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Havers
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Vaihingen an der Enz
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Top100-Rezensent und Buchflüsterer

Bewertungen

Insgesamt 175 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2025
Der Wolf im dunklen Wald / Ein Carla-Seidel-Krimi Bd.2
Piontek, Sia

Der Wolf im dunklen Wald / Ein Carla-Seidel-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

Nach jahrzehntelanger Abwesenheit kehrt Gutsbesitzer Heiko von Boenning ins Wendland zurück und veranstaltet anlässlich seiner Rückkehr eine Treibjagd mit geladenen Gästen. Es soll das gesellschaftliche Ereignis der Saison werden, endet aber schockierend anders als geplant. Tommi Winkels, ein ehemaliger Schulfreund von Boennings wird vermisst, kurze Zeit später im Dragahner Forst erstochen aufgefunden. Die Messerstiche sind tief und zahlreich, die spätere Obduktion wird ergeben, dass der Täter in rasender Wut auf ihn eingestochen hat.

Ein neuer Fall für Carla Seidel, die erfolgreiche Mordermittlerin, die samt ihrer Tochter Lana wegen ihres gewalttätigen Ehemanns Hamburg den Rücken gekehrt hat und nun als Kommissarin in Dannenberg ihre Fähigkeiten unter Beweis stellt. Ein Fall, der sie fordert, denn Winkels wird nicht der einzige Tote bleiben. Und auch im privaten Bereich stehen Probleme ins Haus. Lanas Volljährigkeit steht an, und sie möchte unbedingt Kontakt zu ihrem Vater aufnehmen, was dazu führt, dass Carla wieder vermehrt zur Flasche greift. Sie ist eine kompetente Ermittlerin, aber gleichzeitig auch eine Frau mit Ecken, Kanten und einer schmerzhaften Vergangenheit, die sie zwar durch den Ortswechsel hinter sich lassen wollte, von der sie aber doch immer wieder einholt wird. Und Vergangenheit ist auch in den vorliegenden Mordfällen der Schlüssel zur Entlarvung des Täters.

Wie bereits in „Die Sehenden und die Toten“, dem ersten Band der Reihe, merkt man auch in „Der Wolf im dunklen Wald“ die Handschrift des Profis. Die ehemalige Verlagsleiterin weiß, was einen erfolgreichen Kriminalroman ausmacht: Ein gelungenes Setting, eine interessante Protagonistin, eine gut geplottete Story, hohes Tempo durch unterschiedliche Sichtweisen auf den Fall und schlussendlich ein Motiv, das zwar lange verborgen bleibt, aber zum Miträtseln einlädt. Definitiv ein spannender Krimi und eine Reihe, die ich weiterverfolgen werde. Gut gemacht, Sia Piontek!

Bewertung vom 08.04.2025
Sonnenhang
Weßling, Kathrin

Sonnenhang


sehr gut

3,5 aufgerundet

Ungewollte Kinderlosigkeit, ein Thema, das für viele Frauen sehr schmerzhaft sein kann, speziell dann, wenn die biologische Uhr langsam an zu ticken beginnt und im Freundeskreis eine Freundin nach der anderen Mutter wird. So geht es Katharina in Kathrin Weßligs Roman „Sonnenhang“.

Der Single-Frau ist zwar der passende Mann noch nicht begegnet, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Doch dann die heftigen Schmerzen im Bauchraum, die Diagnose und die Hysterektomie. Und dann die Gewissheit, nie mehr ein Kind gebären zu können. Eine Situation, die ihre Zukunftsplanung komplett auf den Kopf stellt, sie in eine Krise stürzt. Torschlusspanik in allen Bereichen. Anfangs wechseln sich Trauer, Scham und Galgenhumor ab, aber jeder persönliche Tiefpunkt birgt in sich auf die Möglichkeit, den Status Quo zu verändern und damit dem Leben Sinn zu verleihen.

