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Riffer
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Koeln

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Insgesamt 5 Bewertungen
Bewertung vom 10.02.2012
Das Schwarzlicht-Terrarium
Kunkel, Thor

Das Schwarzlicht-Terrarium


ausgezeichnet

Ich kann mich dem Rezensenten Terence leider überhaupt nicht anschließen, vermute mal einen - wie das auf Kunkels Website nachzulesen ist –  "neidischen und erfolglosen Berliner Autoren, z.b.
Klaus Bittermann, Wiglaf Droste oder Wolfgang Herrndorf – hinter diesem Quark.
"Das Schwarzlicht-Terrarium" ist ein wirklich grossartiger Roman, für mich mit der beste eines zeitgenössischen, deutschsprachigen Autors: total überspannt und immer am Rande des Irrsinns balancierend, und vor allem: intelligent: Als wäre man dabei, fast realer als das wirkliche Leben. alles in allem grosse Erzählkunst, ich wäre fast gestorben vor lachen.

Bewertung vom 05.03.2011
Tschick
Herrndorf, Wolfgang

Tschick


schlecht

Legt man die Massstäbe herkömmlicher Literatur an Herrndorfs Romane an, gerät man schnell in ein Dilemma. Hier
erzählt einer in schlechtem Fussgängerdeutsch, mal bemüht karg & deshalb literarisch zu klingen, dann wieder in einer Möchtegern-Unterschichtensprache, die der Autor, ein promovierter Historiker, gar nicht kennt. Er wohnt in einem Promi-Viertel Berlins, spaziert gerne mal "ums Schloß Charlottenburg" wie er schreibt. Daß man da keine armen Looser trifft wie in Tschick ist irgendwie klar.
Okay, Herrndorf hat jetzt einen neuen Roman geschrieben, einen "Jugendroman", den er - als ein in Marketing-Fragen nicht ungeschickter Self-Pusher' in einen Blog gerahmt hat, der ihn - kein Witz - als Todgeweihten inszeniert. Es liest sich wie ein zweiter Aufguss von Schlingensiefs letztem Buch, doch keine Angst - soviel wissen wir schon, Herrndorf wird am Ende nicht sterben, sondern seine OP gut überstehen. Doch diese Kombination - Kiddies hier, Sensenmann da - mußte zweifellos wirken. Auch meine Freundin kaufte sich Herrndorfs Buch "aus Mitleid" wie sie meinte, und seitdem lag es bei uns in der Wohnung herum und ich habe, wie ich gerne zugeben will, einige Wochen gebraucht die onomapoetische Dimension des Titels voll und ganz zu erfassen. Erst dachte ich der Roman hieße "Chic", "Schick", dann "Tschitt", eine Art wortbildende Lautmalerei. In diesem Moment wurde das Buch für mich unwiderstehlich. Da gibt einer endlich zu, was er produziert hat, dachte ich noch: TSCHITT. Vor soviel Ehrlichkeit sollte man sich verneigen. Ich nahm das Buch daher in die Hand, doch meine neue Lesebrille verwandelte das Bekennerwort sofort in "Tschick", worunter der Wiener eine "Kippe" versteht. Aha, dachte ich. Das hätte es sein können. Aha. Mein Fehler war es noch weiterzulesen. Nun kann es Geschmacksache sein, ob einem eine unglaubwürdige und schlecht
erzählte Geschichte doch irgendwie fasziniert. Doch als Leser hofft man natürlich insgeheim, all die "urkomischen, slapstickhaften, nachdenklichen, philosophischen Szenen", die so viele Tschick-Fans in das Buch reinphantasiert haben, würden sich auch wirklich finden. Ich las also und las und - Hallo, sie exitieren nicht, Leute. Nach den ersten hunder Seiten dachte ich, ich bin in einem ganz schlechten alten Serien-Film, nämlich "Ein Engel kehrt zurück":(Highway to Heaven, TV-Serie, Drama, USA, 1.Staffel, 1984-85) Hier trifft der Hauptheld Jonathan auf einen verwahrlosten kleinen Ausreißer namens Tony, der Autos klaut und den er zu seiner unglücklichen Großmutter begleitet. Bitte recherchiert das in Netz: ES IST 100% WAHR. Da Herrndorf von den Feuilletons oft mit der neuen Königin der deutschen Literatur Helene Hegemann (sie hätte für ihr Abschreibwerk fast einen Literaturpreis bekommen) in einem Atemzug genannt wird, will ich hier nichts Böses andenken. Aber vielleicht sollte man "Tschick" einmal durch eine Suchmaschine a la Guttenberg laufen lassen... Was mich am meisten an Tschick beeindruckt hat? Die völlige Leblosigkeit. Die Figuren bleiben holzschnittartig in ihren geplanten Drehbuch-Rollen verhaftet und erwachen im Typoskript an keiner Stelle zum Leben, Tschick bleibt, und das gilt vor allem für Maik, unglaubwürdig und konstruiert, vielleicht weil der Autor schon zu alt ist, zu nahe am Sterben-wollen, um in sich echte Aufbruchstimmung von Jugendlichen aufkommen zu lassen. Ich befürchte ein grottenschlechter Sender wie SAT-1 wird bald einen versierten Drehbuchautoren an Herrndorfs dünne Wortsuppe setzen und uns so einen anderen ostdeutschen Heimatschnulzfilm präsentieren. Aber dann doch lieber gleich fürs selbe Geld "Zwei außer Rand und Band" mit Bud Spencer und Terence Hill. Die klauen auch Autos und fahren "philosophierend" durchs Land.("Einmal so abzischen und dann auf Rente!") Wenn schon niveaulos, dann aber richtig!

