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Magnolia
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Bayern

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Insgesamt 54 Bewertungen
Bewertung vom 19.02.2025
Anatomie einer Verschwörung / Academy of Lies Bd.1
Scheweling, Nina

Anatomie einer Verschwörung / Academy of Lies Bd.1


ausgezeichnet

Spannend, mystisch, mörderisch

„Das Herz ist eine gut geölte Maschine, die uns am Leben erhält - wenn alles gut läuft.“ Für Quinn läuft es nicht gut, denn ihr Spenderherz wird es nicht mehr lange machen. Sie studiert Medizin, weil sie verstehen möchte, wie der menschliche Körper funktioniert. „Wenn ich schon sterbe, will ich wenigstens wissen, wie genau. Alles andere ist mir egal.“ Ihren Sarkasmus kann ich angesichts ihrer Lage gut verstehen.

Ein Schuss - ein Toter auf der Treppe draußen im Hof in einer der modernsten privaten Hochschulen, die sich in den Gemäuern einer alten Klosteranlage befindet, welche speziell für den Lehrbetrieb umgebaut wurde. Wie sich herausstellt, ist der Tote Johann Sailer, der neue Direktor der Wilhelm-Schreiber-Akademie. Wer ist für diese Tat verantwortlich? Und warum musste Sailer sterben? Vom dunklen Fenster der Bibliothek, die direkt über dem Tatort liegt, wird diese Szene beobachtet, auch wird eine dunkle Gestalt ganz in der Nähe des Toten wahrgenommen. Es bleibt nicht bei dem einen Toten und bald wir Quinns Bruder Flo verdächtigt. In was ist er da hineingeraten?

Die beiden Geschwister stehen sich ziemlich nahe, denn außer ihrer stets abwesenden Mutter und der dementen Großmutter haben sie keine Familie mehr. Quinn kann und will es nicht glauben, dass ausgerechnet ihr Bruder verdächtigt wird, hinter diesen Todesfällen zu stecken.

Nina Scheweling hat mich mit ihrem „Dark Academia mit Slow-Burn-Romance meets Medizinthriller“ positiv überrascht. Da ich eher Thriller denn Romance lese, ich aber dennoch gerne in allen Genres stöbere, bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden. Die Handlung hat mich komplett abgeholt, auch habe ich mir von den Protagonisten, allen voran von Quinn, ein gutes Bild machen können. Sie ist trotz ihrer spröden Art eine einfühlsame junge Frau, die klug durchs Leben geht. Sie ist verschlossen, was nicht zuletzt ihrer Herztransplantation geschuldet ist. Ihre Bezugsperson ist Flo, die beiden stützen sich gegenseitig. So nach und nach lerne ich auch die anderen Charaktere kennen – einige davon sind durchaus präsent, andere treten mehr in den Hintergrund.

Die „Anatomie einer Verschwörung“ ist der fesselnde Auftakt einer Medizinthriller-Reihe, die daneben auch die anderen Elemente – wie etwa dunkle Machenschaften, elitäre Verbindungen voller Geheimnisse und Mystik - gut einbindet. Im Vordergrund sehe ich den Thriller, was mir sehr entgegenkommt, denn die Romantik war eher zu ahnen denn dass sie präsent gewesen wäre. Was mich persönlich so gar nicht gestört hat, was aber im nächsten Band noch folgen könnte. Da wir im Medizinbereich sind, passen die diversen, dazwischengeschobenen Todesarten in Form eines Tagebucheintrages perfekt. Sie sind dem Verlauf der Story jeweils angepasst, sie behandeln etwa einen Tod durch Verbluten oder auch einen, der der Altersschwäche geschuldet ist. Insgesamt sind dies sechs verschiedene Todesursachen, jede für sich wird auch für den medizinischen Laien gut verständlich erklärt.

Nina Schewelings Schreibstil hat mich sofort ins Buch gezogen, auch ihre Charaktere sind gut skizziert. Die einnehmende Story hat mich neugierig weitergetrieben und natürlich war es Quinn, mit der ich gebangt und gelitten habe und selbstverständlich werde ich die Reihe weiterverfolgen, denn einiges ist geklärt, anderes bleibt noch im Unklaren.

