Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
odile

Bewertungen

Insgesamt 54 Bewertungen
Bewertung vom 23.03.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt (eBook, ePUB)
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Noch 107 Stunden bis zum Aussterben der Menschheit

Vor neunzig Jahren hat eine Katastrophe die Erde weitgehend verwüstet. Es gab nur Wenige, die auf einer Mittelmeerinsel überlebt haben. Von drei Wissenschaftlern unterstützt, haben diese sich im Schutz einer undurchdringlichen Sicherheitsbarriere ein einfaches Leben aufgebaut. Über allem wacht schützend die KI Abi, die gleichzeitig als eine Art Erzählerin fungiert. Sie ist nur gegenüber der ältesten der Wissenschaftler, Niema Mandripilias, weisungsgebunden und kann mit den Insulanern gedanklich kommunizieren. Alles wirkt beinahe paradiesisch. Dieses Idyll weist nur geringe Makel auf, wie die Tatsache, dass die Inselbewohner stets mit Erreichen des 60. Lebensjahrs sterben, während die drei Ältesten die Hundert deutlich überschritten haben. Doch die Privilegien der Wissenschaftler hinterfragt keiner der Inselbewohner – außer Emory.

Dann wird die Älteste, Niema, tot aufgefunden, scheinbar ermordet. Ausgelöst durch den Todesfall schaltet sich das Sicherheitssystem ab, sodass nur noch wenige Tage bis zur Katastrophe bleiben. Laut Abi kann die Barriere gegen den drohenden giftigen Nebel nur durch das Entlarven des Täters reaktiviert werden. Querdenkerin und Krimifan Emory erhält den Auftrag, umgehend den Mörder zu finden. Während ihrer Ermittlungen fördert sie unglaubliche Fakten und unbequeme Wahrheiten ans Licht. Wird sie die Katastrophe verhindern können?

Als Sciencefiction-Apokalypse-Roman bezeichnet der Autor Stuart Turton
sein neues Buch „Der letzte Mord am Ende der Welt“. Ich würde noch Krimi hinzufügen, was den Genre-Mix komplettiert.

Stuart Turtons Setting, sein Weltenbau, ist sehr überzeugend. Er bevölkert seine kleine Insel mit glaubwürdigen Charakteren. Die leicht rebellische Emory, die häufig aneckt, weil sie alles hinterfragt, ist eine sympathische Hauptfigur, die hervorragend in die Rolle der Ermittlerin passt. Auch die weiteren Protagonisten überzeugen, wie Clara, die ihre Angst durch besonders mutiges Verhalten bekämpft, die komplizierte Niema, die schwer zu durchschauen ist, Emorys Vater Seth, der längst nicht so stur ist, wie gedacht oder Adril, der Ausgestoßene.

Die Geschichte spielt in der Zukunft. Vor dem ultimativen Gau verfügte die Menschheit über technische Errungenschaften, die unseren weit überlegen sind. Trotzdem war die Kluft zwischen Arm und Reich unverändert groß, Kriege und Umweltzerstörung an der Tagesordnung. Bis ein giftiger Nebel voll tödlicher Insekten die Erde unbewohnbar machte. Jetzt führen die Nachfahren der Überlebenden ein einfaches, arbeitsreiches Leben, das dem Wohl der Gemeinschaft gewidmet ist.

Turton schreibt flüssig und sehr bildhaft. Manche Szene löste mein Kopfkino aus. Überhaupt kann ich mir das Buch gut als Vorlage für eine Verfilmung vorstellen. Die Erzählung beginnt verhalten, allmählich baut sich Spannung auf, die nicht nur bis zum Ende anhält, sondern sich sogar kontinuierlich steigert. Zahlreiche Wendungen und Enthüllungen sorgen für anhaltendes Lesevergnügen, sodass ich das Buch nicht aus der Hand legen wollte.

„Der letzte Mord am Ende der Welt“ hat mich hervorragend unterhalten. Der Genre-Mix aus Krimi, Dystopie und Sciencefiction ist sehr gut gelungen. Themen wie Umweltzerstörung, KI, Umgang mit künstlichen Lebensformen oder skrupellose Wissenschaft, verarbeitet der Autor spannend und nachvollziehbar. Immer wieder dachte ich, dem Täter auf der Spur zu sein und wurde schließlich doch überrascht.

Am Autor fasziniert mich, dass bisher jedes seiner Bücher einem anderen Genre zuzurechnen ist und trotzdem oder gerade deswegen sehr gut unterhält. Als nächstes Buch hat Stuart Turton einen wilden Gegenwart-Thriller angekündigt. Ich bin gespannt.

Bewertung vom 23.03.2025
Espresso mit Schuss
Troi, Heidi

Espresso mit Schuss


ausgezeichnet

Caffè Corretto und Mord

Marescialla Bianca Rossi bekommt einen neuen Fall. Ramona Desideri, Juniorchefin einer angesehenen Kaffeerösterei, wurde an ihrem Arbeitsplatz ermordet. Der Tatort befindet sich in Malcesine, einer kleinen Stadt am Gardasee, an die Bianca denkbar schlechte Erinnerungen hat. Kaum dort angekommen, fühlt sich die Polizistin belauert und glaubt, überall ihren gewaltbereiten Ex zu sehen. Was ist Fiktion, was ist Fakt? Die sonst so selbstbewusste Marescialla ist stark verunsichert. Auch mit den Ermittlungen läuft es nicht gerade glänzend. Alle Verdächtigen verfügen über scheinbar bombenfeste Alibis. Bereits am Tag darauf stirbt das nächste Mitglied der Familie Desideri und Bianca gerät zunehmend unter Druck

„Espresso mit Schuss“ ist der zweite Band der Reihe „Ein Fall für Bianca Rossi“ von Heidi Troi. Als Neueinsteigerin in die Serie hatte ich keinerlei Probleme. Die Bände können also unabhängig voneinander gelesen werden.

