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Benutzername: 
gewalcker
Wohnort: 
Bliesransbach

Bewertungen

Insgesamt 6 Bewertungen
Bewertung vom 07.01.2023
Geschichten aus der Heimat
Glukhovsky, Dmitry

Geschichten aus der Heimat


weniger gut

Ich bin ganz und gar nicht der Meinung von SZ und FFA, die hier komische Parallelen zwischen Glukhovsky und Tolstoi oder anderen russischen Klassikern ziehen. In der deutschen Übersetzung finden sich massenweise Grammatikfehler und regelrechte Bremsklötze für flüssiges Lesen. Völlig idiotisch finde ich die Entdeckung der Hölle, die sich Gazprom zunutze machen will, und in späterer Story die Landung eines Außerirdischen, der promt interviewt wird. Richtig ist, wir erhalten eine total nihilistische Perspektive aufs gesegnete Russland, das kein Mensch mehr nach dieser Lektüre zu besuchen in der Lage sein wird. Schade, ich habe St. Petersburg geliebt.

2 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.05.2022
Die Entdeckung des Selbst
Rathgeb, Eberhard

Die Entdeckung des Selbst


ausgezeichnet

Das Buch überrascht mit ungewöhnlicher Schriftgröße, aber lässt sich locker und leichtverdaulich lesen. Vielleicht zu leicht. Denn nach Schopenhauers Bio, einer sehr guten Bildbeschreibung Courbet "das Atelier des Künstlers" kommen wir zu Kierkegaard, und hier überrascht uns ein schlunziger, langanhaltender Textstrom mit nicht endendwollenden Wiederholungen. So zum Beispiel das Drama Sörens mit Regine Olsen, das wohl 6-8 mal wiederholt oder besser gesagt wiedergekäut wird. Auch der spätere Textteil kann nur Leser positiv beschäftigen, die noch nie eine Nietzsche Biographie in Händen hielten.
Letztendlich kommen wir überall hin nur nicht zur "Entdeckung des Selbst", wie es der Titel verspricht. Hierzu wäre eine tiefergehende, vielleicht sogar eine dialektische Analyse der drei Philosophen mit ihrem Schaffen, ihren Persönlichkeiten, ihren Zielen, ihren Verfehlungen erforderlich gewesen. Eine verpasste Chance.

Bewertung vom 16.07.2021
Hegel
Vieweg, Klaus

Hegel


ausgezeichnet

Das Buch ist sehr ästhetisch und alles was die Biografie betrifft, ist es hervorragende Lektüre zur Abendstunde. Große Mängel hat der Band jedoch in der "Einführung in Hegels Denken". Da kommen plötzlich nach herrlichen Hegelsätzen zu Hölderlin ("Fritz, des bisch net Du..."), unverdauliche Brocken aus Phänomenologie oder Logik daher, die solcherart unvorbereitet mehr für Verstimmung als Zustimmung sorgen. Sehr zu empfehlen für den Einstieg in Hegels Philosophie ist deswegen "Ludwig - Hegel für Anfänger" und dann, noch besser und geradliniger "Gerhard Gamm - Der Deutsche Idealismus, eine Einführung in die Philosophie von Fichte, Hegel und Schelling". Von Gamm, schon brennend und lange ersehnt, kommt im September ein Band "Hegel". Hier erwarte ich mir endlich die Erlösung.

Bewertung vom 04.03.2018
Es gibt keine Materie!
Dürr, Hans-Peter

Es gibt keine Materie!