Wie es der Zufall so will, bekommt sie vom Wirt ihrer Stammkneipe einen Tipp. Ein Altenheim für Gutbetuchte sucht eine ehrenamtliche Hilfskraft, die das Freizeitprogramm der Bewohner an den Wochenenden managt. So kommt sie in die Seniorenresidenz „Sonnenhang“. Die anfängliche Befangen- und Distanziertheit legt sich dank Würfelspiel, Prosecco und Eierlikör ziemlich schnell. Es sind die „verbotenen“ Aktionen, die zusammenschweißen. Gespräche, in denen die Senioren ihre Lebenserfahrung, aber auch ihren Humor in die Waagschale werfen. Die gegenseitige Akzeptanz, die ohne Wertung auskommt. All das sorgt dafür, dass Katharina ihrer Stärke und ihren Lebensmut wieder findet und diese Phase der Perspektivlosigkeit hinter sich lassen, sich neu sortieren und die richtige Entscheidung treffen kann.

Anders als in ihren bisherigen Romanen schreibt Weßling diesmal aus einer auktorialen Perspektive, wechselt anfangs zwischen Trauer und Verzweiflung der Protagonistin, aufgelockert von Passagen, in denen der Galgenhumor Katharinas durchscheint, kappt damit die Spitzen, die die Schwere des Themas mit sich bringt. Fast komplett ändert sich dann der Tonfall an den Samstagen, die die Protagonistin in der Residenz verbringt. Zwar schrammen diese von Wärme und Verständnis getragenen Beschreibungen manchmal nur haarscharf am Klischee vorbei, wirken aber durch die vielen kleinen Schritte hin zu Freundschaft und Vertrautheit (trotz der einen oder anderen verzichtbaren Albernheit) überwiegend stimmig, aber dennoch vorhersehbar.

Bewertung vom 02.04.2025
Wie Risse in der Erde
Hall, Clare Leslie

Wie Risse in der Erde


gut

Hemston, Nord-Dorset, Mitte der fünfziger Jahre. Beth und Gabriel, eine Teenager-Liebe und ein verheißungsvoller Sommer. Wäre da nicht Gabriels Mutter, der diese Verbindung ein Dorn im Auge ist, und die alles daran setzt, diese erste Liebe zu zerstören. Es gelingt ihr, zumal Gabriel Hemston Richtung Oxford verlässt, um dort ein Studium zu beginnen. Beth bleibt desillusioniert zurück.

Die Lücke, die Gabriel hinterlässt, füllt Frank, ein Bauer, aus. Beth und Frank verlieben sich ineinander, heiraten, bekommen einen Sohn. Alles scheint perfekt, bis zu dem Tag Mitte der sechziger Jahre, an dem ein schreckliches Unglück über die kleine Familie hereinbricht und ihr Sohn bei Baumfällarbeiten ums Leben kommt. Eine Tragödie. Für beide. Was macht der Verlust eines Kindes mit Eltern? Wohin sollen sie mit der Liebe zu ihrem Kind, das plötzlich nicht mehr da ist?

Zwei Jahre sind vergangen. Gabriel, mittlerweile Schriftsteller und Vater eines Sohnes, wurde von seiner Frau verlassen und kehrt mit diesem nach Hemston zurück. Natürlich läuft sich das ehemalige Liebespaar in dem kleinen Ort über den Weg und Gabriel zögert nicht, Beth um Hilfe bei der Betreuung seines Sohnes zu bitten. Es kommt wie es kommen muss. Die alten Gefühle flammen wieder auf, und es entwickelt sich die klassische Dreiecksgeschichte, in deren Mittelpunkt Beth steht. Aber dann geschieht das Unerwartete. Ein Toter, ein Prozess, ein Urteil. Und wieder ist nichts mehr so, wie es einmal war.

