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Tsubame

Bewertungen

Insgesamt 55 Bewertungen
Bewertung vom 02.04.2025
Halbe Leben
Gregor, Susanne

Halbe Leben


sehr gut

Es ist kompliziert

Klara, erfolgreiche Angestellte eines Architekturbüros, Mutter einer pubertierenden Tochter und Ehefrau eines erfolglosen Fotografen, gerät aus dem Tritt als ihre Mutter Irene einen Schlaganfall erleidet und mit einem Male pflegebedürftig ist. Eine Lösung muss her, organisiert von einer Agentur, die der Familie in einem Turnus von 14 Tagen 2 Pfleger(innen) aus der Slowakei schickt.

Die eine, Paulína, entwickelt sich schon bald zu einer unersetzbaren Hilfe, die man auch schon mal um ein paar Extra-Gefallen bittet - gut bezahlt, versteht sich.

Eigentlich sollten beide Seiten von diesem Arrangement profitieren. Klara kann weiter arbeiten gehen und die Verantwortung für ihre Mutter an die Pflegekraft abgeben und Paulina verdient in Österreich mehr als das in ihrer Heimat möglich gewesen wäre und spart auf eine größere Wohnung.

Das Problem ist nur, dass Paulina 2 Söhne in der Slowakei zurücklassen musste, die sie jetzt nur noch alle 14 Tage sieht und die sich durch die lange Trennung immer mehr von ihrer Mutter entfremden.

Am Ende der Geschichte steht der Unfalltod Klaras, der von der Erzählerin aber bereits vorweggenommen wird. Doch war es auch wirklich ein Unfall?

"Halbe Leben" lautet der Titel dieses lesenswerten Romans und er macht deutlich, dass nicht nur die beruftstätige Klara einen Balanceakt zwischen Beruf und Familie hinkriegen muss, sondern vor allem Paulina, die durch den stetigen Wechsel zwischen Zuhause und österreichischem Arbeitgeber in eine ernsthafte Krise gerät.

Man kann sich gut in ihre Situation hineinversetzen. Daneben wirkt Klaras Problem schon wieder fast wie ein "Luxusproblem", denn immerhin hat sie das nötige Geld und einen Partner, die es ihr ermöglichen, "Lösungen" für ihr Dilemma zu finden.

Bewertung vom 02.04.2025
Coast Road
Murrin, Alan

Coast Road


ausgezeichnet

In Irland mahlen die Mühlen langsamer als in anderen Ländern, zumindest was die eheliche Scheidung angeht. "Erst am 25. November 1995 stimmte das irische Volk mittels Referendum über die Abschaffung des Ehescheidungsverbots in der Verfassung ab", kann man am Ende des Romans von Alan Murrin lesen. Die Mehrheit denkbar knapp: Weniger als einen Prozenpunkt soll diese betragen haben.

Was für Auswirkungen solch ein Ehescheidungsverbot auf Paare und Familien hatte, schildert der Autor packend in seinem Debütroman "Coast Road".
Da ist zum einen Colette Crowley, Dichterin und Mutter dreier Söhne, die ihre Familie für einen anderen Mann verließ und nun nicht mehr zu diesen zurück kann. Sie mietet sich in einem kleinen Cottage an der Coast Road ein und bietet Schreibkurse für Interessierte an, um sich finanziell über Wasser zu halten. Colette ist attraktiv und schon bald beginnen die ersten Männer des Ortes um ihr Haus herumzuschleichen.

Eine andere Frau aus dem Ort, Izzy Keaveney, ist mit einem Lokalpolitiker verheiratet, der sich für die Legalisierung der Scheidung einsetzt. Izzy ist die meiste Zeit unglücklich in ihrer Ehe und besucht den Schreibkurs von Colette. Ihr Sohn war einst mit Colettes Jüngstem befreundet und so versucht Colette über Izzy Kontakt zu diesem aufzunehmen. Denn ihr Mann hat ihr jeglichen Umgang mit den Kindern untersagt.

Und dann ist da noch Dolores Mullen, die ihr viertes Kind erwartet und mit einem Mann verheiratet ist, der es mit der ehelichen Treue nicht so genau nimmt...

Ich fand die Geschichte sehr spannend zu lesen und da ich selbst die ersten 15 Jahre in einer Kleinstadt groß geworden bin, kam mir einiges bekannt vor. In Deutschland galt bis zum Inkrafttreten der Reform von 1976 im Ehescheidungsverfahren noch das Schuldprinzip und Frauen durften davor nicht ohne Erlaubnis ihres Mannes arbeiten gehen.

Das alles kann man sich heute gar nicht mehr richtig vorstellen, war aber für die betroffenen Frauen damals ausgesprochen einschränkend und schmerzhaft.

Ich bin daher froh, dass sich ein irischer Autor, der inzwischen in Berlin lebt, dieses Themas angenommen hat. Denn man sollte nie vergessen, wie unfrei Frauen vor gar nicht einmal so langer Zeit noch waren, damit man alles dafür tut, dass es nie-nie-mals wieder so wird!

Bewertung vom 02.04.2025
Drei Wochen im August
Bußmann, Nina

Drei Wochen im August


gut

Zwei Frauen, Elena, eine Mutter zweier Kinder und Eve, ihre Babysitterin, verbringen drei Wochen in einem Ferienhaus am Meer.

Das Buch erzählt abwechselnd aus der Sicht der beiden Frauen, schildert ihre Beobachtungen und Einschätzungen verschiedener Situationen und beleuchtet ihre Beziehung. Während Elena sich ein freundschftliches Verhältnis zu Eve wünscht, sieht diese in Elena hauptsächlich ihre Arbeitgeberin und lässt sich den Aufenthalt vergüten.

Während Elenas Ehemann aus beruflichen Gründen zu Hause geblieben ist, durfte ihre Tochter Linn ihre Freundin Noémi mitnehmen.

Während die 5 Personen mit einander interagieren, werden sie von Elena und Eve taxiert, analysiert und interpretiert, ohne dass sie sich ihre Gefühle und Gedanken direkt mitteilen würden. Als Leser(in) weiß man eigentlich nie, was wirklich Sache ist, weil Situationen von den beiden Frauen mitunter unterschiedlich bewertet werden.

Etwas Bedrohliches klingt unterschwellig mit, was durch die sommerlichen Waldbrände in der Ferne noch untermalt wird. Schließlich tauchen noch zwei Fremde auf, was zu neuen Dynamiken in der Gruppe führt.

Die Geschichte liest sich fast atemlos, obwohl nichts Weltbewegendes passiert. Man bekommt nur ständig das Gefühl vermittelt, dass überall Gefahr lauert, was einen beim Lesen bei der Stange hält. Leider ist die Geschichte meiner Meinung nach einen Tick zu lang geraten, so dass sich zum Ende hin Ermüdung einstellt.

Ich vermute, es ging der Autorin darum, aufzuzeigen, wie wenig man sein Gegenüber - und seien es auch die eigenen Kinder - eigentlich kennt, wie nah Freundschaft und Rivalität bei einander liegen und wie unterschiedlich Wahrnehmungen ein und der selben Situation sein können.

Bewertung vom 07.09.2024
Du kennst sie
Jennett, Meagan

Du kennst sie


schlecht

Not my cup of tea

Ich muss leider sagen, dass ich mit dem Thriller "Du kennst sie" von Meagan Jennett überhaupt nicht warm geworden bin, obwohl ich die ursprüngliche Idee dahinter eigentlich interessant fand:

Eine junge Frau, die als Barfrau arbeitet und tagein tagaus von betrunkenen Männern angemacht, begrabscht oder beschimpft wird, hat mit einem Male die Nase voll, als ein Stammkunde und Freund des Hauses ihr nach einem anstrengenden Silvesterabend den letzten Rest eines teuren Rotweins einfach wegtrinkt und sie danach auch noch belästigt. Sie bringt ihn um und mordet von da an fleißig weiter.

Daneben lernt man als Leser(in) eine farbige Polizistin kennen, die es in der Männerwelt schwer hat, sich zu behaupten und die sich mit der Barkeeperin anfreundet, ohne zunächst zu ahnen, mit wem sie es zu tun hat.

Ich weiß einen Thriller durchaus zu schätzen, wenn er intelligent gemacht ist und sich das "Gemetzel" in Grenzen hält. Hier aber wurde mir detailliert erklärt, wie man einen Mann am besten tötet, auch wenn man nicht die körperliche Stärke und Größe dafür mitbringt.

Auch dass sich irgendwelche imaginierten "Milben" unter der Haut der Protagonistin regen und sie zum Morden drängen, fand ich höchst seltsam. Ticken Frauen so? Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen.

Last but not least fand ich die Geschichte langatmig und wenig fesselnd.
Am besten hat mir eigentlich das Cover gefallen. Dass man die Rillen vom Cocktail-Glas ertasten kann und dahinter das Gesicht der Barkeeperin verschwommen aufleuchtet, fand ich raffiniert und echt gut gemacht!

