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Magnolia
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Bayern

Bewertungen

Insgesamt 9 Bewertungen
Bewertung vom 19.11.2024
Verdorbene Saat (Thriller)
Schwarz, Gunnar

Verdorbene Saat (Thriller)


ausgezeichnet

Die Herbstzeitlose – eine allzu giftige Pflanze

Giftpflanzen gibt es so einige in unseren Gärten, die Herbstzeitlose gehört dazu. Ihre Blüten sind rosa- bis lilafarben, sie ist leicht mit dem Krokus, dessen Blüten jedoch kräftigere Farben aufweisen oder auch mit dem Bärlauch zu verwechseln.

Martina Siekers Leiche wurde im Garten vor ihrem Haus von ihrem Hund ausgebuddelt, der Ehemann hat daraufhin die Polizei verständigt. Schon der Prolog ist heftig, die Beschreibung direkt gruselig.

Katharina Winkler, kurz Kat genannt, übernimmt den Fall, ihr zur Seite wird der als sehr pedantisch geltende Sebastian Fischer gestellt. Die beiden sind nicht unbedingt ein Dreamteam. Und doch müssen sie zusammenarbeiten, sich auf den anderen verlassen können, was nach anfänglichen Schwierigkeiten dann ganz gut klappt. Kats Eigenart, direkt am Ort des Geschehens Zeichnungen anzufertigen, ist schon oft zugute gekommen. Sie konzentriert sich vollends, versetzt sich in die Täterfigur, um sich den möglichen Vorgang filmisch vor Augen zu führen. Je mehr ich diese beiden Ermittler beobachte, desto näher sind sie mir. Kat sowieso, aber auch Sebastian entpuppt sich als durchaus cooler Typ.

Bei der einen Toten bleibt es nicht, die nächste wird wiederum in einen Privatgarten gefunden. Dem Opfer wurde der Kiefer ausgerenkt, um für die Herbstzeitlose, die aus ihrem Mund zu wachsen scheint, Platz zu schaffen. Ihr Körper ist mit Schnitten übersät, darin finden sie Samen – welcher Sadist ist hier zugange?

Es ist durchaus plausibel, dass sie den Täter im botanischen Bereich suchen und so wie es aussieht, haben sie es mit einem Serientäter zu tun. Auch stellt sich die Frage, wie lange er schon mordet. Das nähere Umfeld der Opfer wird durchleuchtet, was durchaus Sinn macht. Gunnar Schwarz geht dabei raffiniert vor, man wähnt die Ermittler des Öfteren kurz vor dem Durchbruch. Dabei legt er geschickt Fährten aus, die dann doch eher im Sande verlaufen. Die Spannung lässt nie nach, auch sind Kat und Sebastian näher dran, als es für sie gut ist. Was sich ihnen letztendlich präsentiert, hätte ich nicht für möglich gehalten und doch ist das ganze Ausmaß dessen, was alles ans Licht kommt, in sich schlüssig.

Die „Verdorbene Saat“ hat es in sich, es ist ein fesselnder Thriller, wie nicht anders von Gunnar Schwarz zu erwarten. Und nun – am Ende angelangt - hoffe ich, dass ich noch mehr von diesem tollen Ermittlerduo lesen werde.

Bewertung vom 19.11.2024
Minus 22 Grad
Peck, Quentin

Minus 22 Grad


ausgezeichnet

Ein Psychothriller vom Feinsten

Schneller, noch schneller – Lauras Puls steigt. Der Asphalt schimmert durch die Schneedecke – dreimal die Woche fährt sie diese Strecke, sie spürt jeden Muskel, sie braucht das, sie fühlt sich frei. Es geht auf Mitternacht zu, außer ihr und ihrem Trekkingrad ist keiner unterwegs. Und da – Scheinwerfer. Ein Auto nähert sich ihr von hinten, wird langsamer, holt auf. Der Aufprall reißt sie aus dem Sattel. Dunkelheit hüllt sie ein. Als sie aufwacht, spiegelt sich ihr Gesicht in einem Glas. Wo ist sie? Was ist geschehen? Und warum ist sie hier? Gefangen in einem Käfig?