„Wie Risse in der Erde“ ist eine Mischung aus Liebesgeschichte und Kriminalroman, die alle Register zieht und die Leser lange im Unklaren darüber lassen möchte, wer hier Täter und wer Opfer ist. Das gelingt der Autorin aber leider nur in Ansätzen, denn die Entwicklungen hin zum Höhepunkt sind leider ziemlich vorhersehbar. Das Gefühlschaos der Protagonisten kam zwar interessant daher, war mir allerdings unterm Strich dann doch viel zu viel Drama, komplett überzeichnet, deshalb unglaubwürdig und nicht wirklich überzeugend. Hier wäre weniger mehr gewesen. Schade. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Bewertung vom 30.03.2025
Der Gourmet / Washington Poe und Tilly Bradshaw ermitteln Bd.2
Craven, M. W.

Der Gourmet / Washington Poe und Tilly Bradshaw ermitteln Bd.2


ausgezeichnet

Wie oft geschieht es, dass man die erste Zeile eines Kriminalromans liest und sofort am Haken hängt? So ist es mir jedenfalls mit M.W. Cravens „Der Gourmet“ ergangen, Band 2 der Poe/Bradshaw-Reihe. Eine verstörte junge Frau taucht aus dem Nichts bei einem Constable auf und behauptet, Elizabeth Keaton zu sein. Ein Ding der Unmöglichkeit, konnte doch Washington Poe im Zuge der damaligen Ermittlungen beweisen, dass Jared, ihr Vater und psychopathischer Sternekoch, für ihren gewaltsamen Tod verantwortlich war. Die erdrückenden Beweise sprachen gegen ihn, er wurde schuldig gesprochen, verurteilt und inhaftiert, obwohl man ihre Leiche nie gefunden hatte.

Doch eine DNA-Analyse bestätigt ihre Behauptung, aber wie kann jemand tot und gleichzeitig am Leben sein? Hat Poe damals einen Fehler gemacht und einen Unschuldigen ins Gefängnis gebracht? Der Fall muss neu aufgerollt und Schritt für Schritt erneut überprüft werden. Unterstützt wird Poe dabei von seiner Freundin und Kollegin Tilly Bradshaw, der verplanten, aber dennoch genialen Analystin, die einmal mehr alle Register zieht, um Poe zu helfen, und natürlich von seiner Vorgesetzten DI Flynn. Die Recherche gestaltet sich schwierig, die Erfolge sind minimal, die Rückschläge entmutigend, zumal ab einem bestimmten Punkt plötzlich Poe im Fokus der Ermittlungen steht. Aber das Team hat glücklicherweise in Gestalt von Estelle Doyle noch ein Ass im Ärmel. Und es ist diese ebenfalls brillante, aber auch schräge Pathologin aus Newcastle, die schließlich den entscheidenden Hinweis gibt und Poe den Hintern rettet.

Ein Krimi, der von Anfang bis Ende durch die sauber geplottete, spannende Story nicht nur fesselt, sondern auch durch die eigenwilligen, sympathischen und gegen den Strich gebürsteten Protagonistinnen, die Poe flankieren, im höchsten Maße unterhaltsam ist. Der schwarze Humor und Tillys unbeabsichtigte Tritte in die Fettnäpfchen…einfach wunderbar. Ich kann mich nur wiederholen: Vertraut mir und lest diese Reihe, ihr werdet nicht enttäuscht sein!

Bewertung vom 26.03.2025
Meine griechische Dorfküche
Patrikiou, Elissavet

Meine griechische Dorfküche


ausgezeichnet

Bereits vor mehr als zehn Jahren erschien „Echt griechisch. Die besten Familienrezepte von Mama Anastasia“, das Kochbuch von Elissavet Patrikiou, der in Deutschland aufgewachsenen Fotografin mit griechischen Wurzeln. Darin stellt sie uns typische Gerichte aus ihrer Heimat vor, die Griechenland-Urlaubern, die sich nicht nur an den Büffets der Touristenhotels verköstigen, nicht gänzlich unbekannt sein sollten.

Nun ist kürzlich ihr neues Kochbuch „Meine griechische Dorfküche“ erschienen. Hier geht sie nun einen Schritt weiter und konzentriert sich auf die klassischen, meist seit Generationen überlieferten Rezepte, die eng mit den Traditionen und dem dörflichen Leben Griechenlands (hier durch das Örtchen Vathylakkos vertreten) verbunden sind. Und bereits der Untertitel „Die Rezeptgeheimnisse der Großmütter“ lässt uns ahnen, was ihr Anliegen ist. Sie möchte diese bewahren, damit auch die späteren Generationen sich an ihre kulinarischen Wurzeln erinnern, die nicht nur eng mit der traditionellen Lebensweise auf dem Land verbunden sind, sondern auch die Verfügbarkeit dessen widerspiegeln, was in Gärten und auf Feldern angebaut wird, wächst und schließlich auf dem Teller landet.

Untergliedert ist dieses Kochbuch, das wegen seiner unzähligen Porträtaufnahmen eher einem Fotoalbum gleicht, in sechs Kapitel: „Aus dem Garten und vom Markt“ (diverse Gemüsegericht und Tipps zum Konservieren) / „In der Bäckerei (Brote und Kleingebäck, herzhaft und süß) / „Im Tante-Emma-Laden“ (Klassische Hauptgerichte, ergänzt durch gekaufte Zutaten) / „Rund um den Kiosk“ (Vegetarisches und Gemüsebeilagen) / „Der Glaube und die Tradition“ (Traditionelles zu den kirchlichen Feier- und Fastentagen) und „In der Taverne“ (Bifteki, Souvlaki, Tzatziki, Pastizio = das Zugeständnis an die Griechenland-Fans, auch wenn es das kürzeste Kapitel ist). Elissavet Patrikiou leitet die einzelnen Abschnitte mit einer kurzen Beschreibung ein, in der sie den kulturhistorischen Hintergrund erläutert, was insbesondere im Fall des Kiosk (Periptero) und der religiösen Gepflogenheiten sehr interessant zu lesen ist.

Die dazugehörigen Rezepte sind eine Verbeugung vor der Tradition, stammen alle von den älteren Frauen des Dorfes, sind meist seit Generationen überliefert und damit auch in den Haushalten am Leben erhalten worden. Sie sind einfach, die Zutaten nicht besonders kostspielig und bis auf wenige Ausnahmen in jedem Supermarkt oder türkischen Lebensmittelgeschäft erhältlich. Und die Zubereitung erfordert auch keine besonderen Fähigkeiten am Herd, es sei denn, man möchte seinen Filoplatten selber machen statt kaufen. Ein guter Grund also, sich ab und zu das griechische Urlaubsfeeling jenseits von Gyros und Delphi-Platte auch zuhause auf den Teller zu holen.

Bewertung vom 25.03.2025
Nacht der Ruinen
Rademacher, Cay

Nacht der Ruinen


ausgezeichnet

Joseph Salomon ist nach der Reichskristallnacht mit seinen Eltern nach Amerika geflohen, hat die Heimat notgedrungen auf den letzten Drücker verlassen. In den letzten Kriegstagen kehrt er im März ‘45 als amerikanischer Lieutenant Joe Salmon in seine völlig zerstörte, ehemalige Heimatstadt zurück, bereit das zu tun, was man von ihm seit seiner Ausbildung im Camp Ritchie Maryland erwartet.

Die dort ausgebildeten Ritchie Boys, deren wichtigste Qualifikation das Beherrschen der deutschen Sprache ist, sollen unterstützend beim Aufbau der amerikanischen Verwaltungen tätig sein, zwecks Informationsbeschaffung den Kontakt zu den Einheimischen suchen, Verhöre im Zug der Entnazifizierung führen oder, wie in Joes Fall, sich auf die Suche nach dem Mörder eines amerikanischen Piloten machen, der während eines Bombenangriffs auf Köln abgestürzt ist und wenig später mutmaßlich von einem Deutschen kaltblütig erschossen wurde. Aber Joe hat auch noch ein höchst privates Anliegen, das ihn nicht ruhen lässt. Er möchte unbedingt herausfinden, was mit seinen Freunden Jakub und Hilda geschehen ist, ob sie überlebt haben. Und ja, er wird schmerzhafte Antworten finden.