Bewertung vom 26.08.2024
Das Wesen des Lebens
Turpeinen, Iida

Das Wesen des Lebens


sehr gut

Gejagt, aufgegessen, gesammelt und ausgerottet

Lange Zeit hat der Mensch nicht glauben können, dass er dafür verantwortlich ist, dass viele Tierarten vom Erdboden verschwunden sind.

Selbst die Wandertaube, einst der häufigste Vogel Amerikas, möglicherweise der ganzen Welt, gilt seit langem als ausgestorben. 1901 wurde das letzte Exemplar vom Himmel geschossen.

Am Beispiel der Stellarschen Seekuh zeigt die finnische Autorin Iida Turpeinen auf, wie eine Art verschwindet. 1741 entdeckt der deutsche Arzt und Naturwissenschaftler Georg Wilhelm Stellar auf einer Expedition unter Vitus Bering auf einer Insel die Seekühe. Nach wochenlanger Irrfahrt durch die Beringsee ist die Mannschaft ausgehungert, leidet unter Skorbut und gerät in einen regelrechten Rausch, als sie auf die sanftmütigen Riesen stößt, die keine Angst kennen und deren zartes Fleisch wie Kalbfleisch auf der Zunge zergeht. Man tötet wesentlich mehr Exemplare als man überhaupt verzehren kann und lässt den Rest im Wasser einfach verrotten. Gier und Verschwendung sind vorherrschend, das Wort "Nachhaltigkeit" existiert noch nicht. Als Gottes Schöpfung gilt die Natur als unerschöpflich. Nach den Entdeckern und Wissenschaftlern kommen die Pelztierjäger und bereits 27 Jahre nach ihrer Entdeckung ist die Stellarsche Seekuh ausgerottet.

Das Skelett, das Georg Wilhelm Stellar einst auf der Insel zurücklassen musste, wird später gefunden und von dem finnischen Gouverneur im damals russischen Alaska käuflich erworben. Auch seine Geschichte und die seiner Frau und Schwester erzählt Iida Turpeinen in dem vorliegenden Roman und folgt dem Weg des Skeletts bis ins Naturkundemuseum von Helsinki.

Man kann erahnen, aus wievielen Einzelinformationen und Fußnoten die Autorin die Geschichte entwickelt hat. Das ist einerseits eine großartige Rechercheleistung und macht das Buch zu einem authentischen naturkundlichen Werk, andererseits erlahmte mein Interesse zum Ende hin, weil man es immer wieder mit neuen Personen zu tun bekommt. Dadurch wirkte der literarische Part irgendwie zerstückelt, auch wenn man viel Interessantes zur Seekuh und den damaligen Menschen erfährt. Wenn man etwa liest, dass die Damen der feinen Gesellschaft ihre getragenen Kleider einfach über Bord warfen, weil dies einfacher und kostengünstiger war, so muss man resigniert feststellen, dass sich in dieser Beziehung bis heute wenig geändert hat.

Ich mochte die gemächliche Erzählweise Iida Turpeinens, auch wenn das Buch dadurch nicht gerade ein "Pageturner" ist. Es ist ein interessantes Experiment, Naturwissenschaft und Literatur miteinander zu vereinen.

Bewertung vom 14.08.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


sehr gut

Wie gut kennt man sein eigenes Kind?

Pia und Jakob werden von der Lehrerin ihres Sohnes Luca in die Schule gebeten, da es einen Vorfall mit einem Mädchen gegeben habe.

Diese Aussage weckt in Pia Zweifel, inwieweit sie ihrem Sohn vertrauen kann. Auf der einen Seite möchte sie Luca glauben, auf der anderen Seite weiß sie um Dinge aus ihrer Vergangenheit, auf die sie bis heute keine eindeutigen Antworten gefunden hat. Damals ist ihre jüngste Schwester Linda im See ertrunken. Nur ihre Adoptivschwester Romie war dabei. Ein Unfall oder steckte vielleicht doch noch mehr dahinter?

In Pia beginnt es zu arbeiten. Sie beobachtet ihren Sohn mit Argusaugen, kontrolliert ihn, interpretiert Dinge in sein Verhalten und setzt ihn unter Druck, damit er ihr die ganze Wahrheit erzählt. Gleichzeitig erinnert sie sich an ihre eigene Kindheit. Das verdrängte und in der Familie nie aufgearbeitete Trauma drängt mit aller Macht an die Oberfläche. Kontakt zu Romie hat sie nicht mehr, folgt dieser aber auf Instagram, sucht nach Ähnlichkeiten zwischen ihr und Luca.