Im nächsten Kapitel ist es Ariane, die es sich vor dem Fenster gemütlich gemacht hat, das Fernglas in der Hand. Sie beobachtet auf dem nahen See einen ziemlich unbeholfenen Schlittschuhläufer. Was macht der hier, mitten in der Nacht? Das Eis bricht, er geht unter. Ariane schnappt sich noch schnell ihren Gürtel, für mehr ist keine Zeit.

Im Wechsel lese ich von Laura und dem Kommissar, der nach ihr sucht und von Ariane und dem Mann, den sie aus dem Eis gerettet hat. Was haben diese beiden Erzählstränge miteinander zu tun? Lange tappe ich im Dunkeln, auch Lauras Entführer bleibt nebulös. Als ihre Mutter, eine einflussreiche Kommunalpolitikerin, eine Botschaft mit ihrem Todeszeitpunkt bekommt, ist Kommissar Lukas Johannsen klar, dass Lauras Zeit bald abläuft.

Johannsen durchleuchtet auch Lauras Leben, kommt aber dabei keinen Schritt vorwärts. „Lukas, du darfst dich nicht zu sehr in Kleinigkeiten verlieren. Das große Ganze zeigt sich manchmal erst, wenn du ein paar Schritte zurücktrittst.“ Der Kommissar erinnert sich an die Worte seiner Mutter. Also – nochmal alles neu durchdenken.

Quentin Peck versteht es, Spannung zu erzeugen, er kommt dabei ohne reißerische und blutige Elemente aus. Die frostige Atmosphäre zieht sich durchs Buch, es ist nicht nur draußen eisig. Jede einzelne Person ist umhüllt von Geheimnissen. Ich bin hin- und hergerissen, sehe sie wohlwollend, um im nächsten Augenblick an allem und allen zu zweifeln. Das Buch ist durchgehend fesselnd, ein Weglegen war für mich keine Option. Die losen Fäden lassen sich nicht verknüpfen und als ob es nicht genug wäre, lese ich zwischendurch von Tonaufzeichnungen, die erst gegen Ende einen Sinn ergeben. Wenngleich das Ende dann nochmal so richtig überrascht.

„Minus 22 Grad“ ist ein Psychothriller vom Feinsten, beste Unterhaltung ab der ersten Zeile bis zum dann doch sehr stimmigen Schluss. Ein absolut mitreißender, spannungsgeladener Thriller, der mich vollends begeistert hat. Mein Tipp: Lesen, lesen, lesen.

Bewertung vom 18.11.2024
Der Ruf des schwimmenden Gartens
Haigh, Tara

Der Ruf des schwimmenden Gartens


ausgezeichnet

Madeira Anfang des 20. Jahrhunderts

Madeira ist für mich der Inbegriff einer Blumeninsel, ihren Ruf als schwimmender Garten im Atlantik verdankt sie einer botanikverliebten Engländerin, wie ich nun weiß. Tara Haigh hat mich mit ihrem Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht, gedanklich auf diese zauberhafte Insel des ewigen Frühlings gelockt.

Zunächst sind wir in Bremen, wir schreiben das Jahr 1914. Die junge Sofie ist im dortigen Krankenhaus aus Ärztin tätig. Als Frau und auch als Verfechterin von Hygienestandards ist sie ihren männlichen Kollegen ein Dorn im Auge. Über ihren Vater, einem Anwalt, erfährt sie von einem Krankenhaus mit Sanatorium auf Madeira, das kurz vor der Eröffnung steht. Das Angebot, dort die Tuberkulose-Station zu leiten, kommt genau richtig und da Richard Hauenstein, Vaters Kontakt, der sich um das Investment kümmert, zurück auf die Insel muss, schließt Sofie sich ihm an.

Kaum angekommen, beobachtet Sofie eine unschöne Szene mit dem kleinen Camilo, einem Waisenjungen, der vom Kloster weggelaufen ist. Sie mischt sich ein, verspricht dem Jungen, dass sie ihn bald besuchen kommt, was sich aber als gar nicht so einfach erweist, denn das Kloster wird mit strenger Hand geführt. Im Verlauf der Geschichte machen wir auch Bekanntschaft mit mehreren Nonnen und mit Schwester Regine, die dem Kloster vorsteht.

Nun, Sofie kommt bei der Familie Hauenstein unter. Auf dem Gutshof leben Vater und Sohn – Fritz und Richard - bestens versorgt von Rosa, ihrer Haushälterin. Da Fritz Geburtstag ansteht, wird neben vielen anderen Gästen auch Ludwig, der jüngere Sohn, erwartet. Der Globetrotter und Schriftsteller lebt überwiegend in London und wie sich bald abzeichnet, können die beiden Brüder so überhaupt nicht miteinander.

Charmant und liebenswert sind die einen, aber auch ganz schön fies, intrigant und hinterhältig erweist sich so manch andere Figur. Allesamt sind sie charakterlich gut und lebensnah gezeichnet.

Neben der fiktiven Familiengeschichte ist es der reale Bau des Krankenhauses, der von einer deutschen Aktiengesellschaft geplant und in die Tat umgesetzt wurde. Die Investoren hatten auch anderes im Sinn, was den Madeirern nicht gefiel. Rund um den Bau des Krankenhauses werden kriminelle Energien freigesetzt, in dessen Strudel auch Sofie gerät. Und nicht nur hier, auch im Kloster geht nicht alles mit rechten Dingen zu. Das teilweise von den Deutschen gebaute Hospital dos Marmeleiros in Funchal existiert noch heute, wie ich im sehr informativen Nachwort erfahre.

Es war ein spannender, ein kurzweiliger Aufenthalt auf dieser zauberhaften Insel, den ich sehr genossen habe, in der es auch um Rivalität, um Intrigen und um die Liebe geht - angereichert mit Beschreibungen der Insel, die nicht nur von den Engländern dank ihres ausgeglichenen Klimas als angenehmer Kurort geschätzt wurde und auch heute noch geschätzt wird.

Bewertung vom 16.11.2024
Mordscoach
Pabst, Lilli

Mordscoach


gut

Sophie, die mordende Supervisorin

„Mordscoach.“ Die Kurzbeschreibung klingt interessant, sie verspricht gute Unterhaltung, gespickt mit viel schwarzem Humor. Was liegt also näher, Sophie Stach eingehender in Augenschein zu nehmen. Sie stellt sich als Coachin und Psychoanalytische Supervisorin vor, die genaue Liste dessen, was sie alles ist und kann, ist um einiges länger, sie ist ihrer Meinung nach die eierlegende Wollmilchsau. Einen Ehemann hat sie natürlich auch, besser geht es gar nicht. Wären da nicht so einige ihrer unleidigen Patienten wie etwa Nils Bergmann, die fette Qualle, wie sie ihn insgeheim betitelt.

Eines schönen Tages schneit Amelie in ihre Praxis. Vordergründig geht es ihr wegen des Todes ihrer Mutter schlecht, aber Sophie wäre nicht sie, würde sie nicht den wahren Grund für Amelies Erscheinen checken. „Sie sind viel hübscher, als Jakob erzählt hat“ meint Amelie lapidar. So ein hinterhältiges Biest aber auch! Sophie muss handeln.

Handeln heiß bei ihr, unliebsame Gestalten zu beseitigen. Und das mit einer Leichtigkeit, die jeden Kriminalkommissar bloßstellt. Und ja, diesen Kommissar gibt es auch. Natürlich. Denn schließlich sind einige Todesfälle aufzuklären. Alle Spuren führen zu Sophie, diese aber weiß sich zu behaupten. Abwechselnd kommt bei ihr die Therapeutin und die Femme fatale durch - eine hochexplosive Mischung, die sich jedoch für sie als sehr erfolgreich erweist.

Die Story beginnt amüsant, ich bin gespannt. Bald jedoch driftet sie ins Groteske ab, sie ist zu überzeichnet. Gut, man kann schon mal jemanden versehentlich um die Ecke bringen, um der Lust am Makaberen zu frönen, wir lesen schließlich Cosy Crime. Alles dreht sich um Sophie, der ich nicht zu nahe kommen möchte, selbst wenn ich von ihrem mörderischen Gen nichts weiß. Erfährt sie etwa von häuslicher Gewalt, verfolgt sie ihren ureigenen Therapieansatz und das Problem ist gelöst. Und die Polizei steht doof daneben.

Lilli Pabst schreibt kurzweilig, das Buch ist unterhaltsam, es ist schnell gelesen. Wenngleich es schon sehr dick aufträgt. Sophie sammelt Leichen so wie andere Bücher, bestimmte Figuren, Steine, Muscheln o(der was auch immer) sammeln. Jeder hat so seine Leidenschaft, Sophies Sammelwut mutet dann doch sehr seltsam an. Gut, sie ist irgendwie hineingeschliddert, es war nicht beabsichtigt und dann hat sie Gefallen an dem „etwas anderen Hobby“ gefunden.

Die Morde sind komödiantisch in Szene gesetzt, wobei sich diese Mordsgeschichte um Sophie Stach zunehmend im Unglaubwürdigen verfängt. Es ist eine gut zu lesende Zwischendurch-Lektüre, dessen Heldin auf den mörderischen Geschmack gekommen ist. Der schwarzen Witwe gleich – eine Spinne, die ihre Männchen frisst.

Bewertung vom 13.11.2024
Moment des Aufbruchs
Carsta, Ellin

Moment des Aufbruchs


ausgezeichnet

Spannend, unterhaltsam, lesenswert

„Momente des Aufbruchs“ ist das sechste Buch der Kinder der Hansens-Reihe. Nachdem mich schon die Hansen-Saga begeistert hat, ist auch die neue Generation mit viel Herzblut dabei, die Familie Hansen in die Zukunft zu führen.

Amala, Auguste und Eduard haben große Pläne. Das alte, nicht mehr genutzte Kontor wollen sie zu neuem Leben erwecken, in dessen Gemäuer nicht nur Restaurants ihren Platz finden werden, auch Theater und Kino soll es beherbergen. Das Hansens nimmt Gestalt an, es gibt auch hier genug Hindernisse, die das Projekt gefährden könnten. Aber „Menschen mit so viel Leidenschaft und Mut können gar nicht scheitern“ ist sich Georg sicher, der sich zurückgezogen hat, der jungen Generation aber dennoch zur Seite steht. Vor dem politischen Hintergrund jener Zeit lesen wir von Liebe und so mancher Eifersüchtelei, von Trennung und Versöhnung, von krummen Geschäften, aber auch von Freundschaft und Zusammenhalt.

Wir sind in Hamburg im Jahre 1927, der erste Tonfilm „The Jazz Singers“ revolutioniert die Kinowelt, bei der Eröffnung des Hansens wird ein anderer Film gezeigt, es ist „Das Geheimnis der der Abbé X“. Im Nachwort weiß die Autorin mehr darüber zu berichten.

Neben Hamburg sind es auch München und Wien, die wir gedanklich ansteuern, auch werfen wir einen Blick über den großen Teich zu Amalas Bruder Robert, der den Ku-Klux-Klan kritisch beleuchtet. In München bangt Thereses Tochter Helene um ihren Lebensgefährten Bernhard, dem die Todesstrafe droht. Sein Anwalt ist von seiner Unschuld überzeugt, er setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn doch noch zu retten. Auch hier möchte ich das Nachwort nochmal erwähnen, denn diesem Erzählstrang liegen echte Fälle zugrunde.

In Wien treffen wir auf Thereses Sohn Franz mitsamt Familie, der eines Tages in die Fußstapfen von Florentinus Loising, Thereses Bruder, treten soll. Auch Florentinus kämpft für Bernhards Freilassung und fährt dafür nach München, derweilen kümmert sich Franz um Florentinus Firma.

Es ist die Zeit, in der die Nationalsozialisten immer mehr Zulauf bekamen, die Ausländerfeindlichkeit und der Rassenhass wurden von oben herab geschürt. Auch Amalas Verlobter gerät in diesen Strudel des Hasses, ihm wird als Arzt eine Trennung von Amala nahegelegt, deren Äußeres den strammen NSDAP-Anhängern so gar nicht passt.

Ellin Carsta versteht es, die historischen Fakten mit den Geschichten um die Familie Hansen geschickt zu verknüpfen und damit ihre Leser bestens zu unterhalten. So ab und an wirft sie einen Blick zurück, sodass das Vergangene ganz schnell wieder präsent ist. Ihre Charaktere haben für mich schon lange ein Gesicht, sie sind mir sehr sympathisch, wenngleich es einige wenige gibt, deren Art mir nicht ganz so angenehm ist. Bei den Hansens geht es eben zu wie im richtigen Leben, die Familie stützt sich gegenseitig, auch wenn so mancher quertreibt. Leider ist die Zeit mit ihnen wieder mal zu schnell vergangen und nun heißt es warten auf Band sieben, ich freu mich drauf.

Bewertung vom 11.11.2024
Die Henkerstochter und das Vermächtnis des Henkers / Die Henkerstochter-Saga Bd.10 (2 Cds)
Pötzsch, Oliver

Die Henkerstochter und das Vermächtnis des Henkers / Die Henkerstochter-Saga Bd.10 (2 Cds)


ausgezeichnet

Einfach großartig

Der ehemalige Schongauer Scharfrichter Jakob Kuisl hat von seinem früheren Weggefährten Nepomuk einen Brief erhalten, in dem er ihn bittet, dringend nach Passau zu kommen. Es geht um einen Schatz, den er mit Jakobs Hilfe bergen will. Dies kommt Jakob soweit gelegen, da er seiner Familie das sehr teure Bürgerrecht kaufen will, also macht er sich auf gen Passau. Sofia, seine 12jährige Enkelin, folgt ihm, was ihm zunächst so gar nicht recht ist. Wie sich jedoch später herausstellt, ist sie ihm eine große Hilfe. In Passau angekommen, muss er zu seinem Entsetzten feststellen, dass Nepomuk getötet wurde und er nicht der einzige ist, der nach Passau gelockt wurde.

Derweilen sind Sofias Eltern Magdalena und Simon bei Hofe unentbehrlich. Die Kaiserin erwartet jeden Augenblick ihr nächstes Kind, Magdalena weicht nicht von ihrer Seite und Simon ist für die Gesundheit des Kaisers mitsamt seinem Gefolge zuständig. Kein leichtes Unterfangen, denn die Türken belagern Wien, auch Magdalena und Simons Söhne Peter und Paul sind involviert. Peter als Feldarzt, Pauls Schicksal indes ist ungeklärt. Keiner weiß, wo er sich aufhält oder ob er überhaupt noch am Leben ist.

Das Hörbuch wird von Johannes Steck vorgetragen, er ist geradezu prädestiniert für die Henkerstochter-Saga. Er gibt jeder Figur seinen individuellen Charakter, wobei alle männlichen Rollen perfekt gesprochen sind und sie stimmlich gekonnt variieren, so gelingt dies bei den Frauenrollen nicht ganz so gut, was aber angesichts der brillanten Lesung vernachlässigbar ist. Es waren großartige, es waren kurzweilige Hörstunden, die viel zu schnell vorüber waren, trotzdem die gekürzte Version, die ich gehört habe, über 16 Stunden und 18 Minuten geht (das ungekürzte Hörbuch hat eine Spieldauer von knapp 18 Stunden).

Der Autor, Oliver Pötzsch, hat einmal mehr bewiesen, dass er zur ersten Riege der historischen Erzähler gehört. Nicht nur seine Bücher um den Schongauer Henker und seiner Familie lasse ich mir nicht entgehen, auch seine anderen historischen Bücher sind für mich Pflichtlektüre. Wird es weitergehen? Wird er, der Nachfahr der Henkersfamilie, weiterhin über seine Vorfahren schreiben? Jakob Kuisl ist nicht mehr der Jüngste, gesundheitlich ist er auch ziemlich angeschlagen, aber er ist zäh und noch immer schmeckt so manches Mohnpfeifchen. Gerne würde ich noch mehr über ihn und die Seinen erfahren.

