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Chrystally

Bewertungen

Insgesamt 25 Bewertungen
Bewertung vom 02.01.2025
Als wir im Schnee Blumen pflückten
Harnesk, Tina

Als wir im Schnee Blumen pflückten


ausgezeichnet

Das Gemälde auf dem Cover von „Als wir im Schnee Blumen pflückten“ lässt einen sofort die unendliche Weite Schwedens spüren, wo dieses Buch spielt. Wir begleiten Marridja, die sich nach einer terminalen Diagnose auf die Suche nach ihrem Neffen macht.
Harnesk hat das Erzähltalent ihrer samischen Vorfahren geerbt. Wir tauchen tief in Mariddjas Denken und Erleben ein – ihre harte, aber herzliche Liebe zu ihrem dementen Mann, ihre unantastbaren Wertvorstellungen und Selbstbild, ihre naiven Versuche, ihren Neffen wiederzufinden, ihre mutige Aufarbeitung der schwierigen Beziehung zu ihrer Schwägerin, ihr trotziger Lebenswille, ihre eigenwillige Herangehensweise an moderne Technik – so tief, dass wir manches erst nach und nach erfahren, wenn die Außensicht von anderen dazukommt. Man erlebt, wie dramatische Lebensumstände wie Vertreibung und Armut so zu einem Teil der eigenen Existenz werden, dass man sie kaum wahrnimmt. Das hat mir bisweilen beim Lesen fast den Atem geraubt. Durch diese Nähe schließt man Mariddja trotz ihrer Verschrobenheit und ihrer bisweiligen Missachtung aller Regeln ins Herz.
Die Handlung entwickelt sich unaufgeregt, wir beobachten einzelne Episoden aus dem Leben des Paares über viele Wochen und oft passiert im Außen wenig, trotzdem habe ich durchgehend gerne weitergelesen. Harnesks Art zu erzählen, der nicht gefühllose, aber unverstellte Umgang ihrer Protagonisten mit den Schicksalsschlägen in ihrem Leben hat mich sehr in seinen Bann gezogen. Gleichzeitig schildert sie mit einer unvergleichlich trockenen Art absurde Situationen, die mich zwischendurch immer wieder zum Lachen gebracht haben. Auch den Einblick in die Geschichte der samischen Urbevölkerung Schwedens fand ich spannend. Ein kleiner Wermutstropfen war ein fehlendes Glossar für die samischen Begriffe, wodurch man sich bestimmte Details nur im Nachhinein erschließen kann.
Insgesamt ein unter seiner Rauheit sehr feinfühliges und damit lesenswertes Buch.

Bewertung vom 02.01.2025
Das Buch der neuen Anfänge
Page, Sally

Das Buch der neuen Anfänge


sehr gut

„Das Buch der neuen Anfänge“ lädt mit einem farbenfrohen, verspielten Cover zum Lesen ein. Wir begleiten die junge Bankangestellte Jo, nachdem ihr Freund sie verlassen hat, wie sie im Schreibwarenladen ihres dementen Onkels aushilft und dort wieder zaghaft neue Beziehungen zu anderen Menschen eingeht.
Wie im „Glück der Geschichtensammlerin“ ist die Protagonistin zwar ein Prototyp Mensch – hier dem der sehr strukturierten, zurückhaltenden, bemühten und nach außen hin farblos wirkenden jungen Frau – aber trotzdem als Individuum erkennbar, glaubhaft und sympathisch beschrieben. Auch ihre alten und neuen Bekanntschaften nehmen in Pages Schilderung plastisch Gestalt an und wir begegnen herrlich skurrilen Charakteren wie dem tätowierten Optiker, der flüchtigen Geistlichen oder Jos Jugendliebe.
Die Geschichte selbst bietet eher wenig Überraschungen, aber es war gemütlich und inspirierend zu lesen, wie sich Jo und die anderen Personen langsam näherkommen, sich öffnen, sich gegenseitig bereichern, gemeinsam Neues ausprobieren und so über die Zeit ihr Potenzial entdecken. Auch die Schritte und Schwierigkeiten in der Wiederannäherung mit Jos alter Freundin waren nachvollziehbar. Was mich leider gestört hat, war die immer wiederkehrende Lobhudelei auf die Freundschaft und Jos ewige Selbstvorwürfe, sich in ihrer alten Freundschaft falsch verhalten zu haben. Ersteres steckt ja schon in der Handlung und man kann es sich selbst erschließen, zweiteres wirkte auf mich übertrieben und ziellos, weil es gar nichts gibt, was sie eindeutig falsch gemacht hat.
Insgesamt ein gemütliches, vorhersehbares Buch mit interessanten Charakteren, das nicht ganz an das Vorwerk der Autorin heranreicht.

