Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
clematis

Bewertungen

Insgesamt 29 Bewertungen
Bewertung vom 02.07.2024
Radio Sarajevo (eBook, ePUB)
Sila, Tijan

Radio Sarajevo (eBook, ePUB)


sehr gut

Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes erzählt Tijan Sila vom Krieg, mit seinen Augen, die im zarten Alter von nur zehn Jahren das Verbrechen gesehen haben. Plötzlich herrscht in Bosnien Krieg, Sarajevo wird bombardiert, während man gerade noch genüsslich sein Ohr am Radio hatte und Bon Jovi lauschte. Eindringlich beschreibt der Autor, wie es ihm damals ergangen ist und wie man sich automatisch angepasst hat an die schreckliche Situation.

Dieses Buch spiegelt keine Szenen am Schlachtfeld wider, zeigt keine typischen Kampfhandlungen, nein, dieses Buch erzählt von einem Zehnjährigen, den der Geruch von Sprengstoff ebenso überrascht wie seine Eltern und Nachbarn, den der ohrenbetäubende Lärm ebenso in Aufruhr versetzt wie seine Freunde. Aber – er lernt damit zu leben, lernt, durch Tauschhandel an Essen zu gelangen, lernt, seine Tränen zurückzuhalten, fast fünfundzwanzig Jahre lang, denn der Krieg in einem drinnen, der hört nicht einfach auf, nur weil man nach Deutschland flieht. Sehr authentisch, wenn auch immer wieder eher sachlich und distanziert, lässt uns Tijan Sila teilhaben an seiner Freundschaft mit Sead und Rafik, Burschen, die im selben Grätzel wohnen und daher wie selbstverständlich einer gemeinsamen Bande angehören. Aber der Leser trifft auch auf väterliche Gewalt und schnelles Erwachsenwerden mit der Bürde, den kleinen Bruder zu hüten und sich in Krisenzeiten seinen Platz zu sichern. Traurig und bewundernswert zugleich, welche Strategien zum Zug kommen, wie man das Unvermeidliche zu akzeptieren sucht und zwischendrin noch Platz hat für Humor.

Ein Roman des Verarbeitens, ein Roman zum Erinnern, ein Roman zum Aufrütteln. Kindliche Naivität trifft hier auf ganz plötzlich veränderte Anforderungen, denen man sich stellen muss. Ein erschütterndes Bild aus der Sicht eines Kindes, das viel zu schnell erwachsen wird – lesenswert.

Bewertung vom 01.07.2024
Der Geschmack von Freiheit / Die Glücksfrauen Bd.1 (eBook, ePUB)
Claire, Anna

Der Geschmack von Freiheit / Die Glücksfrauen Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Luise

Berlin, 1936: Drei Freundinnen, Luise als Widerstandskämpferin, Maria als Jüdin und Anni als Freundin eines Gestapo-Mannes halten zwar eng zusammen, denken aber ganz unterschiedlich über die Auswirkungen des Nazi-Regimes. Luise entscheidet sich, nach New York auszuwandern und möchte dort, mit Anteilen ihrer Freundinnen, ein Restaurant eröffnen. Erst rund 85 Jahre später erfährt ihre Enkelin June von Maria und Anni und begibt sich aufgrund von Luises Testament auf Spurensuche.

In unregelmäßiger Abfolge wechselt die Geschichte zwischen dem Zweiten Weltkrieg und 2023. Beide Zeitstränge sind wunderbar zu lesen, werden Anna Claires warmherzige Worte zu lebendigen Erinnerungen an Geschehnisse, welche sich tatsächlich so ähnlich ereignet haben und die Autorin bei ihrer intensiven Recherche inspiriert haben. Ihre Figuren legt die Autorin vielschichtig an, stets sind diese glaubwürdig in ihren Gedanken und Handlungen. Sehr schön kann der Leser auch mitverfolgen, wie sich durch verändernde Situationen die jeweilige Person verändert, wie sich jede für sich arrangiert mit den neuen Gegebenheiten. Der Fokus liegt dabei zum Glück nicht auf detaillierten Nazi-Gräueltaten, sondern auf der Hoffnung, auch wieder eine bessere Welt und schönere Zeiten zu erleben.

