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Alais

Bewertungen

Insgesamt 186 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2024
Das verborgene Leben der Farben
Imai Messina, Laura

Das verborgene Leben der Farben


sehr gut

Laura Imai Messina hat mit dieser Liebeserzählung ein ganz besonderes Buch geschaffen, das die Freude an der Vielfalt der Farben weckt. Schön zu spüren ist ihre Liebe zur japanischen Kultur, in der die ursprünglich italienische Autorin seit ihrem dreiundzwanzigsten Lebensjahr lebt. Es ist ein stilles, behutsam erzähltes Buch mit ganz viel Gefühl.
Wovon die Autorin erzählt: Mio und Aoi, zwei äußerst sensible Kinder mit Außenseitertendenzen wachsen zu recht unterschiedlichen, aber äußerst sensiblen Erwachsenen heran und begegnen einander ... Die Autorin berührt dabei auch Themen wie Achtsamkeit, Farben und Pflanzen, Werden und Vergehen, Vielfalt und Lebensfreude. Und, und das hat mich besonders fasziniert, beide junge Menschen wuchsen in Familien auf, die durch ihre berufliche Tätigkeit Menschen in entscheidenden Momenten ihres Lebens begleiten.
Zwischen den Kapiteln fügt die Autorin einige Auflistungen und andere Zusatzinformationen ein, die die Erzählung ausstaffieren und oft bereichern, mit denen ich aber nicht immer etwas anfangen konnte, beispielsweise auf Seite 80 mit der Angabe des japanischen Titels des Buches, das Aoi im vorangegangenen Kapitel im Zug las. Als Sprachenfreak habe ich mich zwar sehr über die Angabe auf Japanisch gefreut, in diesem Fall aber eine Übersetzung in Klammern vermisst, da ich leider nur wenige Worte Japanisch spreche. Die Bedeutung anderer japanischer Wörter hingegen erschließt sich gut aus dem Kontext und sie werden zudem in einem hilfreichen Glossar am Ende des Buches erläutert. Darüber hinaus enthält der Anhang Mios Farbnotizbuch mit betörenden Beschreibungen verschiedener Farbtöne. All dies gab mir das Gefühl, dass die Autorin sehr viel Liebe in ihr Buch und seine Ausstattung hat einfließen lassen, und das bescherte mir eine sehr schöne Leseerfahrung, wenn ich mich auch, wie so oft bei Liebesgeschichten, mehr für das Umfeld der beiden Liebenden und ihre individuelle Geschichte als für ihre Beziehung zueinander begeistern konnte.

Bewertung vom 06.05.2024
Die Gabe der Lüge / Karen Pirie Bd.7
Mcdermid, Val

Die Gabe der Lüge / Karen Pirie Bd.7


sehr gut

Mörderische Schreibwelten

Ein spannender Krimi bietet eine Auszeit vom Alltag, die Lesende mit dem wohligen Gefühl genießen können, dass es sich nur um Fiktion handelt und am Ende in der Regel wie im Märchen das „Böse“ besiegt wird und der oder die Schuldige ins Gefängnis wandert. Doch was, wenn das Gelesene auf geradezu verstörende Weise real existierenden Personen und Gegebenheiten ähnelt? Genau dieses beklemmende Gefühl bekommt eine Bibliothekarin, die den Nachlass eines verstorbenen Schriftstellers sichtet und in einem unvollendeten Manuskript deutliche und beunruhigende Parallelen zum Fall Lara Hardie, einer jungen vermissten Frau, erkennt. Sie entschließt sich, den ihr bekannten Kriminalbeamten Jason aus Karen Piries Team zu kontaktieren …

Mit dieser ungewöhnlichen Ausgangslage beginnt Karen Piries siebter Fall, der zudem noch unter äußerst ungewöhnlichen Umständen stattfindet: der frühen Phase der Pandemie, als es noch keine Impfstoffe gab und in Schottland ein sehr strenger Lockdown mit Ausgangssperre herrschte. Äußerst spannend war für mich als Bücherfan das Setting: die Literaturwelt mit den angehenden oder bereits etablierten Autor:innen, dem Archivmaterial aus dem Nachlass eines Schriftstellers, einem Schreibkurs und Schreibwettbewerb. Da kommen unwillkürlich Fragen danach auf, wie Menschen zu Schriftsteller:innen werden, wie ein Werk entsteht und ganz besonders natürlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Fiktion und Realität, eine Frage, die angesichts des Vermisstenfalls eine ganz besondere Brisanz gewinnt.