Bianca Rossi ist eine taffe, aber sympathische Ermittlerin, die dieses Mal einen besonders kniffeligen Fall zu lösen hat. Das Opfer war überaus beliebt und hatte anscheinend keine Feinde. Die Überprüfung der Alibis erweist sich als unergiebig und niemand will etwas gesehen habe. Der einzige Hinweis ist ein Zweirad als mögliches Fluchtfahrzeug. Eine Vespa mit unbekanntem Kennzeichen in Italien? Das erinnert an die berühmte Nadel im Heuhaufen. Die Ermittlungen stagnieren und werden zunehmend überschattet von den bösen Erinnerungen Biancas an Malescine. Bald stellt sich heraus, dass Bianca selbst in großer Gefahr schwebt. Und dann geschieht der nächste Mord.

Heidi Troi schreibt flüssig und bildhaft. Sie schafft es mühelos, Urlaubsstimmung und italienische Lebensart zu vermitteln. Wiederholt glaubte ich, Kaffeeduft zu riechen, wohl weil mich die Vorliebe für Koffein in Form von Espresso mit Bianca verbindet. Gleichzeitig baut die Autorin ernste Themen wie Femizide, häusliche Gewalt, KI und die Gefahren der Social-Media-Accounts ganz beiläufig in ihre Geschichte mit ein. Ihre Charaktere haben mich überzeugt, allen voran die kompetente Marescialla. Die eingestreuten Überlegungen aus Sicht des durchgeknallten Ex verursachten Gänsehaut bei mir. Gut, dass Bianca ein so kollegiales, sympathisches Team zur Seite steht.

Heidi Troi ist ein spannender Krimi gelungen, der mit einigen Wendungen aufwartet. Der Fall wird spät, aber vollständig aufgeklärt und hinterlässt keine offenen Fragen. Gelegentlich fand ich Biancas Handlungsweise etwas nervend, aber jederzeit verständlich. Der Krimi hat mich gut unterhalten, war spannend und die Lösung logisch nachvollziehbar. Ich werde mir auch Band eins besorgen. Erfreut habe ich gelesen, dass die Reihe fortgesetzt wird.

Ich vergebe 4,5 Sterne und eine Leseempfehlung an alle Freunde spannender, eher unblutiger Krimis.

Bewertung vom 21.03.2025
Mord mit Talblick (eBook, ePUB)
Wasner, Simon

Mord mit Talblick (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Mord in den Alpen oder wie man lernt, Alpakas zu lieben

Larissa und Martin Imhoff planen, eine Familie zu gründen. Dazu wünschen sie sich eine Wohnung im Grünen. Und tatsächlich gelingt es ihnen eine Immobilie zu kaufen, die sie sich nur mit einer liebreizenden, alten Dame, so der Makler, teilen müssen. Leider begehen die beiden den folgenschweren Fehler, ihre Nachbarin nicht vor dem Kauf kennenzulernen. Karolina Strobl ist keine nette ältere Frau, nein sie ist Satan persönlich - in Leopardenleggins. Fortan macht sie den jungen Leuten das Leben zur Hölle und sabotiert jeden Versuch, die dringend sanierungsbedürftige Immobilie zu renovieren. Nach zwei Jahren Kampf startet das Paar eine Räumungsklage gegen die renitente Nervensäge. Um Energie für den Kampf vor Gericht zu tanken, reisen die Imhoffs in die Schweizer Berge. Doch auch diese Unternehmung gerät zum Horrortrip, denn Frau Strobl verfolgt die Beiden bis an ihr Urlaubsziel.

„Mord mit Talblick“ von Simon Wasner entpuppt sich als schwarzhumoriger Alpenkrimi. Für mich war es das erste Buch des Autors.

Wozu wäre man fähig in der Situation von Larissa und Martin? Durch einen Immobilienkauf hoch verschuldet, mit einer renitenten Hausmitbesitzerin gestraft, die morgens um vier den Rasenmäher anwirft und die vierteljährliche Eigentümerversammlung regelmäßig eskalieren lässt? Aus dieser Konstellation entwickelt sich ein Drama, das in Mord und Totschlag endet. Aber nicht im Karlsruher Magnolienweg, sondern in Graubünden in den Schweizer Alpen.

Dazu hat der Autor das passende Personal gestaltet, das die abstruse Geschichte überzeugend in Szene setzt. Die Protagonisten, das sind der harmoniesüchtige Versicherungskaufmann Martin, ein vorsichtiger Typ, der stets korrekt gekleidet, durchs Leben schleicht. Seine taffe Frau, die Bio- und Sportlehrerin Larissa, ist temperamentvoll, fit, abenteuerlustig und hat dem Hausdrachen mehr entgegenzusetzen. Womit wir bei Frau Strobl wären, die vermutlich Satan aus der Hölle vertreiben könnte, mit ihren wüsten Drohungen und nervtötenden Aktionen. Weitere skurrile Gestalten, z. B. Kuno, Rentner aus Sachsen, der stets mit der Urne seiner Frau Gertrud unterwegs ist, die Gastgeberin Yvonne, „die irgendwo zwischen fünfunddreißig und mehrfach operiert changierte“ oder der Schriftsteller Daniel Burgstaller, der angeblich mit dem Roman »Bittere irische Herzen auf der kleinen Caféhausterrasse am Ende des Regenbogens« Erfolg hatte. Sie alle treffen in einem Schweizer Chalet, eigentlich einer heruntergekommenen Jagdhütte, aufeinander.

