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Lu
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Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 207 Bewertungen
Bewertung vom 06.04.2025
Dream Count
Adichie, Chimamanda Ngozi

Dream Count


ausgezeichnet

Ich habe recht lange gebraucht, um die Rezension zu schreiben, weil ich nicht wusste, wie ich dem Roman gerecht werden kann. „Dream Count“ ist kein Roman, der sich in eine einfache Kategorie einordnen lässt – und genau darin liegt seine literarische Kraft. Chimamanda Ngozi Adichie gelingt es, auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu erzählen: poetisch und politisch, zart und schonungslos, persönlich und universell.

Statt durch eine lineare Handlung entfaltet sich der Text in vier weibliche Stimmen, die miteinander verwoben sind, ohne sich gegenseitig zu erklären: Wir begleiten Chia, Zikora, Kadiatou und Omelogor bei ihrer Suche nach der großen Liebe, nach einem besseren Leben und dem eigenen Weg. Alle gehen mit den Herausforderungen von Frauen um, gehören aber unterschiedlichen Klassen an: Während Chia sich keine Gedanken um ein regelmäßiges Einkommen machen muss, muss Kadiatou neben ihrer Arbeit als Haushälterin von Chia noch in einem Hotel arbeiten. Zudem bewegen sich alle zwischen verschiedenen Welten: Chia und Zikora sind aus Nigeria in die USA gezogen, um dort zu studieren und zu arbeiten, Kadiatou hat aus Guinea kommend Asyl in den USA bekommen und Omelogor lebt nach einem kurzen Studienaufenthalt in den USA wieder in Nigeria. Und obwohl die Frauen sich alle in ganz anderen Lebenswelten bewegen, konnte ich immer wieder Situationen erkennen, die sicher viele Frauen schon erlebt haben.

Diese Vielstimmigkeit habe ich auch als Form von literarischem Widerstand gegen die Vereinfachung weiblicher Lebenserfahrung gelesen. Was hier verhandelt wird – Sexismus, Migration, Rassismus, soziale Ungleichheit, Begehren, Körper, Freundschaft, Arbeit, Gewalt – wird niemals mit dem moralischen Zeigefinger vermittelt, niemals vereinfachend, sondern immer so, dass Verbindungen, Widersprüche und Ambivalenzen deutlich werden. Über Menschen, die meinen, die Welt verstanden zu haben, wird sich stattdessen lustig gemacht und sie werden als scheinheilig entlarvt. Dabei liest sich der Text dennoch leicht, flüssig und unterhaltsam. Es gibt außerdem immer wieder Momente der Komik und Situationen, in denen sich Frauen gegenseitig unterstützen und fördern. Ein Nachwort der Autorin, in der sie ihre Geschichte in einen aktuellen Kontext einordnet, hat die Lektüre für mich perfekt abgerundet.

Für alle, die sich für Literatur interessieren, die Einblicke in vielfältige Perspektiven gibt – formal, inhaltlich, emotional – ist „Dream Count“ eine dringende Leseempfehlung. Ein vielstimmiger, eindringlicher Roman über weibliche Erfahrung, Macht und Verletzlichkeit!

Bewertung vom 06.04.2025
Fischtage
Brandi, Charlotte

Fischtage


sehr gut

Mit „Fischtage“ legt Charlotte Brandi einen unkonventionellen und doch einfühlsamen Debütroman vor. Im Zentrum steht die sechzehnjährige Ella, eine wütende, kluge und einsame Jugendliche, die in Wohlstandsverwahrlosung lebt, weil ihre Eltern mit sich selbst beschäftigt sind. Als ihre Eltern sich lautstark streiten, verschwindet Ellas kleiner Bruder Luis. Ihre einzige Vertrauensperson, der alte Eckard, kann ihr wegen fortschreitender Demenz nicht helfen, überlässt ihr aber seine Schrebergartenlaube. Dort richtet sie sich ihr Hauptquartier für die Suche nach Luis ein und wird von einem singenden Plastikfisch unterstützt, den sie dort findet – ein absurder, aber überraschend stimmiger Einfall, der dem Roman eine großartig abstruse Note gibt.

Brandi gelingt das Kunststück, die Geschichte einer innerlich zerrissenen Jugendlichen mit trockenem Humor und großer Wärme zu erzählen. Ella ist eine Figur, die einem schnell ans Herz wächst – nicht trotz, sondern wegen ihrer Unangepasstheit, ihrer Schroffheit, ihres Blicks auf die Welt, der nie einfach nur zynisch, sondern immer auch verletzlich ist. Der klugscheißende Fisch wird dabei zum lakonischen Gegenpart, zum absurden Gewissen, zum Stichwortgeber für eine Coming-of-Age-Geschichte, die sich entschieden gegen Klischees stellt.

Die episodische Struktur der Suche, bei der Ella die unterschiedlichsten Menschen trifft, sorgt für Tempo und Abwechslung, manchmal fühlt sich das fast roadmoviehaft an – bloß ohne Auto, dafür mit Aldi-Tüte und Fisch. Der Roman ist dabei durchzogen von Beobachtungen über Familie, Einsamkeit, Loyalität und das Erwachsenwerden in einer Welt, in der Erwachsene oft selbst nicht wissen, wo es langgeht.

Einziger Wermutstropfen: Das Ende fand ich nicht ganz so einfallsreich wie den Rest. Trotzdem: „Fischtage“ ist ein Roman, der sich etwas traut - ungewöhnlich, dennoch unterhaltsam zu lesen und mit einem ganz eigenen Sound.

Bewertung vom 05.04.2025
The Lesbiana's Guide to Catholic School
Reyes, Sonora

The Lesbiana's Guide to Catholic School


sehr gut

Ein spannender Jugendroman über Selbstfindung, queere Identität und das Ringen um Zugehörigkeit. Im Mittelpunkt steht Yamilet Flores, eine 16-jährige Schülerin, die von ihrer alten Schule, an der sie und ihr Bruder schlechte Erfahrungen gemacht haben, in eine reiche, vorwiegend weiße, katholische Privatschule wechselt. Dort will sie möglichst unauffällig bleiben – als Latina mit geringen finanziellen Mitteln und vor allem als Lesbe. Doch dann begegnet sie Bo, einer offen queeren Mitschülerin, und Yamilet fragt sich, wie lange sie ihre eigene Identität noch verleugnen kann. Ihr Bruder scheint sich auf der neuen Schule besser zurecht zu finden als auf der letzten, allerdings scheint er kaum noch zu schlafen. Yamilet findet erst nach und nach heraus, was dahinter steckt und wie sie auch selbst ihren Weg findet.

Was diesen Roman besonders macht, ist die Art, wie Reyes komplexe Themen wie Rassismus, Queerfeindlichkeit, religiöse Zwänge, mentale Gesundheit, Selbstverletzung und familiären Druck miteinander verwebt. Die Jugendlichen, allen voran Yamilet, werden mit einer Authentizität und Wärme gezeichnet, die dazu geführt haben, dass ich mit ihnen mitgefiebert und ihnen die Daumen gedrückt habe. Besonders berührt hat mich, wie ihre Beziehungen untereinander dargestellt werden und wie sie versuchen, sich auch angesichts großer Probleme gegenseitig zu unterstützen.

Natürlich ist der Roman thematisch sehr voll und auch sehr amerikanisch – an manchen Stellen hatte ich das Gefühl, dass weniger mehr gewesen wäre. Doch genau diese Fülle macht auch sichtbar, wie viele Belastungen queere, rassifizierte, arme Jugendliche oft gleichzeitig schultern müssen. Die Intersektionalität der Themen wird für die Leser*innen spürbar gemacht, ohne jemals belehrend zu wirken. Ich empfehle den Roman allen, die sich für das Ringen um Sichtbarkeit und das Aufwachsen zwischen zwei Welten interessieren – und dafür, wie wichtig es ist, den für sich selbst richtigen Weg zu finden.

