriller mögen, von dem ersten Kapitel und vielleicht sogar schon von dem blutenden Zopf auf dem Cover eher abgeschreckt werden. Trotzdem eine sehr spannende niederländische Autorin, von der hoffentlich noch weitere Krimis in Deutschland veröffentlicht werden.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.09.2011
In die Füße atmen
Welte, Mark

In die Füße atmen


sehr gut

Doppelgänger

Seit der achten Klasse schwärmt Jan von seiner Mitschülerin Lina, möchte ihretwegen zur Schauspielschule gehen. Er schafft es aber schon nicht die Bewerbungsunterlagen dafür abzuschicken. Die Aufnahme auf eine berühmte Schauspielschule schafft Jan dennoch - weil sein Zwillingsbruder sich um alles kümmert und auch die Aufnahmeprüfung für ihn besteht. Die Zeit an der Schauspielschule bereitet Jan allerlei Probleme. Seine neuen Mitschüler und Lehrer kennen von der Aufnahmeprüfung nur seinen Bruder, der völlig anders ist als er. Zu allem Überfluss hat der Bruder ihm auch noch Streiche gespielt und eine Wette für ihn abgeschlossen, außerdem muss er gleich eine Liebesszene mit Lina spielen, seiner besten Freundin, die nicht wissen soll wie sehr er in sie verliebt ist.

Durch das ganze Buch ziehen sich mehrere Fragen: Wird es für Jan ein Happy End mit seiner Lina geben (oder überhaupt ein Happy End)? Schafft er die Schauspielschule oder hat er keine Chance? Und wie entwickelt sich die Beziehung zu seinem Zwillingsbruder, von dessen Existenz er niemandem erzählt hat? Manchmal ist man als Leser fast frustriert, denn die Hauptperson steht sich häufig selbst im Weg. Das Cover passt recht gut, er kann kopflos sein, steckt den Kopf gern in den Sand, ist ohne eigenen Antrieb, risikoscheu, schüchtern und introvertiert. Dafür gibt ihm sein draufgängerischer Zwillingsbruder manchmal einen Schubs, der dann aber zu neuen Verwicklungen und Missverständnissen führt und der Frage, ob Jan sich wirklich alles selbst vermasselt oder sein Zwillingsbruder das für ihn übernimmt.

Auch wenn man nie eine Schauspielschule besucht hat ist das Buch eine vergnügliche Lektüre, weil man die verschiedenen humorvoll und ironisch beschriebenen Schüler- und Lehrertypen trotzdem wiedererkennt. Gut gefallen hat mir auch die zweite zeitlich Ebene, die durch Rückblicke entsteht. Jedem der kurzen Kapitel ist ein Zitat vorangestellt, in dem eine der Hauptpersonen entweder auf die Zeit an der Schauspielschule zurückblickt oder den Beruf Schauspieler kommentiert. Insgesamt wirklich sehr amüsant zu lesen, aber teilweise hätte es gerne noch spannender sein dürfen (dafür ein Sternchen Abzug).

Bewertung vom 25.09.2011
Am Tag und in der Nacht
Macpherson, Camilla

Am Tag und in der Nacht


sehr gut

Kriegskunst

Das Buch hat zwei Protagonistinnen: Claire und Daisy. Claire lebt in der heutigen Zeit, unzufrieden mit ihrem Leben in London und mitten in einer schweren Ehekrise. Sie hatte eine Fehlgeburt, für die sie ihrem Ehemann die Schuld gibt. Die zweite Protagonistin, Daisy, wohnt ebenfalls in London und erlebt dort den zweiten Weltkrieg. Um sich von Luftangriffen, Tod und Elend abzulenken beginnt sie ein Projekt: jeden Monat wird in der National Gallery ein Bild ausgestellt und das schaut sie sich an, um daraufhin ihrer Kusine in Kanada davon zu schreiben. In den Briefen geht es aber nicht nur um die Kunstwerke, sondern auch um ihr Privatleben: sie ist verlobt mit einem Soldaten, lernt aber in der National Gallery einen Künstler kennen, der sie proträtiert. Claire findet die Briefe von Daisy in einem Nachlass, den ihr Mann von seiner kanadischen Großmutter erhalten hat und startet ihr eigenes Projekt. Sie liest jeden Monat einen der Briefe und schaut sich das beschriebene Bild in der National Gallery an.

Es werden sehr große Themen anhand der Bilder anschaulich gemacht: Liebe, Tod, Partnerschaft, Freundschaft und immer wieder das Band zwischen Mutter und Kind. Beide Frauen interpretieren die Bilder etwas anders, bringen sie in Beziehung zu ihren eigenen Lebensumständen und den für sie wichtigen Personen. Es ist für den Leser spannend zu sehen, inwieweit es Parallelen zwischen den Leben der beiden Protagonistinnen gibt.

Die Stimmung dieses Romans ist überwiegend melancholisch, teilweise sogar düster. Das erwartet man, wenn die Kriegszeit beschrieben wird, aber erstaunlicherweise ist Daisy über weite Strecken die optimistischere Protagonistin, lebenslustig und glücklich. Claire dagegen ist völlig in ihrer Trauer gefangen und hat sich von allen Mitmenschen isoliert, insbesondere von Bekannten und Freundinnen mit Kindern. Für Claire wird Daisy durch ihre Briefe zur Freundin, sie ist komplett gefangen in ihren Tagträumen über die Vergangenheit, weil in der Gegenwart ebenfalls eine Art Krieg herrscht: sie und ihr Mann streiten sich zunächst ständig, später vermeiden sie es zusammen sein zu müssen.

Spannend ist der Roman auf mehreren Ebenen und liest sich deshalb sehr zügig. Einmal möchte man unbedingt erfahren, ob Claire ihre Ehe noch retten kann oder ob sie ihren Mann verlassen wird. Außerdem ist die Frage, wie viel sie über das Leben von Daisy herausfinden wird oder ob es am Ende noch Sachen gibt, die offen bleiben. Man sollte allerdings sehr sorgfältig lesen und auf alle Details achten, auch auf die kleinsten Nebensätze. Mehrmals hatte ich das Gefühl, dass auf etwas Bezug genommen wird, das noch nicht vorher geschildert wurde. Das war beim Nachlesen meist nicht so, aber die Punkte auf die verwiesen wurde waren doch etwas versteckt. Ich vermute, dass die Autorin die Briefe zuerst oder jedenfalls separat geschrieben hat. Das Zurückblättern müssen hat den Lesefluss etwas gestört und darum vergebe ich für dieses Buch nicht die höchste Punktzahl. Trotzdem ein sehr gelungenes Buch, das Lust macht auf die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte, aber auch auf das (neu-) entdecken von berühmten und weniger berühmten Kunstwerken.