Das Buch hat eine unglaubliche Sogkraft, die von der Autorin bis zum Ende aufrecht erhalten wird. Auch als Leser(in) fragt man sich ständig "Was ist passiert? Wem kann man glauben? Gibt es sowas wie Kleine Monster?"

Ich fand den Roman von Jessica Lind spannender als so manchen Krimi und hoffe, sie schreibt auch weiterhin so kluge Romane.

Bewertung vom 28.06.2024
Darwyne
Niel, Colin

Darwyne


ausgezeichnet

Ein Evolutionsbiologe, der ein faszinierendes Buch nach dem anderen schreibt

Colin Niel ist mir spätestens seit seinem - damals noch als Roman gekennzeichneten - Buch "Nur die Tiere" ein Begriff und es scheint, als würde der französische Autor einen Knaller nach dem anderen raushauen. Nach "Unter Raubtieren", das ebenfalls eine großartige Geschichte erzählt, folgt nun "Darwyne", dessen Schauplatz das Amazonasgebiet Französisch-Guayanas ist.

Dass ein Evolutionsbiologe seinem - inzwischen als Thriller bezeichneten - Buch den Titel "Darwyne" gibt, kann man auch als Hommage an den großen Naturforscher Charles Darwin verstehen, der von seinen Zeitgenossen in diversen Karikaturen seinerzeit als Schimpanse verhöhnt wurde.

Colin Niels' Darwyne ist ein kleiner Junge, körperlich beeinträchtigt, verschlossen, schulisch wenig interessiert, dafür aber mit einem natürlichen und tiefgehenden Verständnis für die Natur des Amazonas gesegnet, an dessen Schwelle er mit seiner Mutter Yolanda in einer baufälligen Hütte lebt. Darwyne liebt seine schöne, religiös geprägte Mutter, aber er hasst die diversen Stiefväter, die sie in regelmäßigen Abständen anschleppt.

In einem zweiten Handlungsstrang lernt man die Sozialarbeiterin Mathurine kennen, die den Fall Darwynes wieder aufnehmen soll, da es einen anonymen Hinweis auf Kindeswohlgefährdung gab und die frühere Sachbearbeiterin inzwischen aus dem Dienst ausgeschieden ist.

Ich fand das Buch wie schon seine Vorgänger einfach großartig! Es beinhaltet so viele Themen, ohne dadurch überfrachtet zu wirken. Da geht es beispielsweise um eine Mutter, die ihr Kind nicht lieben kann, eine andere Frau, die sich verzweifelt ein Kind wünscht, ein Kind, das nicht 'reinpasst', prekäre Lebensverhältnisse in den Slums von Bois Sec, am Rande des Amazonas, die Rodung des Waldes und natürlich um die unermesslichen Schätze und Wunder des Amazonasgebietes selbst.

Gefreut hat mich, dass es eine Fortsetzung der Geschichte um die Sozialarbeiterin Mathurine geben wird. Der Titel der französischen Ausgabe lautet "Wallace" und wer kann damit schon anderes gemeint sein als Darwins Gegenspieler Alfred Russel Wallace!? Ich kann es kaum erwarten, dass ich das Buch in Händen halte!

Bewertung vom 23.05.2024
Astrids Vermächtnis
Mytting, Lars

Astrids Vermächtnis


sehr gut

Abschied von Butangen und seinen Bewohnern

Mit "Astrids Vermächtnis" liegt nun endlich der dritte Band der Trilogie vor. Kai Schweigaard ist alt geworden, steht kurz vor der Pensionierung. Inzwischen bereut er den Verkauf der alten Stabkirche nach Dresden und die Trennung der beiden Schwesternglocken. Es ist ihm bisher noch nicht gelungen, die Botschaften auf dem alten Wandteppich der beiden Hekne-Schwestern gänzlich zu entschlüsseln. Doch er bekommt Hilfe von der jungen Astrid, Tochter von Jehans und Kristine und damit Enkeltochter der verstorbenen Astrid, Kai Schweigaards großer Liebe.

Eines Tages kommen Fremde ins Dorf und erkundigen sich nach der zweiten Glocke und dem verschollen geglaubten Wandteppich. Als die Deutschen schließlich Norwegen überfallen und auch in Butangen Quartier beziehen, sieht sich Kai Schweigaard gezwungen, zu handeln und seinen alten Fehler wieder gut zu machen.

