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Tsubame

Bewertungen

Insgesamt 59 Bewertungen
Bewertung vom 11.05.2025
Fox, Candice

Devil's Kitchen


weniger gut

Das war leider nix

Ich lese nicht so oft Thriller, weil ich von diesen schon oft enttäuscht worden bin. Aber von der Autorin Candice Fox hatte ich bereits gehört und da diese so viele begeisterte Leserinnen und Leser hat, wollte ich einen Versuch wagen.

Es geht um eine Eliteeinheit der New Yorker Feuerwehr, welche unter dem Vorwand Brände zu löschen, geeignete Räumlichkeiten ausspäht, um diese zu einem späteren Zeitpunkt auszurauben. Doch als die Freundin eines der Feuerwehrmänner samt Sohn verschwindet, verdächt dieser (Ben) seine Kollegen und liefert sein Team ans Messer.
Das FBI schleust die freiberuflich tätige Ermittlerin Andy Nearland ein, die die Männer überführen soll.

Was soll ich sagen? Ich fand das Buch einfach grauenhaft. Richtige Spannung wollte sich nicht einstellen, statt dessen Verwunderung darüber, was diese "Superheldin" so alles kann und wie ernst sie ihre Rolle nimmt (Sie legt sich etwa nackt in Bens Bett, sollte zufällig einer seiner Kollegen nachts vorbeischauen, um ihre Tarnung aufrecht zu erhalten).
Klar gibt es auch eine Sex-Szene zwischen den beiden, die das Buch nicht eben bereichert. Die Sprache der Feuerwehrmänner ist derb und vulgär, sie wirken wie Stereotype aus einem amerikanischen B-Movie. Die Ermittlerin Andy wirkt wie eine wandelnde Sexbombe mit Superkräften und zu Ben konnte ich mir überhaupt kein richtiges Bild machen.

Ich fand den Thriller auch irgendwie langweilig. Es gibt viele wirre Aktionen, aber keinen Spannungsbogen, statt dessen stolpert Andy urplötzlich über die Lösung. Auf mich wirkte das alles irgendwie zusammengeschustert und warum eine australische Autorin ausgerechnet über eine amerikanische Feuerwehreinheit schreiben muss, ist mir ebenfalls nicht klar.

Mein erster Thriller von Candice Fox wird daher leider auch mein letzter bleiben.

Bewertung vom 01.05.2025
Andrea, Jean-Baptiste

Was ich von ihr weiß


gut

Ich fand's leider eher langweilig ...

Von dem Autor Jean-Baptiste Andrea hatte ich bereits viel Gutes gehört und musste mich daher unbedingt um sein neuestes Werk, das noch dazu mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, bewerben.

Die Geschichte startet auch ganz interessant. Man lernt den kleinwüchsigen Michelangelo, genannt Mimo, kennen, der aus ärmlichen Verhältnissen stammt und zu einem der berühmtesten Bildhauer Italiens aufsteigen wird. Im Ort seines Onkels, der anstatt ihn auszubilden, Mimo eher wie einen Sklaven hält, lernt dieser Viola, die überdurchschnittlich intelligente und wissensdurstige Tochter der alt eingesessenen Adelsfamilie Orsini kennen. Die beiden nicht nur optisch sehr verschiedenen Jugendlichen freunden sich an und treffen sich nachts heimlich auf dem Friedhof, für dessen Gräber Viola eine geheime Schwäche hat.

Als Leser(in) begleitet man Mimo durch die politischen Umwälzungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es verschlägt ihn nach Florenz und nach Rom, er fertigt Arbeiten für die Kirche, später auch für das faschistische Regime unter Mussolini an. Doch immer wieder zieht es ihn zurück zu seiner Jugendfreundin Viola, die ihm, dem politischen Mitläufer, mehr als einmal gehörig die Leviten liest.

Zu Beginn der Geschichte liegt Mimo im Sterben und erzählt sein Leben in Rückblenden. Immer wieder ist auch die Rede von einer geheimnisvollen Statue, die in den Tiefen der Kirche verborgen ist, da ihr Anblick eine verstörende Wirkung auf ihre Betrachter hat.

Das alles klingt mysteriös und spannend, plätschert aber leider recht unspektakulär dahin, so dass sich bei mir nach einiger Zeit eine gewisse Langeweile einstellte. Ich bin mir sicher, dass Jean Baptiste Andrea ein großer Erzähler ist, aber mit dieser Geschichte konnte er mich leider nicht überzeugen.

Bewertung vom 01.05.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


sehr gut

Nach ca. 200 Seiten ein echter Pageturner

Die Geschichte startet mit Louise. Louise ist eine der Betreuerinnen in Camp Emerson, wo ein Haufen KInder und Jugendlicher an einem Sommercamp teilnimmt. Beim morgendlichen Wecken muss sie feststellen, dass eins der Betten leer ist. Verschwunden ist ausgerechnet die 13-jährige Barbara, Tochter der einflussreichen Familie Van Laar, der das Naturreservat gehört. Doch nicht nur das: Vor 14 Jahren verschwand bereits ihr Bruder Bear in der Wildnis und tauchte auch nach groß angelegter Suche nicht wieder auf.

Während der erste Teil zwischen den Monaten Juli und August des Jahres 1975 hin und her springt und sich mit der Zeit "vor" und "nach" Barbaras Verschwinden beschäftigt, geht es im zweiten Teil bis in die 1950er Jahre zurück und man lernt Alice, die Mutter der KInder näher kennen: wie sie ihren späteren Mann Peter kennenlernte und mit gerade einmal siebzehn Jahren in die Familie Van Laar einheiratete.

Auch die Suche nach Bear im Jahr 1961 wird näher beleuchtet und immer sind es ein paar einzelne Personen, deren Sicht geschildert wird.

Nach etwa 200 Seiten war ich so richtig "drin" in der Geschichte und habe gespannt verfolgt, wie sich die Beteiligten entwickeln und natürlich gerätselt, wer von ihnen mit dem Verschwinden der KInder zu tun haben könnte. Auch ein entflohener Sträfling, genannt "der Schlitzer" steht unter Verdacht oder war es vielleicht der Großvater, mit dem der Junge wandern wollte?

Liz Moore hat zahlreiche Fährten gelegt, auf die Lösung kommt man trotzdem nicht. Das ist auch gut so, denn schließlich hat ihr Spannungsroman 588 Seiten. Da wäre es arg enttäuschend, wenn man bereits nach der Hälfte beide Fälle gelöst hätte.

Doch "Der Gott des Waldes" ist nicht nur ein Krimi, sondern auch eine interessante Milieustudie. Da gibt es auf der einen Seite die reichen Van Laars und auf der anderen Seite die Bewohner des nächstgelegenen Ortes, die wirtschaftlich alle von der Familie abhängig sind.

Ich mochte das Buch und seine Auflösung. Für mich war es ein fesselnder Schmöker, der mich nicht nur gut unterhalten hat, sondern auch mit einem überraschenden und schlüssigen Ende aufwarten kann.

Bewertung vom 01.05.2025
Williams , Niall

Das ist Glück


ausgezeichnet

Perfekte Osterlektüre

Die Geschichte beginnt mit der Beschreibung aller erdenklichen Formen von Regen, wie er typisch für Irland ist, der aber eines Tages, in der Karwoche des Jahres 1958, auf einen Schlag versiegt. Zunächst bemerkt niemand die Veränderung, doch allmählich gewöhnt man sich an das schöne Wetter. Im selben Jahr kommt auch der Strom nach Faha, einer kleinen irischen Gemeinde, in der die Geschichte spielt.

Man sollte sich für die Geschichte Zeit nehmen, denn man erfährt nicht nur, woher die Bäume kommen, aus denen die Strommasten gefertigt wurden und wie diese anschließend überall aufgestellt werden, man erfährt auch, wie die Verträge mit den Bewohnern zustande kommen (oder eben auch nicht) und etliches mehr. Der Roman enthält eine Fülle von Abschweifungen, durch die man allerdings viel über das alte Irland, seine Bewohner und deren Eigenheiten erfährt.

Das macht das Buch liebenswert und man hätte meiner Meinung nach keinen besseren Sprecher als Helge Heynold wählen können, der die Geschichte so lebendig umsetzt als wären es seine eigenen Erinnerungen, von denen er da erzählt. Heynold erzählt aus der Perspektive von Noel, der als 17jähriger zu seinen Großeltern kommt, da seine Mutter gestürzt ist und nun erst einmal genesen soll. Das Priesterseminar hat er vorerst geschmissen, da er vom Glauben abgekommen ist und nun erlebt er in Faha ein aufregendes Jahr, das er als über 70jähriger noch einmal Revue passieren lässt.

Wer hier jetzt "Action" erwartet, wird sicherlich enttäuscht werden, vielmehr handelt das (Hör)buch von all den Dingen im Leben, die einen prägen - seien es Freundschaften, die erste Liebe, Tod und Verlust - all diese Themen sind in dem Roman von Niall Williams enthalten. Ich fand das sehr anrührend und war froh, dass ich mich für das Hörbuch entschieden habe.