Mir gefiel sehr, dass über das geheimnisvolle unvollendete Manuskript, das die Ermittlungen von Piries und ihrem Team in Gang setzt, nicht nur geredet wird, sondern dass McDermid sich auch die Mühe gemacht hat, es selbst zu verfassen und in voller Länge zu präsentieren. Das ist ihr sehr gut gelungen – der Schreibstil unterscheidet sich spürbar und ich hatte so tatsächlich den Eindruck, dass ich den Text eines anderen Menschen lesen würde. Es handelt sich um eine eiskalte Morderzählung, packend und erschreckend angesichts der Anmaßung und völligen Empathielosigkeit des Täters. Doch bezieht sie sich auch auf reale Geschehnisse? An diesem Punkt gingen meine Spekulationen in alle Richtungen. Hier hatte mich McDermid ganz gepackt und meine Fantasie angeregt – allerdings so sehr, dass ich hinterher vom tatsächlichen Ausgang dieses Kriminalromans leider etwas enttäuscht war.

Nicht enttäuscht und wie bei den anderen Büchern von ihr aufs Neue begeistert haben mich: ihre zwischen den Zeilen spürbare Liebe zu den Menschen (ungewöhnlich im Thrillergenre, wo ich manchmal den Eindruck habe, die Autor:innen würden detaillierte blutige Schilderungen diverser Grausamkeiten förmlich genießen) und ihre engagierte und zugleich schottisch-gemäßigte, sensible Art, diverse aktuelle Themen in ihre Erzählungen einzubinden.

Engagiert, bodenständig und zupackend – so wirkt auf mich die Hauptfigur Karen Pirie, die neben ihrer Arbeit auch schon mal mutige und unorthodoxe Wege geht, um einem Menschen in Not zu helfen, und ähnlich wie sie stelle ich mir auch die Autorin vor. In diesem Roman wuchs mir Karen regelrecht ans Herz. Dass wir Leser:innen auch die private Seite der Ermittlerteammitglieder kennenlernen, erscheint mir in vielen anderen Krimis überflüssig, zu dieser Reihe jedoch passt diese menschliche Seite hervorragend.

Ganz hat McDermid das Potenzial, das diese Geschichte bot, leider nicht ausgeschöpft, aber was sie geliefert hat, war ein kniffliger und herrlich mysteriöser Fall mit überzeugender Auflösung.

Bewertung vom 09.03.2024
Ein seltsamer Ort
Yoshimoto, Banana

Ein seltsamer Ort


sehr gut

Wer sich gerne auf etwas Ungewöhnliches einlässt, wird an diesem Buch viel Freude haben. Es geht um zwei Schwestern, ein geheimnisvolles Schloss mit einem ebenso geheimnisvollen Gutsherrn, um Verlust, Trauer, neue Wege - und um Aliens.
Der Schreibstil ist schön, elegant, nichts Außergewöhnliches, aber der Inhalt ist eine Herausforderung. Ich fühlte mich beim Lesen wie in einem bizarren Traum. Als verwirrend empfand ich unter anderem, dass mir gerade die realistischeren Elemente der Erzählung im Vergleich zu den fantastischen Elementen irgendwie seltsam vorkamen. Erzählweise und Dialoge wirkten manchmal auf mich etwas altbacken, dann aber immer wieder frisch, kühn und unerwartet, dabei fast ein bisschen kindlich.
Ich hatte das Gefühl, die Autorin schrieb ein sehr persönliches Buch, in das sie all das reinpackte, was sie bewegt, fesselt und bezaubert, ohne sich um Genregrenzen oder Erwartungen ihrer Leserschaft zu scheren, was mir sehr gefiel. Sie bezeichnet ihren Roman auch als eine Hommage an den klassischen Gruselfilm Phantasm und es hat sich für mich gelohnt, über diesen im Internet ein wenig zu recherchieren. Darüber hinaus enthält das Buch Anspielungen zu verschiedenen Werken der japanischen Kultur, wobei der Diogenes-Verlag bzw. die Übersetzerin die Lesenden sorgfältig mit den notwendigen Informationen versorgen, sodass Lesende wie ich, die nur wenige japanische Werke kennen, nicht im Nachteil sind.
Die Charaktere wirkten auf mich herzerweichend naiv, poetisch, märchenhaft, aber dadurch manchmal leider auch ohne Tiefe. Die meisten von ihnen prägt eine positive Grundeinstellung und irgendwie gleichen sie einander trotz äußerlicher Unterschiede sehr. Es ist nett und süß, von solchen Leuten zu lesen und darüber, wie liebevoll und versöhnlich sie miteinander umgehen, eine durchaus bewundernswerte Verhaltensweise, mein zynisches Ich aber musste ab und zu amüsiert und ungläubig den Kopf schütteln.
Im Großen und Ganzen war es für mich eine schöne, etwas verträumte und verspielte Geschichte, die ich trotz aller Seltsamkeit sehr gerne las.