sehr gut

Es ist nicht das erste Mal, dass ich "Werner Heisenbergs Quantentheorie und Philosophie" (Reclam 4,--) gelesen habe, aber nun in einem ganz neuen Zusammenhang. Und dieser frische Wind war verursacht worden durch den eingeflogenen Vogel Hans-Peter Dürr (1929-2014), Nobelpreisträger, Quantenphysiker, Schüler und Mitarbeiter Heisenbergs.
Man kann ihn überall auf dem Internet finden, bei YouTube (hier ist besonders ertragreich sein Interview mit Sternstunde Philosophie vom SRF1) oder bei Wiki und natürlich in vielfältigen Büchern oder Textteilen.
Das Interview von HP Dürr durch Dr. Peter Michel, festgehalten in dem Buch "Es gibt keine Materie" auf 120 Seiten, kann man bequem in drei bis vier Stunden durchziehen. Es hat den Mangel, dass der Interviewer immer wieder den Physiker auf eine "esoterische" Linie herüberziehen will. HP Dürr aber bleibt eisern bei seinem Programm.
In Hans Jonas "Prinzip Leben" offenbarte sich mir der "Dualismus in den Naturwissenschaften", der stark vereinfacht gesagt die Verbindungsglieder zwischen ausgedehnter Materie und Geist nicht finden konnte. Diese "kartesische Ontologie", zunächst unterstützt von Leibnitz, Spinoza, vielleicht sogar Kant, fand durch die Evolutionstheorie des Charles Darwin (1809-1882) ein jähes Ende. Die Naturwissenschaft hat sich nach endlosen Diskussionen über das Thema für die "relativ tote" Materie entschieden. Dinge wie Wut, Liebe, oder jener "Wille", kann sie nicht interessieren, weil diese Dinge eben nicht messbar oder gar im Experiment fehlerfrei wiederholbar sind.
Mit der Evolutionstheorie aber wurde die Sonderstellung des Menschen aufgehoben, seine Entwicklung aus dem Tierreich war evident geworden. Mit Aufhebung dieser Sonderstellung wurde gleichzeitig die besondere Eigenschaft des Menschen, eine Seele, einen geistigen Grund und Sinnvorstellung zu haben, ad absurdum geführt. Und damit wurde die Konstruktion, die gesamte Natur sei zum Zwecke des Menschen eingerichtet, abgehakt.
Nun also kommt HP Dürr daher, erzählt im Plauderton: "Es gibt gar keine Materie. Wenn man diesen Tisch hier immer weiter zerkleinert, stehen wir am Ende dieses Vorgangs nicht vor einem festen Teil eines Atoms, wo ein Elektron herumfliegt, sondern vor einer Beziehung, vor einer Bewegung, vor einem Prozess. Eigentlich haben wir keine Worte, um diese Gebilde zu beschreiben." Es fehlen uns ja auch die Worte um zum Beispiel "Liebe" zu beschreiben, oder ein Bild zu deuten. In dem Moment, wo wir zur Beschreibung ansetzen, zerstören wir es (die Liebe, oder die Schönheit des Bildes, das was uns das Bild sagen will. Und hier sei auch ein dezenter Wink auf unsere Musikwissenschaft oder Kunstwissenschaften angezeigt.
"Es gibt auch keine Zeit", damit meint Dürr die überkommene Vorstellung von Zeit. Denn für ihn gibt es konkret nur die Vergangenheit, diese lässt sich deuten und begrenzt interpretieren; der Augenblick verfällt sofort in diese Vergangenheit und die Zukunft ist das immer Unvorhersagbare, das immer völlig Offene. Hier beginnt die Kreativität. Eine ähnliche Aussage, die bereits David Hume (1711-1776) äußerte und die bei Nietzsche als Argument gegen jede Form von Teleologie und bestimmte Kausalzusammenhänge Eingang fand.
Teleologie (telos= das Ziel) kann es nach HP Dürr nicht geben, weil es "das Vorne" nicht gibt. (Ursache und Wirkung, wie bei Hawking, sollte vom Urknall bis zum Ende aller Tage ein durchkonstruiertes Band sein, wogegen keine Willenserhebung je etwas ändern könnte. An dieser simplen Konstruktion erkennt man, was für durchgeknallte Typen dieser Hawking und seine Jünger sein müssen).
HP Dürr widerspricht mit dieser seiner Aussage, die Zukunft würde immer vom Augenblick an neu beginnen, gegen die klassische These der Physik, der des Determinismus, dass jedes Ereignis durch eine Vorbedingung eindeutig festgelegt sei. Das ist erstaunlich, weil durch diese These wissenschaftliche Systeme bedeutungslos werden.
Hochinteressante Gedankenschnipsel eines "guten" Menschen.
(gwm)