Bewertung vom 18.02.2025
Der große Riss (eBook, ePUB)
Henríquez, Cristina

Der große Riss (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Eindrucksvoll

Der Panamakanal ist eine der wichtigsten Schifffahrtsstraßen weltweit. Die etwa 82 km lange, künstliche Wasserstraße mit Schleusen und einer Scheitelhaltung von 26 m Höhe verbindet den Atlantik mit dem Pazifik. Schon Kaiser Karl V. hatte die Idee, die beiden Ozeane miteinander zu verbinden, um 1900 dann wurden die Arbeiten vorangetrieben, Cristina Henriquez erzählt in ihrem großartigen Roman „Der große Riss“ davon. Schon der erste Blick auf das BuchCover zeigt, mit welch gewaltigem Bau wir es hiermit zu tun haben.

Sie kommen aus allen Ecken der Welt, aus Barbados, Jamaika, Peru, Argentinien… es sind zu viele Herkunftsländer, um sie alle aufzuzählen. Es sind tausende von Männern, die sich Tag für Tag durch den Matsch schaufeln, durchnässt vom Regen.

„Sie strömten in Arbeitszügen herbei und kletterten hinunter in den Riss, und wenn die Pfeife ertönte, arbeiteten sie. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang öffneten sie die Erde. Sie standen bis zu den Knien im Schlamm. Sie atmeten den Kohlequalm der Lokomotiven ein, die unentwegt an ihnen vorbeizogen. Ihnen dröhnten die Ohren von den Hämmern der Felsbohrer…“

La Boca wird der Kanal von ihnen genannt. Ein klaffendes Loch, das alles verschlingt, was sich ihm in den Weg stellt. Es gibt gewaltige Erdrutsche, es gibt viele Opfer. Ganze Ortschaften werden verlegt, Seuchen und Krankheiten bekämpft, sie arbeiten bis zum Umfallen und doch bleibt ihnen nicht viel.

Anhand von Einzelschicksalen wird der Bau dieses gewaltigen Projekts deutlich. John etwa, der die Malaria ausrotten will, stellt Ada ein, die sich um seine kranke Frau Marian kümmert. Ada wiederum will für ihre schwerkranke Schwester Millicent Geld verdienen, um die Arztkosten bezahlen zu können. Mit Omar, dem Sohn des Fischers Franciscos, stecken wir direkt im Schlamm. Es ist ein Knochenjob, der durch die Willkür des Aufsehers zusätzlich erschwert wird. Auch wird die Umsiedlung Gatúns thematisiert, ein Riss geht nicht nur durch Panama, er geht durch ihrer aller Leben. Und diese Leben bindet Cristina Henriquez in die Arbeiten um den Panamakanal ein. Ihre so unterschiedlichen Leben haben Berührungspunkte, ihre Lebenswege entlang des Kanals kreuzen sich. Die Autorin zeigt auf, was der Riss aus ihnen allen macht. Ein Riss, der sich durch alle Schichten der Gesellschaft zieht, der Arm gegen Reich, Schwarz gegen Weiß anspricht, ohne zu werten. Der auch heute, mehr als ein Jahrhundert später, nachdenklich macht.

Ganz viel habe ich rund um die Entstehung des Panamakanals mitgenommen. Wer sich eher für die technischen Daten interessiert, wird sie alle im Netz finden. Es ist ein Roman, kein Sachbuch. Das Historische wird mit den interessanten, durchweg authentischen Charakteren gut verständlich aufbereitet, es ist ein lebendiges, sehr lesenswertes Buch, das wie nebenbei viel Wissenswertes vermittelt.

Bewertung vom 16.02.2025
Frau Hempels Tochter. Roman
Berend, Alice

Frau Hempels Tochter. Roman


ausgezeichnet

Eine Milieustudie

Über die vielzitierten „kleinen Leute“ hat die jüdische Schriftstellerin Alice Berend geschrieben, sie selbst kam aus großbürgerlichem Hause, sie hatte schon immer den Drang, zu schreiben. Ihr Roman „Frau Hempels Tochter“ erschien 1913, schon ihre vorherigen Bücher waren erfolgreich, weitere erschienen, sie wurde die meistgelesene Schriftstellerin ihrer Zeit in Deutschland. Ihre Werke wurden von den Nationalsozialisten verboten, sie ging in die Schweiz und später dann nach Italien.

Nun zum Buch, dem ich hier noch ein wenig nachspüren will: Frau Hempel lebt mit ihrem Mann, einem Schuster, und ihrer Tochter als Portiersfrau in einem Berliner Mietshaus. Laura heiß Frau Hempels Tochter. Sie ist jung, bildschön und will hinaus aus der Kellerwohnung der Eltern, hinaus ins Leben. Zunächst schafft sie es einige Stockwerke höher zu den Brombachs, dort ist sie als Kindermädchen angestellt. Nun, Laura sieht dann und wann von Brombachs Wohnung aus dem Fenster und was oder besser gesagt wen sie sieht, erfüllt sie mit Freude. Es ist Eugen, der junge Graf von Prillberg, der ihr ausgesprochen gut gefällt.

Frau Hempel ist fleißig und rechtschaffen, ihr großes Ziel ist es, eines Tages im eigenen Häuschen zu wohnen, dafür legt sie jeden entbehrbaren Groschen zur Seite. Sie ist zufrieden mit dem, was sie hat. Ganz anders die Gräfin von Prillberg, deren Gatte als Sektagent von Haus zu Haus tingelt und sie nun verarmt im Hinterhaus wohnen müssen. „Denn die Gräfin war sehr unglücklich, und ihr einziges Vergnügen war, sich über ihr Schicksal beklagen zu dürfen.“

Auch wenn der Schreibstil gerade anfangs etwas sperrig anmutet, so gewöhnt man sich schnell daran und geht über, die Geschichte im Kleinbürgermilieu zu genießen. Schuster, bleib bei deinem Leisten heißt es so schön, in unserem Falle wäre die Tochter eines Schuhmachers und einer Dienstbotin bei Ihresgleichen gut aufgehoben, sie aber folgt ihrem Herzen, unterstützt von ihrer lebensklugen Mutter. Wir sind in Berlin zur Jahrhundertwende, die Grenzen zwischen der feinen Gesellschaft und den gewöhnlichen, den kleinen Leuten, sind stets spürbar, das Klassendenken nicht zu leugnen. Und natürlich ist es der Frau Gräfin nicht recht, dass sich ihr Grafen-Sohn mit einer Schusterstochter einlässt, geschweige denn, sie ehelicht.

Alice Berend erzählt klug und gewitzt von „Frau Hempels Tochter“, die Neuauflage wurde moderat dem heutigen Standard angepasst. Unbedingt lesenswert ist auch das von Margret Greiner verfasste Nachwort, das dem soeben Gelesenen nochmal nachspürt und auch den Lebensweg von Alice Berend skizziert. Ein wiederentdeckter Roman, der mir kurzweilige und gar vergnügliche Lesestunden bereitet hat.

Bewertung vom 15.02.2025
Der Seher
Haller, Elias

Der Seher


sehr gut

Verschwundene Babys, kryptische Botschaften – ein Fall für Arne Stiller

„Der Seher“ ist der siebte Arne-Stiller-Thriller aus der Feder von Elias Haller. Nicht alle sieben Bücher habe ich gelesen - aber was nicht ist, kann ja noch werden. Zuletzt hat mich der Autor mit seinen drei Grimm-Bänden komplett überwältigt. Sein Schreibstil ist so einnehmend, als Thriller-Fan ist man immer gut bedient und – jedes Buch ist in sich abgeschlossen, so auch dieses hier.

Vor siebzehn Jahren hat sich um den Säugling Jan Köpke ein Drama ereignet, er verschwand spurlos. Der Einstieg ins Buch setzt Ängste frei, zugleich hoffe ich, dass Jans Schicksal doch noch aufgeklärt wird. Wird er nach so langer Zeit noch gefunden? Vielleicht sogar lebend?

Nun, die Bauarbeiten am Dresdner Zwinger lassen anderes vermuten, denn es werden menschliche Knochen gefunden. Knochen, die auf ein kleines Kind hindeuten, die in einer Zeitkapsel gefunden werden. Um diese Kapsel entsteht ein blutiger Streit, denn die Kontrahenten vermuten eher einen Schatz denn diesen gruseligen Fund.

Der Kryptologe Arne Stiller wird gerufen. Auf der Kapsel eingraviert ist ein Code, den auch Arne nicht entschlüsseln kann. Bald darauf ist wieder ein Baby verschwunden und wie damals schon bei Jan erscheint auch jetzt in einer Tageszeitung eine Traueranzeige mit kryptischen Botschaften, diesmal auf den Namen Tibor. Ungefragt bietet ein Seher seine Dienste an, Arne kennt ihn von früher, er ist von ihm genervt, er ignoriert ihn. Blöd nur, dass die Praktikantin Sandy Rosenberg schon zu viel preisgegeben hat. Aber auch ohne diese Infos hätte sich der Seher nicht wegdrängen lassen. Es gibt weitere Tote und auch Verletzte, auch verschwinden nicht nur Babys…

Dieser siebte Fall für Stiller ist ein kurzweiliger Thriller, in dem es Knall auf Fall geht. Viel passiert, es gibt viele Wendungen, die einzelnen Personen sind gut und glaubhaft dargeboten, auch mag ich es, wenn ein wenig Privates von Arne Stiller preisgegeben wird, denn so ist er nahbar. Ein Mensch mit Fehlern oder besser gesagt mit so einigen Eigenheiten, wobei sein beinahe unstillbarer Süßhunger mir beim Lesen eher die Lust auf Süßes genommen hat. In erster Linie aber ist er Ermittler, der nicht locker lässt. Und letztendlich wird die Person entlarvt, die unschuldige Babys ihrem Umfeld entreißt. Gut, irgendwann oder besser gesagt ziemlich spät deutet alles auf diese Person, der Fall wurde sauber gelöst, mich aber hat das Warum und auch die Person an und für sich nicht so ganz überzeugt. Abgesehen davon hat mich Elias Haller gut unterhalten, er hat mich ab der ersten Seite mit seiner Story gefesselt.

Bewertung vom 15.02.2025
Ginsterburg (eBook, ePUB)
Frank, Arno

Ginsterburg (eBook, ePUB)


sehr gut

Geschichte hautnah

In der fiktiven Stadt Ginsterburg hat Arno Frank seinen Roman angesiedelt. Wir treffen so einige Personen, hervorzuheben sind die Buchhändlerin Merle mit ihrem Sohn Lothar, der Redakteur der Lokalzeitung Eugen von Wieland nebst Frau und Tochter – Ursel und Gesine - sowie den Bürgermeister dieser Kleinstadt Otto Gürckel, seines Zeichens Blumenhändler und NSDAP-Kreisleiter mit seinen Söhnen Bruno und Knut. Auch spielen die Architektin Uta und ihr Ehemann Theodor, ein jüdischer Journalist, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Mit ihnen erleben und erleiden wir das Leben in einer Kleinstadt in den Jahren 1935, 1940 und 1945, also während der Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Das Nazi-Regime mit all seinen Schrecken ist hinlänglich bekannt, auch lese ich aus diversen Perspektiven immer wieder davon. Arno Frank geht direkt in das Leben seiner Protagonisten, er legt den Finger in die Wunde. Der Judenhass, der zu allen Zeiten immer wieder aufgeflammt ist, ist auch hier deutlich spürbar. „Nie wieder…“ – ich hoffe, dass dies nie vergessen wird, unsere Zeit spricht weltweit eine andere Sprache.

Die jungen Leute werden verführt, auch Lothar meint, in der Hitlerjugend seinen Traum vom Fliegen ausleben zu können. Seine Mutter dagegen spürt hautnah, was mit den nun verbotenen Büchern geschieht. Wer sich fügt, wird belohnt, andere bekommen das unmenschliche System zu spüren. Parteigenossen feiern etwa auf dem Nürburgring, wir begegnen Größen dieser Zeit wie Hans Albers und seiner jüdischen Partnerin Hansi Burg. Wir lesen von unwertem Leben, wie es so zynisch geheißen hat und von Gesetzen zum Schutze des deutschen Blutes, auch lesen wir in Briefen, deren Inhalt aus gutem Grund an der Zensur vorbei den Adressaten erreicht. Und dies ist nur ein kleiner Abriss der Themen, die der Autor verarbeitet. Dies alles vor dem Hintergrund der Kleinstadt und deren Bewohner.

„Ginsterburg“ ist nicht nebenher zu lesen, es fordert seine Leser schon sehr. Ich habe ein wenig gebraucht, um in das Buch und die Geschichte abzutauchen. Spätestens beim Großen Preis von Deutschland war ich dann voll dabei, es gibt aber auch zwischendurch zu langatmige Sequenzen, mit denen ich schon gehadert habe. Und doch ist es ein Buch, das ich nicht missen möchte, das mir die Jahre der Nazi-Herrschaft während des Krieges nochmal verdeutlicht und mir vor Augen führt, was so ein Unrechtsregime aus Menschen machen kann. Ein Roman, der nachdenklich macht. Ein Roman, der dazu beitragen kann, unsere unrühmliche Geschichte nie zu vergessen.

