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rflieder

Bewertungen

Insgesamt 10 Bewertungen
Bewertung vom 21.08.2024
Tode, die wir sterben / Svea Karhuu & Jon Nordh Bd.1
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Tode, die wir sterben / Svea Karhuu & Jon Nordh Bd.1


sehr gut

Gelungener Auftakt einer neuen Krimiserie!

Es ist für Autor:innen so schwer, bei der Flut an neu erscheinenden Krimis etwas Besonderes zu schreiben. In „Tode, die wir sterben“ gelingt es Voosen und Danielsson mit all ihrer Routine mit Einschränkungen. Bei einem Mordanschlag wird irrtümlich ein Teenager erschossen. Alles deutet auf einen Konflikt zwischen kriminellen Banden in einem Brennpunktviertel in Malmö hin. Als es weitere Tote gibt, alle mit Migrationshintergrund, soll dem Ermittlerpaar Karhuu und Nordh der Fall wieder weggenommen werden. Schon früh ahnt der Leser, dass wie in vielen Krimis die Vorgesetzten falsch liegen. Es kommt wie es kommen muss. Trotz vieler Widerstände und Intrigen in der Polizeibehörde gelingt es Karhuu und Nordh fast allein (mit zu vielen Alleingängen) den Fall zu lösen. Dabei hilft ihnen reichlich oft der Zufall, wenn auch einige von ihnen verfolgte teilweise absurde Gedanken in die Irre führen. Der tatsächliche Hintergrund der Morde hat höchste aktuelle politische Dimensionen, ist aber ziemlich dick aufgetragen.

Einen großen Teil des Buchs nehmen die persönlichen Lebensverhältnisse der Ermittler ein. Karhuu ist eine junge Farbige, die als Adoptivkind in Nordschweden aufgewachsen ist und als verdeckte Ermittlerin in Notwehr einen korrupten Kollegen erstochen hat. Nordh hat seine Frau bei einem Autounfall verloren und hat große Mühe, sein Privatleben mit zwei kleinen Kindern und einer kranken Schwiegermutter zu organisieren. Das bringt dem Leser die beiden Personen näher.

Den für Sommer 2025 angekündigten Folgeband werde ich sicher lesen.

Bewertung vom 29.07.2024
Die Toten von Veere. Ein Zeeland-Krimi
Vermeer, Maarten

Die Toten von Veere. Ein Zeeland-Krimi


ausgezeichnet

Nachdem der Autor des letzten von mir gelesenen Krimis sich an den von ihm beschriebenen Gewalttaten förmlich berauschte, kommt „Die Toten von Veere“ trotz vieler Toter angenehm ruhig daher.
Dem Autor Marten Vermeer gelingt es, seinen Lesern den Schauplatz Zeeland einschließlich seiner jüngeren Geschichte wunderbar nahe zu bringen. Die handelnden Personen werden einfühlsam mit ihren Vorzügen und Fehlern, insbesondere Vorurteilen beschrieben.
Oberthema ist die Fremdenfeindlichkeit, die in den Niederlanden in den letzten Jahren immer deutlicher zum Vorschein tritt. Es gibt drei bzw. vier Handlungsstränge. Zum einen geht es um den Widerstand der niederländischen Bevölkerung gegen die deutschen Besatzer im Jahr 1944, dann um einen toten rechten Journalisten, um ein vor zehn Jahren vermisstes Mädchen mit Migrationshintergrund und um einen vermissten ehemals rechten Mann, der für den Verfassungsschutz gearbeitet hat und im Zeugenschutzprogramm lebte.
Diese Themen werden vom Autor geschickt abwechselnd aufgegriffen und es wird erst spät klar, wie sie zusammenhängen. Der historische Fall dient wohl eher dazu, den Leser mit dem Schauplatz vertraut zu machen. Die mit der Vermisstenmeldung befasste sympathische Hoofdinspecteurin hat gerade im Dienst einen Drogendealer mit Migrationshintergrund erschossen und soll aus der Schusslinie der Medien gebracht werden, was nicht wirklich gelingt. Eine Kollegin mit Migrationshintergrund und der Leiter der Ortspolizei passen gut ins Ermittlungsteam, zu dem über den toten Journalisten noch eine etwas überzeichnet dargestellte junge Rechtsmedizinerin stößt. Nicht zu vergessen ein streunender Hund, der als Running Gag seinen Beitrag zur Aufklärung der Fälle leistet. Das eine oder andere ist etwas zu dick aufgetragen, wie in vielen Krimis führen Alleingänge zu schwierigen Situationen und ein guter Schuss Laienpsychologie ist auch vorhanden. Aber es liest sich gut mit sowohl ernsten als auch amüsanten Passagen.
Am Schluss sind alle Fälle aufgeklärt, das Gesetz hat gesiegt und der Epilog lässt vermuten, dass ein zweiter Band in Arbeit ist.