Bewertung vom 07.10.2024
Medusa / Mythen der Monster Bd.1
Marsh, Katherine

Medusa / Mythen der Monster Bd.1


sehr gut

Das Cover verrät noch nicht viel, außer, dass ein Mädchen mit einer Laterne durch Venedig mit seinen Gondeln schleicht. Und das Buch startet auch erstmal woanders, nämlich in Avas „ganz normaler“ Schule, in der sie sich mit den ganz normalen Ärgernissen eines Teenager-Mädchens herumschlägt: die Freundinnen pubertieren, und in der Schule herrscht Alltagssexismus. Aber Avas Ärger bricht sich in neuer Form Bahn, und damit startet ihr Leben im Internat, in dem ihr Lieblingsthema – die griechische Mythologie – zum Leben erwacht.
Ich hatte viel Spaß beim Lesen des Buchs. Die Charaktere sind glaubhaft und die Protagonisten sympathisch und überzeugend in ihren Freuden und Nöten. Leider ist die Grenze zwischen den Helden und ihren Antagonisten etwas überdeutlich gezogen, hier hätte ich mir mehr Schattierungen zwischen gut und böse gewünscht. Die Szenen sind lebendig und mitreißend erzählt, die Dialoge wirken meist spontan und natürlich, außer wenn etwas zu viel mythologischer Hintergrund in die Unterhaltungen eingebaut war. Insgesamt fand ich die Handlung spannend und die Autorin hat an vielen Stellen geschickt die mythologischen Hintergründe eingearbeitet, um die Handlung voranzutreiben (z.B. wie sich das genetische Erbe der Schüler*innen auf unterschiedliche Weise Bahn bricht). Dabei zeigt sie ihr tiefgehendes Wissen, sodass das Geschehen trotzdem nicht vorhersehbar ist. Auch ihre Ideen, wie die mythologischen Beziehungen zwischen den Sagengestalten gewesen sein könnten, fand ich ziemlich raffiniert. Ich glaube, mich in griechischer Mythologie halbwegs auszukennen, trotzdem bin ich über manche Gestalten und Hintergründe gestolpert. Auch wenn es ein Glossar gibt, glaube ich, dass vor allem Menschen Spaß an diesem Buch haben, die schon einigermaßen bewandert in griechischer Mythologie sind, sonst ist die Geschichte möglicherweise eine sehr beliebige Ansammlung an fantastischen Gestalten. Für meinen Teil hatte ich jedoch großen Spaß an den neuen Ideen und dem neuen Blickwinkel.
Neben dem Abenteuer der Protagonistin berührt das Buch auch interessante Themen wie die Frage, wie Menschen von den Versäumnissen ihrer Vorfahren betroffen sind und wie deren Errungenschaften ihnen helfen können, wie man sich selbst findet und über sich hinauswächst. Hiervon können gerade junge Leser*innen sicher profitieren. Viel präsenter ist jedoch das Thema Sexismus – unter den Schüler*innen, Lehrer*innen und Sagengestalten. Ich finde es richtig und wichtig, dass Kinder jeden Geschlechts darüber lesen und sich Gedanken machen. Die Beobachtung, welche Rolle Frauen in der Mythologie spielen, haben mich zum Nachdenken angeregt. Leider war das Problem für mich an manchen Stellen etwas zu sehr im Fokus, sodass es von der Handlung abgelenkt hat, und der Wunsch, Frauen und Mädchen zu bestärken, schlug bei den Figuren bisweilen in Schwarzweißmalerei in die andere Richtung und eine Abwertung fast aller männlichen Figuren um. Das fand ich schade und ich halte es für kein hilfreiches „Gegenmittel“ im Kampf gegen Sexismus.
Trotzdem habe ich das Buch mit großem Spaß gelesen und gebe eine Leseempfehlung für Fans griechischer Mythologie.