Bewertung vom 12.02.2025
Lebensträume. Ärztin einer neuen Zeit
Lenz, Svea

Lebensträume. Ärztin einer neuen Zeit


ausgezeichnet

Der Lebensweg einer jungen Frau, eine deutsch-deutsche Geschichte

„Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen…“ Mit Hildegard Knef beginne ich die Reise nach Berlin, ich lese von Vickys „Lebensträumen“. Svea Lenz erzählt davon eindrucksvoll, dieser neue Roman steht ihren „Stewardessen“ in nichts nach.

Vicky lebt mit ihrer Mutter, die als OP-Schwester an der Charité arbeitet, im Osten von Berlin. Sie studiert an der Freien Universität in Berlin-West Medizin, nebenbei jobbt sie in einer Westberliner Metzgerei, sie pendelt also täglich von Ost nach West und zurück, was ihr bis zum Bau der Mauer im August 1961 keinerlei Probleme macht. Nun aber scheint ihr großer Traum, Ärztin zu werden, zu zerplatzen. Ihr Freund Achim ist in derselben Situation, auch er studiert im Westen. Sie müssen schon allein wegen ihrer Zukunftsaussichten weg, so viel steht fest. Als dann ihre Flucht gelingt, atmet Vicky nur kurz auf, denn Achim geht als Fluchthelfer wieder nach drüben und wird dabei verhaftet. Danach hört sie nichts mehr von ihm. Sie schlägt sich anfangs eher schlecht als recht alleine durch, aber irgendwie schafft sie es doch, eine Anstellung in der Ambulanz im Frankfurter Flughafen zu bekommen. Als einzige Frau unter Männern ist ihr Alltag beileibe kein Zuckerschlecken, aber sie beißt sich durch, diese Chance will sie sich nicht verbauen.

Die Erzählung beginnt im Sommer 1961, als alles noch unbeschwert war und man auch im Osten gut leben konnte und endet 1972. Mit dem Mauerbau endet ihre Freiheit, diese schier unüberwindbare Barriere ist es, die Vickys Lebensweg in eine von ihr nicht vorgesehene Richtung drängt. Sie ist eine kluge, eine ehrgeizige junge Frau, die ihr Berufsziel stets vor Augen hat und fest entschlossen ist, eines Tages als Chirurgin zu arbeiten.

Wir alle kennen die deutsch-deutsche Geschichte, sie betrifft Vickys Leben in ganz besonderer Weise. Als Republikflüchtling ist es ihr verwehrt, in die DDR einzureisen, der Kontakt mit ihrer Mutter gestaltet sich dementsprechend schwierig. Ihre fiktive Geschichte bindet die Autorin perfekt und sehr lebendig in die damalige Zeit ein - die Zeit des Wirtschaftsaufschwungs, Adenauer geht, Erhard, Kiesinger und Brandt folgen, der junge US-Präsident Kennedy ist auf Deutschlandbesuch, wir lesen von Martin Luther King, den Demos gegen Rassendiskriminierung in den USA und auch hier von den Ausschreitungen gegen Mohammad Reza Schah Pahlavi etwa, die Studentenproteste wollen nicht abebben. Es ist eine unruhige Zeit, die gut einfangen ist. Contergan, die Schluckimpfung, die Pille und noch so vieles mehr sind mit Vickys Geschichte verwoben und natürlich auch die Songs dieser Zeit, die für mich einen ganz besonderen Reiz darstellen.

Svea Lenz vermittelt den Zeitgeist jener Jahre, sie versteht es bestens, das Weltgeschehen so wunderbar, so nachvollziehbar in Vickys Leben zu integrieren. Gebannt lese ich von ihrem Klinikalltag, von den Einsätzen im Flughafenbereich und auch von Unglücken und Katastrophen, die ihr alles abverlangen. Sie ist Ärztin aus Leidenschaft, ihr Privatleben muss so manches Mal hintanstehen. Und nicht zuletzt sind es auch die privaten Momente, die das Bild der jungen Ärztin so rund, so authentisch machen.

„Lebensträume ist ein Roman mit mindestens 47 % Wahrheitsgehalt.“ Der Beipackzettel zum Schluss vermittelt kurz und bündig nochmal sehr viel Hintergrundwissen – ein stimmiger Abschluss. Und doch fällt mir das Abschiednehmen schwer, gerne hätte ich Vicky noch weiter begleitet. Es waren unterhaltsame Lesestunden mit einer liebenswerten Protagonistin. Es ist ein hervorragend recherchiertes Buch, das viel Wissenswertes von damals vermittelt, dazu ein packender Schreibstil mit glaubhaften Charakteren. Kurzum – ein sehr lesenswerter Roman, den ich gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 11.02.2025
Kummersee
Schwarz, Iver Niklas

Kummersee


sehr gut

Tödliche Geheimnisse

Die Suche nach einem Endlager gestaltet sich schwierig, denn keiner möchte diesen gefährlichen atomaren Müll in seiner Nähe haben. So auch hier, in dem kleinen, vergessenen Ort Horlow direkt an der ehemaligen Zonengrenze.

Die Fima Alphaplus Sonderbauplanung schickt zwei Leute – den Projektleiter Detlev Kosinski und den Vermessungstechniker Björn Thoms - an den See, dessen Tauglichkeit für dieses Vorhaben geprüft werden soll. Zu ihrem Schutz sind die beiden Polizisten Lena Wolff und Malik Nasiri abgestellt. Kaum angekommen, sehen sie sich einem Pulk aus Protestierenden, Presseleuten und einem massiven Aufgebot der örtlichen Polizei gegenüber. Auch sind die zuvor gebuchten Hotelzimmer plötzlich alle weg. Lena, die hier aufgewachsen ist, sieht den einzigen Ausweg darin, bei ihrer Mutter anzufragen, ob sie die erste Nacht bei ihr verbringen können.

Der „Kummersee“ hat mich mit diesem so drastischen Anfang sofort angezogen, ja aufgesaugt und lange nicht mehr losgelassen. Die ganze Dramatik um die Proteste, der spürbare Hass den Technikern, aber auch Lena und Malik gegenüber hat mich für sie, die scheinbar auf verlorenem Posten stehen, eingenommen. Haben sie überhaupt eine Chance, ihrer Arbeit nachzugehen? Es geht Schlag auf Schlag, die Ereignisse überstürzen sich.

Der Geschichte vorangestellt ist die Legende vom Müller und seiner Frau und deren lang ersehntem Kind, auch andere Storys rund um den See muten gar gruselig an.

Hat die Tragik um Lenas Bruder Tom, der vor dreißig Jahren im Kummersee ertrank, mit den jetzigen Vorkommnissen zu tun? Denn bald gibt es hier am See einen übelst zugerichteten Toten und es bleibt nicht bei diesem einen. Als „die verrückte Schwester des toten Jungen, dessen Bruder vom Monster geholt wurde“ wird Lena von gewissen Leuten bezeichnet und nun scheinen sich die Vorfälle zu wiederholen.

Ivar Niklas Schwarz Debüt ist an und für sich gelungen, wäre da nicht dieses drastische Ende, das ins Utopische abdriftet. Hier sehe ich Superkräfte am Werk, die alles rundherum platt machen. Die Frage, ob die hier Agierenden aus diesem Schlamassel herausfinden, stellt sich des Öfteren. Es geht um Umweltschutz, um die schwierige Suche nach einem Endlager, auch spielt die deutsch-deutsche Geschichte mit hinein um diesen “Kummersee“, den so einige am liebsten für immer im Dornröschenschlaf wissen wollen.

Der Thriller hat mich neugierig gemacht, mich vorwärts gedrängt, der drastische, der rigorose, ja unerbittliche Schluss jedoch gefällt mir so gar nicht. Da mich aber das Buch bis zu diesem bitteren Ende gut unterhalten hat, vergebe ich dennoch vier Sterne.

Bewertung vom 07.02.2025
Die Villa
Ryder, Jess

Die Villa


sehr gut

Was ist damals geschehen?

Jess Ryder hat mit „Die Villa“ einen spannenden Psychothriller vorgelegt, der die Hintergründe um Aoifes Tod näher durchleuchtet. Sie erzählt von damals, als fünf Freundinnen in der Villa Floriana residierten, um hier und im nahen Ferienort ihren Spaß zu haben. Und sie erzählt von heute, von dem Willen, mit dem noch immer unaufgeklärten Tod abzuschließen.

Ein Junggesellinnenabschied muss heutzutage unbedingt sein, zumindest meinen dies Dani, Celine, Tiff und Beth, die es mit der zukünftigen Ehefrau Aoife nochmal so richtig krachen lassen wollen. Das Wochenende in der Nähe von Marbella mit allem Drum und Dran will sorgfältig vorbereitet werden, Tiff übernimmt die Planung. Drei Jahre ist es nun her, dass diese Tage, die unbeschwert sein sollten, völlig aus dem Ruder gelaufen sind. Aoife liegt in ihrem Blut auf den Boden, der Notarzt kann nur noch ihren Tod feststellen.

Was ist damals passiert? Dani fehlen noch immer entscheidende Momente, also beschließt sie, die Freundinnen von damals nochmal zusammenzutrommeln. Vordergründig sollte der Todestag von Aoife gemeinsam begangen werden, aber eigentlich hofft Dani darauf, ihrem lückenhaften Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Und auch wenn es so scheint, als ob Celine, Tiff und Beth damit abgeschlossen haben, so lässt Dani nicht locker.

Die Kapitel wechseln vom Damals zum Heute. Sämtliche Locations werden nochmal aufgesucht, auch Aoifes Verlobter Nathan und so einige mehr werden näher betrachtet, das Bild jedes einzelnen setzt sich sukzessive zusammen und wie es so oft der Fall ist, trügt der äußere Schein. Überhaupt werden die Freundschaften untereinander näher durchleuchtet, die so unterschiedlichen, geheimnisumwitterten Charaktere bekommen mehr und mehr Kontur.

Die zwei Zeitebenen wechseln sich ab, beide sind sie spannend umgesetzt. Wie es denn zu dem Tod von Aoife kam, lässt mich aber doch unzufrieden zurück und ist für meine Begriffe nicht so ganz schlüssig. Ich lese eher von Feindschaften denn von Freundschaften, von Misstrauen und kriminellen Machenschaften, all das durchzogen von exzessivem Alkoholkonsum.

Nach etwa einem Viertel des Buches keimte in mir ein Verdacht auf. Ein Gedanke, der wieder verschwand, der aber immer wieder neue Nahrung bekam und der letztendlich auch in die richtige Richtung zielte. Ein durchweg fesselndes Buch, das gut unterhält.

Bewertung vom 05.02.2025
Kronsnest
Knöppler, Florian

Kronsnest


ausgezeichnet

Das nicht immer einfache Leben auf dem Land in den 1920er Jahren

„Kronsnest“, ein holsteinisches Dorf, gibt es wirklich. Florian Knöppler erzählt davon, von den Dörflern und deren Gemeinschaft in den 1920er Jahren, von deren Sorgen, von deren Ängsten und Nöten.

Hannes lebt hier auf dem elterlichen Hof, seine kleine Welt besteht neben der Schule und den viel stärkeren Jungs aus der Mitarbeit auf dem Bauernhof, er kennt es nicht anders. Von jeher hat er sich viel zu viel gefallen lassen, er steckt lieber ein als dass er sich verteidigt, was seinem Vater so gar nicht gefällt. Der schwächliche Sohn kassiert nicht nur von den Gleichaltrigen Prügel, auch der Vater langt ordentlich hin. Hannes einziger Freund ist Thies, mit ihm will er zum Boxunterricht, was dem Vater zunächst nicht gefällt. Erst nachdem Hannes sich gegen die Brüder Albert und Eggert das gefühlt erste Mal zur Wehr gesetzt hat, darf er dann doch zum Boxen, Hannes verliert aber bald die Lust daran.

Es ist die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Florian Knöppler erzählt in seinem Erstlingswerk einfühlsam, aber doch sehr kraftvoll vom Leben auf dem Land. Er beobachtet genau, er wertet nicht, er zeichnet das Miteinander ohne erhobenen Zeigefinger nach, auch fließt der beginnende Nationalsozialismus mit hinein.

Er braucht dazu keine Gewaltszenen, er lässt Bilder entstehen, erzählt seine Geschichte wie nebenbei und doch sehr präzise und man spürt dabei eine Intensität, die aus jedem Wort, aus jeder Zeile spricht. Er beschreibt die Natur, nimmt seine Leser mit zur Feldarbeit, berichtet von so mancher Missernte, nicht immer trägt die Witterung die Hauptschuld. Und wenn wieder einmal ein Tier verletzt ist, spürt man auch da, was los war. „Böltje geht’s besser. Die Beine heilen schon, Vater hat sie wohl gut geschient.“ Der Hund hat einiges abgekriegt. Im Nachhinein wird eher angedeutet denn dies angesprochen, jeder weiß auch so, wer Böltje so zugerichtet hat.

Es ist der tägliche Kampf ums Dasein und damit das Leben mit den Tieren auf dem Bauernhof, das lebendig und scharfsinnig nachgezeichnet wird. Hannes, Vater, Mutter – es geht um die Familie. Hannes wird erwachsen und natürlich spielen Freundschaften, die ersten zarten Bande und die aufkeimende Liebe mit all ihren Höhen und Tiefen mit hinein. Es ist die NSDAP, die immer mehr Anhänger gewinnt, die die Dorfgemeinschaft mit ihren Reden und ihren Taten vergiftet. Es ist Knöpplers erzählerisches Können, das diesen scharfsinnigen Roman so lebendig, so lesenswert macht.

Es ist ein starkes Debüt, es ist kein Buch, das man nach dem Lesen schnell wieder vergisst. Nein, es bleibt und es erweckt den Wunsch, mehr von Florian Knöppler zu lesen. „Habichtland“ wird mein nächstes Buch von ihm sein, es erzählt Hannes Geschichte weiter.

Bewertung vom 04.02.2025
Apartment 5B
Unger, Lisa

Apartment 5B


sehr gut

Thriller trifft Mystik

Lisa Unger inszeniert ihr APARTMENT 5B in vier Akten. Zunächst erfahren wir von der „Erbschaft“. Dieses Apartment, über das wir noch eine ganze Menge erfahren werden, hat Chads Onkel Ivan ihm und seiner Frau Rosie hinterlassen. Es ist nicht irgendeine Wohnung, nein. Das luxuriöse Apartment befindet sich im „Windermere“-Gebäude, von dem der zweite Akt mehr preisgibt, danach begegnen uns „Geister und Gargoyles“. Mit „Auferstehung“ wird der vierte Akt eingeleitet und abschließend sehen wir noch einige Monate in die Zukunft.

Rosie und Chad sind arm, aber glücklich. Sie schreibt Bücher, er ist ein eher unterbeschäftigter Schauspieler. Beide sind überrascht, dass Ivan sie und nicht seine Tochter Dana als seine Erben eingesetzt hat. Nun, sie machen sich schon Gedanken, wie sie die extrem hohen Fixkosten, die ihre derzeitige Miete übersteigen, aufbringen können und doch entschließen sie sich, ins Windermere zu ziehen.

Lisa Unger versteht es, ihre Leser sofort mitzunehmen. Von Anfang an ist die Atmosphäre bedrückend. Das Windermere hat eine düstere Geschichte, schon früher kam es zu Selbstmorden, die – so meint man zwischen den Zeilen zu lesen - vielleicht Morde waren. Ein Paar, das hier gelebt hat, taucht auf, daneben sind es diese durchscheinenden Gestalten, die Rosie immer mal wieder sieht. Übersinnliches zieht sich durchs Buch, nichts davon ist rational erklärbar. Seltsame Dinge geschehen, das Haus scheint zu leben, mysteriöse Todesfälle werfen Fragen auf, die Nachbarn benehmen sich durchweg befremdlich.

Die Charaktere sind von bieder, unsicher und gutgläubig bis hin zu durchtrieben, rational, stark, selbstbewusst und manipulativ sehr differenziert dargestellt. Sie sind durchweg glaubhaft angelegt, ich war bei so einigen hin- und hergerissen, wusste nicht so recht, was ich von denen halten sollte. Sie sind undurchschaubar bis zuletzt, genau so, wie ich es von einem Thriller erwarte.

Das Mystische zwischendurch ist gut integriert, solange es nicht zu sehr ins Übersinnliche abdriftet – was schon auch der Fall ist. Hier war ich raus. Und das zwar überraschende, aber zu süßliche Ende mochte ich gar nicht. Und doch war der Thriller ein spannender Nervenkitzel, den ich - mit den vorgenannten Abstrichen - gerne gelesen habe.