Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Leselampe
Wohnort: 
Osnabrück

Bewertungen

Insgesamt 33 Bewertungen
Bewertung vom 29.06.2024
Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21
Lieder, Susanne

Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21


gut

Unterhaltsam

Agatha Christie - eine Frau ihrer Zeit am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts und doch mit sehr eigenen Vorstellungen vom und Wünschen an das Leben. Susanne Lieder beschreibt ihre Protagonistin als junge Frau mit romantischer Vorstellung von der Liebe, der Ehe, der Familie. Auf der anderen Seite besteht bei Agatha der starke Wunsch, aus ihren Talenten etwas zu machen: Zunächst möchte sie ihr Klavierspiel perfektionieren, ist in Auftrittssituationen aber derart unsicher, dass sie stets versagt. "Vielleicht sollte sie es endlich einsehen: Sie mochte die Vorstellung, Pianistin zu sein, aber sie spielte nur leidlich (S. 21), so gesteht Agatha es sich ein. Auch ihre schriftstellerischen Versuche sind von Agathas Unsicherheit geprägt. Hier wirkt ihre Mutter sehr positiv und Mut machend auf die Tochter ein.

Wir können die angehende Krimiautorin dabei begleiten, wie sie ihre Charaktere Hercule Poirot und später Jane Marple entwickelt, wie sich erste Erfolge mit ihren Büchern einstellen. Amüsant liest es sich, wie Hercule Poirot ein gewisses Eigenleben entwickelt und Agatha mit ihrem Ermittler "lebt", sie ihn zur Ordnung ruft, um sich den Faden nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Susanne Lieder hat eine gelungene Romanbiografie verfasst, die sich angenehm, leicht und teilweise sehr humorvoll liest.

Bewertung vom 14.06.2024
Man sieht sich
Karnick, Julia

Man sieht sich


ausgezeichnet

She wants to be free

Von Beginn an bin ich in die Geschichte um Frie (Friederika) und Robert eingetaucht, diese Beziehung des "nicht mit dir und nicht ohne dich", wundervoll beschrieben von Julia Karnick. Bereits ihr Erstlingswerk "Am liebsten sitzen alle in der Küche" hatte mich mit Plot, Humor und Sprachwitz begeistert, aber "Man sieht sich" erreicht nochmals eine andere Qualität. "Man sieht sich" - auch der Titel ist genial gewählt.

Wir begleiten Frie und Robert in drei Zeitebenen - 1988, 2002, 2022, wir erleben sie als Jugendliche, als junge Erwachsene und solche mit Anfang Fünfzig. Beide Hauptpersonen mochte ich immer mehr, je besser ich sie kennenlernte, mit ihren liebenswerten Eigenschaften und ihren Macken. Zwischen ihren Wiedersehen liegen jeweils lange Jahre, auch Zeiten, in denen sie gar keinen Kontakt haben. Und doch bleibt eine starke Verbindung zwischen ihnen bestehen. Was ist das für eine Beziehung? Freundschaft oder Liebe oder irgendetwas dazwischen? Ich musste schon vor lauter Ungeduld immer weiterlesen, um zu erfahren - und zu hoffen - wie die Geschichte ausgehen wird.

Diesem Roman hätte ich sehr gern noch mehr als fünf Sterne gegeben.

Bewertung vom 24.05.2024
In unserer Schule spukt's - Das Geheimnis der Villa Einsiedel
Niessen, Susan

In unserer Schule spukt's - Das Geheimnis der Villa Einsiedel


sehr gut

Otto sorgt für Spuk und Spaß

Unterricht in einer alten Villa statt in der (zerstörten) Grundschule - das ist die Ausgangsbasis für Susan Niessens Gespenstergeschichte. Die vier Freunde Johanna, Ravi, Lukas und Sylvie aus der Klasse 3b entdecken nach allerlei merkwürdigen und rätselhaften Geschehnissen den zehnjährigen Otto - seit langem das Gespenst der Villa.

