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Niederrheinlektor
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Bewertung vom 07.12.2013
Wiedersehen in Hannesford Court
Davies, Martin

Wiedersehen in Hannesford Court


ausgezeichnet

Der junge Hauptmann Tom Allen hat den Krieg körperlich unversehrt überlebt und kehrt Ende 1919 nach London zurück. Er ist sich unschlüssig, was er nach seiner Demobilisierung mit seinem Leben anfangen soll. Er trifft einen Freund aus der Zeit vor dem Krieg, der wie er auf dem Landsitz der Familie Stansbury, Hannesford Court, häufiger Gast war. Die beiden sprechen über einen Vorfall, der sich im Sommer vor Kriegsausbruch auf Hannesford Court zugetragen hatte. Ein deutscher Professor starb während des Rosenballs, der den Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens in der Grafschaft darstellte. Offiziell war die Todesursache ein Herzinfarkt; der Freund aber hat berechtigte Zweifel an dieser Version und fragt nun Allen, ob er sich an den Todesfall und seine Umstände erinnern könne. Allens Erinnerung daran ist aber nur schwach. Da er von Lady Stansbury eingeladen wurde, die Weihnachtstage und den Jahreswechsel in Hannesford Court zu verbringen, verspricht er seinem Freund, dieser Geschichte weiter nachzugehen.
So fährt er nach fünf Jahren erstmals wieder nach Hannesford Court, wo er in den Jahren vor dem Krieg regelmäßiger Gast erlesener Weihnachts- und Silvesterfeiern, rauschender Bälle und den wunderbarer Picknicks war. Die beiden ältesten der fünf Stansbury-Kinder, Harry und Margot, beide schön, charmant, attraktiv, waren der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens auf Hannesford Court. Sie zogen eine Anzahl junger Herren und Damen an sich, die ein sorgenfreies und sorgloses (aber auch zielloses) Leben führten und aufgrund ihrer Herkunft führen konnten. Tom fühlte sich einerseits von der Clique stark angezogen, besonders von der jungen, strahlend schönen Margot. Andererseits fühlte er, dass er nicht so ganz zu dieser Gesellschaft gehörte.
Obwohl Lady Stansbury versucht an die alten Zeiten vor dem Krieg anzuknüpfen, und den Glanz der Feste auf Hannesford Court wiederaufleben lassen will, sind Veränderungen in der Gesellschaft deutlich spürbar. Tom vergleicht immer wieder das Jetzt mit der sorglosen, paradiesischen Vergangenheit. Harry ist im Krieg gefallen, Margots Verlobter, auch ein Mitglied der alten Clique, ist an seinen schweren Kriegsverletzungen gestorben. Der jüngere Stansbury-Sohn ist schwer verkrüppelt. Junge Männer sind für den Tanz kaum zu finden, es besteht ein Überfluss an jungen, unverheirateten Damen. Eine Tatsache, die sich nicht nur auf die Tanzvergnügen, sondern auch auf die Gesellschaft Europas auswirken wird.
Tom erforscht die Vorgänge, die letztlich zum Tod des Professors geführt hatten. Nach und nach deckt er die Wahrheit auf und muss feststellen, dass Hannesford Court schon vor dem Krieg nicht das Paradies war, von dem er annahm, es hätte sich durch den Krieg verändert.
Der Roman von Martin Davies ist aus der Sicht des Protagonisten Tom Allen (Ich-Perspektive) geschrieben. Der Leser entdeckt mit ihm zusammen die Bruchstücke, die die tatsächlichen Ereignisse, die zum Tod des Professors geführt hatten, enthüllen. Gleichzeitig wird das Bild einer Gruppe junger Menschen gezeichnet, die sich die Wartezeit bis zum Antritt ihres Erbes möglichst angenehm vertreiben will. Im Grunde sind sie aber alle gelangweilt und empfinden den Krieg als nette Abwechslung. So zogen sie als Hurrapatrioten in einen Krieg, der sie entweder physisch vernichtete oder psychisch veränderte.
Ein sehr guter Roman, flüssig und spannend geschrieben, bis zum Ende lesenswert.

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