Bewertung vom 11.11.2024
Vielleicht hat das Leben Besseres vor
Gesthuysen, Anne

Vielleicht hat das Leben Besseres vor


weniger gut

Zu bemüht, zu klischeehaft

Anna von Betteray, die evangelische Pastorin in einer kleinen Gemeinde am Niederrhein, ist eine toughe Person, dem Standesdünkel ihrer Familie kann sie so gar nichts abgewinnen, sie mag es eher bodenständig. Sie ist eine der Hauptfiguren neben Heike und ihrer Familie.

Heike Müller scheint am Ende ihrer Kräfte zu sein, sie ist rund um die Uhr für ihre Tochter da, geplagt von ständigen Schuldgefühlen. Von einer Sekunde auf die nächste war ihr Leben und das ihrer kleinen Tochter Raffaela ein anderes. Mit vierzehn Monaten hatte das Mädchen einen Unfall, dadurch waren ihre geistigen und motorischen Fähigkeiten eingeschränkt. Dank ihrer Mutter konnte sie aber einigermaßen damit leben – bis jetzt. Denn Raffaela – sie ist mittlerweile fünfzehn Jahre alt - wurde mehr tot als lebendig aufgefunden und nun liegt sie im Koma, die Ärzte haben wenig Hoffnung, was ihre Mutter nicht gelten lässt. Anna wird in ihrer Funktion als Notfallseelsorgerin zu ihr gerufen und wie sich herausstellt, kennen sich Anna und Heike von früher, die beiden Frauen kommen ins Gespräch.

Raffaelas Geschichte zieht sich durchs Buch, unterbrochen von einem Spargelfest, von dem Disput über diskriminierende Liedtexte, auch Gendern wird aufs Korn genommen, ein schwuler Postbote darf nicht fehlen, um dessen „Anderssein“ das ganze Dorf weiß – außer seiner Mutter, bei der er nach wie vor lebt. Me too wird – natürlich - angesprochen und eine Liebesbeziehung unter Vierbeinern mit Folgen, in welche auch Anna mit einbezogen wird, sorgt für ganz schön viel Verwirrung.

Nun, Raffaelas Unfall muss aufgeklärt werden, dafür ist der Herr Kommissar zuständig, der sich der Tratscherei im Dorf durchaus bewusst ist und sich dies zunutze macht. Sogar ein Beichtgeheimnis wird ausgehöhlt, allesamt sind sie ziemlich meschugge. Arg klischeehaft wird dies und noch so einiges mehr untergebracht, den „hinreißenden Witz“, mit dem das Buch beworben wird, habe ich vergeblich gesucht, mir kam es eher als zu krampfhaft, zu bemüht vor. Schade, denn von Anne Gesthuysen habe ich schon Besseres gelesen. „Vielleicht hat das Leben Besseres vor“ gehört nicht dazu.

Bewertung vom 10.11.2024
Endlich das ganze Leben
Recchia, Roberta

Endlich das ganze Leben


sehr gut

Eine schicksalhafte Nacht

Seit diesem Morgen in ihrem Ferienhaus am Meer ist nichts mehr so, wie es einmal war. Marisa ist schon wach, ihr Blick fällt auf den noch schlafenden Stelvio. Der Alltag hat sich mehr und mehr eingeschlichen, sie denkt zurück an eine Zeit voller Leidenschaft. Und bald weiß sie, dass etwas Schreckliches geschehen ist, das Leben davor gibt es nicht mehr.