11 von 43 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.01.2011
Schaumschwester
Kunkel, Thor

Schaumschwester


ausgezeichnet

In einer Gesellschaft, in der alle zwischenmenschliche Beziehungen kommerzialisiert werden, spielt Cybersex eine immer größere Rolle. In Thor Kunkels "Schaumschwester" verhindern raffinierte, technisch immer ausgereiftere Gynoiden( künstliche Frauen) die Fortpflanzung der Art. Die "Schaumschwestern" füllen die Leere, die Feminismus und frustraner Alltag in das männliche Bewußtsein geschlagen haben. Die Firma - eine SYNTHETISCHE WOHLFAHRTS-AG – gerät so ins Fadenkreuz von Interpol. In deren Auftrag soll der vom Leben ebenso wie von der Liebe enttäuschte Hacker Kolther (unterstützt von seiner Assistentin Lora) die Kundenbank der Firma knacken, um herauszufinden wer alles in der Republik zu den "Puppen-Gebrauchern" zählt. Kunkel schlägt - wie das für ihn üblich ist – brilliante erzählerische Funken. Mit der Darstellung der weiß gekleideten Puppenliebhaber und ihrer Rollstuhldamen gelingt dem Autor ein hinreichend bizarrer Einstieg in die Handlung, der den Leser neugierig macht und ihn auch die manchmal etwas misanthropischen Monologe des Protagonisten tolerieren läßt. Bald stellt sich heraus, daß nicht nur mit Kolthers Auftraggebern, sondern auch mit einigen Schaumschwestern etwas nicht stimmt, die Handlung kumuliert in einem ebenso aufregenden wie letztlich desillusionierenden Finale.
»Im Wochenendhaus eines beliebten Talkshow-Moderators fanden schnüffelnde Reporter gleich mehrere Puppen. Ein bayerischer Minister – der »Puppenhaltung« bezichtigt und überführt – wählte den Freitod, weil er meinte, sein Ruf sei ruiniert. Zumindest seine Frau gab ihm recht. Selbst in der Tiefgarage des Kanzleramtes wurde noch eine Gynoide sichergestellt, was allerdings nur ein Parkwächter mit seiner Entlassung bezahlte.
Erst als »Bild«-Journalisten den Bundestagspräsidenten als »Puppenfreier« entlarvten, und eine auf Kindchen gemachte Puppe aus dem Lear-Jet des Verteidigungsministers gezerrt und der Presse vorgeführt wurde, trat die Regierung zurück. Auch seriöse Zeitungen schrieben von einem »einzigartigen moralischen Bankrott«.
In diesem Vakuum politischer Ohnmacht versuchte die Kirche, sich als letzten Hort der Moral zu organisieren.
Ein eilig einberufener Sicherheitsrat aus Geistlichen und Wissenschaftlern stufte die Schaumschwester als »technologisches Teufelswerk« ein, eine Interpretation, die zumindest Ralf Schuhnicht gefiel. Die neu gewählte Regierung zog jetzt nach, der Plan ging endlich auf: Der Synthetischen Wohlfahrt AG wurde Landesverrat vorgeworfen, die Fabrik an der Zürcher Goldküste, wo sich die Schaltzentrale des Puppen-Erdballs befand, von einem Sonderkommando besetzt: Die Geschäftsleitung landete in Vorbeugehaft, denn die Staatsanwaltschaft befürchtete Flucht – und Verdunklungsgefahr. Paddy Scheinberg erlitt infolgedessen einen Schlaganfall, Deszentez ertrank, als er versuchte mit einem Schlauchboot zu fliehen. Nur Helena, seine Puppe, trieb völlig unbeschadet ans andere Ufer; dort lag sie einige Tage zwischen nistenden Schwänen, bevor ein Angler sie fand.«

Eine unbequeme Wahrheit transportiert Kunkels Dystopie natürlich auch noch, und die gefällt nicht jedem: Die moderne Gesellschaft ist an einem Punkt angekommen, an dem klassische Moralvorstellungen nicht mehr zählen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.01.2011
Aquagene
Hagen, Cord