Simon Wasner schreibt flüssig und bildhaft, sodass sich der Leser zwei mit einem menschlichen Kopf Fußball spielende Alpakas durchaus vorstellen kann. Er versteht es glänzend, Spannung aufzubauen und zu halten. Seine Charaktere überzeugen in der aberwitzigen Geschichte und der Fall wird letztendlich aufgeklärt.

Mein Fazit

Hier muss der Leser zum Krimi passen. Wer keinen Sinn für schwarzen Humor, skurrile Situationen oder unkonventionelle Protagonisten hat und stringente Logik schätzt, wird mit „Mord mit Talblick“ nur bedingt glücklich. Wer dagegen Geschmack an abstrusen Konstellationen findet und schräge Typen ohne Vorbehalte akzeptieren kann, wird bei diesem Krimi mit einem Lesegenuss der besonderen Art belohnt.

Ich habe mich bei der Lektüre köstlich amüsiert und freue mich auf ein Wiedersehen mit der Hackebeil schwingenden Vreni und dem Menschen therapierenden Alpaka Richie. Der Cliffhanger am Ende lässt mich auf eine Fortsetzung hoffen.

Von mir gibt es die volle Punktzahl und eine Leseempfehlung an alle Freunde schwarzhumoriger Krimis.

Bewertung vom 18.03.2025
Irish Kisses - Mein Weg zu dir
Donovan, Josie

Irish Kisses - Mein Weg zu dir


ausgezeichnet

Love Story und mehr auf irisch

Der 17.03., St. Patricks Day, wird von den Iren heißgeliebt und enthusiastisch gefeiert. Carly McCormick teilt diese Liebe ihrer Landsleute nicht. Für sie hat sich der irische Nationalfeiertag in den letzten Jahren zu einem wahren Alptraum entwickelt. Also flieht sie stets rechtzeitig in einen möglichst weit entfernten Urlaubsort. Dieses Jahr will sie in den Etosha-Nationalpark nach Namibia reisen. Leider macht der Reiseveranstalter kurz vor Reisebeginn Pleite. Was also tun? Carly sieht sich nicht in der Lage, St. Patricks Day in Dublin zu verbringen. Auf die Schnelle scheint die einzige Fluchtmöglichkeit eine Radrundreise entlang der irischen Westküste zu sein. Mit gemischten Gefühlen steigt Carly in den Bus nach Galway …

Auf der Suche nach einem Wohlfühlroman fiel mir das Cover von „Irish Kisses. Mein Weg zu Dir“ von Josie Donovan auf. Trotz des für meinen Geschmack etwas sehr romantischen Titels hat mich die Aussicht auf Irish Feeling überzeugt. Es war das erste Buch der Autorin für mich.
Wir lernen zunächst die kleine, aber diverse Reisegruppe kennen. Fünf Touristen, das sind neben Carly, die coole Rechtsanwältin Wanda, der sympathische Rentner Fred, die liebenswürdige Großmutter Dottie und der schroffe Archäologe Horan. Reiseleiter Sam und die Fahrerin des Begleitfahrzeuges, Aminata, vervollständigen die bunte Truppe. Drei der Teilnehmer haben den Radtrip geschenkt bekommen, aus guten Gründen, wie sich noch herausstellen wird.

Die Charaktere sind glaubwürdig und passen hervorragend in die Geschichte, die sich flüssig liest und bei mir des Öfteren Kopfkino auslöste. Dann radelte ich neben Carly, versuchte mit Wanda mitzuhalten und spürte meine Sitzfläche wie die untrainierte Dottie. Auf dieser Reise erlebt die kleine Gruppe einige Krisen und überwindet manche Schwierigkeit. Das schweißt sie zusammen und allmählich lernen wir die Schicksale der einzelnen kennen. Dabei kommen Themen zur Sprache, die der romantische Titel nicht erwarten lässt. Da wurde ich angenehm überrascht.

Mein Fazit
Ich habe einen Wohlfühlroman gesucht und mit „Irish Kisses. Mein Weg zu Dir“ auch gefunden. Carly war mir von Beginn an sympathisch, aber auch die anderen Reiseteilnehmer habe ich im Lauf der Lektüre ins Herz geschlossen, selbst die adrenalinsüchtige Wanda und den muffigen Horan. Wie so oft entpuppen sich die Menschen, wenn man sie näher kennenlernt, als anders als zunächst eingeschätzt. Diese Einsicht vermittelt die Autorin auf unterhaltsame und spannende Weise. Die Beschreibung der herrlichen irischen Landschaft und des dazugehörigen Lebensgefühls runden den Roman zu einem gelungenen Lesevergnügen ab. Mein einziger, kleiner Kritikpunkt: Ich hätte gern noch etwas ausführlicher über das Leben der Teilnehmer nach Abschluss der Radtour gelesen.
Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen und eine Leseempfehlung an alle, die einen Wohlfühlroman mit Irish Feeling schätzen.

Bewertung vom 16.03.2025
Café Katz - Der Tote in der Bibliothek (eBook, ePUB)
Hörhold, Sylke

Café Katz - Der Tote in der Bibliothek (eBook, ePUB)


sehr gut

Noch ein Toter in der Bibliothek

Polizeipsychologe Franz Katz wurde bei einer Geiselnahme so schwer verletzt, dass er vorzeitig in Pension gehen musste. Zusammen mit seiner Frau Lu betreibt er jetzt ein Nachbarschaftscafé, das für seinen Drachen-Cappuccino berühmt ist. Seit kurzem lebt auch Pflegetochter Amanda wieder in der Nähe, nachdem sie ihren untreuen Ehemann verlassen hat. Umso überraschter sind Lu, Franz und das Team vom Café Katz, als Amanda ihren Gatten, der als eine Art Indiana Jones in den Sozialen Medien berühmt ist, in die Görlitzer Sammlungen, ihren aktuellen Arbeitsplatz, einlädt. Dort, im historischen Büchersaal im Barockhaus, wollen der Geschichtsprofessor und seine Noch-Ehefrau Amandas spektakuläre Entdeckung präsentieren: Napoleons Briefe, die zu seiner in der Region verschollenen Kriegskasse führen sollen. Wer rechnet damit, dass der YouTuber plötzlich vor laufender Kamera zusammenbricht und stirbt? Und wo sind die kostbaren Briefe?

„Café Katz-Der Tote in der Bibliothek“ ist der Auftaktband zu Sylke Hörholds neuer Krimireihe mit dem frühpensionierten Polizeipsychologen Franz Katz als Hauptcharakter. Für mich war es das erste Buch der Autorin,

Der Titel erinnert nicht von ungefähr an einen Krimiklassiker von der Grand Dame of Crime, Agatha Christie. Hier wie dort kommt es überraschend zu einem Todesfall in einer Bibliothek, wobei hier die Gemeinsamkeiten auch schon enden. Jedes Kapitel beginnt mit dem Zitat eines berühmten Schriftstellers, darunter einige britische Krimiautoren.

Die Ehefrau des Toten gerät schnell ins Visier der Kripo. Als Amanda einen Fluchtversuch unternimmt und jede Aussage zum Fall verweigert, kommt sie in Untersuchungshaft. Franz Katz, obwohl noch schwer angeschlagen, eilt ihr zu Hilfe. Denn er ahnt, warum Amanda beharrlich schweigt,

Ich bin schnell in die Geschichte hineingekommen und habe mitgerätselt. Die Charaktere haben mich überzeugt, ob Franz, Lu und Nele oder das Ermittlungsteam rund um Kriminalhauptkommissar Lukas. Einige etwas skurrile Protagonisten, wie Franz’ betagte, aber fitte Verwandtschaft, vervollständigen den „Figurenspiegel“. Sylke Hörhold schreibt locker und bildhaft. Zunächst mutete ihr Stil etwas steif an, aber dann habe ich mich rasch eingelesen.

Mir hat die Geschichte gut gefallen. Neben dem Kriminalfall habe ich einiges über die Region erfahren, in der ermittelt wird. Mein Interesse an den Görlitzer Sammlungen wurde geweckt. Ich werde sie mir bei nächster Gelegenheit anschauen. Wie es sich für einen Cozy Crime gehört, ist das Verbrechen eher unblutig. Die Auflösung war für mich schlüssig, nur eine Frage blieb offen. Ein paar Verwicklungen mehr, hätten der Spannung gutgetan und eine tüchtige Prise Humor würde mir auch noch gefallen.

Die Rezepte am Buchende klingen lecker, ich werde sie mit Sicherheit noch ausprobieren.

Ich habe mich im Café Katz wohlgefühlt, die sympathische Gesellschaft und die angenehme Atmosphäre genossen. Beim nächsten Fall bin ich wieder dabei.

Ich vergebe gut vier Sterne und eine Leseempfehlung an alle Fans von Cosy Crime mit Lokalkolorit.

Bewertung vom 13.03.2025
Der zweite Verdächtige / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.5 (eBook, ePUB)
Schwiecker, Florian; Tsokos, Michael

Der zweite Verdächtige / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.5 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein doppelter Bluff

In der Männerkneipe "Königssohn" findet ein Kellner beim morgendlichen Saubermachen einen Toten. Die alarmierte Kripo kann die Todesursache des jungen Mannes Lukas Wegener, Spitzname Erzengel, nicht feststellen. Nach der Obduktion ist sich Rechtsmediziner Dr. Jarmer sicher, dass das Opfer an einer Überdosis Liquid Ecstasy gestorben ist. Handelt es sich um Suizid, Unfall oder Mord?

Hauptkommissar Berger nimmt mit Jan Staiger den jungen Mann fest, der mit dem „Erzengel“ zusammen im „Königssohn“ war und einen kurzen Streit mit ihm hatte. Rechtsanwalt Rocco Eberhardt erreicht aufgrund der schwachen Beweislage, dass sein Mandant bis zum Prozessbeginn auf freien Fuß gesetzt wird. Vier Monate später stirbt der nächste junge Mann in einer Schwulenkneipe an Liquid Ecstasy. Angeblich war auch er ein Bekannter von Jan Staiger, was dieser entschieden bestreitet. Sein Anwalt wird Opfer eines Shitstorms, den scheinbar ein Schmierblatt ausgelöst hat. In Wirklichkeit steckt ein geheimnisvoller Unbekannter namens Fuzz hinter der Kampagne. Er scheint besessen von seinem Plan, Jan Staiger hinter Gitter zu bringen. Und er schreckt vor nichts zurück, um dieses Ziel zu erreichen.

„Der zweite Verdächtige“ ist der fünfte Band der Justiz-Krimi-Reihe »Eberhardt & Jarmer ermitteln« vom Autorenduo Florian Schwiecker und Michael Tsokos. Das Buch kann ohne Vorkenntnis der Serie gelesen werden.

Nach den Todesfällen beobachten wir Staranwalt Eberhardt bei der Arbeit und lernen dabei die Abläufe in unserem Justizsystem kennen. Wie mir bestätigt wurde, ist die Darstellung zutreffend. Eine Säule unseres Rechtssystems, die Unschuldsvermutung, kommt in diesem Fall bedenklich ins Wanken. Einmal mehr wird gezeigt, wie leicht sich die Öffentlichkeit durch Presse und Soziale Medien manipulieren lässt. Staiger wird als Serienkiller gebrandmarkt, obwohl er, das nur nebenbei, dieses Kriterium auch im Fall seiner Täterschaft nicht erfüllt. Von Serienmord spricht die Fachliteratur, u.a. das FBI, wenn ein Täter mit zeitlichen Abständen mindestens drei Menschen ermordet. Auf jeden Fall wird der Beschuldigte vorverurteilt und sein Anwalt gleich mit. Unter diesen erschwerten Bedingungen kommen den Ermittlungen von Privatdetektiv Tobi wesentliche Bedeutung zu. So gibt er Hinweise, die Rechtsmediziner Dr. Jarmer und seinen Kollegen von der Toxikologie zu neuen Erkenntnissen führen. Dabei erhalten wir spannende Einblicke in deren Arbeit.

Die Protagonisten haben mich überzeugt, auch der für mich schwierige Hauptkommissar Berger. Ob er, Rocco, Tobi oder Dr. Jarmer, sie alle sind glaubwürdige Charaktere, die sogar über etwas Privatleben verfügen.

Das Autorenduo präsentiert seinen undurchsichtigen Fall gekonnt in einer von Beginn an stimmigen Atmosphäre und schreibt in einem klaren, lockeren Stil, der den Lesefluss unterstützt. Die Fachkenntnis und Recherchearbeit der Autoren heben diesen Krimi aus der Masse hervor.

Mein Fazit

„Was, wenn Staiger ihn die ganze Zeit verarscht hatte und gar nicht das Opfer war, dem man zu Unrecht etwas vorwarf?“(S. 114) Dieser Gedanke beschäftigt Anwalt Rocco Eberhardt lange Zeit und daraus gewinnt die Geschichte einen Teil ihrer Spannung. Die Antwort auf diese Frage erfolgt erst fast am Ende.

Fast von Beginn an hatte ich das Problem, dass mir der Ermittler unsympathisch war und ich ihm nicht traute. Schon wie die erste Verhaftung zelebriert wurde, stieß mir sauer auf. Gleichzeitig war da das Gefühl, etwas zu übersehen. Damit lag ich richtig! Mehr möchte ich nicht verraten, nur dass ich bestens unterhalten wurde und diesen spannenden Justizkrimi genossen habe.
Nachdenklich macht mich die Vorstellung, wie ein Unschuldiger in die Mühlen unseres Rechtssystems gerät. Leider spielen dabei immer noch gesellschaftliche Vorurteile, hier Homophobie, eine große Rolle.

Von mir gibt es die volle Punktzahlung nebst Leseempfehlung. Ich werde mir umgehend die vier ersten Bände besorgen.

Bewertung vom 12.03.2025
Snø – Ohne jeden Zeugen (MP3-Download)
Lindell, Unni

Snø – Ohne jeden Zeugen (MP3-Download)


ausgezeichnet

Schnee hat viele Gesichter

Lydia Winther, genannt Snø, kommt frisch von der Polizeischule in die Abteilung Sondereinsätze nach Oslo. Bei ihrem ersten Fall begegnet sie der Abiturientin Sonja, die glaubt, im leerstehenden Nachbarhaus Eindringlinge gesehen zu haben. Kommissarin Marit, ihre Vorgesetzte, stuft diese Anzeige als Fehlalarm ein. Snøs Bauchgefühl sagt etwas anderes und kurze Zeit später verschwindet Sonja. Neben einem Cold Case, der sich mit einer vermissten Ingenieurin befasst, wird Snø hauptsächlich mit dem Schreiben von Berichten beschäftigt. Sonja bleibt verschwunden, was niemanden zu interessieren scheint, sodass Snø heimlich mit Nachforschungen beginnt. Wenig später bekommt sie den Vermisstenfall der Erdölgeologin Janni Ebeltoft zugeteilt. Nach dem Fund von Leichenteilen in der Städtischen Verbrennungsanlage wird Snø von der Mordkommission zur Ermittlung hinzugezogen. Die Tote ist tatsächlich Janni Ebeltoft und die junge Polizistin darf an einem Mordfall mitarbeiten, was sie sich schon lange gewünscht hat.

»Snø – Ohne jeden Zeugen« ist der Auftaktband zur neuen Reihe der norwegischen Autorin Unni Lindell um die Polizistin Snø. Ein zweiter Band ist in Norwegen bereits erschienen.

Snø ist ein spannender Charakter. Als Kind stand sie stets im Schatten ihres strahlenden Bruders Lars. Weil es sein Traum war, Polizist zu werden, hat sie diesen Beruf gewählt. Lars ist seit sechs Jahren tot, ertrunken in einem Swimmingpool in Japan. Um so erschrockener ist Snø als sie plötzlich Freundschaftsanfragen und Mails ihres Bruders erhält. Neben den üblichen Startschwierigkeiten im neuen Job und ihren Sorgen um Sonja belasten sie jetzt auch noch diese privaten Probleme. Snø ist intelligent, eigenbrötlerisch, dickköpfig und neigt zu Alleingängen. Dank einer Synästhesie ist ihre Wahrnehmung und ihre Art, Informationen zu verknüpfen, häufig unorthodox.

Die anderen Charaktere blieben noch etwas blass, was beim Auftaktband zu einer Serie um eine Hauptfigur nicht ungewöhnlich ist. Lediglich ihr Teamkollege bei der Mordkommission, Hans Arnold Ytrefjord, genannt Har, bekommt mehr Tiefe. Er ist ein fähiger Polizist, freundlich, loyal und gutaussehend. Snø gegenüber benimmt er sich wie ein Freund und ignoriert ihre Avancen.

Der Fall Ebeltoft schlägt Wellen. Wird Snø anfänglich noch für ihre Analysen getadelt, stellt sich bald heraus, dass sie auf der richtigen Spur ist. Diese führt zu Norwegens Schlüsselbranche, der Ölindustrie. Die Grundlage des Wohlstands im Land bildet Norwegens Ölreichtum, der seit den 1970er Jahren ausgebeutet wurde und dem Staat das drittgrößte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weltweit beschert. Dementsprechend taktisch klug muss die Polizei agieren.

Ein sogenanntes „Netzwerk“ verübt zahlreiche Morde, getarnt als Unfälle oder spurloses Verschwinden der Betroffenen, um Unternehmen dieser Branche zu schützen. Lange bleibt es ein Rätsel, wer die führenden Drahtzieher dieses Verbrechersyndikats sind. Lindell versteht es hervorragend, die Spannung aufzubauen und zu halten. In einem atemberaubenden Show-Down werden sowohl die Mordserie als auch Sonjas Verschwinden lückenlos aufgeklärt.

Mein Fazit

Unni Lindells neue Heldin hat viel Potenzial, mit all ihren Fähigkeiten und abgründigen Geheimnissen. Der Fall ist spannend und unterhaltsam. Bis zuletzt bleibt offen, wer die Schlüsselpositionen im „Netzwerk“ innehat. Den Plot fand ich sehr gelungen, ebenso die gute Recherche der Autorin, die z B die Hinweise auf die Fälle Kampusch und Fritzl belegen. Noch eine kleine Warnung: Die Beschreibung der Opferbeseitigung ist nichts für schwache Nerven. Dazu hier nur ein Stichwort: Die Seifenmacherin von Correggio, Leonarda Cianciulli.
Sollte der Fortsetzungsband ins Deutsche übersetzt werden, wovon ich ausgehe, werde ich ihn lesen.

Einen kleinen Abzug gibt es für den etwas langatmigen Beginn und noch ausbaufähige Charaktere. Meine Wertung: 4, 5 Sterne und eine Leseempfehlung für alle Krimileser mit guten Nerven.

Bewertung vom 11.03.2025
Die Brandung - Leichenfischer
Kliewe, Karen

Die Brandung - Leichenfischer


sehr gut

Geht an der Flensburger Förde ein Serienmörder um?

Bei einer archäologischen Grabung an der Flensburger Förde wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die dort vor maximal vier Jahren verscharrt wurde. Warum befinden sich Relikte, die an die Wikingerzeit erinnern, im Grab der unbekannten Toten? Der dänische Kommissar Troels Svensson ermittelt und zieht seine Schwester, die Archäologin Fria, als externe Beraterin zu dem Fall hinzu. Auf der deutschen Seite der Grenze wurde kurz zuvor ebenfalls ein weibliches Mordopfer gefunden. Die näheren Umstände der beiden Fälle ähneln sich. Geht ein Serienmörder im dänisch-deutschen Grenzgebiet um?

Das passend düstere Cover mit den Buhnenresten, die ins Wasser führen, stimmt uns auf die schaurigen Verbrechen ein, von denen uns "Die Brandung - Leichenfischer" erzählt. Nach ihrem ersten Ostseekrimi "Die Brandung - Moorengel" lässt Karen Kliewe ihr dänisch-deutsches Dreamteam Fria Svensson & Ohlsen Ohlsen erneut ermitteln. Die Bände können unabhängig voneinander gelesen werden. Allerdings erhöht die Kenntnis von Band eins den Lesespaß.

Die Teams aus Dänemark und Deutschland arbeiten gut zusammen, aber die Ermittlungen erweisen sich als schwierig. Beide Opfer stammen aus anderen Bundesländern, Bayern und Niedersachsen, und haben anscheinend außer Geschlecht und Alter nichts gemeinsam. Keiner hat etwas gesehen, niemand kann sich die Vorgänge erklären. Dann wird ein weiteres, noch leeres Grab gefunden. Das setzt die Ermittler weiter unter Druck, da sie nicht wissen, ob bereits eine weitere junge Frau entführt wurde.

Der ungewöhnliche Plot hat meine Neugier geweckt, außerdem hat mir der erste Band der Reihe gut gefallen. Auch bei diesem Fall fand ich schnell den Einstieg in die Geschichte. Karen Kliewe beschreibt die Polizeiarbeit ziemlich gründlich, was mir gut gefällt, aber zeitweise zumindest im Mittelteil die Spannung etwas abschwächt. Die Vielzahl der Erzähler, Julia, Nettie, Samantha, Ohlsson, Fria, und die damit verbundenen häufigen Perspektivenwechsel, erhöhen wiederum die Spannung. Denselben Zweck erfüllen das hohe Erzähltempo und die teilweise etwas abrupten Übergänge. Darauf muss sich der Leser einlassen, um nicht in seinem Flow unterbrochen zu werden. Die Charaktere finde ich insgesamt glaubwürdig beschrieben, in den Nebenrollen hätte etwas mehr Tiefe gutgetan.

Mein Fazit

Ich habe mich gefreut den sympathischen Svensson-Clan wiederzutreffen, Hund Bølle, Frias Mitbewohner Marten und den wortkargen Kommissar Ohlsson. Der Kriminalfall war spannend, erfreulich unblutig, und unterhaltsam. Mir gefällt es, die Polizei bei ihrer Arbeit zu beobachten und zu kombinieren. Dieses Mal habe ich den Täter nicht herausgefunden, allenfalls eine Ahnung kann ich vorweisen. Kleinere Schwächen, wie Längen im Mittelteil und der logische, aber doch etwas knappe Schluss lassen mich diesen Krimi etwas schwächer bewerten als seinen Vorgänger. Außerdem kamen die Landschaft und das nordische Feeling für meinen Geschmack dieses Mal zu kurz. Ich bin gespannt, wie die Autorin das im angekündigten dritten Band handhaben wird.

Ich vergebe gute vier Sterne und eine Leseempfehlung für alle Freunde weniger blutiger Krimis.

Bewertung vom 07.03.2025
Ginsterburg
Frank, Arno

Ginsterburg


ausgezeichnet

Das Böse kommt auf leisen Sohlen
1935. Wir befinden uns in Ginsterburg, einer kleinen verschlafenen Stadt mitten in Deutschland. Nach und nach lernen wir die Einwohner kennen und staunen mit den Kindern über den gerade gastierenden Jahrmarkt. Alles wirkt friedlich, beschaulich, freundlich. Aber die Idylle trügt bereits. Warum sonst denkt die Buchhändlerin Merle, eine überzeugte Sozialdemokratin, beim Anblick ihres Nachbarn, dem alten Smolka, „und hoffentlich redete er dabei nichts Falsches“?
Der alte Verleger Dr. Landauer begeht Selbstmord nach Erscheinen der Nürnberger Rassengesetze und seine Frau verlässt Hals über Kopf die Stadt. Auch Löfingers Lampenladen bleibt verwaist zurück. Luise von Wieland ärgert sich, dass sie deshalb einen Umweg in Kauf nehmen muss. Warum jemand seinen florierenden Laden überstürzt verlässt, kümmert sie nicht.

Auch die Jugendlichen verändern sich. Bruno und Knut, die dreizehnjährigen Zwillinge des Kreisleiters, tragen stolz die Uniform der Hitlerjugend. Ungestraft terrorisieren sie Lolo, Merles Sohn und andere. Gesine, Lothars Freundin, saugt das neue Gedankengut auf wie ein Schwamm.
Derweil quält sich Merle durch Werke von Oswald Spengler und Kuni Tremmel-Eggert, weil sie kennen möchte, was sie ihren Kunden anbieten soll. Die Zahl der erlaubten Bücher schrumpft beständig.

Das Leben in Ginsterburg geht derweil weiter. Vom Haus der Kreisleitung flattern fröhlich die Hakenkreuzfahnen im Wind.

1940 datiert die zweite Momentaufnahme. Deutschland und damit Ginsterburg ist Sieges trunken und wähnt sich nur noch Tage, maximal aber Wochen vom Endsieg entfernt.
Gesine hat es nach Berlin geschafft und dient im BDM als Schaffnerin. Sie ist stolz auf sich, als sie eine jüdische Familie aus der Straßenbahn weist, bedauert nur, nicht strenger gewesen zu sein. Über ihrem Bett hängt jetzt eine Rassentafel.
In Ginsterburg profitieren Kreisleiter Gürckel und Fabrikant Jungheinrich vom System, während Merle gelernt hat, Briefe vom Bund Reichsdeutscher Buchhändler und der Bundesschriftkammer zu fürchten. Außerdem hat sie Angst um Lothar, der jetzt ein hochdekorierter Kampfpilot ist, während Eugen und Bruno bei der Infanterie, Knut bei den U-Booten und der katholische Pfarrer als Militärgeistlicher dienen.

1945. Ginsterburg steht der erste Bombenangriff bevor. Alle Euphorie ist verschwunden. „Opfer müssen gebracht werden“. Diese Phrase wird jetzt auch für die Täter Realität.

Cela va faire mal, das wusste schon der alte Gaukler Jean.

Arno Frank schreibt bildhaft und mitreißend. Ihm gelingt es mühelos, die Atmosphäre und das Ambiente der damaligen Zeit einzufangen. Sein Roman beschreibt das Leben der „normalen“ Leute im Tausendjährigen Reich und fängt die ganze Bandbreite der Gesellschaft ein. Vom schwulen Kinobetreiber, der in Angst lebt bis hin zum Papierfabrikanten, der früher gern Papier für Eichendorffs Gedichte produzierte. Jetzt führt er sich als erfolgreicher Leiter eines kriegswichtigen Betriebs auf. Oder der SS-Arzt Hansemann, der fatal an einen Mengele erinnert. Eingestreute zeitgenössische Dokumente, Gesetze und Erlasse ergänzen die Erzählung.

Noch ein Roman über die SS Zeit und den Zweiten Weltkrieg? Interessiert mich das? Diese Frage kann ich rundum mit Ja!beantworten. Mir gefällt der ruhige, unaufgeregte Stil Arno Franks. Beiläufig erzählt er die Ereignisse, mitunter verbirgt sich das Grauen in einem halben Satz. Da wir alle die Materie kennen, reichen diese Andeutungen völlig aus. Seine Charaktere haben mich weitgehend überzeugt. Ein komplexes Beispiel ist Eugen von Wieland, Redakteur beim Ginsterburger Anzeiger, Sohn eines Helden der Kriege von 1866 und 1871. Teilnehmer des Ersten Weltkriegs. Einst träumte er davon in der „Weltbühne“ Carl von Ossietzkys zu veröffentlichen, später tritt er für eine Villa und einen guten Posten in die Partei ein. Er biedert sich bei den Machthabern an („vernegerte“ französische Armee) und hofft, dass seine frühen Spitzen gegen Goebbels („Humpelstilzchen“) folgenlos bleiben. An seinen jüdischen Schwager Theo verschwendet er kaum einen Gedanken.

Überhaupt zieht sich die negative Haltung gegenüber Juden und Zigeunern durch den Roman. Von glühendem Hass bis zur Gleichgültigkeit sind alle Abstufungen vorhanden. Ein gemeinsamer Sündenbock war schon immer ein gutes Mittel, die Menschen hinter einem starken Anführer zu einen.
Leider fehlt ein Nachwort, das Fakten und Fiktion trennt. Der Pilot Lothar Sieber bspw. hat wirklich gelebt. Sein Grab befindet sich nur ca. 20 km von meinem Wohnort entfernt.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen, da er aufzeigt, wie das Böse schleichend Raum gewinnt. Wann ist der Point of no Return erreicht? Was hätten die Ginsterburger 1935 noch unternehmen können, ohne Leib und Leben zu riskieren? Angesichts der aktuellen Nachrichten verspürt man da nicht selbst manchmal den Wunsch nach Rückzug in die eigene kleine Welt? Wie schnell die Lage kippen kann, wie fragil Freiheit und Demokratie sind, daran erinnert uns dieses Buch.

Bewertung vom 03.03.2025
Morden auf Friesisch
Herzberg, Thomas

Morden auf Friesisch


sehr gut

Der Dööskopp muss sterben

Der alte Hinnerk Beehnk plant nach über 40 Jahren als Berufsfischer seinen Ruhestand. Doch am letzten Arbeitstag wird er brutal ermordet. Die Polizei tappt zunächst im Dunkeln. Zwar war Hinnerk ein unbeliebter alter Querkopf, aber Mord? Ermittlerin Michi Greve verdächtigt zunächst den Umweltaktivisten Hubert Schimmelpfennig, muss ihn aber bald wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Prompt wird auch er getötet und Michi niedergeschlagen. Ihre Dienstwaffe nimmt der Täter mit. Ein Serienmörder scheint umzugehen. Was ist bloß los an der Waterkant?

„Morden auf Friesisch“ ist der zweite Fall der Waterkant-Reihe von Thomas Herzberg mit Kommissaranwärterin Michi Greve als Ermittlerin. Die Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden. Für mich war es der Einstieg in die Reihe.

Thomas Herzberg schreibt locker und bildhaft, was gut zu seinen Krimis passt, die er als leichte Lesekost bezeichnet. Ort der Handlung ist Husum und die nähere Umgebung. Der Autor versteht es, dem Leser die Region näherzubringen und die spezielle Atmosphäre einzufangen. Die Gespräche und Frotzeleien des Ermittlerteams haben mich teilweise sehr amüsiert. Und damit sind wir bei den Charakteren, die in den Hauptrollen überzeugen.

Michaela, Michi, Greve war mir auf Anhieb sympathisch. Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck, liebt Tiere, weiß ihren grantigen Chef zu nehmen und ist eine tüchtige Polizistin Vor allem zeichnet sie ihre Empathie aus. Ihr Kollege Kommissar Ulf Weingärtner besticht durch seine vorbildliche Arbeitsauffassung und seinen bedingungslosen Einsatz, dem er sogar sein Liebesglück, temporär, opfert. Ihr gemeinsamer Chef, der bestens vernetzte Hauptkommissar Kruse, gibt den ultimativen Stinkstiefel, verbirgt hinter dieser Maske aber nur sein großes Herz. Er ist ein talentierter Ermittler mit Biss, der gern mit seinem Rückzug in den Ruhestand droht und mitunter unkonventionell agiert. Die Nebencharaktere fand ich dagegen teilweise etwas blass, besonders die Schurken.

Mein Fazit

„Morden auf Friesisch“ habe ich mir ausgesucht, weil ich gern Regionalkrimis lese und neugierig auf die Gegend war. Für mich als Süddeutsche ist Friesland mindestens so exotisch wie Frankreich. Der Kriminalfall ist gut konstruiert und ermöglicht das Miträtseln. Ich hätte mir noch ein paar Verwicklungen und Wendungen mehr gewünscht, wurde aber gut unterhalten. Spannung und Gewalt sind für einen Cosy Krimi angemessen. Die Auflösung ist zufriedenstellend und beantwortete alle meine Fragen. Besonders gut gefallen hat mir die Chemie innerhalb des Ermittlerteams und der sarkastisch knurrige Umgangston. Immerhin, mit Kruse als Chef klappt es auch mit der Beförderung. Ein paar Einblicke in das Fischereiwesen und die damit verbundene Industrie werden sich auf mein Einkaufsverhalten auswirken. Die Landschaft und das Ambiente wurden so gut vermittelt, dass ich jetzt ernsthaft über einen Frieslandurlaub nachdenke.

Ich gebe eine Leseempfehlung für alle, die leichte Krimikost mit regionalem Touch schätzen. Beim nächsten Fall von (jetzt) Kommissarin Michaela Greve werde ich wieder dabei sein.