Die Geschichte ist eher lustig und humorvoll erzählt als spannend oder sehr gruselig, insgesamt passend für die Zielgruppe ab acht Jahren. Die Personen wie der Schuldirektor, seine Sekretärin, der Schulhausmeister und die Lehrerinnen sind gut charakterisiert und mit witzigen Namen bezeichnet.

Das Buch ist flüssig und gut verständlich geschrieben, die einzelnen Kapitel nicht zu lang. Hübsch anzusehen und (größtenteils) direkt auf die Handlung abgestimmt sind Tessa Raths Illustrationen, auch die Zeichnungen des Gespensts Otto und der beiden Geisterkatzen sind gut gelungen. Otto sieht man gleich auf dem bunten Cover.

Insgesamt gefällt mir der erste Band als Auftakt einer neuen Buchreihe gut. Otto und die vier Freunde werden sich dann im weiteren sicherlich besser kennenlernen und gemeinsam so manchen Schabernack aushecken.

Bewertung vom 01.05.2024
Die Kranichfrauen
Greil, Renate

Die Kranichfrauen


sehr gut

Freundinnen

Paula und Anna arbeiten im Sommer 1947 im amerikanischen Jugendcamp GYA am Ammersee, kümmern sich um die Kinder, unterrichten sie im Segeln und Schwimmen, geben Nachhilfeunterricht und anderes. Zur Seite gestellt sind ihnen neben amerikanischen Offizieren auch zwei deutsche junge Männer, ehemals Soldaten. Die Freundinnen stoßen dabei noch an vielerlei Grenzen, sei es bei der Arbeit im Segelclub, sei es in ihren Familien. Im amerikanischen GYA werden die Beiden vielfach in "weibliche" Tätigkeiten wie Handarbeit mit den Mädchen gedrängt, obwohl sie kühne und sichere Seglerinnen sind. Sie scheuen für ihre Ziele auch die Gefahr nicht, als es um die geliebte "Kranich" geht.

Paulas Eltern fordern von der Tochter, einen reichen Mann zu heiraten, um das Familienunternehmen zu retten, sie hingegen möchte viel lieber studieren und Lehrerin werden. Für Anna hat ihre Mutter eine Schneiderinnenlehrstelle organisiert, doch die Tochter sieht sich als Bootsbauerin und damit in einem männlich besetzten Beruf. Liebe, Ehe und Beruf sollen sich nicht im Weg stehen, so die jungen Frauen. Und so eint Paula und Anna neben der Leidenschaft für den Segelsport die Sehnsucht nach Selbstständigkeit und der Wunsch, aus überkommenen Frauenrollen auszubrechen.

Das Cover passt sehr gut zum Tenor des Romans: Es illustriert den Wunsch der jungen Frauen, für ihr Leben eigenständige Entscheidungen treffen zu können. "Der Wind der Freiheit" - Untertitel des Romans "Die Kranichfrauen" - steht nicht nur für die Freude am und die Freiheit beim Segeln, sondern für ein neues Lebensgefühl.

Renate Greil schreibt angenehm, lebhaft und flüssig, wenngleich ich den Text manchmal etwas "verstaubt" fand; aber das liegt wohl mit daran, dass die Nachkriegsjahre und ihre vorherrschenden Werte und Sichtweisen inzwischen so fern sind. Die Autorin hat genau recherchiert und die Zustände in Bayern unter amerikanischer Besatzung sicherlich zutreffend wiedergegeben.

Bewertung vom 19.04.2024
The Summer of Broken Rules
Walther, K. L.

The Summer of Broken Rules


sehr gut

Romantik pur

Manchmal muss es für mich eine leichtere Lektüre sein, ohne dass die Geschichte ins Seichte abgleitet. Und genau diesen Balanceakt hat die Autorin K. L. Walther mit ihrer Romanze perfekt gemeistert.

Der gesamte Fox-Clan hat sich auf Martha's Vineyard für die jährlichen Ferien und eine Hochzeit versammelt, zudem vertreibt man sich traditionell die Zeit mit dem witzigen "Killer-Spiel". Wir begleiten Meredith Fox und den Trauzeugen Wit durch eine sommerliche Urlaubswoche, in der Meredith die Trauer um ihre verstorbene Schwester mehr und mehr verarbeiten kann und die Freude am Leben und Lieben wiederfindet.