Bewertung vom 07.10.2024
Monoloco (eBook, ePUB)
Blum, Susann

Monoloco (eBook, ePUB)


weniger gut

Ich habe lange gezögert, diese Rezension zu schreiben. Der Grund ist, dass „Monoloco“ von Susann Blum einige wirklich schöne Aspekte beinhaltet, ich insgesamt aber nicht mit dem Buch warm geworden bin. Angezogen hat mich als allererstes das zauberhafte Cover, das sphärische Türkis und das surreale Motiv. Auch der Plot hat mich neugierig gemacht: Was passiert an diesem Abend in der Bar zwischen den beiden Cliquen? Und wovor und wie können sie den verschwundenen Freund retten? Tatsächlich fand ich die Geschichte dann auch größtenteils spannend und ich habe mitgefiebert. Die Figuren, vor allem die Frauen, waren sympathisch und jede als Charakter überzeugend. Auch der biografische Hintergrund der Autorin gibt dem Buch einen besonderen Reiz
Leider gab es einige Wermutstropfen: Zum einen hat mich vieles der Handlung einfach im Detail nicht überzeugt. Schon dass Mailyn „ganz aus Versehen“ eine sehr anzügliche SMS an eine Nummer aus ihrem Telefonbuch schickt, weil sie einen Text an die falsche Stelle kopiert, fand ich furchtbar konstruiert, und so ging es leider weiter. Das Barkonzept mit den „Mutproben“ fand ich total wirr und unglaubwürdig, tiefsinnige Konversationskartenfragen passen einfach nicht zu einer Tikibar. Plötzlich sind die sich gerade noch fremden Menschen in einer tiefgründigen, höchst persönlichen Unterhaltung, ohne dass nachfühlbar wird, was diese plötzliche Offenheit ausgelöst hat. Diese Entwicklung hat mir gefehlt. Dazu kam die Eindimensionalität von Mailyns Partner und ihrer Beziehung. Und was ist eigentlich genau der „Zufall“, der im Untertitel beschworen wird?
Neben diesen inhaltlichen Aspekten fand ich leider auch den Schreibstil unprofessionell. Handys wurden in konsequentem Teenie-Sprech als „Phone“ bezeichnet, und in den Dialogen wechselten Beschreibungen („sagte“, „warf ein“…) mit neutralen „Regieanweisung“ vor den Aussagen („Sam:“) – anderen Leser*innen ist das bestimmt egal, mich persönlich hat es gestört – da erwarte ich mehr Eleganz von Text.
Insgesamt ist die Geschichte voller guter Ideen, das Buch bleibt aber deutlich hinter seinem Potenzial zurück.

Bewertung vom 12.08.2024
Wieso? Weshalb? Warum?, Band 43: Wir schützen die Tiere
Erne, Andrea

Wieso? Weshalb? Warum?, Band 43: Wir schützen die Tiere


gut

Zur Wieso-Weshalb-Warum-Reihe muss man nicht viel sagen, Kinder lieben sie und als Eltern ist man froh über die kindergerechten Erklärungen für komplizierte Fragen. Leider blieb dieses Buch in Teilen hinter meinen Erwartungen zurück.
Dieses Buch ist, wie seine Vorgänger, gewohnt solide in der Verarbeitung. Es gibt viele Klappen, bei denen sich die Autoren immer wieder neues einfallen lassen, sodass das Konzept durch die vielen unterschiedlichen Richtungen, Formen und Größen, Vorher-Nachher-Bildern und Detailbetrachtungen nicht langweilig wird. Kinder erforschen verschiedene Bereiche (Wald, Meer, Polartiere, Insekten, Haustiere, Nutztiere, gefährdete Arten…). Leider kommt es dabei bisweilen zu Redundanzen, weil z.B. gefährdete Arten eben im Meer oder Wald leben.
Die Illustrationen sind realistisch, aber nicht langweilig; kindgerecht, aber nicht künstlich; und lebhaft, aber nicht visuell überladen, und laden so zum Entdecken ein. Meist ist jedoch jede einzelne Tierart beschriftet – das ist für das Thema unerheblich und lenkt ab.
Mein größter Kritikpunkt ist der Text. Dieser ist nicht immer logisch aufgebaut, auch da Textteile hinter den Klappen stehen und so nicht flüssig vorgelesen werden können. Immer wieder sind Informationen eingemischt, die nichts mit dem Thema zu tun haben und teils sogar in anderen WWW-Büchern enthalten sind (welche Pflanzen nachts blühen, dass Fischereischiffe den Fang an Bord verarbeiten). Auch das lenkt vom Thema ab. Wiederholt finden sich Begriffe wie „biologisch angebaut“, die Kinder nicht ohne Erklärung verstehen, die aber auch nicht erläutert werden. Und an einigen Stellen hat der Text grammatikalische Fehler – das darf in einem gedruckten Buch m.E.n. nicht passieren.
Ziel des Buches ist es ja auch, Kindern ihren Handlungsspielraum beim Thema Tierschutz aufzuzeigen. An einigen Stellen ist dies gut umgesetzt. Sie erfahren, was Regierungen und Organisationen in Sachen Tierschutz tun, und erhalten an gegebener Stelle Infos, was sie selbst tun können. Frustrierend finde ich allerdings Hinweise wie „schau beim Einkaufen, welche Produkte mithilfe von Insekten entstanden sind“ – das ist für ein Kind nicht machbar und schafft Frustration.
Kinder werden sich allerdings an vielen der genannten Punkte nicht stören, auch unseres blättert gern in dem Buch. Daher trotzdem eine Leseempfehlung für alle, die über die beschriebenen Makel hinwegsehen können.