Bewertung vom 31.03.2025
Nowhere Heart Land
Lara, Emily Marie

Nowhere Heart Land


weniger gut

Emily Marie Laras Debütroman "Nowhere Heart Land" wird im Netz von vielen gefeiert, doch für mich war er wider Erwarten leider nichts. Eigentlich schätze ich den Pola Verlag für seine durchweg unterhaltsamen Romane, aber dieser Roman war mir einfach zu wenig handlungsgetrieben. Dabei fängt der Roman eigentlich vielversprechend an: Rosa kehrt aus London in ihre Heimatstadt zurück, um das Haus ihrer Großmutter zu verkaufen und deren Pflege zu finanzieren. Dabei wird sie mit Erinnerungen an ihre verstorbene Mutter und ihre eigene Vergangenheit in dem Internat, das sowohl ihre Mutter als auch Rosa besucht haben, konfrontiert.

Doch nach dem starken Beginn mit vielen interessanten Episoden passiert in meinen Augen nicht mehr viel: Rosa bleibt in ihrer Heimatstadt hängen, und anstatt einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit oder einer Entwicklung ihrer Figur, wiederholen sich eintönige Tage, die ausführlich beschrieben werden. Ihr hoher Alkoholkonsum wird nicht kritisch hinterfragt und ihr Verhalten gegenüber ihrer Jugendfreundin Leni, die in der Schulzeit aufgrund ihrer Armut diskriminiert wurde, bleibt problematisch: Statt wirklicher Reflexion entwickelt Rosa beinahe stalkerhafte Züge und respektiert Lenis Grenzen nicht.

Mir fehlte eine greifbare Charakterentwicklung, eine überraschende Wendung oder wenigstens eine tiefere emotionale Ebene. So wirkte der Roman oft langatmig und viele Fragen bleiben offen. Die Rückblicke auf Rosas Schulzeit waren für mich die spannendsten Passagen – eigentlich hätte es den Rahmen in der Gegenwart für mich gar nicht gebraucht. Was mir hingegen gefallen hat, war die sprachliche Gestaltung: Emily Marie Lara schreibt durchaus atmosphärisch und eindringlich.

Dennoch bleibt mein Fazit: "Nowhere Heart Land" konnte mich nicht packen. Die Ausgangsidee ist gut, die Umsetzung jedoch für mich zu zäh, die Figuren zu stagnierend. Schade – denn das Potenzial war definitiv da.

Bewertung vom 23.03.2025
Warte auf mich am Meer
Neff, Amy

Warte auf mich am Meer


sehr gut

„Warte auf mich am Meer“ erzählt die lebenslange Liebesgeschichte von Evelyn und Joseph, die gemeinsam an der Küste von New England aufwachsen, sich verlieben und ein gemeinsames Leben aufbauen. Über Jahrzehnte hinweg meistern sie Höhen und Tiefen, ziehen ihre Kinder in einer alten Pension am Meer groß und halten trotz aller Widrigkeiten an ihrer Liebe fest. Doch als Evelyn eine erschütternde Diagnose erhält, beschließen beide, nicht ohne einander sein zu wollen,

Amy Neff schreibt mit einer sanften, nostalgischen Atmosphäre, die die enge Verbindung zwischen den Charakteren spürbar macht. Besonders die Beschreibungen der Küstenlandschaft und der kleinen Pension tragen viel zur Stimmung des Romans bei. Die Geschichte ist ruhig und flüssig erzählt, konzentriert sich stark auf die emotionalen Momente und lebt von der lebenslangen Bindung zwischen Evelyn und Joseph. Teilweise war es für mich auch etwas kitschig.

Mir hat die Geschichte gut gefallen, auch wenn sie für meinen Geschmack manchmal auch Längen hatte. Die Emotionen sind authentisch, aber einige der Liebesbeteuerungen hätte es für mich nicht gebraucht. Trotzdem ist es ein netter Roman über Liebe, Beständigkeit und den Mut, loszulassen – ideal für alle, die gefühlvolle Liebesgeschichten mögen.

Bewertung vom 22.03.2025
Das Fenster zur Welt
Winman, Sarah

Das Fenster zur Welt


sehr gut

Sarah Winmans zweiter Roman „Das Fenster zur Welt“ ist ein atmosphärischer Roman über Freundschaft und die Kunst, ein Zuhause zu finden – egal, wo auf der Welt man sich befindet. Die Geschichte beginnt 1944 in der Toskana, wo der junge britische Soldat Ulysses Temper auf die kluge, ältere Kunsthistorikerin Evelyn Skinner trifft. Diese zufällige Begegnung beeinflusst Ulysses’ weiteres Leben auf unerwartete Weise und führt ihn schließlich zurück nach Florenz, wo sich sein Schicksal mit einer Gruppe außergewöhnlicher Menschen verwebt.