Bewertung vom 14.03.2024
Das Schweigen des Wassers
Tägder, Susanne

Das Schweigen des Wassers


ausgezeichnet

Susanne Tägders erster Kriminalroman spielt in der Zeit nach der Wende in der Provinz in der Nähe Rostocks. Der Fall bzw. die Fälle kommen zunächst eher unspektakulär daher. Ein Toter, der möglicherweise verunglückt ist und ein 11 Jahre zurückliegender Mord hängen irgendwie zusammen.
Tägder verzichtet (anders als z.B. Fitzek) auf weitere Leichen und Grausamkeiten (abgesehen von der Polizeiarbeit in der DDR), was den Krimi viel autentischer macht. Dagegen beschreibt sie sehr einfühlsam und liebevoll die handelnden Personen: Kommissar Groth, der aus Hamburg zurück in seine Heimat versetzt wird. Den Vorgesetzten, der ebenfalls aus dem Westen kommt und weniger an die Wahrheitsfindung als an seine Karriere denkt. Die Kollegen und Mitarbeiter*innen, denen es schwer fällt, sich an die neue Zeit zu gewöhnen, die aber trotz ihrer Stasi-Vergangenheit solide Polizeiarbeit leisten. Regine Schadow, deren Bezug zu den Toten lange unklar bleibt. Die Lehrerin, die mit viel Engagement ihre Arbeit fortsetzt. Der Fotograf, der um seinen Job fürchtet. Die für die Menschen schwierige Situation nach der Wiedervereinigung wird sachlich und nüchtern beschrieben.

Indem die tatsächlichen Vorfälle scheibchenweise aufgeschlüsselt werden, steigt die Spannung immer mehr. Erst spät werden die Zusammenhänge deutlich. Das Ende ist so offen gehalten, dass mit einem Folgeband gerechnet werden kann. Den ich ganz sicher lesen werde, da mich das Buch inhaltlich und sprachlich fasziniert hat. Es hält einem Vergleich mit bekannten skandinavischen Krimis jederzeit stand.

Bewertung vom 16.02.2024
Im Spiegel des Kosmos
Tyson, Neil deGrasse

Im Spiegel des Kosmos


ausgezeichnet

Ein interessantes, schlaues Sachbuch. Der Autor Neil de Grasse Tyson, hochrangiger US-amerikanischer Astrophysiker, aktiv in vielen Wissenschaftsinstitutionen der USA, im TV und den sozialen Medien, laut Klappentext eine der einflussreichsten Persönlichkeiten unserer Zeit (was vielleicht etwas übertrieben ist), versucht in einem Vorwort und 10 Kapiteln zu allen möglichen Themen mit Konfliktpotenzial Ursachen für die Konflikte aufzuzeigen, sie zu hinterfragen und aufzuzeigen, wie sie von den exakten („harten“) Wissenschaften in der Historie und in der Zukunft gelöst werden können.
Der Blick eines Astronauten aus dem Universum auf die Erde dient nur als nette Metapher. Es geht eher um den Einfluss wissenschaftlich gewonnener objektiver Wahrheiten auf das menschliche Miteinander und die Entstehung subjektiver Wahrheiten. Die Ausführungen zur Wahrscheinlichkeitsrechnung, zu exponentiellem Wachstum des Umfangs wissenschaftlicher Ergebnisse, zum autonomen Fahren, zum Rassismus (um nur ein paar Beispiele zu nennen) sind insbesondere durch viele verblüffende (z.T. humorvolle) und auch für den vorgebildeten Laien verständliche Fakten (alle durch Quellen belegt) und Gedankenexperimente nachvollziehbar, auch wenn ein mathematisch naturwissenschaftliches Studium für das Verständnis hilfreich sein kann. De Grasse Tyson gibt viele Denkanstöße, die dem Leser seine Vorurteile bewusst machen. Vieles ist auf die USA bezogen, aber durchaus auf Europa übertragbar. Da die weiße amerikanische Geschichte noch vergleichsweise jung ist und besonders Europäer die Geschichte der Wissenschaften beeinflussten, kann der Autor gar nicht an Europa vorbei gehen. Ihm unterlaufen kaum Fehler (z.B. dass seit dem Fall der Mauer 1989 in Europa Frieden herrscht (Seite 58). Der Konflikt in Ex-Jugoslawien wird übersehen. Der Krieg in der Ukraine begann dagegen nach dem Druck der Originalausgabe des Buchs).
Der Autor neigt gelegentlich zur bewussten Übertreibung bzw. zur Provokation. So vergleicht er die (große) Anzahl der abgetriebenen Föten in den USA mit der weit größeren Anzahl „natürlich“ durch Fehlgeburten verlorenen Föten. Oder fragt, wer eher behindert sei, ein körperlich unversehrter Mensch ohne mathematische Kenntnisse im Bereich der Vektorräume oder ein Mensch im Rollstuhl, der sich mit Vektorräumen auskennt.
De Grasse Tysons Ausführungen zu den „weichen“ Wissenschaften erzeugen beim Leser neue (berechtigte?) Vorurteile, besonders was die Rechtswissenschaften betrifft.

Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch von einem interessanten Autor, der Probleme analysiert und von seinem zugegeben sehr rationalen wissenschaftlichen Standpunkt aus mit viel Optimismus in die Zukunft blickt, dass die exakten Wissenschaften die Probleme der Menschheit lösen können.

Bewertung vom 15.12.2023
Kant und das Leben nach dem Tod / Kommissar Kant Bd.3
Häußler, Marcel

Kant und das Leben nach dem Tod / Kommissar Kant Bd.3


ausgezeichnet

„Kant und das Leben nach dem Tod“ von Marcel Häußler hat mich in allen Belangen so überzeugt, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.

Es werden zunächst zwei Geschichten parallel erzählt. Zum einen die Rückkehr einer jungen Aussteigerin nach München, die neun Jahre mit ihrer alternativen Mutter in einem Mercedes Sprinter in Portugal gelebt hat. Zum anderen die Ermittlung der Kriminalpolizei in einem Mordfall, nachdem in einem Waldstück an der Autobahn Leichenteile eines alten Mannes gefunden wurden. Das Opfer lebte in einem Wohnblock und wurde dort nicht vermisst. Die Lebensumstände in dem Viertel werden sehr realistisch geschildert wie auch der Kriminalfall, der sich zu einer tragischen Mordserie ausweitet. Die handelnden Personen, auch Kant selbst, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind teilweise skurrile, aber sehr lebensnah und liebevoll beschriebene Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten. Häußler gelingt es mit subtilem Humor und Ironie, immer wieder auch komische Situationen entstehen zu lassen.

Schon zur Mitte des Buchs ahnt der Leser, wie die beiden Geschichten zueinander finden und der Fall am Ende gelöst wird. Das tut der Spannung aber keinen Abbruch. Das Buch bleibt abgesehen von wenigen in Krimis üblichen dramatischen Wendungen bis zum Schluss in sich logisch, trotz des tragischen Falls amüsant und sehr lesenswert.

Ich habe mir vorgenommen, die beiden ersten Bände der Reihe („Kant und der Schachspieler“ und „Kant und der sechste Winter“) ebenfalls zu lesen.

Bewertung vom 08.12.2023
Die Eisfischerin vom Helgasjön
Lamberti, Frieda

Die Eisfischerin vom Helgasjön


sehr gut

„Männer sind Schweine“ heißt ein bekanntes Lied der deutschen Punkrock-Band „Die Ärzte“. Dieses Vorurteil (?) trifft in besonderem Maße auf den langjährigen Lebensgefährten der Protagonistin Rieke zu, der die hoffnungsvolle Künstlerin in 7 Jahren des Zusammenlebens soweit manipuliert hat, dass sie ihre beruflichen Ambitionen aufgegeben und ihr Selbstbewusstsein verloren hat. Das gipfelt darin, dass er ohne Rieke in den Skiurlaub fährt, als sie von einem E-Roller angefahren wird und sich dabei verletzt. Aber auch andere Männer, denen sie in diesem Buch von Frieda Lamberti begegnet und die zunächst sehr sympathisch rüber kommen, enttäuschen sie.
Und die Frauen? Rieke, die „Ich-Erzählerin“, ist sympathisch, aber fürchterlich naiv, impulsiv und spontan. Statt Skiurlaub zu machen verreist sie nach Schweden. Oft schaltet sie bei ihren Entscheidungen den Verstand aus und fällt schnell (Vor-) Urteile über ihre Mitmenschen, ohne lange nachzudenken. Das führt immer wieder zu Missverständnissen und Schwierigkeiten, aus denen sie aber auch mithilfe weiblicher Bekannter herausfindet. Die wichtigsten anderen Frauen sind überaus empathisch und hilfsbereit, handeln aber ebenfalls überstürzt und impulsiv.