Cay Rademacher verbindet Fakten mit Fiktion, was diesem Roman einen hohen Grad an Authentizität verleiht, ihn quasi zum Zeitdokument macht (siehe dazu auch die umfangreiche Literaturliste im Anhang). Literaten und Politiker haben ihren Auftritt: George Orwell begleitet als Kriegsreporter den Protagonisten durch die Ruinen der Stadt, immer auf der Suche nach einer Story, die verbotene Schriftstellerin Irmgard Keun ertränkt ihre Trauer über die Zustände in Cognac, Konrad Adenauer hat das schon das Ende des Krieges im Blick und betätigt sich als Strippenzieher.

Mit „Nacht der Ruinen“ hat der Autor einmal mehr bewiesen, dass ein Kriminalroman viel mehr sein kann als Ermittlungsarbeit und Suche nach einem Mörder. Verantwortlich dafür ist neben der detaillierten und eindringlichen Beschreibung des zerbombten Köln zweifellos die Beantwortung der Frage, was dieser Krieg mit den Menschen gemacht hat. Ist sich jeder selbst der Nächste? Was ist gut, was ist böse? Haben diese alten Maßstäbe ihre Gültigkeit verloren? Oder geht es in erster Linie nur noch darum, die eigene Haut zu retten und zu überleben?

Nachdrückliche Leseempfehlung, für Spannungsleser und historisch Interessierte gleichermaßen!

Bewertung vom 24.03.2025
Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
Brooks, Sarah

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland


ausgezeichnet

Wir sind an Bord der Transsibirischen Eisenbahn und begleiten im Jahr 1899 eine Zugbesatzung und ihre Passagiere auf dem Weg von Peking nach Moskau. Die Fahrt führt durch das Ödland, eine unwirtliche, menschenleere Steppe, in der man beim verbotenen Blick aus den Fenstern seltsame Vorkommnisse beobachten kann. Das Außen verändert sich, wirkt bedrohlich, fast scheint es, als wäre es lebendig, würde ein Eigenleben führen, hätte einen Plan.

Einen Plan hat auch Maria Petrowna, die unter falschem Namen reist und vorgibt, eine trauernde Witwe zu sein. In Wirklichkeit ist sie aber die Tochter des Glasmachers, in dessen Verantwortung es lag, die Fenster des Zuges herzustellen. Er sollte die Innen- von der Außenwelt abschotten, was offenbar aber nicht gelang, denn auf der seiner letzten Fahrt mit dem Zug brachen die Fenster. Wie sich später herausstellen wird, wurde damit der Weg frei für eine unkontrollierbare Materie gemacht, die sich ihren Weg ins Zuginnere bahnte. Mittlerweile ist er tot, angeblich an einem Herzinfarkt gestorben. Seine Tochter bezweifelt es, will herausfinden, was wirklich auf dieser letzten Fahrt ihres Vaters geschehen ist. Aber sie ist nicht die Einzige, die auf dieser Reise nach Gewissheit sucht, denn mit zunehmender Fahrt mehren sich die ungewöhnlichen Ereignisse.

Die Autorin baut die Handlung behutsam auf, ganz gleich, ob es um die Beschreibung der an den Zugfenstern vorbeiziehenden Landschaft oder die Charakterisierung der Personen geht. Das gelingt ihr zumindest in der ersten Hälfte auch wirklich gut. Sie schafft eine Atmosphäre, die gleichermaßen bedrohlich, aber auch faszinierend wirkt und damit den Leser bei der Stange hält. In der zweiten Hälfte sind leider einige Längen zu überwinden, ehe die Spannung zum Ende hin ihren Höhepunkt erreicht.

Sarah Brooks Roman, 2019 ausgezeichnet mit dem Lucy Cavendish Prize und 2021 mit einem Northern Debut Award von New Writing North, lässt sich nicht eindeutig in eine Genre-Schublade stecken. Es überwiegen die Fantasy-Elemente, die schon durch die Wahl des Transportmittels von den Besonderheiten des Steampunk beeinflusst sind. Dazu wohldosiert eine Prise Horror, Spannung, Ökologie und Kapitalismuskritik. Ohne Zweifel eine höchst interessante Mischung und eine unerwartet etwas andere Lektüre, die mich gut unterhalten hat. Lesen!

Bewertung vom 22.03.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


weniger gut

Berliner Plattenbau, 18. Stock. Dort lebt die alleinerziehende Wanda mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie. Und dass sie dort eigentlich nicht hingehört, macht sie gleich am Anfang klar, denn eigentlich ist sie ja Schauspielerin, auch wenn sie bisher nur einen Werbespot für Waschmittel gedreht hat, und wäre in einer Vorstadtvilla wesentlich besser aufgehoben. Sie geht zwar regelmäßig zu Castings, aber es will einfach nicht klappen mit der großen Karriere. Das Leben ist so ungerecht.

Sara Gmuer gelingt es zweifellos, das Setting glaubwürdig zu zeichnen, auch wenn sie dabei bis zum Ellenbogen in die Klischeekiste greift. In der Platte sitzen alle, natürlich außer Wanda, im gleichen Boot. Sie helfen ihr, geben Ratschläge, übernehmen auch mal die Kinderbetreuung. Insbesondere Aylins Mama ist immer für Wanda da, wenn Hilfe gebraucht wird, auch wenn diese der Meinung ist, besser als alle ihrer Nachbarinnen zu sein und sich noch nicht einmal für deren Namen interessiert. Beachtet werden sie nur dann, wenn sie deren Hilfe benötigt.

Ihr merkt es, ich bin kein Fan von Wanda und ihrem Verhalten, das mir zutiefst zuwider ist. Diese gnadenlose Selbstüberschätzung, ihr egoistisches Benehmen und nicht zuletzt die Vernachlässigung ihrer kleinen Tochter, die sie in der Nacht allein in der Wohnung zurücklässt, um mit den Reichen und Schönen Party zu machen, fand ich hochgradig grenzwertig und eigentlich ein Fall für das Jugendamt.

Ja, mir ist dieser Roman unter die Haut gegangen, zumindest das hat die Autorin erreicht, aber gemocht habe ich ihn schon allein wegen der Protagonistin nicht. Wenn das ihr Ziel war, ist er gelungen. Wenn sie uns allerdings mit Lebenswelten konfrontieren wollte, die uns üblicherweise unbekannt sind, wäre eine feinere, weniger klischeehafte Zeichnung des Milieus hilfreich gewesen. Und den märchenhaften Schluss hätte sie sich dann auch gleich sparen können.

Bewertung vom 20.03.2025
Skin City
Groschupf, Johannes

Skin City


gut

Skin City ist der neue und damit vierte Berlin-Roman von Johannes Groschupf. Die drei Vorgänger habe ich mit Begeisterung gelesen, bei diesem hier wollte sich dieses Gefühl nicht einstellen. Warum? Weil er als Thriller und Berlin Noir vermarktet wird, diese Versprechen aber leider nur in Ansätzen einhalten kann.

Die Handlung ist schnell erzählt. Drei Personen im Fokus, die sich durch die Randbezirke der Metropole bewegen und deren Bahnen sich am Ende kreuzen.

Zentrale Figur ist die Polizistin Romina, kennen wir bereits aus „Die Stunde der Hyänen; versetzt in ruhige Lichterfelde, anfangs mit ihrem Kollegen auf der Spur einer Einbrecherbande aus Georgien, dann auf der Suche nach einem Schläger, der ihre jüngere Schwester heftig verprügelt hat, zu guter Letzt auf Rache aus für den Tod ihres Vaters.

Auf ihren ruhelosen Streifzügen trifft sie auf Koba, den jungen Einbrecher aus Georgien. Mit zwei Kumpanen steigt er auf Geheiß seiner Bosse in ausgekundschaftete Vorstadtvillen ein, die reiche Beute versprechen. Manchmal bekommt er einen Anteil, manchmal wird er windelweich geschlagen. Er will weg, auf und davon nach Kanada, in das Land seiner Sehnsucht.

