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leseratte
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Alt Ruppin

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Insgesamt 52 Bewertungen
Bewertung vom 30.11.2023
Der Westen
Mac Sweeney , Naoíse

Der Westen


ausgezeichnet

Neues Denken ist angesagt

Zugegeben, den Namen Naoíse Mac Sweeney hatte ich bislang noch nicht gehört, aber ihr Buch über die bisherige Geschichtsschreibung des Entstehungsmythos der westlichen Zivilisation hat mich sofort gepackt.

Man wird als Leser hier aufgefordert über Geschichtsschreibung generell nachzudenken. Wer schreibt Geschichte und warum werden genau diese Aspekte der Geschichtsschreibung in den Vordergrund gestellt und eben andere nicht in aller Ausführlichkeit gewürdigt ? Weil sie dem Geschichtsschreiber nicht in den Kram, bzw. in seine Sichtweise passen ? Geschichtsschreibung ist auch immer eine Machtfrage.

Naoíse Mac Sweeney schreibt über die Entstehung der westlichen Zivilisation völlig neu. Das alte bisherige Denken, dem wir bislang überall begegnet sind, dürfen wir getrost beiseite legen. Bei Naoíse Mac Sweeney werden auch die Fakten in der Geschichtsschreibung gewürdigt, die Andere bisher gern weggelassen haben.

Wie die Autorin mich durch ihre Geschichtsschreibung bringt, ist unterhaltsam. Auf den 400 Seiten wird es nie langweilig und mit ihren Biografien, anhand derer sie vieles klar macht, beeindruckt sie mich immer wieder neu. Wussten Sie zum Beispiel, dass der große Geschichtsschreiber Herodot, nichts anderes als ein Asylant war ? Solcherlei Überraschungen gibt es noch eine ganze Menge im Buch.

Man darf sich natürlich gern fragen, müssen wir dies heute alles überhaupt noch wissen oder wollen wir es nicht doch lieber im dunkeln liegen lassen? Für mich war diese Lektüre unterhaltsam und sehr lehrreich, vor allem schaue ich mit neuem Wissen auf unsere Gegenwart.

Bewertung vom 12.10.2023
Im Namen der Deutschen
Frei, Norbert

Im Namen der Deutschen


ausgezeichnet

Nahkriegsdeutschland und seine NS-Vergangenheit

Der erste Bundespräsident nach dem II. Weltkrieg hat gesagt: "Wir haben von den Dingen gewusst."
Und in diesem Buch wird deutlich wie die Bundespräsidenten die Bevölkerung in die Aufarbeitung der
NS-Zeit mit hineingenommen haben. Dies war dringend notwenig und gelang, je nach Ausstrahlung
und Glaubwürdigkeit der einzelnen Bundespräsidenten mal mehr mal weniger überzeugend.

Prof. Norbert Frei startet einen geschichtlichen Ritt durch die alte Bundesrepublik. Er schaut in die
Biografien der einzelnen Bundespräsidenten, er schaut sich auch genau deren Mitarbeiter im
Bundespräsidialamt an. Und sind es anfangs die persönlichen Verstrickungen im alten Naziapparat
die aufgedeckt und entlarvt werden, ist es später dann der Umgang mit der Geschichte der einzelnen
Bundespräsidenten. Von einzelnen Reden und auch von Auslandsbesuchen gingen oft wichtige
politische Impulse aus.

Der Autor schreibt so, dass der Leser sehr genau in die Entwicklung und den Stand der geschichtlichen
Aufarbeitung des neuen deutschen Staates mit hineingenommen wird.

Ging es anfangs um das Eingeständnis doch etwas von den Greultaten gewusst zu haben, ging es
bei von Weizsäcker dann bereits um die kritische Betrachtung der Geschichte. Ein guter Prozess, der
allerdings sehr sehr lange brauchte.

Den gesamten geschichtlichen Prozess nun auf etwas über 300 Seiten lesen zu können, war für mich
eine äußerst bereichernde Lektüre.

Bewertung vom 12.10.2023
In meines Vaters Haus
O'Connor, Joseph

In meines Vaters Haus


ausgezeichnet

Vielen Dank Joseph O’Connors für diese brilliant erzählte Begebenheit !!!

Wenn einem Roman eine wahre Begebenheit zugrunde liegt, kann ich nicht widerstehen und in diesem Fall wurde ich durch die Lektüre reich belohnt.

Joseph O’Connor erzählt die Geschichte des Monsignore Hugh O’Flaherty aus dem Herbst 1943 in Rom. Eine Geschichte über Mut und Glaube und über Rettung von Menschenleben.

Wie Joseph O’Connor dies literarisch umsetzt ist meisterhaft. Der Autor beschreibt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Da sind die kurzen Kapitel aus dem Jahr 1943 und da sind die Kapitel aus dem Jahr 1963, als die BBC zu diesem Fall recherchierte.

Der Autor zieht mich von Anfang an tief hinein in seine Geschichte. Seine Protagonisten erweckt mit Leichtigkeit. Ich spüre förmlich die Kriegsangst im Nazi- besetzten Rom des Jahres '43. Niemand weiß ob die Flieger oben am Himmel bereits Russen oder Amerikaner sind. Und doch schlägt Joseph O’Connor einen frischen und mutigen Ton an, hin und wieder ermuntert mich seine Wortwahl sogar zum lächeln.

Für mich ist dieser Roman einer der schönsten des Jahres 2023.

Bewertung vom 05.06.2023
Auf dem Nullmeridian
Lewis, Shady

Auf dem Nullmeridian


ausgezeichnet

Täglich begegnen wir Einwanderern, aber wir wissen nichts über sie .......


........ mit diesem Roman wird sich dies ändern. Ja, es stimmt, in diesem Roman stehen die Entrechteten unserer Zeit im Focus und dennoch habe ich auf machen Seiten des Buches zumindest geschmunzelt.

Der Ich-Erzähler ist ein koptischer Christ aus Ägypten und lebt seit zehn Jahren als Immigrant in London. Er arbeitet bei der Wohnraumbehörde und Dank seines Postens, lerne ich viele andere Einwanderer und zT auch deren Schicksal kennen.

Aber in Rückblenden erfahre ich auch wie der Ich-Erzähler in Ägypten aufgewachsen ist und wie sein Weg nach Europa ausgesehen hat. Das spannende an diesem Roman ist die von uns aus veränderte Sichtweise und die kennenzulernen, lohnt die Lektüre auf alle Fälle.

Plötzlich bekommt der Ich-Erzähler einen Anruf. Ein Freund bittet ihn bei der Beerdigung einen jungen Syrers zu helfen, der war erst seit kurzer Zeit in London. Von dieser Rahmenhandlung getragen, entfaltet Shady Lewis seinen Roman. Er verbindet Themen, er beschreibt die Realität, die wir so gut wie gar nicht kennen, die wir aber kennen sollten um der Einwanderer Willen, denen wir täglich begegnen, egal ob in London oder Berlin.

Bewertung vom 05.06.2023
Zwei Reifen, eine Welt
Rosen, Jody

Zwei Reifen, eine Welt


ausgezeichnet

Ein fahrradverliebter Autor hat eine Hymne für das Fahrrad geschrieben

Es ist ein sehr vergnügliches Buch geworden. Der amerikanische Autor beschreibt das Fahrrad in den letzten zwei Jahrhunderten und wie es das Fahrrad geschafft hat, bis heute so beliebt zu bleiben.

Dabei hat dieses Fortbewegungsmittel immer auch Gegner gehabt. Es gab Zeiten da hat man sich gefragt: Ist es für eine Frau überhaupt schicklich im Sattel zu sitzen und in die Pedale zu treten.

Das Buch wird lebendig durch die zahlreichen Geschichten rund um das Fahrrad. Über manch eine Geschichte wird der Leser heute schmunzeln, aber wir sollten immer auch die Zeit beachten, aus der der Autor gerade berichtet. Manchmal wurde bzw. wird das Fahrrad bis heute ein politischer Gegenstand, auch darauf geht Jody Rosen ein.

Für mich als ebenso Fahrradbegeisterter war dieses Buch eine herrliche Lektüre und wenn man einen Fahrradfahrer zu beschenken hat, wird er sich garantiert über dieses Buch freuen.

Ein paar sehr wenige schwarz-weiss Fotos vervollständigen dieses Buch, leider sind es nur sehr wenige, aber so ein Buch ist halt kein Wunschkonzert, unterhalten habe ich mich bestens.

Bewertung vom 17.05.2023
Meine Stadt
Xi, Xi

Meine Stadt


ausgezeichnet

. . . . . ein literarischer Schatz


Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte dieses Buch in die hinterletzte Ecke gefeuert. Vom Klappentext her, war ich neugierig geworden, aber dann beim lesen, wollte sich mir der Inhalt einfach nicht erschließen.