Winmans Schreibstil ist poetisch und zugleich lebensnah, voller Wärme und feinem Humor. Ich mochte, wie sie die Atmosphäre von Florenz einfängt und auch die Gemälde aus den Uffizien mit in Evelyns Geschichte einbringt – da ich gerade in Florenz war, habe ich mich darüber besonders gefreut. Mit dem Roman konnte ich die Stadt noch einmal besuchen. Aber auch Figuren sind lebendig gezeichnet, ihre Beziehungen voller Tiefgang und Herzenswärme.

Allerdings hatte der Roman durchaus ein paar Längen, auf die ich mich erst einlassen musste. Auch manche Entwicklungen waren für mich vorhersehbar. Trotzdem überwiegt der Zauber der Geschichte und die Themen von Zugehörigkeit, Kunst und der Kraft der Freundschaft haben mir sehr gefallen.

Bewertung vom 22.03.2025
People Pleaser
Dimitrova, Anna

People Pleaser


ausgezeichnet

„People Pleaser“ hat genau das geliefert, was ich mir von einem guten Jugendroman wünsche: eine lockere, unterhaltsame Lektüre, die trotz ernster Themen nie zu schwer wird. Anna Dimitrova erzählt humorvoll und treffsicher von Freundschaft, Selbstfindung und dem Drang, es allen recht machen zu wollen – und trifft dabei sowohl inhaltlich als auch sprachlich genau den richtigen Ton.

Nina ist die inoffizielle Therapeutin ihrer Clique. Sie liebt es, Probleme zu lösen – bis sie bei ihrer besten Freundin Teo an ihre Grenzen stößt. Als Teo sich ausgerechnet in Aleks, den Inbegriff einer „Red Flag“, verliebt, sieht Nina nur einen Ausweg: Sie muss Aleks therapieren, bevor Teo sich ihr Herz brechen lässt. Doch natürlich ist Aleks nicht nur der coole Gym-Bro, für den er gehalten wird. Und Nina muss erkennen, dass sie ihre Hilfsbereitschaft nicht immer hilfreich ist.

Der Roman hat mich oft mit witzigen Pointen und schlagfertigen Dialogen überrascht, gleichzeitig werden die Jugendlichen trotz ihrer Schwächen sehr liebevoll dargestellt. Gerade das Thema People Pleasing und die Erkenntnis, dass man sich selbst nicht für andere aufopfern sollte, fand ich super umgesetzt. Die Figuren sind bewusst etwas überzeichnet, aber auf eine Art, die nicht zu klischeehaft ist, zur Story passt und sie umso unterhaltsamer macht.

Ein kluges, witziges Buch über das Erwachsenwerden, Freundschaft und Selbstliebe, das sicher nicht nur Jugendliche anspricht!

Bewertung vom 21.03.2025
Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken
Lorenz, Sarah

Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken


ausgezeichnet

Für mich ist „Mit dir möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ bisher das Lesehighlight dieses Jahres – nicht zuletzt, weil ich Mascha Kaléko als Dichterin, um die es im Roman auch geht, ohnehin sehr liebe. Im Zentrum des Romans steht jedoch Elisa, die der Dichterin ihre eigene bewegende Lebensgeschichte erzählt.

Elisa fühlt sich von Kalékos Gedichten verstanden, seit sie sie mit Anfang 20 entdeckt hat, und vertraut ihr ihre Gedanken an – über ihre schwierige Kindheit, ihre Zeit im Heim, ihre Liebesbeziehungen, immer auf der Suche nach Geborgenheit, die sie lange nur in Büchern fand. Und trotzdem ist der Roman nicht düster, sondern voller Sehnsucht, Hoffnung und Poesie. Mit großer Leichtigkeit wird von den schweren Dingen erzählt, beim Erzählen über Freundschaft, der Liebe zu Büchern und der großen Liebe wird es aber auch schon auch mal ein bisschen pathetisch. Diese Mischung hat mir einfach richtig gut gefallen und ich habe mir Vieles angestrichen.

Besonders gelungen fand ich auch die Struktur des Romans: Jedes Kapitel beginnt mit einem passenden Gedicht von Mascha Kaléko, das Elisas Erlebnisse und Gedanken spiegelt. Das hat mir die Gedichte noch einmal anders näher gebracht und ich habe jetzt richtig Lust auf mehr. Insgesamt ist der Roman damit eine literarische Liebeserklärung – an Kaléko, an die Kraft der Worte und daran, dass wir selbst in den dunkelsten Momenten Trost finden können.

Bewertung vom 19.03.2025
Bella Famiglia (eBook, ePUB)
Mahler, Nico

Bella Famiglia (eBook, ePUB)


sehr gut

Mit Bella Famiglia reist man als Leser:in ins München der 1960er Jahre, wo die Geschichte der jungen Kindergärtnerin Sofia spielt. Sie taucht in einem Eiscafé gemeinsam mit dem Eisverkäufer Lorenzo in die Welt des Eismachens und in die Geschichte seiner italienischen Familie ein. Während sie den schweigsamen Lorenzo kennenlernt, entfaltet sich die Vergangenheit der Familie Battaglia – von einem kleinen Dorf in den Dolomiten bis zu ihrem Neuanfang in Deutschland.

Was mir besonders gefallen hat, war die Mischung aus historischen Rückblicken und der Handlung in den 1960ern. Die Schilderungen der alten Handwerkskunst des Eismachens machen auf jeden Fall Lust, die Eismaschine wieder hervorzuholen. Gleichzeitig fand ich es spannend, mehr über die italienischen Einwanderer zu erfahren, die mit harter Arbeit ihr Glück in Deutschland suchten. Die wechselnden Zeitebenen fügen sich stimmig zusammen. Die flüssige Erzählweise und die liebevoll gezeichneten Figuren haben mir ebenfalls gut gefallen. Besonders die melancholische Grundstimmung und die Sehnsucht nach Heimat und Zugehörigkeit fand ich sehr gelungen.

Insgesamt ein bewegender, atmosphärischer Roman über Familie, Tradition und die Kunst des Eismachens. Von mir gibt es 4 von 5 Sternen – eine klare Empfehlung für alle, die Familiengeschichten mit historischem Hintergrund lieben!

Bewertung vom 18.03.2025
Schwebende Lasten
Gröschner, Annett

Schwebende Lasten


sehr gut

In „Schwebende Lasten“ erzählt Annett Gröschner die fiktive Lebensgeschichte von Hanna aus Magdeburg – eine Geschichte, die zugleich die Geschichte des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive einer ostdeutschen Arbeiterin ist. Der Roman zeichnet Hannas Weg von der Floristin zur Kranfahrerin nach und verknüpft ihr Schicksal mit den politischen Umbrüchen und sozialen Verwerfungen ihrer Zeit.

Die klare Sprache und die Art, historische Zusammenhänge anhand einer weiblichen Figur greifbar zu machen, haben mich stellenweise an Klaus Kordons „Trilogie der Wendepunkte“ erinnert – eine Reihe von historischen Romanen, die ich früher sehr gerne gelesen habe. Allerdings geht Gröschner in „Schwebende Lasten“ oft noch drastischer in die historisch authentischen und furchtbaren Details. Durch das hohe Erzähltempo hatte ich aber nie das Gefühl, von der Schwere der Ereignisse erdrückt zu werden. Bloß am Ende des Romans wurde es etwas langsamer, das war aber passend zum Ende von Hannas Leben.

Besonders gefallen hat mir Hannas Haltung: Trotz der vielen verzweifelten Situationen, in die sie und ihre Familie geraten, verliert sie nie ihren moralischen Kompass. Sie bleibt anständig, verbreitet weder Hass noch Missgunst. Diese Perspektive fand ich sehr wohltuend, denn sie zeigt, dass es möglich war, trotz widrigster Umstände eine Haltung zu bewahren. Gleichzeitig hebt der Roman hervor, was für unglaubliche Härten gewöhnliche Frauen im 20. Jahrhundert überlebt haben.

Insgesamt ist „Schwebende Lasten“ ein kluger, temporeicher und historisch fundierter Roman. Eine Empfehlung für alle, die sich für deutsche Geschichte interessieren!