Bewertung vom 12.08.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


ausgezeichnet

Der Klappentext von „Kleine Monster“ fasst zwar die Geschichte zusammen, wird der Tiefe und Intensität des Buchs jedoch nicht gerecht – Jessica Lind spielt brillant mit den Erwartungen der Lesenden und taucht tief Pias dunklen Gedanken. Schon nach wenigen Seiten hatte mich die Geschichte gefesselt, und ich konnte nicht anders, als das Buch bis spät in die Nacht fertigzulesen.
Interessant fand ich, dass das Geschehen nach dem verkorksten, ausweglos scheinenden Schulvorfall gar nicht so detailliert dargestellt wird. Die einzelnen Episoden, über Monate verteilt, zeigen eine Entwicklung, die ich so nicht erwartet hatte, die aber absolut stimmig war. Viel gewichtiger ist jedoch, dass sie ausreichend Gelegenheit geben, in die Gedankenwelt von Pia einzutauchen – wie sie das Geschehen erlebt, die Veränderung in der Beziehung zu ihrem Mann und ihrem Sohn, wie sie ihr Erziehungsverhalten hinterfragt (als bindungsorientierte Eltern fühlt man sich oft ertappt), welche Erinnerungstüren sich auftun und wie sich immer klarer zeigt, welche Altlasten die vermeintlichen Wahrheiten unserer Herkunftsfamilien sein können.
Absolute Leseempfehlung für Menschen, die in Grautönen denken und Liebhaber raffinierter Psychogramme.

Bewertung vom 15.01.2024
Diamantnächte
Rød-Larsen, Hilde

Diamantnächte


sehr gut

Das Cover von „Diamantnächte“ von Hilde Rød-Larsen mit seinem irisierenden Farbspiel hat mich persönlich sofort angezogen, und der Inhalt hat mich auch neugierig gemacht.
Es geht um Agnete, die sich – ganz für sich – ihrer Vergangenheit und erlebten schwierigen Beziehungen stellt, indem sie sich zwingt, sich zurückzuerinnern. Anfangs ist sie noch ambivalent und vermeidet die Erinnerung – dieser Teil las sich entsprechend zwar schön geschrieben, aber eben oberflächlich und bisweilen etwas langatmig. Doch dann nutzt Agnete (und Rød-Larsen) einen Kunstgriff, der auch als Psychotherapietechnik genutzt wird: sie geht auf Abstand, ändert die Namen – und plötzlich sprudelt die Erzählung und nimmt an Fahrt auf, und wir begleiten sie durch die Erinnerungen an eine aufregende, aber auch schmerzvolle Zeit ihres Lebens. Diese Erzähltechnik fand ich kurz verwirrend, dann aber sehr elegant und stimmig. Über diese Brücke schafft Agnete auch wieder, den Bogen zu sich zu schließen, und erzählt dann mit neuer Tiefe von sich selbst weiter, bis sie im Hier und Jetzt ankommt.
Am Ende des Buchs bleiben jedoch Fragezeichen bei mir zurück. Denn Agnete stellt sich zwar einer schweren Erinnerung und ihrem eigenen Verhalten, verfolgt auch dessen Vorläufer bis in ihre Kindheit – es bleibt jedoch offen, wieso sie schon früh bestimmte Eigenarten entwickelt hat. So endete die Selbsterfahrungsreise, ohne ganz ans Ende (bzgl. den Anfang) zu gelangen.
Ansonsten fand ich das Buch stimmig und stimmungsvoll und gebe eine Leseempfehlung für alle Menschen, die psychologisch interessiert sind und für solche, die ein Vorbild brauchen, wie man an der Ehrlichkeit sich selbst gegenüber wachsen kann.

Bewertung vom 19.12.2023
Büchermenschen
Vernet, Stéphanie;de Cussac, Camille

Büchermenschen


gut

„Büchermenschen“ zeigt und erzählt, durch wie viele Hände ein Buch geht, bis es von der ersten Idee bei den Leserinnen und Lesern ankommt. Die Aufmachung ist definitiv ein Blickfang: bunte Illustrationen, der beschnittene Einband und die Schweizer Bindung, die ich persönlich vorher noch nie in der Hand hatte. Allein das macht das Buch zu einem kleinen Schatz.
Jede der 10 miteinbezogenen Personengruppen wird auf zwei Doppelseiten beschrieben. Dabei mischen sich allgemeine Tätigkeitsbeschreibungen mit Anekdoten und Beispielen. Auch wenn nicht jede Personengruppe im gleichen Umfang dargestellt werden kann, hätte ich es spannend gefunden, auch über die anderen Parteien innerhalb des Verlags zumindest kurz etwas zu erfahren, sie werden jedoch bei den Lektor:innen nur aufgelistet. Die Tätigkeiten der Beteiligten sind ebenfalls oft Auflistungen und ich konnte mich oft nicht so richtig in ihren Berufsalltag hineinfühlen. Inhaltlich würde ich das Buch nicht als Kinderbuch einstufen, weil es sehr viele Fachausdrücke beinhaltet, abstrakte Konzepte (wie den Rhythmus eines Layouts) behandelt und oft ins Detail geht, aber die größeren Zusammenhänge (die man als Erwachsene ungefähr kennt) wenig deutlich werden. Ich würde das Buch also eher einem Teenager als einem Grundschulkind in die Hand drücken.
Was mich gestört hat, war, dass die Illustrationen nur in wenigen Fällen einen Mehrwert zum Text liefern, aber in Relation zum klein gedruckten Text sehr viel Raum einnehmen. Die Bilder sind für sich genommen interessant (auch wenn ich persönlich die Farbgebung als zu unruhig empfinde) und es gibt viel zu entdecken, sie stehen eben nur eher neben dem Text als in klarem Bezug dazu.
Für mich eine schöne Idee, die leider den gewünschten Spagat zwischen Bilder- und Sachbuch nicht so richtig hinkriegt.

Bewertung vom 26.07.2023
Das Glück der Geschichtensammlerin
Page, Sally

Das Glück der Geschichtensammlerin


ausgezeichnet

Janice lebt im Hintergrund – während sie ihrer Arbeit als Reinigungskraft und ihrem Alltag nachgeht, ist sie diejenige, die sich die Geschichten der anderen anhört, und auch von ihrem Mann und ihrem Sohn erfährt sie keine Beachtung. Doch plötzlich ist da dieser Busfahrer, und eine neue Arbeitgeberin, und Janice muss sich entscheiden, ob sie aus dem Schatten tritt…

Sally Page hat eine redliche Protagonistin geschaffen, wie sie wohl jeder kennt: die gute Seele, die sich um alle und alles kümmert, hier und da auch ehrliche Anerkennung bekommt, aber es klaglos hinnimmt, wenn sie schlecht behandelt und ignoriert wird. Und die man gerne mal schütteln möchte, warum sie das mit sich machen lassen. Dabei ist Janice kein Klischee, sondern ein glaubhaftes Individuum mit regem geistigem Innenleben und oft auch schönen und berührenden Begegnungen mit anderen, vielseitigen, interessanten und bisweilen schrägen Personen. Und erfreulicherweise stoßen ihr die Veränderungen nicht einfach zu, sondern Janice trifft einige neue Entscheidungen, die Bewegung in ihren eingefahrenen Alltag bringen. Die emotionalen Turbulenzen, in die sie diese Veränderungen stürzen, und auch der weitere Verlauf der Geschichte sind glaubhaft. Umso mehr habe ich mich über das in vielen Aspekten unerwartete Happy End gefreut. Der Schreibstil gleitet mühelos dahin und zaubert in wenigen, einfachen Worten eindrucksvolle Szenen. Das gilt besonders auch bei den kleinen Geschichten, die Janice über andere Menschen sammelt und die umso schöner sind, wenn man hinten im Buch liest, dass Sally Page hier aus wahren Begebenheiten schöpft.

