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Benutzername: 
Katrin
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Bewertung vom 18.07.2009
Zwischen Nation und Region
Zaumseil, Franka

Zwischen Nation und Region


sehr gut

Die Arbeit behandelt, ausgehend von Überlegungen zur Öffentlichkeit, die Vorstellungen von Nation, Region und Internationalisierung in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit der leitenden Fragestellung "Wie der Wandel der Öffentlichkeit einhergehend mit dem sozialen Wandel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts innerhalb der Gartenlaube abgebildet wird" führt die Autorin eine Inhaltsanalyse der deutschen Familienzeitschrift die "Gartenlaube" für den Zeitraum 1853 bis 1900 durch. Mit der 1853 in Leipzig gegründeten "Gartenlaube" wählte sie die bei weitem erfolgreichste und damit beispielgebende und repräsentative Zeitschrift ihrer Gattung. Insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts spiegelt sich in jener Zeitschrift der Zeitgeist wieder und sie eignet sich deshalb und aufgrund der großen Verbreitung gut für eine Untersuchung. Aus diesem Grunde war der Zeitschrift in der Geschichts- und der historischen Kommunikationswissenschaft bereits mehrfach Untersuchungsgegenstand. Die bisherigen Forschungsarbeiten zu diesem Thema werden in einem einleitenden Kapitel vorgestellt, in zwei anschließenden Kapiteln werden die theoretischen Grundlagen, wie die Geschichte der Öffentlichkeit und Nationale Identität, Regionalismus und Internationalisierung und die empirischen Grundlagen der Arbeit diskutiert. Diese Einführung ins Thema (bis S. 33) ist zwar kenntnisreich, allerdings viel zu lang und mitunter etwas umständlich. Das Hauptkapitel der Arbeit ist der quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse der Zeitschrift und den Ergebnissen gewidmet. Aufgrund der Fülle des Materials beschränkt sich die Autorin auf ein operables Maß und analysierte "nur" die Jahrgänge 1853, 1863, 1873 und 1893 (= 208 Zeitschriften). Für die Analyse werden fünf Hypothesen formuliert (S. 36ff.) und ein Kategoriensystem entwickelt. Im Anhang der Arbeit finden sich das Codebuch mit den allgemeinen Codieranweisungen und Tabellen und Grafiken zur Erläuterung und anschaulichen Darstellung der Untersuchungsergebnisse der jeweiligen Jahrgänge.
Als Basis Ihrer Arbeit benutzt die Autorin neben der Zeitschrift als Quelle eine breite Auswahl von historischer, politikwissenschaftlicher und kommunikationswissenschaftlicher Literatur. In der kritischen Auseinandersetzung mit den bisherigen Forschungen zur "Gartenlaube" kommt sie stellenweise zu abschwächenden oder gar konträren Urteilen (z.B. S. 56 und 58).

Insgesamt handelt es sich um eine ausgesprochen kenntnisreiche, klug kommentierte empirische Untersuchung über die Gewichtung von Artikeln regionalen, nationalen und internationalen Inhalts in der Zeitschrift Gartenlaube im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Es handelt sich um eine kluge Mischung von quantifizierender Inhaltsanalyse und konkreter historischer Einbettung und Interpretation ausgewählter Dokumente. Die Ergebnisse des 4. Teils über die massenmediale Konstruktion von Öffentlichkeit im Prozess der Reichsgründung sind überzeugend und stellen einen originellen und innovativen Beitrag zur historischen und mediengeschichtlichen Forschung dar. Im Verlauf Ihrer Untersuchung verliert die Autorin allerdings die Frage nach dem Wandel der Öffentlichkeit etwas aus dem Blick und ordnet die Erkenntnisse zur Gartenlaube nicht in den größeren Zusammenhang der Geschichte der Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein.