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Golex
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Berlin

Bewertungen

Bewertung vom 20.03.2009
Gargoyle
Davidson, Andrew

Gargoyle


ausgezeichnet

Das Besondere an Gargoyle ist, es wirkt nach. Es bleiben nicht nur eindringliche Bilder und aufwühlende Momente in Erinnerung, vielmehr hat dieses Buch die Kraft den Leser zu erschüttern und zu zwingen, sich den großen Themen des Lebens – Liebe und Tod – erneut zu stellen.
Dieses Buch ist definitiv nichts für Überempfindliche, dass macht Davidson schon auf den ersten Seiten klar. Jeder der schon mal einen schweren Unfall hatte, wird sich in diesen dunklen Stunden wiederfinden. Die brutal‐präzise Schilderung des Unfallgeschehens in der Eröffnungsszene und der verheerenden Folgen kann sich sicher niemand entziehen.
Der namenlose Protagonist ist mit einem ideal schönen Körper, vergleichbar dem einer antiken Statue ausgestattet, innerlich ebenso steinern und kalt. Aus diesem und naheliegenden Gründen will ich ihn im folgenden David nennen. Pflegeeltern, deren Emotionen sich auf die Gier nach Drogen beschränkten und die Einsamkeit des nicht geliebten Kindes ließen schon früh seine Seele erstarren. So macht der erwachsene David auf der Suche nach Nähe reichlich Gebrauch von den Vorzügen seines Marmorpimmels. Er ist ein Star im Pornobusiness –bis er kopfüber im Auto hängend verbrannt wird.
Äußerlich nun schwer entstellt, keine Familie oder Freunde und ein Leben als von Schmerz geplagtes Monster vor sich, bleibt ihm nur die Hoffnung sich möglichst bald töten zu können. Doch so schnell erholt sich kein Schwerstverbrannter. Davidsons detaillierte Beschreibung des Klinikaufenthalts mit allen Facetten der zermürbenden Behandlungen gibt die Bühne für Marianne Engel. Eine mystische Gestalt, die vorgibt, nach 700 Jahren zu ihm zurückgekehrt zu sein. Ihren Besuchen kann sich der zertrümmerte David nicht entziehen, wie auch ihrer unbedingten und für ihn unerklärlichen Zuwendung nicht.
Liebe? Die hat er nie kennengelernt und so erzählt ihm Marianne Geschichten über diese. Vier davon hat Davidson eingebunden, jede für sich wunderschön und in meinem Exemplar mit Lesezeichen markiert! Keine Prosa dagegen ist für Marianne Engel die Zeit im mittelalterlichen Deutschland. Hier verband sie mit David in Gestalt eines desertierten und schwerverletzen Söldners eine tiefe Liebe. Sie selbst war Nonne im Kloster Engelthal, pflegte ihn gesund und ermöglichte ihm die Flucht.
Sehr lebendig und kenntnisreich geschildert ist dieser historische Handlungsteil mit dem „Realen“ auf magische Art kunstvoll verknüpft. Einzig manchmal etwas schwerfällige formulierte Passagen (Übersetzung?) störten hier: „Aber du bestandest darauf. Du sagtest, du spürtest die Behandlung sei notwendig, du spürtest es daran, wie beim Heben der Arm schmerze.“ {S.277, Hardcover}.
Nach der Entlassung nimmt Marianne David bei sich auf. Sie ist eine besessene Bildhauerin, ausschließlich Gargoyles sind ihr Thema. In einer Art Countdown holt sie diese aus dem Stein, arbeitet ekstatisch schonungslos und wahnhaft. In seiner wachsenden Sorge um sie scheint David nun selbst zu Liebe fähig zu werden. Mit dem letzten Werk, einem Abbild des verbrannten David, hat sie alles gegeben. Nun ist es an ihm den Kreis zu schließen und Marianne frei zu geben. Mit diesem Opfer erhebt er ihre Verbindung zu wahrer Liebe und vollendet seine eigene Metamorphose.
Es ist schon erstaunlich was Davidson in seinem ersten Werk untergebracht hat, ein exzellent recherchierter historischer Roman, eine tiefgründige Liebesgeschichte die nie kitschig wirkt. Dazu noch die vier Kurzgeschichten. Alles miteinander meisterhaft verwoben mit wie Déjà‐vus wiederkehrenden Objekten und Charakteren. Dieses Buch macht nicht nur Kino im Kopf, es schickt den Leser auf eine Reise ins eigene ich und lässt nicht mehr los! Das kann süchtig machen – ich werd gleich nochmal die Geschichte von Sigurd dem schwulen Wikinger lesen!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.