Der moderne (Jugend-)Roman lässt sich locker-leicht und angenehm lesen, die Kapiteleinteilung ergibt sich aus den einzelnen Wochentagen. Eine gewisse Spannung entsteht einerseits mit dem Fortschreiten des Familienspiels, andererseits mit den Hochzeitsvorbereitungen und der Liebesgeschichte zwischen Meredith und Wit.

Das Cover ist recht auffallend, sowohl farblich wie auch durch die gewählten Schriften und fällt sicherlich in der Buchhandlung ins Auge. Obwohl die Geschichte sich hauptsächlich an ein junges Publikum richtet, habe ich die Lektüre als "älteres Semester" sehr genossen.

Bewertung vom 16.04.2024
Der Sommer, in dem alles begann
Léost, Claire

Der Sommer, in dem alles begann


weniger gut

Finistère

Wer hier eine leichte Sommerlektüre mit Liebe und Herz erwartet und erhofft, dürfte wahrscheinlich enttäuscht sein, zumindest aber falsch liegen. Über dem gesamten kurzen Roman liegt eine melancholische Grundstimmung. Insoweit passt das Cover mit seinen gedämpften Farben dazu.

Die jugendliche Hélène, die weltoffene Lehrerin Marguerite und die verwitwete Ladenbesitzerin Odette treffen in einem kleinen bretonischen Dorf aufeinander. Hélène sucht noch nach ihrem Weg im Leben, ist begeistert von Marguerite, die ihr literarisches Talent fördert und sie unterstützt. Zudem fühlt sie sich zu Marguerites Ehemann und Schriftsteller Raymond stark hingezogen. Die Lehrerin bringt Pariser Flair in das abgelegene Dorf und sucht dort heimlich nach ihrer Mutter. Odette wiederum wurde als junges Mädchen in Paris von ihrem Dienstherrn vergewaltigt und kehrte einst traurig und enttäuscht in ihr Heimatdorf zurück. Die Schicksale der Hauptpersonen werden über verschiedene Zeitebenen zusammengeführt.

Die Eigenheiten des abgelegenen französischen Landstrichs hat Claire Léost gut herausgearbeitet, auch ihr Sprachstil gefällt mir. Das Finistère, das Ende der Erde, mit seinem regnerisch verhangenen Himmel, mit seiner schroffen Landschaft hat auf seine Bewohner abgefärbt und sie eigenbrötlerisch, aber auch stolz werden lassen. Yannick, Hélènes Freund, verkörpert das Aufbegehren gegen den französischen Zentralismus und hängt einem manchmal gefährlichen Nationalismus an, Alexine, Hélènes Großmutter steht als Druidin und Kräuterfrau für das Geheimnisvolle und Mystische. Ansonsten erscheint die gesamte Geschichte wie der bloße Entwurf für einen Roman, Vieles bleibt nur angerissen und nicht ausgearbeitet, und das Handeln der Personen wirkt oft nicht plausibel auf mich. Je weiter ich gelesen habe, desto weniger konnte das Buch mich begeistern.

Bewertung vom 22.03.2024
Das Opernhaus: Rot das Feuer / Die Dresden Reihe Bd.2
Stern, Anne

Das Opernhaus: Rot das Feuer / Die Dresden Reihe Bd.2


sehr gut

Dresden - Zeit der Umbrüche

Dresden im bewegten Jahr 1849: Die Romanhandlung umfasst nur wenige Monate und zeigt damit, wie ereignisreich und umwälzend sich die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland darstellt. Die Stimmen der Arbeiter und Bürgerlichen nach größeren Freiheitsrechten und der Frauen nach Gleichberechtigung verschaffen sich zunehmend Gehör.