Bewertung vom 02.04.2025
Gregor, Susanne

Halbe Leben


sehr gut

Es ist kompliziert

Klara, erfolgreiche Angestellte eines Architekturbüros, Mutter einer pubertierenden Tochter und Ehefrau eines erfolglosen Fotografen, gerät aus dem Tritt als ihre Mutter Irene einen Schlaganfall erleidet und mit einem Male pflegebedürftig ist. Eine Lösung muss her, organisiert von einer Agentur, die der Familie in einem Turnus von 14 Tagen 2 Pfleger(innen) aus der Slowakei schickt.

Die eine, Paulína, entwickelt sich schon bald zu einer unersetzbaren Hilfe, die man auch schon mal um ein paar Extra-Gefallen bittet - gut bezahlt, versteht sich.

Eigentlich sollten beide Seiten von diesem Arrangement profitieren. Klara kann weiter arbeiten gehen und die Verantwortung für ihre Mutter an die Pflegekraft abgeben und Paulina verdient in Österreich mehr als das in ihrer Heimat möglich gewesen wäre und spart auf eine größere Wohnung.

Das Problem ist nur, dass Paulina 2 Söhne in der Slowakei zurücklassen musste, die sie jetzt nur noch alle 14 Tage sieht und die sich durch die lange Trennung immer mehr von ihrer Mutter entfremden.

Am Ende der Geschichte steht der Unfalltod Klaras, der von der Erzählerin aber bereits vorweggenommen wird. Doch war es auch wirklich ein Unfall?

"Halbe Leben" lautet der Titel dieses lesenswerten Romans und er macht deutlich, dass nicht nur die beruftstätige Klara einen Balanceakt zwischen Beruf und Familie hinkriegen muss, sondern vor allem Paulina, die durch den stetigen Wechsel zwischen Zuhause und österreichischem Arbeitgeber in eine ernsthafte Krise gerät.

Man kann sich gut in ihre Situation hineinversetzen. Daneben wirkt Klaras Problem schon wieder fast wie ein "Luxusproblem", denn immerhin hat sie das nötige Geld und einen Partner, die es ihr ermöglichen, "Lösungen" für ihr Dilemma zu finden.

Bewertung vom 02.04.2025
Murrin, Alan

Coast Road


ausgezeichnet

In Irland mahlen die Mühlen langsamer als in anderen Ländern, zumindest was die eheliche Scheidung angeht. "Erst am 25. November 1995 stimmte das irische Volk mittels Referendum über die Abschaffung des Ehescheidungsverbots in der Verfassung ab", kann man am Ende des Romans von Alan Murrin lesen. Die Mehrheit denkbar knapp: Weniger als einen Prozenpunkt soll diese betragen haben.

Was für Auswirkungen solch ein Ehescheidungsverbot auf Paare und Familien hatte, schildert der Autor packend in seinem Debütroman "Coast Road".
Da ist zum einen Colette Crowley, Dichterin und Mutter dreier Söhne, die ihre Familie für einen anderen Mann verließ und nun nicht mehr zu diesen zurück kann. Sie mietet sich in einem kleinen Cottage an der Coast Road ein und bietet Schreibkurse für Interessierte an, um sich finanziell über Wasser zu halten. Colette ist attraktiv und schon bald beginnen die ersten Männer des Ortes um ihr Haus herumzuschleichen.

Eine andere Frau aus dem Ort, Izzy Keaveney, ist mit einem Lokalpolitiker verheiratet, der sich für die Legalisierung der Scheidung einsetzt. Izzy ist die meiste Zeit unglücklich in ihrer Ehe und besucht den Schreibkurs von Colette. Ihr Sohn war einst mit Colettes Jüngstem befreundet und so versucht Colette über Izzy Kontakt zu diesem aufzunehmen. Denn ihr Mann hat ihr jeglichen Umgang mit den Kindern untersagt.

Und dann ist da noch Dolores Mullen, die ihr viertes Kind erwartet und mit einem Mann verheiratet ist, der es mit der ehelichen Treue nicht so genau nimmt...

Ich fand die Geschichte sehr spannend zu lesen und da ich selbst die ersten 15 Jahre in einer Kleinstadt groß geworden bin, kam mir einiges bekannt vor. In Deutschland galt bis zum Inkrafttreten der Reform von 1976 im Ehescheidungsverfahren noch das Schuldprinzip und Frauen durften davor nicht ohne Erlaubnis ihres Mannes arbeiten gehen.

Das alles kann man sich heute gar nicht mehr richtig vorstellen, war aber für die betroffenen Frauen damals ausgesprochen einschränkend und schmerzhaft.