Roberta Recchia erzählt von der Familie Ansaldo, von Marisa und Stelvio und ihren Kindern Elisabetta, genannt Betta und ein wenig blitzt auch Ettore, der Sohn, durch die Erzählung. Wir sind in Rom der 1980er Jahre. Sie führen ein gut gehendes Feinkostgeschäft, das sie einst von Marisas Eltern Ettore und Letizia Balestrieri übernommen hatten, schon sie waren erfolgreich. In den 1950er Jahren war Stelvio bei Ettore angestellt und wie es das Schicksal so wollte, waren Stelvio und Marisa bald ein Paar, wenngleich es einige unschöne Umwege dazu brauchte. Auch von Emma, Marisas Schwester, erfahren wir so einiges, deren Leben eine ganz andere Richtung einschlägt. Unser Hauptaugenmerk jedoch bleibt vorerst bei Marisa, bei Stelvio und Betta.

Das Davor beschreibt eine glückliche Familie, sie sind am Meer. Das Klima dort ist für Bettas Asthma eine Wohltat. Betta – eine junge, dem Leben zugewandte 16jährige. In diesem Sommer ist ihre gleichaltrige Cousine Miriam bei den Ansaldos zu Gast, ihre Mutter Emma ist als erfolgreiche Geschäftsfrau in der Welt unterwegs. Miriam wirkt im Gegensatz zu Betta eher kindlich, beide jedoch verstehen sich super. Bis eines nachts ein Unglück geschieht - Betta wird tot aufgefunden. Das Danach wirft sie alle aus der Bahn. „Und plötzlich gibt es ein Davor und ein Danach.“

Auch wenn das Leben weitergeht, irgendwie weitergehen muss, so sollte keiner sein Kind überleben müssen. Die Eltern gehen unterschiedlich mit dem Leid um. Immer tiefer tauchen wir ein in die Familienstruktur, immer besser lernen wir sie alle kennen. Beurteilen, ja verurteilen zuweilen. Der Blick geht zu Miriam, die diese Nacht schwer traumatisiert überlebt hat. In dem Gelegenheitsdealer Leo findet so etwas wie einen Seelenverwandten, aber auch ihm verschließt sie sich. Keiner weiß um ihre seelische Not, keiner scheint etwas davon zu ahnen.

Wie viel Leid kann ein Einzelner aushalten, wie viel eine Familie? Die Autorin zeigt auf, wie weit es kommen kann, wenn Sprachlosigkeit alles andere übertüncht. Viele Themen werden angesprochen, ausgehend von dem Drama dieser Nacht sind Drogen, Alkohol- und Tablettenmissbrauch im Spiel, die Vertuschung einer Tat und die damit einhergehenden gravierenden Folgen werden durchleuchtet. Es geht um Schuld, um Schuldgefühle und Suizid. Wir lesen von aufkeimender Hoffnung und Hoffnungslosigkeit über weite Strecken, beobachten ein Leben im falschen Körper.

Mich hat das Buch sehr berührt. Im Danach liegt der Focus weitgehend auf Miriam, die seit jeher von den Eltern emotional im Stich gelassen wurde. Was hilft der finanzielle Hintergrund, wenn die Seele leidet? Auch Bettas Eltern Marisa und Stelvio, deren glückliches Leben abrupt endet, konnte ich in ihrer Trauer, mit der jeder anders umgeht, durchaus verstehen. Marisa war am Boden zerstört, sie konnte Stelvios Nähe nicht mehr ertragen – werden sie je wieder zueinander finden? Sich gegenseitig trösten können? Auch wenn ein Leben danach möglich scheint, so werden die Wunden dieser Nacht nie ganz heilen, sie werden immer schmerzen.

„Endlich das ganze Leben“ ist ein aufwühlender Roman. Die Autorin nimmt ihre Leser mit in ein Italien wie wir es kennen und schätzen. Lebendig geht es zu, das Miteinander und später dann das Aufarbeiten des unvorstellbaren Unglücks, mit dem sie fertig werden müssen, beschreibt sie echt, ihre Charaktere sind allesamt glaubwürdig, wenngleich die Story zuweilen klischeehafte Züge trägt. Dabei geht sie sehr behutsam vor, sie beobachtet wertfrei. Ein fesselnder, ein sehr lesenswerter Debütroman.