Bewertung vom 28.02.2018
Die lange Nacht der Metamorphose
Paoli, Guillaume

Die lange Nacht der Metamorphose


sehr gut

Ab der Mitte des Flusses, in dem man nie ein zweites Mal eintaucht, "When the music's over", erste Aufklarung, Helligkeit und ein deutliches Schreibziel wird erkennbar.
Endlich eine klare Übereinkunft: "Es gibt sie nicht mehr, die neue Musikgestalt". Das als Beispiel für die Stagnation im heute.
Der Grundkonsens des Gedankengangs: Neoliberalismus - Mutation - Weltuntergang.
Aber alles in dem Sinne, wie "Sonnenuntergang" nur metaphorisch gemeint ist. Nicht wirklich geht sie unter unsere gute Sonne, unsere gute alte Welt. Ist ja nur ein Sprachspiel. Wirklich, kein Untergang?
Mit der Metapher "Mutation" wird ein endgültiger, unwiderruflicher Wandel der Menschheit angedeutet, der die kühnsten Vorstellungen Nietzsches in den Schatten stellt.
Nicht der Übermensch, wie ihn dieser Nietzsche gefordert hatte, steht an der Tür zu übermorgen, sondern der Unter-Untermensch, der alles unterbietet, was seit der griechischen Antike jemals das Licht von Kultur erblickte. So gesehen ist die Gentrifizierung der Kultur eine reine (kurzfristige) Monetisierung, eine Ästhetisierung von schönen Gedankengängen, bei denen der moderne Mensch gern blinzelt, aber lieben tut er nur sein Geld.

Bei der zunehmenden Verarmung vieler Bevölkerungsschichten soll der Eindruck erweckt werden, das ganze Land ernähre sich gut und gerne nur noch von Kunstprodukten, Design und der Entwicklung von Apps (das Paradies der Heimgekehrten, die neue Religion).
In diesem Punkt hat mich Paoli radikal überzeugt. Auf die Frage "Wie hältst du's mit dem Kapitalismus?" gibt es nur eine simple Antwort: die allermeisten Menschen sind einfach nicht dafür geschaffen. Sie haben auf Konkurrenzkämpfe keine Lust. Sind nicht gut im Kaufen und Verkaufen. Haben anderes im Kopf als das ewige Streben nach Optimierung und Gewinnmaximierung. Wer nicht Machtmensch ist oder Gewinnstreber, und das sind die meisten, werden die einfach aus der ganz großen Diskussion, aus den Philosophien der Weltanschauungen ausgeklammert?
Immer nur diejenigen, die sich ins Licht reinquetschen, die die größte Fresse haben, die also bestimmen den Text der Medien und der Politik. Die sind es, unsere Helden aus Sport, Politik, Wirtschaft, Schauspielerei etc. , während es der kleine Mann nur durch ein Sexualdelikt oder Totschlag mal in die "Bild" schafft. Bestimmt werden wir aber durch ein ganzes Netzwerk an Strippenzieher, die unverwüstliche Machtgelüste ausleben wollen.
Dieses scheint der Grund zu sein, dass jegliche Zustimmung den Medien, der Politik, den Wirtschaftsmanagern und den Wissenschaften von der grauen Masse der Nichtkapitalisten versagt wird. Das System funktioniert nicht mehr. Es erinnert an den Untergang von Kaiserreich und Kirche. Statt einem vorangegangenem Krieg haben wir eben eine Mutation durchgemacht, die, wie blöd muss man sein, oft noch als technische Spitzenleistung beklatscht wird.
"Nur der Sozialismus kann den Planeten retten", erklärt Bill Gates, einer der reichsten Menschen dieses Planeten, der wohl weiß wovon er redet. Das private Kapital, sagt Gates, sei zu selbstzentriert und ineffizient, um die globalen Energieprobleme der Menschheit zu lösen.
Paoli zitiert oft Nietzsche, zuletzt in seinem Schlusskapitel: seit Kopernikus scheint der Mensch auf eine schiefe Ebene geraten- er rollt immer schneller nunmehr aus dem Mittelpunkt weg.
Die erste Kränkung - wir stehen nicht mehr im Zentrum des Universums - war noch zu verkraften. Die zweite - mit Darwin ist der Mensch Tier geworden. Daran anknüpfend fügte Freud eine dritte Kränkung hinzu: Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus. Jetzt war die Vorstellung dahin, die Welt mittels Vernunft umgestalten zu können.
Mit der prometheischen Scham des Günther Anders geschah ein weiterer Affront: der Mensch ist seinen eigenen Maschinen nicht gewachsen. Dann folgte noch das ökologische Bewusstsein: die Natur wird zurückschlagen.
gwm

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.