Und dann ist da noch Lippold, ein White Collar Krimineller, gerade frisch aus dem Knast entlassen, aber schon wieder auf der Suche nach der Gelegenheit, die das große Geld verspricht. Aber zuerst gilt es noch, eine alte Rechnung zu begleichen.

Groschupf bleibt diesmal sehr an der Oberfläche, reißt vieles nur an, aber unter die Haut geht da leider nix. Die harte, kalte, stakkatoartige Sprache, für die ich ihn üblicherweise schätze, und die diesmal nur zu Beginn zu finden ist, bleibt hierbei leider völlig auf der Strecke. Schade.

Bewertung vom 19.03.2025
Der Zögling / Washington Poe und Tilly Bradshaw ermitteln Bd.1
Craven, M. W.

Der Zögling / Washington Poe und Tilly Bradshaw ermitteln Bd.1


ausgezeichnet

Kriminalromane, in denen Serienmörder am Werk sind, meide ich üblicherweise. Meist sind sie nach dem gleichen, lieblosen Schema aufgebaut, das in erster Linie darauf ausgerichtet ist, mit einer möglichst detaillierten Beschreibung der Gräuel anderweitige Schwächen wie dünne Handlung, offensichtliche Logiklöcher und 08/15-Gesetzeshüter zu übertünchen.

Aber ich liebe englische Krimis, insbesondere solche, die in Gegenden verortet sind, die ich kenne. M.W. Craven, Autor der Poe/Bradshaw-Krimis nimmt uns in den englischen Nordwesten mit. In „Der Zögling“, dem ersten Band seiner Poe/Bradshaw-Reihe werden in einem historischen Steinkreis im Lake District in Cumbria nacheinander drei Leichen gefunden. Alle zuerst gefoltert, dann bei lebendigem Leib verbrannt. Auf den ersten Blick gibt es keine Gemeinsamkeiten, aber dann entdeckt die Analystin Tilly Bradshaw auf der Brust des dritten Opfers scheinbar willkürliche Schnitte in der Haut, die sich bei genauerem Hinsehen aber als Name des vom Dienst suspendierten und degradieren ehemaligen DI der Spezialeinheit für schwere Verbrechen, Washington Poe, entpuppen. Es scheint, dass die Lösung des kniffligen Falls in der Vergangenheit zu finden ist. Hat der Killer etwa noch eine Rechnung mit Poe offen? Um diese Frage zu beantworten und den Täter dingfest zu machen, gilt es, keine Zeit zu verlieren und Poe zurück in den aktiven Dienst zu holen.

Alljährlich gibt es unzählige Neuerscheinungen auf dem Krimi/Thriller-Markt, die jegliche Vorlieben abdecken, ganz gleich, ob harte Kost oder cosy, unblutig und sehr oft albern. Aber diese Reihe ist anders, und deshalb für mich DIE Entdeckung der letzten Monate. Dass es auch anders geht, beweist M. W. Craven, denn ihm gelingt der perfekte Spagat zwischen einer spannenden Story samt düsterem Setting und den unfreiwillig humorvollen Dialogen, die in erster Linie Tilly Bradshaw geschuldet sind. Sie ist für mich die eigentliche Hauptfigur, sorgt mit ihrer unbeholfenen Naivität immer wieder für unfreiwillig peinlich-komische Situationen, liefert aber gleichzeitig mit ihren außergewöhnlichen analytischen Fähigkeiten Ergebnisse, die die Aufklärung des Falls voranbringen.

Soweit Band 1, die Besprechung von Band 2 „Der Gourmet“ folgt demnächst. Bleibt zu hoffen, dass wir nicht zu lange auf die Übersetzungen der noch fehlenden drei Bände (The Curator, Dead Ground, The Mercy Chair) warten müssen. Lest die Reihe, ihr werdet nicht enttäuscht sein!