Aquagene


ausgezeichnet

Cord Hagens erster Roman "Der Schlund" war mir etwas zu einfach gestrickt. "Jurassic Park under water", okay, die Idee war ja ganz nett und der Roman so flüssig geschrieben, dass ich mir auch "Aquagene" reinziehen mußte. Jetzt mal herhören, Leute: Wer so wie ich die letzten Jahre auf einen Nachfolger von Schätzings "Schwarm" gewartet hat, der kann endlich aufatmen: Nach 600 spannenden Seiten kann ich bezeugen, hier ist er: Und er ist besser, weil Hagen – im Unterschied zu Schätzing – auch über einen Wortwitz verfügt, der seinesgleichen sucht. Mit anderen Worten, ich könnte heulen, daß ich den Roman heute ausgelesen habe. Hagen schildert uns eine absaufende Welt, eine Welt, in der ununterbrochene Regenfälle und das unerklärlich schnelle Abschmelzen
des Grönlandeises das Schicksal der Erde und der landbewohnenden Menschheit besiegeln.
Die kritischen Untertöne in Hagens Roman, – er kritisiert die nutzlosen Earth summits und Klimakonferenzen – , sind dabei so humorvoll wie subversiv vorgebracht. Beispiel: S.93
" Brandel erinnerte sich noch düster an das erste „Earth Summit“ im Juni 1992: Über zwölftausend Gesandte aus hundertachtzundsiebzig Nationen waren damals in Rio De Janairo zusammengekommen, um ein internationales Umweltschutzprogramm zu beschließen. Das Treffen hatte in einer äußerst entspannten Atmosphäre stattgefunden, es wurde ein Festbankett aufgetragen und die Frage nach einheimischen Escorts war angeblich dermaßen groß, dass ganze „meathole squads“ (so Brandels Lieblingsmagazin Hustler) aus São Paulo aushelfen mussten, das willige Fleisch der lokalen Elendsviertel reichte einfach nicht aus.
Schon der gemeinsam gefasste Beschluss, die CO2-Emission bis zum Jahr 2000 auf den Wert von 1999 zurückzuschrauben, galt unter den Delegierten als Witz. Auch zwölf Jahre nach der ersten inoffiziellen Entdeckung des Ozonsloch – „dem einzigen Loch, an dem die Delegierten kein Interesse hatten“, so der Hustler – und den allgegenwärtigen Veränderungen des Wetters, sah sich niemand veranlasst, den Sprühdosenfabrikanten das Handwerk zu legen. Die kleinen Leute wurden dagegen mit allerlei Umweltschwachsinnsabgaben getriezt."
Ich wüßte keinen Wissenschaftsthriller, der so deutlich den Finger in die Wunde legt und den ökologisch
unverantwortlichen Kurs der westlichen Industrienationen rigoros anprangert. Doch - und das ist das Gute an Hagens neuem Roman – jeder nachdenklichen Passage folgt knüppelharte Action, die so mitreißend geschildert ist, daß man sagen muß AQUAGENE IST EIN PAGETURNER VOM FEINSTEN. Und Hagen schreibt Action tausendmal besser als Schätzing: (Beispiel, S. 9)
„Kannst du niedriger gehen?“, fragte Jensen.
„Noch niedriger?“ Ein plötzlicher Windstoß hatte den Helikopter nach unten gedrückt, so dass für einen Augenblick die dunkle, aufgewühlte See wie eine schwankende Gebirgslandschaft in bedrohliche Nähe kam.
„Festhalten!“ Bendikson riss den Steuerknüppel in letzter Sekunde hoch.
Bisher hatte er es mit einem starken, gleichmäßigen Sturm zu tun gehabt. Jetzt stolperte sein Heli von einem Luftloch ins nächste. Die Maschine sackte ab, fiel in einen rabenschwarzen Schacht, stieg wieder auf. Bendikson rauschte es in den Ohren. Dann hatte sich der Heli wieder gefangen, bis sie über den Kamm der nächsten Luftwelle sausten.
„Du bist ja ganz grün im Gesicht“, sagte Han.
„Kümmere dich um deinen eigenen Kram!“, zischte Jensen. „Hab ’ne lange Nacht gehabt, das ist alles.“
Erst packte der Regen nach dem Plexiglas der Kanzel, dann der Hagel. Regen mag ja gehen, aber Hagel? Das Getöse der prasselnden Körner war so gewaltig, dass es das Motorengeräusch übertönte. Jensen hielt sich die Ohren zu, selbst Gunnar schluckte, wie er es sonst nur tat, um den Überdruck in seinen Gehörgängen auszugleichen.
„Gottverdammt, wofür riskieren wir unser Leben? Wenn sie abgestürzt sind, dann sind sie längst Tango-Oskar-Tango. Wir sollten den Einsatz abbrechen!“
DAS IST ACTION-KINO FÜRS HIRN, BESSER GEHT's NICHT MEHR: LESEN! LESEN! LESEN!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.