Bewertung vom 09.03.2024
Fensterbrettgarten
Haßler, Deike

Fensterbrettgarten


ausgezeichnet

Dieses wunderbare Buch für Fensterbankgärtner:innen ist innen wie außen in heiteren, sonnigen Farben gestaltet und genauso freundlich fühlte ich mich vom Text an die Hand genommen. Deike Haßler hat einen sehr angenehmen, lockeren Schreibstil, der dafür sorgt, dass sich das Buch trotz der Fülle an Informationen leicht liest. Sie duzt ihre Leserinnen und Leser, ermuntert sie und verbreitet eine positive Stimmung.
Ohne Garten und ohne Balkon bleibt mir gar nichts anderes übrig, als meine Fensterbänke zu bepflanzen, und ich hatte vorher schon einiges ausprobiert. Dennoch gelang es diesem Buch, meinen Horizont noch einmal stark zu erweitern - die Möglichkeiten eines Nutzgartens auf dem Fensterbrett sind wirklich erstaunlich!
Die Autorin gibt viele praktische Tipps von der Befestigung von Pflanzgefäßen an Fensterbänken bis hin zur Gewinnung von Samen aus geernteten Tomaten für die nächste Pflanzrunde und stellt eine ganze Reihe geeigneter Pflanzen für die Fensterbrettbepflanzung im Porträt vor, unterteilt nach Pflanzen für Außenfensterbretter und Pflanzen für Innenfensterbretter. Angesprochen werden vielfältige Themen wie Microgreens, Topfgröße, Vermehrung, vertikale Pflanzsysteme und vieles mehr. Besonders gefielen mir auch der Aussaat- und Erntekalender sowie die zahlreichen Abbildungen und das kleine Glossar am Ende.
Für mich war dieses Buch ganz wunderbar, da ich viel lernen und auch einige von mir eingeschlagene, leider falsche Wege korrigieren konnte. Es lässt sich gut in einem Rutsch lesen, eignet sich durch die praktische Übersicht und ein Register aber auch zum Nachschlagen einzelner Themen.
Ein sympathisches und wertvolles Buch für alle, die sich eine grüne Oase auf ihrem Fensterbrett wünschen!

Bewertung vom 13.02.2024
Die schlafenden Geister des Lake Superior / Peter Grant Bd.10
Aaronovitch, Ben

Die schlafenden Geister des Lake Superior / Peter Grant Bd.10


gut

Diese Fantasyerzählung mit Geistern, Eistornadas und unheimlichen Tierwesen spielt vor der eindrucksvollen Kulisse des Lake Superior an der Grenze zwischen den USA und Kanada. Dieses Setting war eine hervorragende Wahl: eine raue Gegend, die von eisiger Kälte, alten Mythen, der bewegten und nicht immer glorreichen Geschichte der USA und dem großen "Oberen See" mit all seinen düsteren Geheimnissen geprägt ist.
Hier ermittelt die für übernatürliche Fälle zuständige FBI-Spezialagentin Kimberley Reynolds, die auf der Suche nach einem ehemaligen Kollegen ist, der einen unheimlichen Vorfall gemeldet hat und danach verschwunden ist. Kimberley ist quasi das US-amerikanische Pendant zu Peter Grant vom Scotland Yard in London aus Aaronovitchs Die-Flüsse-von-London-Reihe, zu dem sie auch gelegentlich in Kontakt steht. Das ist ein Punkt, der mir sehr gefiel: Durch diese Verbindung wird die Flüsse-in-London-Romanwelt ausgebaut, erscheint so authentischer und Fans der Reihe können mit diesem Buch noch tiefer in diese Welt eintauchen.
Mit ihrer christlichen Prägung ist Kimberley eine etwas ungewöhnliche Heldin. Ungewöhnliches finde ich eigentlich gut, aber weder war sie mir sympathisch noch hatte sie irgendetwas Interessantes an sich. Letzteres galt auch für die meisten anderen Figuren, abgesehen von einem Jungen, der allerdings erst spät in die Geschichte eintrat. Selbst die unheimlichen Wesen, die in dieser Geschichte ihr Unwesen treiben, wirkten zwar angemessen gruselig und gefährlich, aber auch etwas flach und eindimensional - sehr schade. Als Drehbuch hätte dieses Buch vielleicht besser funktioniert, da die Schauspieler:innen ihr Talent einbringen und die Figuren mit mehr Leben und Tiefe hätten erfüllen können. Leider ging es mir wie schon so oft bei Aaronovitchs Büchern, nur hier in besonders starker Ausprägung: Alle Zutaten für eine gute Geschichte sind vorhanden, aber die Umsetzung ist einfach nicht überzeugend. Die Geschichte liest sich flott, es geschieht viel und eigentlich auch ziemlich Aufregendes und dennoch konnte für mich keine richtige Spannung aufkommen, da mir die Hauptfiguren nicht nahe genug waren.
Fast schon interessanter war für mich die deutsche Übersetzung, da die Übersetzerin Christine Blum etwas andere Sprachgewohnheiten hat als ich ("der Level" statt "das Level" (wobei das keine Kritik sein soll, beide ist korrekt) und das Wort "verpuscheln" kannte ich noch gar nicht). Das empfand ich als bereichernd.
Fazit: Für mich leider kein Highlight, aber ein Buch, das sich leicht liest, unterhaltsam und auch schön gruselig ist.

Bewertung vom 29.01.2024
Letzte Gefühle
Görlitz, Sabrina

Letzte Gefühle


ausgezeichnet

Sabrina Görlitz hat sich schon sehr früh im Leben mit dem Thema Tod auseinandergesetzt und sich später durch das lange Sterben ihres Vaters und ihre darauffolgende Tätigkeit als Sterbebegleiterin noch intensiver mit den Themen Sterben und Trauern beschäftigt. Von dieser intensiven Betrachtung, ihrer persönlichen Erfahrung und ihren vielen Begegnungen mit Sterbenden und ihren Angehörigen profitiert ihr Buch, das eine Fülle interessanter Denkanstöße zu einer Thematik bietet, der wir uns letztendlich alle dann und wann im Leben stellen müssen.
Es ist ein sehr persönliches Buch, eher die Autobiographie und der Erlebnisbericht einer Sterbebegleiterin als eine bloße allgemeine Betrachtung. Vor allem aber ist es ein Buch, das eine Mutter voller Fürsorge für ihren Sohn schrieb, um ihm den Umgang mit einer Thematik zu erleichtern, die sie selbst viele Jahre lang stark belastet hat. Sabrina Görlitz ist definitiv kein Mensch, der so leicht verdrängt wie meisten anderen. Während beispielsweise ein gewisser Politiker schon meint, es sei alles okay und Klimaschutz völlig überbewertet, weil die Welt ja morgen noch nicht untergeht, denkt sie sehr viel weiter und machte sich sogar schon bei der Geburt ihres Sohnes Gedanken um seinen Tod und schließlich auch Sorgen darum, wie er eines Tages mit ihrem Tod umgehen wird. Mir gefällt ihr mutiger Ansatz, sich dem, was sie belastet, zu stellen und so für sich und andere einen Weg zu finden, damit besser umzugehen.
Die Autorin schreibt voller Herzblut und gewährt ehrlich und einfühlsam Einblick in ihr eigenes Leben und das Leben und der Sterben einiger der Menschen, die sie begleitete. Trotz der düsteren Thematik liest sich der Text leicht. Sie formuliert treffsicher, schreibt ansprechend und schnörkellos - ihre journalistische Ausbildung macht sich bemerkbar. Und tatsächlich ist das Buch auch gar nicht so düster, obwohl sie weder verdrängt noch schönredet, sondern vermittelt eine warmherzige, positive Einstellung. Ich empfand es zwar nicht als Trostbuch, dennoch gelingt es ihr, die vielfältigen, bunten Seiten des Todes und des Sterbens zu zeigen. Ganz besonders gefielen mir die Technik, die sie als "Geschichtenpflegerin" anwendet, und die Wertschätzung der einzelnen Menschen, die damit einhergeht.
Viele ihrer Gedanken empfand ich als bereichernd, in einem für sie ganz zentralen Punkt, nämlich in Bezug auf ihr rein negatives Bild von der Hoffnung, konnte ich ihr jedoch nicht folgen. Ich habe den Eindruck, dass sie in dieser Hinsicht etwas zu stark von ihrer eigenen Geschichte vom Sterben ihres Vaters traumatisiert ist.
Auf jeden Fall aber tat es mir in der Trauer um meine Mutter gut, mich mit diesen Gedankengängen auseinanderzusetzen, denn in dieser Gesellschaft, die den Tod so gerne verdrängt, kann man sich in Trauerphasen, insbesondere wenn diese etwas länger andauern, ansonsten manchmal sehr allein fühlen. Ein wertvolles Buch mit vielen Facetten!

Bewertung vom 01.01.2024
Reiseziel Weltraum
Walter, Ulrich

Reiseziel Weltraum


sehr gut

Ulrich Walter schöpft aus seiner eigenen Erfahrung als Astronaut und bietet einen spannenden, abwechslungsreichen und praxisnahen Einblick in die Raumfahrt, wobei er den Schwerpunkt auf die sich gerade entfaltende Wunderwelt des Weltraumtourismus legt.
Ich muss gestehen, dass ich etwas naiv an das Buch herangegangen bin und erst dachte, dass es vor allem um eine hypothetische Betrachtung zur augenzwinkernden Vorstellung der Raumfahrt geht. Tatsächlich sind die gegebenen Tipps jedoch sehr konkret, durchaus ernst gemeint und richten sich an künftige Weltraumtourist:innen - nur dass, auch wenn ich den Entwicklungsstand des Weltraumtourismus maßlos unterschätzt habe, die Wahrscheinlichkeit, dass auch nur ein Leser oder eine Leserin dieses Buches die Chance haben wird, ein solches Abenteuer für sich zu bezahlen, wohl noch für lange Zeit verschwindend gering sein wird. So hatte ich an ein paar Stellen das Gefühl, ein Buch zu lesen, das nicht für mich, sondern für die Multimilliardär:innen dieser Welt bestimmt ist, was meine Laune ziemlich trübte.
Aber Ulrich Walter hat auch seiner weniger vermögenden Leserschaft sehr viel zu bieten - von atemberaubenden Aufnahmen aus dem All bis hin zu ebenso atemberaubenden Beschreibungen, wie es sich anfühlt, ins All zu starten, Schwerelosigkeit zu erfahren, oder den "Overview-Effekt" zu erleben. Was mich aber auch besonders fasziniert hat, ist ein Überblick über die ersten Raumfahrtromane, die ihrer Zeit weit voraus waren (sogar noch lange vor Jules Verne verfasst!). Und gefreut habe ich mich über den neuen, erstaunlicherweise positiven Blick auf Jeff Bezos, den ich bei der Vorstellung der Unternehmen, die in diesem Bereich aktiv sind, gewinnen konnte. So hat dieses Buch meinen Blick geweitet und durch die allgemeinverständliche Präsentation ist es sehr lehrreich und gleichzeitig unterhaltsam.
Walter ist anzumerken, wie sehr er die Raumfahrt liebt. Das ist einerseits schön zu lesen, andererseits trübt es meinem Eindruck nach seinen Blick, wenn es um die negativen Auswirkungen der Raumfahrt geht. Seine Argumentation zur Frage der Klimaschädlichkeit hat mich leider überhaupt nicht überzeugen können - man kann doch nicht den CO2-Ausstoß eines Weltraumtourismus, der zurzeit nur einigen wenigen Menschen weltweit Nutzen bringt, mit dem CO2-Ausstoß der gesamten Menschheit vergleichen und so zum Schluss kommen, dass die Belastung vergleichsweise gering sei! Da wäre ein Vergleich des CO2-Ausstoßes der Weltraumreisenden mit dem CO2-Ausstoß einer äquivalenten Anzahl von Menschen auf der Erde angebrachter.
Aber natürlich werden durch diese Reisen auch Erfahrungen und technisches Wissen gesammelt, die letztendlich eines Tages uns allen zugutekommen könnten - oder auf desaströse Weise für militärische Zwecke genutzt werden könnten. Umso lesenswerter finde ich dieses Buch, das einen spannenden Blick auf die aktuellen Entwicklungen wirft und so eine erstaunliche Lücke in der Berichterstattung der Medien füllt.

Bewertung vom 20.12.2023
Mord im Filmstudio
Maly, Beate

Mord im Filmstudio


ausgezeichnet

Dieses Buch mit seinem schmucken Jugendstilcover spielt gegen Ende der Stummfilmzeit in Wien. Im Mittelpunkt stehen die pensionierte Lehrerin Ernestine und der ehemalige Apotheker Anton, die zum ersten Mal in ihrem Leben als Statist und Statistin an einem großen Film mit rauschenden Kleidern mitwirken, worüber die eine mehr und der andere weniger begeistert ist. Dieses Abenteuer wird für sie unversehens zu einer Mordermittlung, als die amtierende Filmdiva ermordet wird …

Für mich war das die erste Begegnung mit dieser historischen Krimireihe, die in den 1920er Jahren in Wien spielt. Es ist anscheinend schon der achte Fall, aber ich hatte an keiner Stelle das Gefühl, dass mir Vorkenntnisse fehlen würden, und sowohl das ungewöhnliche Ermittlerpärchen Ernestine und Anton als auch ihre Familie wurden mir schnell vertraut. Vor allem Ernestine, die mit ihrer für die 1920er Jahre durchaus typischen Offenheit dazu beiträgt, dass sich die Geschichte frisch und beschwingt anfühlt, ist mir sehr ans Herz gewachsen.

Es bereitete mir große Freude, den österreichischen Lokalkolorit mit so verheißungsvollen kulinarischen Verlockungen wie „Topfengolatschen“ zu genießen und zusammen mit Anton und Ernestine in eine exzentrische Filmwelt einzutauchen. Doch diese birgt Abgründe, die von den Nazis perfektionierte Grausamkeit der Menschen untereinander wirft ihre Schatten voraus und Antons Schwiegersohn erlebt antisemitische Anfeindungen durch seine Kollegen bei der Polizei. Mit sehr viel Empathie nähert sich die Autorin auch sehr bedrückenden Themen und stellt ihnen die Menschlichkeit von Ernestine und Anton entgegen.

Ein lesenswerter Wohlfühlkrimi, der auch sehr ernste Seiten hat.

Bewertung vom 14.12.2023
Im Herzen so kalt / Maya Topelius Bd.1
Åslund, Sandra

Im Herzen so kalt / Maya Topelius Bd.1


ausgezeichnet

Wer diesen Krimi liest, darf sich gleich zu Beginn über einen freundlichen Willkommensgruß der Autorin an ihre Leserinnen und Leser freuen – das habe ich so noch nicht erlebt und empfand ich als eine sehr sympathische Geste.
Und es geht auch gleich sehr spannend los mit einem Leichenfund in einem tiefen, verschneiten Wald und einem kleinen Mädchen, das in Gefahr zu geraten droht … Was mir schon auf den ersten Seiten positiv auffiel, war der gute Zugang, den ich dank der Schilderungen zu den Handlungsfiguren fand. Ob zum Mädchen Frida, die trotz ihrer gerade mal neun Jahre sehr ernst und verantwortungsbewusst wirkt, und seiner alleinerziehenden, zurückgezogen lebenden Mutter, zu den beiden hinzugezogenen Ermittlern Maya und Pär aus der Großstadt und ihren etwas wortkargen Kollegen vor Ort, zu den Umweltaktivisten, die sich für den von fehlgeleiteter Forstwirtschaft bedrohten Wald einsetzen, zu dem Forstunternehmer, zu einer Serviererin oder Mayas Freundinnen – alle Figuren hatten etwas, was sie ganz besonders und interessant macht. Auch trifft man selten in Krimis auf so viel Besonnenheit und Reflektiertheit (zumindest bei einigen der Handlungsfiguren). Und dennoch ist einiges nicht, wie es scheint, und es konnte auch schon mal die eine oder andere Person aus dem Rahmen des Bildes, das ich mir von ihr gemacht habe, ausbrechen …
Innerhalb der Gesamtgeschichte entwickeln sich mehrere kleine Geschichten rund um die verschiedenen Figuren, die jedoch letztendlich alle ineinandergreifen. Ich fühlte mich sofort gefesselt und fieberte mit, denn Gefahren und Bedrohungen gibt es trotz vieler sympathischer Figuren reichlich. Der Schreibstil ist auch sehr angenehm, das Buch liest sich leicht und mit Genuss und so ganz nebenbei lässt sich ein kleiner Einblick in das Leben in Schweden gewinnen. Hierzu passend runden eine Karte, ein Stadtplan und ein reich bestückter Anhang das Buch ab: mit einem kleinen Schwedischglossar, Literaturempfehlungen zu den Themen Abholzung und Monokultur-Forstwirtschaft in Schweden und einem ziemlich außergewöhnlichen und, wie ich finde, ein bisschen verrückten, typisch schwedischen Rezept.
Ein ungewöhnlicher Krimi und eine schöne Lektüre für spannende Leseabende im Winter!

Bewertung vom 13.12.2023
Die sieben Monde des Maali Almeida
Karunatilaka, Shehan

Die sieben Monde des Maali Almeida


sehr gut

Hinter dem außergewöhnlichen, farbenfrohen Cover verbirgt sich ein ebenso außergewöhnlicher Roman, der zwischen einer schrägen Fantasiewelt mit Geistern und Dämonen und der brutalen Realität der von Gewalt geprägten jüngeren Geschichte Sri Lankas eine so skurrile wie berührende Geschichte entspinnt.
Im Mittelpunkt steht Maali, der nach seinem Tod in eine bürokratisch durchorganisierte und dennoch ziemlich chaotische Zwischenwelt gerät, in der er gedrängt wird, ins Licht zu gehen. Doch Maali, der sich an die entscheidenden Ereignisse, die zu seinem Tod führten, nicht mehr erinnern kann, ist unentschlossen …
Amüsiert und zugleich etwas fassungslos hatte ich anfangs große Mühe, mich in diesem Roman zurechtzufinden und zu verstehen, in was für eine skurrile Geschichte ich da gerade hineingeraten bin. Gleichzeitig jedoch verliebte ich mich in den fantastischen Erzählstil – ausdrucksstarke Sätze und lebendige Beschreibungen, lässig-cool und mit einem herrlich trockenen Humor verfasst. Als erstaunlich empfand ich die Erzählweise mit einem Ich-Erzähler, der von sich selbst als „du“ spricht, aber zum Glück erwies sich das als nicht ganz so verwirrend, wie ich erwartet hatte.
So wunderbar schwarzhumorig das Buch startet, so erschütternd ist auch das Bild des fürchterlich realen, absoluten Grauens, das sich allmählich herausschält. Da mir die Geschichte Sri Lankas und des 1983 begonnenen Bürgerkriegs nicht bekannt war, hat es mich eiskalt erwischt. Ein von blutigen Konflikten gebeuteltes Land, in dem Menschen den Verbrechen unterschiedlichster Gruppierungen ausgesetzt sind, spurlos verschwinden und ermordet werden – das wird umso unerträglicher, wenn in einer derart leb- und bildhaften Sprache darüber geschrieben wird und Einzelschicksale in den Fokus rücken. Der Autor arbeitete hier ein bisschen wie sein Protagonist Maali, der zu Lebzeiten als Fotograf genau dieses Grauen dokumentierte.
Neben der individuellen Geschichte Maalis und der kollektiven Geschichte Sri Lankas berührt diese mitreißende Erzählung auch große Fragen der Menschheit und geht mal spöttelnd, mal sehr weise und sorgsam mit ihnen um. Sie hat also manchmal auch einen anspruchsvollen, philosophischen Charakter, überfordert aber nicht und ist generell reich an Emotionen, packenden Ereignissen und Wendungen.
Hinweisen möchte ich noch auf die kleinen Extras des Buches, die mir eine große Hilfe waren, sich aber viel zu weit hinten verstecken: ein Stadtplan von Colombo (S. 534), eine Liste der Handlungsfiguren (auf S. 535) und ein Glossar (S. 539).
Ein wunderbares Buch, das viel zu bieten hat!