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Benutzername: 
mosi67
Wohnort: 
Bayern

Bewertungen

Bewertung vom 09.10.2021
Der Gesang der Berge
Que Mai, Nguyen, Phan

Der Gesang der Berge


ausgezeichnet

Das Buch ist aus der Perspektive mehrerer Generationen einer nordvietnamesischen Familie geschrieben, die unter der französisch-japanischen Besatzung, der Landreform und den Kriegen gelitten, überlebt und sich davon erholt hat. Die ersten Teile des Buches liest sich wie Geschichtsbuch über Vietnam im letzten Jahrhundert, das aber durch eine persönliche Geschichte erzählt wird. Mein Wissen und Verständnis über Vietnam war bisher vom Vietnamkrieg (der Amerikaner) geprägt, so daß ich viel gelernt habe über die Ursachen sowie Komplexität und Hintergründe der vietnamesischen Geschichte und Gesellschaft.
Gegen Ende des Buches tritt die persönliche Geschichte stärker in den Vordergrund, wird aber immer noch im größeren historischen Kontext erzählt. Das Buch endet mit Liebe und Vergebung. Es beschreibt schonungslos die Sinnlosigkeit der Schrecken und der Ungerechtigkeit der Vergangenheit. Nach meinem Eindruck wird die vietnamesische Geschichte recht ausgewogen behandelt.
Dieses Buch hat mir sehr gut gefallen, es lässt sich gut lesen und die Sprache ist sehr ausdrucksstark. Die Geschichte wird überwiegend aus der Perspektive von zwei Hauptprotagonisten erzählt, das Erleben von Großmutter und Enkelin sind eng miteinander verbunden. Somit ist es auch die Geschichte von starken Frauen: Ur-Großmutter, Großmutter, Mutter und Enkelin haben sich nicht nur jeweils mit ihrer Situation abgefunden sondern diese auch aktiv gestaltet.
Es gibt hauptsächlich zwei Zeitstränge, die sich durch das Buch durchziehen und die mit jedem Kapitel abwechselnd fortgeführt werden. Die Geschichte springt so ein bisschen hin und her, so dass man sich auf die Namen der Figuren konzentrieren muss. Der Stammbaum am Anfang des Buches ist das sehr hilfreich. Eine Karte von Vietnam mit den beschriebenen Orten würde das Verständnis ebenfalls erleichtern.
Es ist ausgesprochen interessant, die vietnamesische Sichtweise über den Vietnamkrieg sowie der Jahre davor und danach kennenzulernen. Zudem ist es faszinierend, etwas über das Leben der Menschen in diesem Land zu erfahren.
Die schrecklichen Ereignisse der amerikanischen Bombardierung mit Agent Orange und die Langzeitfolgen sind lesenswert. Die Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Konflikts wird aus der Sicht der unmittelbar Betroffenen deutlich. Diese Perspektive wird konsequent beibehalten: die politischen und global strategischen Interessen und Beweggründe werden nicht erläutert.
Aber auch die Eifersucht und die Kämpfe zwischen den Vietnamesen selbst verursachten schreckliche Schmerzen und Leiden. Die Prosa ist von Poesie durchdrungen, was ihr einen wunderbar authentischen Charakter verleiht.

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