Glücklicherweise entdeckte ich dann noch rechtzeitig das etwa 10seitige Nachwort der Übersetzerin Karin Betz. Sie schloss die Tür zu diesem Roman dann endlich auf und ich begann von neuem zu lesen. Es las sich noch immer nicht einfach, aber ich kapierte endlich welch einen Schatz ich vor mir hatte.

Dieser Roman hat ein halbes Jahrhundert auf dem Puckel und die Autorin steckt in jedem einzelnen Protagonisten selbst ein Stückchen weit. Es macht dann plötzlich Spass aus dieser fremden Welt etwas zu erfahren. Die Autorin schreibt wie das Leben in Honkong aussah, warum man dort staatenlos ist und vieles mehr.

Dieser Stadtroman entfaltet sich in mehreren Ebenen. Das Nachwort hätte als Einführung gut getan. Ich hoffe sehr, dass die Leser dieses Nachwort gleich zuerst lesen, mir hat es sehr geholfen diesen Roman zu verstehen und ihn als literarischen Schatz zu erkennen.

Bewertung vom 17.05.2023
Louis XIV
Willms, Johannes

Louis XIV


ausgezeichnet

Gut lesbar und viel mehr als nur eine Biografie.

Wer fällt einem sofort als Herrscher der Franzosen ein ? Klar, Napoleon, aber gleich danach wird wohl Louis XIV der Sonnenkönig genannt. Der im vergangenen Jahr verstorbene Autor hatte zwar eine große Fülle aus der er für seine Biografie schöpfen konnte, aber Briefe bzw. Tagebuchaufzeichnungen waren so gut wie keine zu bekommen, um so tragischer und irgendwie auch lustig: Der Sekretär des Sonnenkönigs hat eine Handschrift die dem des Königs zum verwechseln ähnlich ist. Es darf also vermutet werden oder man lässt solche Zeitzeugnisse gleich ganz außer acht.

Gut sortiert und chronologisch einwandfrei marschiert der Historiker Johannes Willms durch das Leben des Monarchen. Als er 1638 geboren wurde, rechnete wohl niemand mehr mit ihm, denn 22 Jahre war die Ehe seiner Eltern kinderlos geblieben.

Es ist eine sehr intensive Biografie, ich meine dies gar nicht kritisch. Willms bringt viele Jahreszahlen, aber ich muss sie mir ja nicht alle merken. Was mich während meiner Lektüre viel mehr erfreut: Der Autor hat zwar immer seinen Helden im Focus, aber so ganz nebenbei vermittelt Johannes Willms mir ein lebendiges und buntes Bild jener Zeit.

Es war für mich eine sehr gewinnbringende Lektüre. Louis XIV war eben doch viel mehr als nur der König der ständig Kriege führte und der der Prunksucht frönte, ich empfehle diese Biografie sehr gern weiter !!!

Bewertung vom 17.05.2023
Jahr der Wunder
Erdrich, Louise

Jahr der Wunder


ausgezeichnet

Eine amerikanische Gesellschaftskritik die Grenzen sprengt

Eins vorweg: Lese ich etwas von Louise Erdrich, dann ist das immer ein ganz besonderes Leseerlebnis, ich habe immer den Eindruck, dass diese Autorin stückchenweise in ihre Protagonisten hineinschlüpft und ihre Storys deshalb so intensive Romane werden.

In "Jahr der Wunder" häufen sich die Themen und Louise Erdrich verhebt sich nicht an deren Vielzahl. Ganz im Gegenteil, es darf bei aller Kritik an den Menschen und der amerikanischen Gesellschaft beim lesen auch geschmunzelt werden und ich habe dies ausführlich getan.

Unter anderem sind große Themen dieses Buches Corona, Rassismus, Gewalt, aber keines dieser Themen überlagert das andere, alle lassen die Protagonisten agieren und Mensch sein und vor allem wird oftmals deutlich, wie anders das Leben in Amerika im Vergleich zu Deutschland doch ist, als Deutscher schätze ich mich da sehr glücklich.

Tookie ist meine Heldin. Sie hat mich ganz besonders berührt. Sie gehört zur indigenen Bevölkerung und sie weiß sehr genau um die Nachteile und die alltäglichen Ungerechtigkeiten. Auch am Mord an George Floyds kommt Louise Erdrich in ihrem Roman nicht vorbei und so ist diese Story in zwei großen Ebenen angelegt. Die Autorin macht große Zusammenhänge deutlich, gefällt mir aber am besten, wenn ihre Protagonisten sich im Bücherladen treffen und dort über das Leben und die Literatur reden und sich von der Literatur beeinflussen lassen, denn die Literatur hat die Kraft dazu. Wer diesen Roman gelesen hat wird die Welt hinterher mit anderen Augen anschauen, versprochen !!!

Bewertung vom 04.05.2023
Zwischen Himmel und Erde
Rodrigues Fowler, Yara

Zwischen Himmel und Erde


ausgezeichnet

Das Cover ist preisverdächtig !!!

Dieser Roman an sich ist kein 0-8-15 Roman. Bereits die Gestaltung der einzelnen Seiten waren für mich doch ein wenig fragwürdig. Oftmals blieben halbe Seiten einfach leer, hin und wieder stand ein Satz mehrmals gedruckt auf einer Seite und weiter nichts.

Ja, ich weiß, dass ist Kunst und ich bin altmodisch, Anderen mag es ja gefallen, mir nicht. Auf alle Fälle kann man sich auf diesem Weg leicht rühmen einen 500-Seiten-Wälzer gelesen zu haben.

Zum inhaltlichen: Die Autorin hatte eine geniale Idee. Mithilfe zweier junger Frauen zeigt sie wie politische Rahmenbedingungen das persönliche Leben eines jeden von uns bestimmen. Allerdings sind wir ihnen nicht hoffnungslos ausgeliefert.

Die energische Catarina und die zumindest anfangs verschlossene Melissa lernen miteinander umzugehen, es entsteht Freundschaft und die britisch - brasilianische Autorin nutzt voll ihre Kenntnisse aus beiden Ländern und Gesellschaftssystemen aus und macht daraus eine temporeiche, lesenswerte Story.

Vom sprachlichen her war es nicht immer meine Wellenlänge, aber letztlich war es dann doch gut die gesamte Story gelesen zu haben!

Bewertung vom 04.05.2023
Dichter, Naturkundler, Welterforscher: Adelbert von Chamisso und die Suche nach der Nordostpassage
Glaubrecht, Matthias

Dichter, Naturkundler, Welterforscher: Adelbert von Chamisso und die Suche nach der Nordostpassage


ausgezeichnet

Matthias Glaubrecht schreibt die erste vollständige Chamisso Biografie

Bekannt war mir Adelbert von Chamisso bisher vor allem als der geniale Erfinder seines Peter Schlemihl. Als Naturkundler und Welterforscher hätte ich ihn bis zu dieser Lektüre garantiert nicht bezeichnet. Matthias Glaubrecht hat ein klug recherchiertes und für den Leser gut aufbereitetes Buch über Adelbert von Chamisso geschrieben und ich habe es mit größtem Interesse gelesen.

Von Anfang an nimmt Matthias Glaubrecht seinen Leser mit und lässt ihn bspw. wissen, wie er Chamisso als Biologe kennenlernte. Man darf wohl sagen, mehr als zufällig, weil viele Biologen bis heute Adelbert von Chamisso nicht als Biologen sehen.

Glaubrecht nennt Chamisso in einer Reihe mit Kolumbus und Magellan. Und selbst Chamisso beschreibt seine von Russland ausgehende mehrjährige Forschungsexpedition, man war auf der Suche der Nordostpassage, als "Hauptstück meiner Lebensgeschichte". Um so verwunderlicher für mich, dass man Adelbert von Chamisso bis heute nur als Lyriker kennt.

Aber der Reihe nach: Irgendwie ist es für mich beinah unverständlich, dass in Berliner Archiven kistenweise persönliches Material (Briefe, Reisetagebücher . . .) unbeachtet und unentdeckt herumstanden. Glaubrecht erzählt wie der flüchtige Franzose nach Preußen kommt und seinen Schlemihl bereits auf deutsch schreibt.

Wir lernen dann Adelbert von Chamisso bei seiner Forschungsarbeit kennen. Er sammelt Pflanzen, trifft auf Menschen die zuvor kein Europäer gesen hat und beschreibt fremde Tiere. Adelbert von Chamisso beschäftigt sich anschließend mit seiner Reise und er ist seiner Zeit vielleicht viel zu weil voraus.

In diesem Wälzer begegnet mir Adelbert von Chamisso als Universalgelehrter. Er blieb weitgehend ungehört, aber dieses Schicksal teilt er mit vielen anderen berühmten Leuten, für mich war dies eine äußerst gewinnbringende Lektüre.

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