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la_chienne

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Bewertung vom 30.11.2020
Ein Lied für die Vermissten
Jarawan, Pierre

Ein Lied für die Vermissten


ausgezeichnet

"Mir dagegen sind Geschichten, sind Bücher bis heute Orte der Zuflucht.", sagt Amin, der Ich-Erzähler in Pierre Jarawans neuem Roman. Ein ähnliches Gefühl habe ich beim Lesen von "Ein Lied für die Vermissten" genossen. Denn ich konnte endlich wieder voll und ganz in eine Geschichte eintauchen und alles um mich herum für eine Zeit lang ausblenden.
Sprachlich sehr poetisch und trotz des ernsten Kernthemas – Das Buch widmet sich den über 17 Tsd. (!) Menschen, die zur Zeit des rund 15 Jahre lang (!) andauernden libanesischen Bürgerkriegs verschwunden sind und bis heute (!) verschwunden bleiben. – ist es eine sehr unterhaltsame, atmosphärische Geschichte voller Rätsel.

Man durchstreift gemeinsam mit Amin, der 1994 als 13jähriger mit seiner Großmutter aus Deutschland in den Libanon zurückkehrt, und seinem Freund Jafar die Straßen und Ruinen, des durch den Krieg gebeutelten Beiruts. Amin, der 2011 damit beginnt seine Erinnerungen niederzuschreiben, nimmt uns mit auf eine Suche nach der Wahrheit. Er sucht Antworten darauf, was es mit den geheimnisvollen Bildern seiner schweigsamen Großmutter auf sich hat, warum die Beziehung zu ihr und seine Freundschaft zu Jafar zerbricht, ...
Doch Amin muss erkennen, dass nicht auf alles eine finale Antwort gefunden werden kann. Es bleiben immer auch Leerstellen, die mit Fantasie zu füllen sind. Wichtig ist letztendlich das Erzählen dieser Geschichten, damit etwas vor dem Verschwinden bewahrt werden kann.
Und so ist "Hakawati" ein Begriff aus dem Roman, den ich sehr gerne mitnehme und so schnell nicht vergessen werde.
"Ein Lied für die Vermissten" hat mir einen – für mich ersten – Einblick in die Geschichte des Libanon (Ein Land mit18 (!) Religionsgemeinschaften.) gegeben. Die Bilder, die Pierre Jarawan während seinen Onlinelesungen (Tipp: anschauen!) gezeigt hat, unterstreichen die Schönheit dieses faszinierenden Landes – trotz aller erlittenen Schäden.