Eingebettet in die historischen Zusammenhänge nehmen wir weiterhin Anteil am Schicksal Elise Spielmanns (jetzt Jacobi) und ihres Mannes Adam, dazu der Adoptivtochter Netty - eine Fortführung der Ereignisse des ersten Teils der Romanreihe. Während der Komponist und Journalist Adam Jacobi den traditionsbewussten und konservativen Part verkörpert, der weiterhin an Monarchie, Obrigkeit und Vorrangstellung des Mannes festhält, regen sich in Elise fortschrittliche Denkweisen. Sie fühlt sich zunehmend gefangen in der Rolle der bürgerlichen Gattin, der es vom Ehemann lediglich zugestanden wird, hin und wieder bei kleineren Konzerten ihr Talent als Violinistin zu zeigen. Ein zufälliges Wiedersehen mit dem Kulissenmaler Christian Hildebrand lässt die Liebe zwischen beiden erneut aufflammen.

Entschieden für die Revolution und demokratische Rechte kämpfen die Arbeiter und Hausangestellten, aber auch Künstler am Theater und andere Intellektuelle. Christian fungiert als Bindeglied zwischen den Arbeitern am Theater und den Bürgerlichen in der Belegschaft. Sie alle wollen gemeinsam für die Rechte und Werte eintreten, die ihren Ausgang in der Französischen Revolution genommen haben.

Geschickt hat Anne Stern die fiktive Romanhandlung um Elise, Christian und interessante Nebenfiguren in die historischen Gegebenheiten der Maiaufstände eingebunden. Reale Persönlichkeiten wie der Kapellmeister Richard Wagner, der Erbauer der Semperoper Gottfried Semper und Louise Otto als Vertreterin der aufkommenden Frauenbewegung machen den Roman authentisch. Eingestreute Briefe und andere Dokumente untermauern diesen Anspruch. Mit ihrem Epilog bietet uns die Autorin vertiefend eine genauere geschichtliche Einordnung, die ich sehr hilfreich fand.

Einzig der gut fünfunddreißig Jahre früher spielende Prolog mit den tragischen Ereignissen um Clementine bleibt in der weiteren Romanhandlung lange Zeit unverbunden und rätselhaft stehen. Für diese spannende Frauengestalt hätte ich mir mehr Raum, Einfluss und sinnvolle Verknüpfung gewünscht.

Als nette Beigabe im vorderen Umschlag bietet der historische Stadtplan Dresdens Orientierung zu den Schauplätzen. Das prägnante Cover hat hohen Wiedererkennungswert: Das gleiche Frauenportrait wie beim ersten Band in anderem Anschnitt, der glänzend-farbige Kreis mit identischem Titel und jeweils gleichartigem Untertitel. Auch der letzte Band der Trilogie wird so gestaltet sein; auf sein Erscheinen im August freue ich mich.

Bewertung vom 15.03.2024
Annas Lied
Koppel, Benjamin

Annas Lied


ausgezeichnet

"What are you doing the Rest of your Life?"

"Ich liebe dieses Lied. Das ist mein Lied. Aber Du darfst es gern haben." (S. 525).

So äußert sich Anna - im Roman Hannah genannt - kurz vor dem Ende eines langen Lebens zu ihrem Großneffen Benjamin Koppel. Erst spät durfte und konnte Hannah ganz für sich selbst entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollte und die Musik in den Mittelpunkt stellen.

Aufgewachsen ist Hannah im Kopenhagen der Zwischenkriegszeit, in einer weitverzweigten, lärmenden und lebensfrohen Familie mit starken jüdischen Traditionen. So war ihr Weg vorbestimmt und zeigte Grenzen auf. Während ihre älteren Brüder aus den Vorschriften des Glaubens ausbrechen konnten, konzentrierten sich die Hoffnungen vor allem ihrer Mutter Bruche auf die Tochter, das "kleine Bufkele". Und dieser Mutter, die zu Gewaltausbrüchen neigte, konnte Hannah sich nicht widersetzen. Für sie galten "andere Regeln, weil sie ein Mädchen war. Andere Regeln, weil die Religion und die Familientradition etwas anderes, etwas mehr von ihr forderten." (S. 501). Die Eltern suchten den passenden Ehepartner Francois aus, Hannahs erste (und einzige) Liebe Aksel hatte keine Chance gegen eine arrangierte Verbindung im jüdischen Glauben. Während die Brüder ihre erfolgreichen Musikerkarrieren starteten, musste die ebenfalls sehr begabte Hannah sich in Paris einem Ehemann unterordnen, der ihr die Musik und das Musizieren quasi untersagte. Da sie ihm statt des erwünschten Stammhalters drei Mädchen gebar, bekam sie häufiger schmerzhaft seine Hand zu spüren, wurden die Töchter vom Vater kaum beachtet.

Aufleben konnte Hannah so erst nach dem Tod des Ehemanns, und während sie ihr von Musik erfülltes Leben aufnimmt, den Kontakt zu anderen Familienmitgliedern nicht mehr sucht, macht sie ihr Großneffe Benjamin Koppel ausfindig, der Autor und "Kompositeur" dieses Romans. Liebevoll, mit großer Achtung vor Anna und in wunderschönem Rhythmus erzählt er von diesem Leben, geprägt von Pflichten, Enge und Unterdrückung. Dennoch hat Anna sich ihre Träume, ihren Glauben an die Liebe und die Musik bewahrt und ist nicht verbittert geworden.

Sprachlich vermittelt Koppel Einiges aus der jüdischen Kultur, und wer sich beim Lesen die Mühe macht, einige jiddische Begriffe nachzuschlagen, wird mit einem tieferen Verständnis der Geschichte belohnt.

Das Cover mit Edward Hoppers "Room in New York" ist perfekt gewählt, um die Protagonistin zu charakterisieren: die teils melancholische Grundstimmung, das Alleinsein, die Sehnsucht, die Kraft der Musik.

Für mich eine wunderschöne Lektüre!

Bewertung vom 06.02.2024
Stars In Your Eyes (eBook, ePUB)
Callender, Kacen

Stars In Your Eyes (eBook, ePUB)


sehr gut

Traumfabrik begegnet dem Leben

"Stars in your eyes" hatte ich sehr bewusst ausgewählt; der Reiz für mich lag darin, etwas zu entdecken, was so völlig außerhalb meiner eigenen Lebenswelt liegt. Eine Geschichte, die in der glitzernden Filmwelt Hollywoods spielt, New-Adult-Protagonisten, homosexuelle Beziehungen junger Männer. Und ebenso bewusst hatte ich mich für die Hörbuchfassung entschieden, um zu erfahren, wie sich die Rezeption eines Romans im Gesprochenen verändert bzw. wie gut die Umsetzung unter dem Einfluss von Sprechern funktioniert.

Vorweggenommen: Weder vom Plot noch vom Medium bin ich enttäuscht worden, im Gegenteil! Eine so mitreißende Story mit Tiefgang hatte ich keineswegs erwartet.

Die beiden gegensätzlichen Charaktere Matthew Cole und Logan Gray werden für einen gemeinsamen Film engagiert. Beide sind homosexuell und farbig. Sie erzeugen von Beginn an eine anhaltende Spannung, die mich als Leserin/Hörerin fasziniert hat. Da ist Mattie, der nette, liebenswerte und unbedarfte Sunnyboy: Er wirkt noch sehr jung, unsicher, schaut zu allen Schauspielerkollegen am Set auf und kämpft mit seinem Lampenfieber. Sein Counterpart ist Logan, der den Bad Boy zu seinem Markenzeichen gemacht hat und die Öffentlichkeit stets mit neuen Geschichten um Sex, Drogen, Alkohol versorgt. Beide werden zu einer Fake-Beziehung für eine bessere PR der gemeinsamen Filmproduktion gedrängt. So lernen sie sich zunächst gezwungenermaßen besser kennen und schließlich schätzen und lieben und entwickeln sich in ihren Persönlichkeiten weiter.

Sie haben auf mehreren Ebenen mit Herausforderungen zu kämpfen: Die Filmrollen, in denen sie glaubwürdig ein Liebespaar verkörpern sollen, die weitere Rolle der Fake-Beziehung in der Öffentlichkeit, durch allgegenwärtige Social Media und Paparazzi stets unter Beobachtung, Kommentierung und Bewertung. Am herausfordernsten gestaltet sich ihr eigentliches privates Leben, denn hier kommen die Traumata, Verletzungen und der Schmerz hervor, die dem Roman letztlich wirklichen Tiefgang verleihen und die ihn richtig gut werden lassen. Wahrlich keine 0815-Love-Story!

Das Hörbuch gewinnt durch die Sprecherstimmen und deren Interpretation der Charaktere eine weitere Ebene hinzu: Lukas von Horbatschewsky und Alexander von Kalff verleihen Mattie und Logan ihre Stimmen, kapitelweise übernimmt jeweils einer von beiden die Ich-Erzähler-Perspektive. Dadurch wirken die Hauptakteure authentischer und eindringlicher. Mattie kommt stimmig herüber, mit teils atemloser, teils unsicherer oder stockender Stimme, manchmal meint man das Lächeln des Sunnyboys förmlich zu hören. Logan wiederum klingt dunkler, flüssiger, distanzierter, resigniert. Julia Kothe ist für alle Beiträge mit Pressestimmen, Twitterposts, Blogs, Videobeschreibungen, Fan fiction etc. zuständig und macht das absolut treffend. Kacen Callenders angenehmer Sprachstil tut ein Übriges.

Der einzige Nachteil des Hörbuchdownloads ist für mich, dass ich - im Gegensatz zum gedruckten Buch - das Cover nicht im Original anschauen und anfassen kann. Das dunkle Blau, das glitzernde Gold und die beiden miteinander verschmelzenden Gesichtsanschnitte der Abbildung gefallen mir aber sehr gut. Noch kurz zur Triggerwarnung: Bereits im ersten Track wird darauf verwiesen, dass es im letzten Track eine ausführliche Warnung gibt. Ihr sollte auf jeden Fall Beachtung geschenkt werden, wenn die angesprochenen Themen belastend sein könnten.

Bewertung vom 30.01.2024
Spur und Abweg
Tallert, Kurt

Spur und Abweg


gut

Mahnung

Kurt Tallerts Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Familiengeschichte ist nicht leicht zu lesen und zu verdauen. Der Autor ist Jahrgang 1986, durch seinen Vater, der bei der Geburt des Sohnes bereits 58 Jahre alt war, aber der Generation der Kriegsenkel zuzuordnen. Der Vater Harry Tallert wurde als "Halbjude" im Nationalsozialismus verfolgt, überlebte, war aber Zeit seines Lebens auf besondere Art beschädigt, suchte vielfach im Alkohol Zuflucht und konnte die Haltung vieler Mitbürger in Westdeutschland nicht verstehen, sich mit der Vergangenheit so gar nicht auseinanderzusetzen. Wer waren die Täter, wer die Opfer, wer gehört wohin und wo verschwimmen die Grenzen?

Weit nach dem Tod des Vaters - Kurt ist zu diesem Zeitpunkt erst zwölf Jahre alt - begibt sich der Sohn auf eine Reise zu den Orten der Vergangenheit, zu Vernichtungslagern und Gedenkstätten, nutzt hinterlassene Dokumente des Vaters, um sich ihm, seiner Familie, der Verfolgung, den Qualen und Demütigungen anzunähern. Schließlich wendet er sich brieflich an seine jüdische Urgroßmutter Berta, die er natürlich nie kennenlernen konnte.

Mit Kurt Tallerts Stil hatte ich doch häufig Schwierigkeiten. Soweit er eigene Kindheitserinnerungen an den Vater ansprach, Notizen, Fotos und Dokumente heranzog und insgesamt anschaulich blieb, konnte ich seine Gedanken gut nachvollziehen. Zudem konnte ich vermittelt durch Briefe und schriftliche Erinnerungen seines Vaters auch diesen kennenlernen - einen Zeit seines Lebens politisch aktiven Menschen, der sich mit der NS-Vergangenheit aktiv auseinandersetzte. In weiten Teilen wurde mir das Sachbuch jedoch zu theoretisch und philosophisch, teils nahezu unverständlich. Das ist schade, denn das Thema ist so ungeheuer wichtig, gerade heute und für jeden von uns. Wo und wie begegnen wir aktuell Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung?