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Buchwurm
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Bewertung vom 07.04.2010
brennt
Mohafez, Sudabeh

brennt


ausgezeichnet

Die Sprache, die Wahrheit, die Arbeit, die Liebe

Nachdem mich bereits der erste Roman von Sudabeh Mohafez begeistert hatte, war ich sehr gespannt auf den zweiten. Nun ist er nach langem Warten endlich erschienen und er hat mich nicht enttäuscht im Gegenteil.

Die Geschichte beginnt mit einer dramatischen Szene: Es brennt. Mané hat Glück im Unglück. Sie wacht durch das Verpuffungsgeräusch rechtzeitig auf und entgeht so dem Flammentod. Während sie die Hitze, den Rauch und das Fauchen des Feuers direkt hinter sich spürt, beobachtet sie, wie ein Feuerwehrmann mit ihrer Nachbarin Frau Naumann die Feuerleiter hinuntersteigt. Mané verspürt sie den Drang, den Feuerwehrmann zu küssen, denn: ihr wird in diesem Moment bewusst, dass Liebe nicht das ist, für das sie die Liebe bisher gehalten hat. Sie weiß jetzt, wie sie sich anfühlt. Der Feuerwehrmann hält seine Arme wie einen runden Käfig um Frau Naumann. Er hetzt sie nicht, berührt sie nicht und schreit nicht. Liebe ist, so erkennt sie, dass, „wenn es ganz schlimm ist“ jemand versucht, „dass ein bisschen weniger Angst aufgeht.“
Mané wird zur ihrer Cousine Klara und als der Feuerwehrmann später in der Wohnung steht, um ihr eine gerettete Querflöte zu bringen, will sie ihn immer noch küssen ...

Mané hört nach dem Brand immer wieder das Fauchen des Feuers, aber auch zwei Stimmen, Pia und Lars, die ihr Tun kommentieren, kritisieren, ihr etwas ein- und ausreden wollen und sie an ihren verstorbenen Geliebten in Island erinnern. Pia spricht zynisch und unerbittlich zu ihr, Lars hingegen freundlich und beruhigend. Durch diese Stimmen werden in einer raffinierten Art Manés mentaler Zustand und ihre Vergangenheit zur Sprache gebracht und dem Leser reine Zusammenfassungen erspart.

„brennt“ ist in einer prosaischen und zugleich – für Sudabeh Mohafez charakteristisch –lyrischen Sprache geschrieben. Jedes Wort ist passend gewählt, befindet sich an der richtigen Stelle, jeder Satz genau richtig aufgebaut.
„Jede Wahrheit braucht ihre eigene Sprache.“ Das Zitat stammt von Sudabeh Mohafez und dieser schlichte, vielaussagende Satz trifft auch auf die Sprache ihres Romans „brennt“ zu. Die Sprache ist nicht gewöhnlich, aber auch nicht zu experimentell – einfach ungewöhnlich eindringlich. Die Gefühle und Gedanken, das heißt die „innere Wahrheit“ wird nicht nur erzählt, sondern auch sinnlich oder in anderer Weise konkretisiert. Das heißt, die „brennt“-Sprache ist immer das Gegenteil von vage. Zwar werden Gefühle in den Raum geworfen, diese Aussagen werden jedoch stets im Nachhinein präzisiert. Mané atmet zum Beispiel an einer Stelle „aufrecht, das bedeutet: mit gestrecktem Rückgrat und das Kinn ein wenig gegen den Himmel erhoben.“
Ein Lachen wird nicht nur als ein Lachen vermittelt, sondern in einer neuartigen, präzisen und poetischen Weise:
„... und er macht ein glucksendes Geräusch, so ähnlich, wie Wasser gluckst, wenn ein kleiner, aber ein wirklich kleiner Frosch in einen flachen Teich springt, nämlich: er lacht leise in sich hinein.“
Das Schweigen wird nicht nur als ein beliebiges Schweigen dargestellt, sondern:
„ ... er schweigt auf eine Art, die mich sicher sein lässt, dass er nachdenkt.“
Zahlreiche ungewöhnliche Metaphern und neue Wortkombination eröffnen neue Sichtweisen. Sudabeh Mohafez spricht von „Nachbarknien“, „Kopfbefehlen“, Dunkelfeldern“ „Weckerkadavern“ oder „Blicknetzen“.
Der Roman thematisiert zwar auch das posttraumatische Befinden von Brandopfern, das Gespaltensein der Persönlichkeit, seine tiefere Aussage ist jedoch eine andere, still, pragmatische und tröstend. Sie stammt ausgerechnet von der alten Nachbarin Frau Pietzsch, die das Haus angezündet hatte. Das alte Haus, die Metapher für die quälende Vergangenheit Manés ist abgebrannt, es ist Zeit für einen Neuanfang:
„Was hätte sein können, zählt nicht im Leben, sagt sie, merk dir das. Es zählt nie. Was ist, zählt.“

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