Bewertung vom 09.11.2024
Der König
Nesbø, Jo

Der König


ausgezeichnet

Der König von Os und die Dämonen der Vergangenheit

Roy und Carl Opgard – zwei Brüder, die sich in- und auswendig kennen. Zwei Brüder, die vom Tourismus leben. Dem kleinen Ort Os im Norden Norwegens droht das Aus, denn ein geplanter Tunnel würde die Tourismusströme direkt am Ort vorbeilenken. Da heißt es, rechtzeitig gegenzusteuern.

Roy beitreibt eine Tankstelle – so weit, so normal. Er hat jedoch hochfliegende Pläne. Eine Achterbahn soll die Attraktion überhaupt sein, also gilt es, den Tunnel mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern. Und Carl sieht sich schon als zukünftigen Besitzer einer Wellnessanlage, die sein Hotel zusätzlich aufwerten würde. Es kursieren die wildesten Gerüchte über die Brüder. Beide wissen das, beiden ist dies ziemlich egal. „Die Leute glaubten so viel und wussten so wenig. Für uns war das in Ordnung. Sagen wir es so: Es war besser, sie zerrissen sich das Maul über Opgard und nahmen das Schlimmste an, denn schlimmer war nur die Wahrheit.“

Jo Nesbø lässt Roy diese Geschichte erzählen. Es geht um Bestechung, um Unterschlagung und Körperverletzung bis hin zu so manchem Todesfall und um noch so einiges mehr, dabei spielt auch die Vergangenheit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Gier nach Macht scheint unendlich zu sein, dafür ist jedes Mittel recht. Einer der wenigen Vorteile, weniger feinfühlig zu sein, hat seinen Ursprung in der Vergangenheit - so denkt Roy, auch in Zusammenhang mit dem noch immer ungeklärten Tod der Eltern und nicht nur deren Ableben wirft heute noch Fragen auf, auch andere mysteriöse Todesfälle kommen wieder zur Sprache. Sie sind gerissen, die Opgard-Brüder, nicht nur ihre „schlagenden Argumente“ kommen zum Einsatz.

„Der König“ ist das zweite Buch um die beiden Brüder. Trotzdem ich absoluter Jo Nesbø-Fan bin, ich gefühlt alle seine Bücher gelesen habe, so ist mir doch „Ihr Königreich“, das erste Buch um die Gebrüder Opgard, entgangen. Nun, mittlerweile liegt es vor mir, ich werde es natürlich lesen. Der Einstieg in Buch zwei ist mir etwas schwer gefallen, die vielen Namen haben mich zunächst verwirrt, also habe ich mir eine Personenliste erstellt und fortlaufend ergänzt. Man kann also durchaus mit Band zwei beginnen, denn zwischendurch hat Nesbø – natürlich - die notwendigen Infos aus dem Vorgängerband mit einfließen lassen.

Der Erzähler Roy ist mir trotz seiner gewalttätigen Art dennoch sympathisch. Der Autor lässt seine Leser ganz nah an diesen Typen heran, er ist ein sehr vielschichtiger Charakter mit auch durchaus angenehmen Zügen. Und nicht nur er, auch die anderen hier Agierenden sind jeder für sich gesehen ganz individuelle Persönlichkeiten. Mal mehr, mal weniger vertrauensselig - für die meisten hier trifft Zweiteres eher zu. Abgründe tun sich auf, es geht auch um Missbrauch, um Vergeltung, um Rache und dem Streben nach Macht und dies alles vor der malerischen Kulisse Norwegens.

Auge um Auge, Zahn um Zahn – diese Redewendung, die auf die Bibel zurückgeht, hat sich mir beim Lesen immer wieder aufgedrängt. Sobald ich mich in die Story eingelesen hatte, hatte Jo Nesbø mich mitsamt seinem Protagonisten Roy fest im Griff. „Zwei Brüder, eine Stadt – nur einer kann hier König sein!“ Wer das denn sein wird? Um das herauszufinden, lohnt sich das Lesen so was von!