Die Handlung wird chronologisch mit wenigen Rückblicken sehr kurzweilig und amüsant erzählt. Das Buch liest sich sehr leicht und flüssig, da auf lange Sätze und lange Dialoge verzichtet wird.

Der Titel des Buches? Rieke geht zwar zweimal zum Eisfischen, aber das Fische angeln spielt keine Rolle. Sie sucht eher einen Weg aus ihrer Krise. Letztendlich kommt es wie erwartet für nahezu alle Beteiligten zu einem guten Ende. Rieke erlangt ihr Selbstbewusstsein zurück und hat privat wie beruflich Erfolg.

Wer einen kurzweiligen Unterhaltungsroman (keinen schmalzigen Liebesroman) mit relativ wenig Tiefgang sucht, ist mit diesem Buch gut bedient.

Bewertung vom 08.11.2023
Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1
Skybäck, Frida

Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1


sehr gut

Erworben mit dem Zusatz „Nr. 1 Bestseller aus Schweden“. Da denke ich sofort an Henning Mankell und Hakan Nesser und kann eigentlich wegen zu hoher Erwartungen nur enttäuscht werden.

Die Ermittlerin Frederika Storm kehrt nach einem traumatischen beruflichen Erlebnis aus Stockholm in ihre provinzielle Heimat Skåne zurück. Dort wird sie gleich mit einem komplizierten Fall konfrontiert, der tief in ihre eigene verzweigte Familie und die Vergangenheit hineinspielt. Es gilt, den Tod einer jungen Frau aufzuklären, die auf einen nur leicht zugefrorenen See gejagt wird, ins zu dünne Eis einbricht und ertrinkt. Die ganze Geschichte erscheint mir aber auf zu dünnem Eis aufgebaut, ist stellenweise dialoglastig, langatmig und insgesamt provinziell wie die Gegend, in der sie spielt. Das Ermittlerteam Frederika Storm und Henry Calment passt nicht zusammen, er weltoffen und gebildet, sie eher einfach strukturiert und bodenständig. Sie wird als begabte Polizistin vorgestellt, verhält sich aber vollkommen unprofessionell. „Wer auch immer erfuhr, was sie an diesem Abend getan hatte, würde denken, sie hätte vollkommen den Verstand verloren“.

Auch leichte Ansätze von Humor können nicht überzeugen. Trotz dieser offensichtlichen Mängel nimmt der Krimi zur Mitte hin langsam Fahrt auf und man möchte erfahren, wie alles aufgelöst wird. Ich fühlte mich immerhin einigermaßen gut unterhalten und habe mich beim Lesen gefragt, um den Erfolg in Schweden zu verstehen, ob vielleicht die Übersetzung vom Schwedischen ins Deutsche nicht gelungen ist.

Fazit: Eher 3,5 als 4 Sterne.

Bewertung vom 27.10.2023
Wie Sterben geht
Pflüger, Andreas

Wie Sterben geht


sehr gut

Zweifellos ein spannender Spionage-Thriller. Ich habe mich schnell hineingelesen und ihn innerhalb weniger Tage verschlungen. Das Buch von Andreas Pflüger enthält alles, was in diesem Genre erwartet werden kann: Jede Menge Action, private Beziehungen, Bezüge zur realen Historie (es spielt während des Kalten Krieges Anfang der 80er Jahre). Das Leben eines Spionageagenten/einer Agentin wird durchaus plausibel beschrieben. Anfangs hat mich verwirrt und ein bisschen gestört, dass der Thriller nicht chronologisch aufgebaut ist; er beginnt mit einem spektakulären misslingenden Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke im Jahr 1983, um dann die Vorgeschichte(n) seit 1980 aufzuarbeiten. Immer wieder werden aber neuere Ereignisse eingestreut. Sicher eine Methode, den Spannungspegel aufrecht zu erhalten und zu steigern, was auch gelungen ist.
Gewöhnungsbedürftig finde ich die übertrieben vielen Metaphern für alles Mögliche von den Gefühlszuständen der handelnden Personen bis hin zu den benutzten Waffen. So werden Menschen nicht einfach erschossen bzw. umgebracht, sondern es fliegt eine 7g schwere Kugel mit 274 m/s in 0,00365 Sekunden auf Goliaths Nasenspitze zu. Das ist mir einfach zu Gewalt verherrlichend, wie es überhaupt gegen Ende zu viele Tote gibt. Einseitig ist die Beschreibung der unsympathischen Menschen, die sich zum Schluss als die Bösen herausstellen, und der sympathischen, die zugleich die Guten sind. Und dass die Protagonistin Nina Winter nach einer Kurzausbildung als BND-Agentin besser als alle überwiegend männlichen erfahrenen Kontrahenten ist und jede noch so gefährliche Situation überlebt, war zu erwarten, ist aber total übertrieben. Vielleicht aber das, was in diesem Genre vom Leser erwartet wird.
Fazit: Nicht uninteressant, aber mein Bedarf an Spionagethrillern ist erst einmal gedeckt.