Ich bin daher froh, dass sich ein irischer Autor, der inzwischen in Berlin lebt, dieses Themas angenommen hat. Denn man sollte nie vergessen, wie unfrei Frauen vor gar nicht einmal so langer Zeit noch waren, damit man alles dafür tut, dass es nie-nie-mals wieder so wird!

Bewertung vom 02.04.2025
Bußmann, Nina

Drei Wochen im August


gut

Zwei Frauen, Elena, eine Mutter zweier Kinder und Eve, ihre Babysitterin, verbringen drei Wochen in einem Ferienhaus am Meer.

Das Buch erzählt abwechselnd aus der Sicht der beiden Frauen, schildert ihre Beobachtungen und Einschätzungen verschiedener Situationen und beleuchtet ihre Beziehung. Während Elena sich ein freundschftliches Verhältnis zu Eve wünscht, sieht diese in Elena hauptsächlich ihre Arbeitgeberin und lässt sich den Aufenthalt vergüten.

Während Elenas Ehemann aus beruflichen Gründen zu Hause geblieben ist, durfte ihre Tochter Linn ihre Freundin Noémi mitnehmen.

Während die 5 Personen mit einander interagieren, werden sie von Elena und Eve taxiert, analysiert und interpretiert, ohne dass sie sich ihre Gefühle und Gedanken direkt mitteilen würden. Als Leser(in) weiß man eigentlich nie, was wirklich Sache ist, weil Situationen von den beiden Frauen mitunter unterschiedlich bewertet werden.

Etwas Bedrohliches klingt unterschwellig mit, was durch die sommerlichen Waldbrände in der Ferne noch untermalt wird. Schließlich tauchen noch zwei Fremde auf, was zu neuen Dynamiken in der Gruppe führt.

Die Geschichte liest sich fast atemlos, obwohl nichts Weltbewegendes passiert. Man bekommt nur ständig das Gefühl vermittelt, dass überall Gefahr lauert, was einen beim Lesen bei der Stange hält. Leider ist die Geschichte meiner Meinung nach einen Tick zu lang geraten, so dass sich zum Ende hin Ermüdung einstellt.

Ich vermute, es ging der Autorin darum, aufzuzeigen, wie wenig man sein Gegenüber - und seien es auch die eigenen Kinder - eigentlich kennt, wie nah Freundschaft und Rivalität bei einander liegen und wie unterschiedlich Wahrnehmungen ein und der selben Situation sein können.

Bewertung vom 07.09.2024
Jennett, Meagan

Du kennst sie


schlecht

Not my cup of tea

Ich muss leider sagen, dass ich mit dem Thriller "Du kennst sie" von Meagan Jennett überhaupt nicht warm geworden bin, obwohl ich die ursprüngliche Idee dahinter eigentlich interessant fand:

Eine junge Frau, die als Barfrau arbeitet und tagein tagaus von betrunkenen Männern angemacht, begrabscht oder beschimpft wird, hat mit einem Male die Nase voll, als ein Stammkunde und Freund des Hauses ihr nach einem anstrengenden Silvesterabend den letzten Rest eines teuren Rotweins einfach wegtrinkt und sie danach auch noch belästigt. Sie bringt ihn um und mordet von da an fleißig weiter.

Daneben lernt man als Leser(in) eine farbige Polizistin kennen, die es in der Männerwelt schwer hat, sich zu behaupten und die sich mit der Barkeeperin anfreundet, ohne zunächst zu ahnen, mit wem sie es zu tun hat.

Ich weiß einen Thriller durchaus zu schätzen, wenn er intelligent gemacht ist und sich das "Gemetzel" in Grenzen hält. Hier aber wurde mir detailliert erklärt, wie man einen Mann am besten tötet, auch wenn man nicht die körperliche Stärke und Größe dafür mitbringt.

Auch dass sich irgendwelche imaginierten "Milben" unter der Haut der Protagonistin regen und sie zum Morden drängen, fand ich höchst seltsam. Ticken Frauen so? Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen.

Last but not least fand ich die Geschichte langatmig und wenig fesselnd.
Am besten hat mir eigentlich das Cover gefallen. Dass man die Rillen vom Cocktail-Glas ertasten kann und dahinter das Gesicht der Barkeeperin verschwommen aufleuchtet, fand ich raffiniert und echt gut gemacht!

Bewertung vom 26.08.2024
Turpeinen, Iida

Das Wesen des Lebens


sehr gut

Gejagt, aufgegessen, gesammelt und ausgerottet

Lange Zeit hat der Mensch nicht glauben können, dass er dafür verantwortlich ist, dass viele Tierarten vom Erdboden verschwunden sind.

Selbst die Wandertaube, einst der häufigste Vogel Amerikas, möglicherweise der ganzen Welt, gilt seit langem als ausgestorben. 1901 wurde das letzte Exemplar vom Himmel geschossen.

Am Beispiel der Stellarschen Seekuh zeigt die finnische Autorin Iida Turpeinen auf, wie eine Art verschwindet. 1741 entdeckt der deutsche Arzt und Naturwissenschaftler Georg Wilhelm Stellar auf einer Expedition unter Vitus Bering auf einer Insel die Seekühe. Nach wochenlanger Irrfahrt durch die Beringsee ist die Mannschaft ausgehungert, leidet unter Skorbut und gerät in einen regelrechten Rausch, als sie auf die sanftmütigen Riesen stößt, die keine Angst kennen und deren zartes Fleisch wie Kalbfleisch auf der Zunge zergeht. Man tötet wesentlich mehr Exemplare als man überhaupt verzehren kann und lässt den Rest im Wasser einfach verrotten. Gier und Verschwendung sind vorherrschend, das Wort "Nachhaltigkeit" existiert noch nicht. Als Gottes Schöpfung gilt die Natur als unerschöpflich. Nach den Entdeckern und Wissenschaftlern kommen die Pelztierjäger und bereits 27 Jahre nach ihrer Entdeckung ist die Stellarsche Seekuh ausgerottet.

Das Skelett, das Georg Wilhelm Stellar einst auf der Insel zurücklassen musste, wird später gefunden und von dem finnischen Gouverneur im damals russischen Alaska käuflich erworben. Auch seine Geschichte und die seiner Frau und Schwester erzählt Iida Turpeinen in dem vorliegenden Roman und folgt dem Weg des Skeletts bis ins Naturkundemuseum von Helsinki.

Man kann erahnen, aus wievielen Einzelinformationen und Fußnoten die Autorin die Geschichte entwickelt hat. Das ist einerseits eine großartige Rechercheleistung und macht das Buch zu einem authentischen naturkundlichen Werk, andererseits erlahmte mein Interesse zum Ende hin, weil man es immer wieder mit neuen Personen zu tun bekommt. Dadurch wirkte der literarische Part irgendwie zerstückelt, auch wenn man viel Interessantes zur Seekuh und den damaligen Menschen erfährt. Wenn man etwa liest, dass die Damen der feinen Gesellschaft ihre getragenen Kleider einfach über Bord warfen, weil dies einfacher und kostengünstiger war, so muss man resigniert feststellen, dass sich in dieser Beziehung bis heute wenig geändert hat.

Ich mochte die gemächliche Erzählweise Iida Turpeinens, auch wenn das Buch dadurch nicht gerade ein "Pageturner" ist. Es ist ein interessantes Experiment, Naturwissenschaft und Literatur miteinander zu vereinen.

Bewertung vom 14.08.2024
Lind, Jessica

Kleine Monster


sehr gut

Wie gut kennt man sein eigenes Kind?

Pia und Jakob werden von der Lehrerin ihres Sohnes Luca in die Schule gebeten, da es einen Vorfall mit einem Mädchen gegeben habe.

Diese Aussage weckt in Pia Zweifel, inwieweit sie ihrem Sohn vertrauen kann. Auf der einen Seite möchte sie Luca glauben, auf der anderen Seite weiß sie um Dinge aus ihrer Vergangenheit, auf die sie bis heute keine eindeutigen Antworten gefunden hat. Damals ist ihre jüngste Schwester Linda im See ertrunken. Nur ihre Adoptivschwester Romie war dabei. Ein Unfall oder steckte vielleicht doch noch mehr dahinter?

In Pia beginnt es zu arbeiten. Sie beobachtet ihren Sohn mit Argusaugen, kontrolliert ihn, interpretiert Dinge in sein Verhalten und setzt ihn unter Druck, damit er ihr die ganze Wahrheit erzählt. Gleichzeitig erinnert sie sich an ihre eigene Kindheit. Das verdrängte und in der Familie nie aufgearbeitete Trauma drängt mit aller Macht an die Oberfläche. Kontakt zu Romie hat sie nicht mehr, folgt dieser aber auf Instagram, sucht nach Ähnlichkeiten zwischen ihr und Luca.

Das Buch hat eine unglaubliche Sogkraft, die von der Autorin bis zum Ende aufrecht erhalten wird. Auch als Leser(in) fragt man sich ständig "Was ist passiert? Wem kann man glauben? Gibt es sowas wie Kleine Monster?"

Ich fand den Roman von Jessica Lind spannender als so manchen Krimi und hoffe, sie schreibt auch weiterhin so kluge Romane.