Insgesamt ein Schatz von einem Buch, das einen in die Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz mitnimmt und ein warmes Gefühl im Bauch hinterlässt. Beherzte Leseempfehlung für Fans von „Die Eleganz des Igels“ und „Miss Harris und ein Kleid von Dior“.

Bewertung vom 26.07.2023
Porträt auf grüner Wandfarbe
Sandmann, Elisabeth

Porträt auf grüner Wandfarbe


sehr gut

Gwen wird von ihrer Tante zu einer Reise in die ehemalige Heimat ihrer Familie mitgenommen und deckt im Gespräch mit Familienmitgliedern und dem Lesen in alten Dokumenten die schwierige Freundschaft zwischen der leiblichen und der Ziehmutter ihrer Mutter auf.
Elisabeth Sandmann erzählt zwei Geschichten: die der Freundinnen Ella und Ilsa, die ungleicher nicht sein könnten und trotzdem Zeit ihres Lebens über Kriege und familiäre Verwicklungen hinweg miteinander verbunden sind. Und die von Gwen, die diese gemeinsame Geschichte 70 Jahre später ans Tageslicht holt. Der Erzählstil ist atmosphärisch und emotional, dabei jedoch immer elegant und nie undifferenziert oder überladen. Ich konnte die Handlungsorte und Protagonistinnen vor meinem inneren Auge sehen, so lebendig, wie Sandmann von Räumen, Stoffen, Kleidungsstücken und Essen erzählt, und mich in die Figuren einfühlen, insbesondere wenn sie selbst von den Entwicklungen überrannt schienen.
Die mutige Ella aus einfachen Verhältnissen, die es dank starker Fürsprecherinnen schafft, sich die Welt zu eröffnen, kann man überhaupt nicht nicht mögen. Und auch die exaltierte Ilsabe kann man auf ihre eigene verschrobene Art verstehen. In der aufgedeckten Familiengeschichte ist es bisweilen gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten – da hilft auch das Lesezeichen mit einer Auflistung der wichtigsten Charaktere nicht, ich habe mir tatsächlich irgendwann einen Stammbaum gemalt, auf dem ich immer wieder gespickt hab. Das macht die Geschichte jedoch nicht weniger fesselnd, und auch wenn man manches voraussehen kann, bleibt es bis zuletzt spannend und die Schicksale der Beteiligten berührend. Eingebettet werden sie in zeitgeschichtliche Zusammenhänge, über die man dadurch auch nochmal manches (wieder) lernt. Das meiste erfahren wir aus den Tagebüchern von Ella – hier fand ich es schade, dass Sandmann die Chance nicht genutzt hat, Ella selbst erzählen zu lassen, sondern die Geschichte aus der dritten Person erzählt. Viel lieber hätte ich es aus Ellas Feder erfahren, wie sie die Geschehnisse erlebt hat.
Die Handlung rund um Gwen, die die Familiengeschichte aufdeckt, fand ich im Wesentlichen auch schön zu lesen. Man leidet mit in ihren Drang, endlich Klarheit über die Fragezeichen zu ihrer Vergangenheit zu bekommen, und die Begegnungen mit ihren differenziert gezeichneten Verwandten und Freunden waren glaubwürdig darin, wie Gwen um Antworten ringen musste. Aus wie vielen Winkeln plötzlich Dokumente, Fotos etc. auftauchen, oder wie Gwen rein zufällig auf einen ziemlich alten Katalog stößt, der sie auf eine entscheidende Fährte führt, das fand ich allerdings überzogen, genau wie der kitschige Epilog, den es für meinen Geschmack nicht gebraucht hätte – das beides hat meine Lesefreude getrübt.
Insgesamt jedoch eine bewegende Familiengeschichte mit ungekünsteltem Fokus auf verschiedene beeindruckende Frauen und einem tollen Schreibstil, von dem ich gerne mehr lesen möchte. Aufgrund der Komplexität klare Leseempfehlung für Menschen, die Familien- und Detektivgeschichten gleichermaßen mögen.