Ein sehr herzlicher und lebensbejahender Roman mit vielen sympathischen Figuren, ich bin gespannt, wem ich in Brasilien (Band 2 der Trilogie) begegnen werde.

Bewertung vom 30.06.2024
Die Spur des grünen Leguans (eBook, ePUB)
Paredes, Anna

Die Spur des grünen Leguans (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Gelübde

1863 – 1876: Dorothea, ursprünglich aus Köln, hat sich endlich mit ihrem Leben in Costa Rica arrangiert und hofft, alsbald ihre Jugendliebe Alexander wiederzusehen. Als jedoch Tochter Olivia entführt wird, legt Dorothea ein folgenschweres Gelübde ab. Spannend wie im Band Eins geht es in der vorliegenden Fortsetzung weiter.

Die sympathische junge Ehefrau und Mutter Dorothea spielt auch diesmal die Hauptrolle im Buch, aber auch sämtliche andere Figuren sind ebenso liebevoll und treffend charakterisiert. Dazu kommt die wunderbare Kulisse Costa Ricas mit bunter Tier- und Pflanzenwelt, die niemals zur Ruhe kommt. Dies trifft leider auch auf Dorothea zu, kaum scheint Ordnung in ihrem Leben einzukehren, kommt der nächste Schicksalsschlag. In schillernden Farben erzählt Anna Paredes die bewegende Geschichte über eine ungewöhnliche Ehe, ein mit viel Engagement geführtes Heim für Indigo-Mädchen und die komplizierten Strukturen innerhalb einer Familie. Mit gefühlvollen Worten beschreibt die Autorin unterschiedlichste Empfindungen, sei es jene, eines sich nicht geliebt fühlenden Sohnes, sei es jene, eines unglücklichen Familienvaters. Rasch kann man sich in die so verschiedenen Personen hineinversetzen und deren Stimmung spüren, welche in jeder einzelnen Zeile mitschwingt.

Eine sehr schöne Fortsetzung von Band Eins, den man zwar nicht zwingend gelesen haben muss, empfehlenswert ist es aber allemal. Mich haben beide Teile der Costa-Rica-Saga sehr gut unterhalten. Ich freue mich schon auf weitere Stunden mit Dorothea und allen anderen liebgewonnenen Personen.

Bewertung vom 29.06.2024
Wunder aus Karamell (eBook, ePUB)
Bastin, Luise

Wunder aus Karamell (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Auf den Spuren der Schokolade

Magdalena hat, ebenso wie ihre Eltern und ihr Onkel, ein feines Gespür für die Herstellung von Bonbons und entwickelt neue Süßigkeiten, unterdessen wird ihr nur um ein Jahr jüngerer Bruder Hermann immer mehr zum Störenfried in der Familie. Während auch im deutschen Werther des Nationalsozialismus erstarkt und der Antisemitismus unerträgliche Ausmaße annimmt, ereignen sich auch ganz persönliche Höhen und Tiefen für die Menschen rund um die erfolgreiche Bonbonfabrik.

Wunderbare Bilder, aufregende Szenen, viele reale Elemente inmitten einer fiktiven Handlung – so geht es auch im zweiten Teil der Bonbonsaga weiter. Luise Bastin trifft stets den richtigen Ton, um Figuren und Ereignisse ins rechte Licht zu setzen. Liebevoll kreiert sie eine glaubwürdige Geschichte, in deren Mittelpunkt die Herstellung von feinsten Pralinen steht und haucht den einzelnen Familienmitgliedern entsprechend Leben ein. Neben Eifersucht und Missverständnissen widmen sich viele Seiten der Entstehung neuer süßer Kreationen, und auch wenn hier manches Detail der Phantasie der Autorin entspringt, so ist es nicht minder erstaunlich, wie kompliziert es ist, aus besten Zutaten geschmackliche und optische Harmonie zu erreichen. Aber auch in der Familie sollte Harmonie herrschen, der Leser darf hautnah miterleben, wie sich die einzelnen Figuren weiterentwickeln.

Wiederum spricht Luise Bastin viele Themen der Zeit, diesmal der 1930er-Jahre, an und vermittelt ein detailliertes Bild über die Rolle der Frau und die Judenverfolgung. Wunderbar verflicht sie in diese Kulisse von historischen Fakten eine fiktive Handlung mit Familienzwistigkeiten und einer sehr interessanten Reise nach Spanien und Mexiko, welche spannende Einblicke liefert in die Anfänge des Personenflugverkehrs und insbesondere über die Herkunft der Schokolade und anderen landestypischen Süßwaren. Aber Halt! Ich erzähle ja schon viel zu viel … am besten nimmt man selbst dieses wundervolle Buch zur Hand und lässt sich in die Welt von Karamell und Schokolade entführen!

Bewertung vom 29.06.2024
Kafka und Felice
Hörner, Unda

Kafka und Felice


sehr gut

Verlobt

Man schreibt das Jahr 1912, als Felice Bauer und Franz Kafka zum ersten Mal aufeinandertreffen. Die Entfernung zwischen Prag und Berlin überbrücken die beiden jungen Leute fortan mit zahllosen Briefen, persönliche Treffen finden nur sporadisch statt. Eine besondere Liebe, die Unda Hörner hier wieder zum Leben erweckt.

Chronologisch und übersichtlich gestaltet die Autorin diesen Roman, der aufgrund der Briefe sehr authentisch ist und durch fiktive Szenen abgerundet wird. Treffende Überschriften weisen dem Leser den Weg und heben jene Begebenheiten hervor, welche die eklatanten Unterschiede zwischen Felice und Franz aufzeigen. Sie, eine lebenslustige junge Dame, aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeit bereits mitten im Berufsleben und hoch oben auf der Karriereleiter, einem Tanzabend nie abgeneigt, er, ein verdrossener, schweigsamer, unzufriedener Mensch, der am liebsten ganze Nächte durch beim Schreiben sitzen möchte. („Nur die Nächte mit Schreiben durchrasen, das will ich. Und daran zugrundegehn oder irrsinnig werden.“)

Hörner versteht es, die Atmosphäre ab 1912 und in den darauffolgenden Kriegsjahren bis 1917 einzufangen. Berlin, Prag, Karlsbad oder Marienbad sind klar beschrieben, die wenigen Male, die Felice und Kafka tatsächlich aufeinandertreffen und nicht nur per Brief miteinander parlieren, sind bildhaft in Szenen gesetzt. Wie auch manche Figur im Buch, so fragt man sich beim Lesen, was denn so besonders ist an diesem Kafka, der sich alsbald mit dem Fräulein Bauer verlobt, dann aber immer wieder einen Schritt zurück tut, wenn es um die Hochzeit geht. Bisweilen gerät der Text etwas spröde und langatmig, dem Charakter Kafkas allerdings dürfte das wie ein Spiegelbild gut entsprechen – ein Hin und ein Her, ein Zögern, ein Umentscheiden, in der Realität wohl ein eher schwieriger Zeitgenosse. Und 1917 ist Felice immer noch – nur verlobt.

Interessante Einblicke in die damalige Zeit und in eine eigenwillige Liebe bietet dieser biografische Roman, der eine Realität ohne süßliche Romantik wiedergibt. Vier Sterne für Felice und Franz.

Bewertung vom 28.06.2024
Forgotten Garden (eBook, ePUB)
Gosling, Sharon

Forgotten Garden (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Garten der Gemeinschaft

Nach dem schweren und viel zu frühen Verlust ihres Mannes zieht sich Luisa in sich selbst zurück. Ihren Traum als Landschaftsgärtnerin vernachlässigt sie, von ihrer Chefin wird sie ausgenutzt. Nach etlichen Jahren in einem unhaltbaren Zustand hält der Patenonkel ihres verstorbenen Mannes ein phantastisches Projekt für Luisa bereit: auf einem brachliegenden Grundstück könnte unter Luisas Leitung ein Gemeinschaftsgarten entstehen. Nach anfänglichem Zögern sagt Luisa zu, wird allerdings mit zahlreichen Problemen konfrontiert: insbesondere die Nachbarn des Grundstücks verhalten sich skeptisch, ja ablehnend.

Eine angenehme Sprachmelodie begleitet diesen außergewöhnlichen Roman, der sich mit unterschiedlichen tiefgreifenden Themen beschäftigt. Eine Witwe in ihrer Lebenskrise, ein engagierter Lehrer, der neben dem besagten Gartengrundstück eine Jugendgruppe organisiert und jungen Menschen am Rande der Gesellschaft Halt gibt, Drogen, Liebe, Vertrauen, Zusammenhalt. All das verknüpft Sharon Gosling zu einem wunderbaren Ganzen, das den Leser immer wieder stark berührt. Neben Luisa brillieren auch Cas, der Lehrer und Harper, eine eifrige, aber in widrigen Umständen lebende Schülerin, als wesentliche Figuren, welche die hervorragende Handlung tragen. Liebevoll ausgearbeitet sind aber nicht nur Goslings Personen, auch die Details zur Gestaltung des brachliegenden Areals und die zwischenmenschlichen Beziehungen sind hervorragend dargestellt. Mannigfaltige Emotionen beherrschen das Geschehen und übertragen sich auf den Leser, der anfangs ja gar nicht weiß, wohin die Reise mit Luise führen wird.

Auch wenn vielleicht nicht jede Kleinigkeit ganz realistisch ist, so überwältigt dieser Roman durch seine Zuversicht und Hoffnung. Ich bin sehr positiv überrascht von Sharon Goslings Erzählkunst und empfehle Forgotten Garden gerne weiter.

Bewertung vom 28.06.2024
Mademoiselle Marthe und die Küche der Freiheit (eBook, ePUB)
Renk, Ulrike

Mademoiselle Marthe und die Küche der Freiheit (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Schreiben für Kochschüler

Marthe wächst nach dem Tod ihres Vaters gemeinsam mit ihrer Mutter Julie am Gut der Großmutter Joséphine in den Vogesen auf. Schon früh interessiert sie sich für die Arbeit am Bauernhof, besonders aber für das Kochen und Backen. Voller Eifer verfolgt sie, wie die beiden Frauen frisches Brot backen, würzige Suppen kochen und auch aus den letzten Resten noch schmackhafte, wenn auch einfache Gerichte zaubern. Um Marthe eine ordentliche Schulbildung bieten zu können, zieht Julie mit ihrer Tochter nach Paris und nimmt dort die Stellung einer Hauswirtschafterin bei einer betuchten Familie an. Der Weg in Richtung Kochschule ergibt sich aus Mut zur Veränderung, Tatkraft und nicht zuletzt durch glückliche Fügungen.

Der Roman beschreibt die Zustände im ausklingenden 19. Jahrhundert, die Standesunterschiede sind groß, die Rolle der Frau eine untergeordnete, der technische Fortschritt mit Elektrizität und Weltausstellung in Paris (Stichwort Marsfeld, Eiffelturm) wird mit Argwohn betrachtet. In dieser Welt jedoch werden sich Julie, und insbesondere Marthe, behaupten. Aufgrund weniger historisch belegter Daten zu Marthe Marie Joséphine Distel (1871 – 1934) erschafft Ulrike Renk eine wunderbare und vor allem sehr glaubwürdige Erzählung über die französische Küche und Marthes Talent, interessante Texte zu verfassen. So ist es zwar für die damalige Zeit, nicht aber für Marthe, recht ungewöhnlich, dass sie die Universität besucht und schlussendlich gemeinsam mit ihrer Mutter die Kochschule Cordon Bleu eröffnet und die gleichnamige Kochzeitschrift verlegt. Obwohl das Kochen raffinierter Gerichte und abwechslungsreicher Menüs eine Männerdomäne ist, können sich die beiden Distels erfolgreich durchsetzen und Geschichte schreiben.

Ulrike Renk bedient sich, wie gewohnt, einer sehr ruhigen Schreibweise, konzentriert sich auf ihre Charaktere, denen sie liebevoll und sorgfältig Leben einhaucht. Die authentische Atmosphäre im Buch lässt den Leser auch bei knapp 600 Seiten nicht müde, sondern immer wieder neugierig werden, wie es denn weitergeht und welche Hürden als nächstes zu meistern sind. Zwischendurch gibt es recht viel Wissenswertes zu den damaligen Bedingungen rund ums Zubereiten von Speisen, Kühlschrank und Elektroherd haben ja erst später Einzug gehalten in den Haushalten. Die bildreichen Beschreibungen schon einfachster Küchentätigkeiten wie Gemüseputzen und Zwiebelschneiden sind so klar und detailliert, dass man Appetit bekommt auf Julies Gerichte, egal, ob sie aus schlichten Erdäpfeln bestehen oder exquisiter Hummer gereicht wird. Ebenso sind der Zusammenhalt der Distel-Frauen aus drei Generationen, sowie ihr Durchsetzungsvermögen in einer für Frauen schwierigen Zeit bemerkenswert. Dies kommt durch Renks Darstellungen wunderbar zur Geltung.

Mich hat auch dieses empfehlenswerte Buch aus Ulrike Renks Schaffen sehr gut unterhalten, es wird nicht mein letztes gewesen sein!

Bewertung vom 28.06.2024
Stolz und Vorurteil
Austen, Jane;Kühn, Claudia

Stolz und Vorurteil


sehr gut

Austen illustriert

Wer kennt sie nicht, die bekannte Liebesgeschichte von Jane Austen, welche gleichzeitig Gesellschaftskritik ist? Die fünf Töchter der verarmten Familie Bennet müssen unter die Haube gebracht werden. Als Mr. Bingley auf dem Nachbargut einzieht, wittert Mutter Bennet die große Chance und dann wäre da auch noch der arrogante Mr. Darcy, ebenfalls eine – aus finanzieller Sicht – ausgesprochen gute Partie. Allerdings wird Elizabeth von ihm beleidigt, aber so einen herablassenden Mann würde sie ohnehin nie ehelichen.

Mit sehr schönen Bildern ist dieser Klassiker hier neu zum Leben erweckt, die gedämpften Farben passen wunderbar ins Geschehen und auch die Mimik der Figuren ist gut getroffen. Besonders Mutter Bennet mit ihren „Nerven“ gefällt mir diesbezüglich recht gut, aber auch in Mr. Darcys Gesichtszügen kann man seinen Gesinnungswandel im Laufe der Ereignisse gut erkennen. Sehr hübsch gestaltet sind auch die Übergänge zwischen den Jahreszeiten und die Briefe, allerdings leidet bei letzteren die Lesbarkeit ein wenig aufgrund der zahlreichen Schnörkel. Dass der Text für eine Graphic Novel stark verkürzt wird, liegt auf der Hand, die Handlung ist aber dennoch – nicht zuletzt aufgrund der gelungenen Illustration – gut verständlich, beschränkt sich größtenteils aber auf die Liebesgeschichte und weniger auf sozialkritische Elemente.

Egal, ob für Liebhaber der Jane Austen-Klassiker oder für Neueinsteiger, welche sich vielleicht nicht ganz über das Original trauen mit seinen mehreren hundert Seiten, diese Neugestaltung als Graphic Novel ist jedenfalls empfehlenswert und bezaubert mit wunderbaren Bildern und einer liebenswerten Geschichte.

Bewertung vom 28.06.2024
Bleib
Dieudonné, Adeline

Bleib


sehr gut

Leere

Die Leere nach dem Tod ihres Geliebten will die Ich-Erzählerin, eine Frau ohne Namen, noch ein wenig hinausschieben, die Einsamkeit verdrängen. So endet der gemeinsame Urlaub im Chalet in den französischen Alpen auf recht ungewöhnliche Weise. M. ist tot, aber für sie ist er das nicht. Die Frau spricht mit ihrem Liebhaber, als wäre er noch am Leben, badet ihn, kuschelt sich an seine Seite, ja packt ihn kurzerhand auf die Rückbank ihres Autos und fährt mit ihm durch die schöne Gegend.

Was makaber und wirr klingt, ist alles andere als das. Vielmehr lernt die Protagonistin, mit ihrem großen Verlust umzugehen. Als namenlose Person bleibt sie einerseits dem Leser zwar recht fremd, zeigt aber andererseits ihre tiefsten Gefühle. Briefe an des Geliebten Ehefrau lassen ihre Trauer und ihren Schmerz erträglicher werden, Gedanken an frühere Männer und die Tochter zeichnen ein knappes Bild der ungewöhnlichen Dame. Erst nach einigen Tagen ist sie bereit, loszulassen und allein weiterzuleben.

Eher nüchterne Betrachtungen beleuchten die kurzen Szenen, Rückblicke und Erinnerungen, nicht nur an M., lassen die Figur der zurückgebliebenen Geliebten Kontur annehmen. Ein Roman über das Leben und die Liebe, ein Roman über die Vergänglichkeit – rasch merkt auch der Leser, welch Glück in jedem schönen Moment liegt, wie sehr man dieses auskosten muss.

Ungewöhnlich, skurril, liebevoll, lesenswert.

Bewertung vom 28.06.2024
Dunkles Lavandou / Leon Ritter Bd.6
Eyssen, Remy

Dunkles Lavandou / Leon Ritter Bd.6


ausgezeichnet

Unfreiwillig

Der Lenker eines Schweinetransporters ist erschüttert, als ihm eine vermeintliche Selbstmörderin von einer Brücke vor die Räder springt. Allerdings kommt dem Rechtsmediziner Leon Ritter die Sache spanisch vor. Nicht alle Verletzungen können dem Unfall zugeordnet werden, vieles deutet auf Folter an den Tagen zuvor hin, der Sprung war womöglich gar nicht freiwillig.

Ein neuer, spannender Fall erreicht den Leser, zuweilen grausame Behandlungen junger, gefangener Mädchen, verquickt mit dem prachtvollen Lavandou mit seinen duftenden Pinien und alten Korkeichen, dem Rosé und dem weiten Meer. So nimmt der Autor dem Geschehen die ärgsten Spitzen der Brutalität und lenkt die Aufmerksamkeit auch immer wieder auf die schönen Dinge des Lebens und die Einzigartigkeit dieses wunderbaren Fleckens von Frankreich. Egal, ob man schon etwas aus der Reihe Leon Ritter gelesen hat oder nicht, rasch ist man gefangen von Remy Eyssens Zeilen, seine Art zu schreiben gefällt mir jedes Mal aufs Neue und lässt mich den Alltag rundum vergessen. Mit äußerst lebhaften Figuren, insbesondere dem charakterstarken, gelassenen Médecin Légiste (Rechtsmediziner), schafft der Autor eine glaubwürdige Atmosphäre. Der aufwühlende Fall bringt alle Ermittler an ihre Grenzen, besonders, weil bald auch die Tochter des Kultusministers verschwunden ist. Aber es wäre nicht Ritter, wenn er nicht auch diesmal die Polizei – und seine Lebensgefährtin Isabelle Morell, Capitaine der Gendarmerie nationale – tatkräftig unterstützen und auf die rechte Fährte lenken würde.

Wer gut durchdachte Krimis sucht und dazu eine tolle (Urlaubs)Stimmung, der liegt mit der Leon-Ritter-Reihe stets richtig. Alle Teile sind unabhängig voneinander lesbar, in sich abgeschlossen und gut verständlich. Mir liefern sie immer wieder beste Unterhaltung!