Bewertung vom 09.10.2023
Kajzer
Kaiser, Menachem

Kajzer


sehr gut

Ich war nach den Vorinformationen mit etwas anderen Erwartungen an das Buch herangegangen und weiß eigentlich nicht, ob ich es empfehlen soll oder nicht. Es wird als "Sachbuch" bezeichnet, ist aber teilweise eine Sammlung von Erzählungen, nur sicher kein Roman.
Der Autor Menachim Kaiser, in einer orthodoxen jüdischen Großfamilie in Kanada aufgewachsen, sucht im ehemaligen Schlesien nach den Spuren seiner Familie. Sein dort geborener Großvater, der schon vor der Geburt Kaisers verstorben ist und zu dem er keine Beziehung hat, war der Einzige seiner Familie, der den Holocaust überlebte. In weiten Teilen des Buchs geht es darum, dass der Autor mithilfe einer polnischen Anwältin versucht, das ehemalige Mehrfamilienhaus seines Großvaters nach über 60 Jahren zurückzuerhalten. Die Abläufe in der möglicherweise von der PIS beeinflussten Justiz, seine Bedenken, ob sein Ansinnen fair gegenüber den aktuellen Bewohnern ist, zumal er keine finanziellen Interessen hat, und die Lebensverhältnisse der Bewohner sind empathisch und humorvoll beschrieben.
Dagegen sind die Ausführungen über polnische "Forscher", eigentlich Abenteurer auf der Suche nach von den Nazis in riesigen von KZ-Häftlingen erbauten Höhlensystemen skurril und sprechen mich überhaupt nicht an. Immerhin erfährt Kaiser bei ihnen von der Existenz eines weiteren den Holocaust Überlebenden aus seiner Familie, einem Bruder seines Großvaters. Diesem natürlich schon lange ebenfalls verstorbenen Großonkel vermag er sich mehr anzunähern als seinem Großvater, da er wesentlich mehr Spuren hinterlassen hat.

Immer wieder abwägende Überlegungen z.B. über den Wahrheitsgehalt der über seine Familie erhaltenen Informationen finde ich zwar interessant und regen zum Nachdenken an, sind aber intellektuell durchaus anspruchsvoll und erfordern wegen der langen Schachtelsätze hohe Konzentration beim Lesen. Kein einfaches Buch.

Bewertung vom 15.06.2023
Sommersonnenwende / Wolf und Berg ermitteln Bd.1
Engman, Pascal;Selåker, Johannes

Sommersonnenwende / Wolf und Berg ermitteln Bd.1


ausgezeichnet

Mehrere Frauen werden an verschiedenen Orten Schwedens vergewaltigt und ermordet. Infolge des fehlenden Informationsflusses zwischen den lokalen Polizeistationen erkennt die schwedische Polizei nicht den Zusammenhang zwischen den Taten. Außerdem ist das Interesse an einer Aufklärung gering, da es sich um Flüchtlinge handelt.
Kriminalkommissar Thomas Wolf und Journalistin Vera Berg werden unabhängig voneinander auf die Mordserie aufmerksam. Da sie einander misstrauen, dauert es ziemlich lange, bis es zu einer - letztendlich erfolgreichen - Zusammenarbeit kommt und der Täter überführt wird.
Beide Protagonist:innen kommen wie auch andere Personen aus problematischen Milieus, die in dem Buch drastisch beschrieben werden. Familiäre Hintergründe nehmen parallel zum Kriminalfall einen großen, wie ich meine aber angemessenen Raum ein. Zunächst war ich irritiert, dass ein 2023 erschienenes Buch im Jahr 1994 spielt, aber der geschichtliche Hintergrund mit dem Krieg in Bosnien und der aus schwedischer Sicht erfolgreichen Fußball-WM in den USA wird vom Autorenteam geschickt genutzt, um die kruden Gedanken von Rechtsradikalen und die schwedische Gesellschaft im allgemeinen (überwiegend negativ) zu beschreiben.
Das liest sich alles hervorragend (ich mochte das Buch kaum aus der Hand legen), ist spannend, klingt in großen Teilen realistisch mit wenigen Übertreibungen und ist auf eine hoffentlich demnächst erscheinende Fortsetzung angelegt, auch wenn das eigentlich offene Ende Zweifel daran aufkommen lässt.