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Benutzername: 
Friedrich Köpf
Wohnort: 
Stuttgart

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Bewertung vom 18.11.2009
Zwischen den Kriegen

Zwischen den Kriegen


ausgezeichnet

Es ist schon so, jeder liest aus einem Buch heraus, was er zuvor hineingelesen hat. Also sieht der FAZ-Rezensent in erster Linie die Streitigkeiten unter den Protagonisten und folgert daraus messerscharf, "wie trüb, wenn nicht vergiftet, die ideologischen Quellen der Studentenbewegung waren", quod erat demonstrandum, und fertig ist die Gartenlaube für den bundesdeutschen Gartenzwerg.

Streitigkeiten kommen, wie wir alle wissen, in anderen Gruppierungen überhaupt nicht vor; denn sonst hätte man ja in der FAZ darüber lesen können, wie trüb die Quellen der jetzigen schwarz-gelben Koalition sind, wie vergiftet die Wurzeln der CDU in den späten 40er, frühen 50er Jahren waren. Schwamm drüber, Werner Riegel hätte seine Freude an einem Florettgang mit dem FAZ-Rezensenten gehabt.

Tatsächlich enthält dieses Buch auf 300 Seiten den fast vollständigen und kommentierten Briefwechsel zwischen Kurt Hiller und Werner Riegel, bis zu Riegels jähem Tod am 11. Juli 1956; etliche Briefe zwischen Kurt Hiller, Peter Rühmkorf und Klaus Rainer Röhl ergänzen den Band, ein Anhang mit Dokumenten und Registern hilft die Ausgabe zu erschließen.

Diese Briefe sind eine spannende Lektüre, auf der einen Seite steht ein wortmächtiger Vertreter des deutschsprachigen Exils, Kurt Hiller (1885 – 1972), auf der anderen Seite Werner Riegel (1925 – 1956), Kriegsteilnehmer, Dichter, Literat, Expressionismus-Förderer und Herausgeber von „Zwischen den Kriegen“. Das war die interessanteste Zeitschrift der 50er Jahre, in der man sich überaus kritisch mit den Äußerungen von Literatur und Politik zwischen dem 2. Weltkrieg und dem für unausweichlich gehaltenen 3. Weltkrieg auseinandersetzte.

Im Zentrum des Briefwechsels steht, von Adenauer bis Arno Schmidt, die Frage nach dem deutschen (literarisch-politischen) Neuanfang und auch die Kritik daran, die dann folgerichtig (lange nach Riegels Tod) in die Studentenbewegung der späten 60er Jahre mündete: Röhl gründete 1955 eine Zeitung namens „Studenten-Kurier“, für die sowohl Riegel als auch Rühmkorf schrieben; 1957 in „konkret“ umbenannt, war dieses Magazin später das Sprachrohr der Studentenbewegung bis hin zu Ulrike Meinhof.

Über die Sichtbarmachung der Person Werner Riegels hinaus ist dieses Buch auch eine unschätzbare Dokumentation der literarischen wie politischen Debatten der 50er Jahre. Bleibt nur noch nachzutragen, daß Werner Riegels Werk mittlerweile wieder im Buchhandel zu haben ist, von der vierbändigen Ausgabe der „Ausgewählten Werke in Einzelausgaben“ sind drei Teile schon erschienen: „Der Admiral“ (2006), „Der senkrechte Mitmensch“ (2008) und „Heiße Lyrik“ (2007).

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