Die Geschichte liest sich in bester Mytting-Manier stimmungsvoll und spannend. Mein einziger Kritikpunkt ist der, dass ich finde, dass man das Buch in der kalten Jahreszeit lesen muss. Wenn ich mich richtig erinnere, sind die beiden Vorgängerbände auch im Winter erschienen. Im Frühling hat mich der Zauber leider nicht zu 100% packen können, aber der Zeitpunkt einer Veröffentlichung lässt sich wohl nicht immer exakt planen. Autor und Übersetzer haben jedenfalls wieder großes Können bewiesen!

Bewertung vom 23.05.2024
Die Stimme der Kraken
Nayler, Ray

Die Stimme der Kraken


ausgezeichnet

Ray Naylers Buch ist definitiv kein Ökothriller, auch wenn ein kriminelles Großunternehmen Teil der Geschichte ist. Dieser Technologiekonzern DIANIMA geht über Leichen, um ein Geheimnis zu bewahren, das sich in den Gewässern vor der Insel Con Dao verbirgt. Wie der Titel "Die Stimme der Kraken" bereits vermuten lässt, handelt es sich hierbei um eine Kolonie intelligenter Oktopoden, die von der Wissenschaftlerin Dr. Ha Nguyen und einem Androiden untersucht werden sollen.

In einem zweiten Handlungsstrang lernt man den Hacker Rustem kennen, dessen Rolle in der Geschichte erst ziemlich zum Ende hin deutlich wird, und auf die ich deshalb nicht näher eingehen kann.

Es gibt aber noch einen dritten Handlungsstrang. Dieser erzählt die Geschichte von Eiko, der einst entführt wurde und nun als Sklave auf einem KI-gesteuerten Schiff die Weltmeere nach den letzten Fisch absucht, um sie zu proteinhaltigen Patties zu verarbeiten.

Neben der Wissenschaftlerin Dr. Ha Nguyen gibt es noch eine Gegenspielerin mit dem Namen Dr. Arnkatla Minervudottir-Chan. Beide Wissenschaftlerinnen haben jeweils ein Buch geschrieben, aus denen abwechselnd zu Beginn der Kapitel eine Passage zitiert wird. Dadurch lernt man einiges über die Meere, Intelligenz, Bewusstsein und mehr.

Die Oktopoden sind natürlich alles andere als begeistert, dass der Mensch in ihren Lebensraum eindringt und ihn zerstört und so kam es in der Vergangenheit immer wieder zu feindlichen Begegnungen.

Eigentlich kann man sagen, dass Ray Nayler sich in seinem Roman mit verschiedenen Formen von Intelligenz auseinandersetzt: Das sind zum einen die Kraken, die es im Laufe der Zeit gelernt haben, durch Symbole zu kommunizieren, die Menschen (gute Wissenschaftlerin vs. böse Wissenschaftlerin), ein fast menschlicher Androide und eine KI, die ein ganzes Schiff lenkt und eine Gruppe menschlicher Sklaven in Schach halten kann.
Verschiedene Formen von Intelligenz

Die Geschichte selbst ist nur mäßig spannend. Interessanter sind da schon die Denkansätze, wie z.B. was wäre, wenn es eine ähnlich intelligente Art neben uns gäbe? Könnten wir auf Augenhöhe mit einander kommunizieren? Wann ist ein Androide ein Roboter und wann wird er zu einer eigenen Spezies? Was passiert, wenn eine KI das Kommando hat? Lässt sie sich irgendwie austricksen oder ist man ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert?

Das Cover finde ich ausgesprochen schön und seitdem ich weiß, dass sich in jedem der Krakenbeine eine Art Gehirn befindet, werde ich wohl nie wieder Oktopus essen können ...

Bewertung vom 23.05.2024
Vor einem großen Walde
Vardiashvili, Leo

Vor einem großen Walde


ausgezeichnet

Spurensuche in Georgien

Ich bin echt froh, dass ich mich für die Hörbuch-Version dieser Geschichte entschieden habe, denn das was der Schauspieler und Sprecher Shenja Lacher hier leistet ist wirklich unglaublich. Jede Figur erhält ihre eigene unverwechselbare Stimme, unter allen hatte es mir aber vor allem der fortwährend schimpfende und fluchende Taxifahrer Nodar angetan, unter dessen rauer Schale sich ein goldenes Herz verbirgt.

Auf diesen trifft Saba, Protagonist der Geschichte, am Flughafen von Tbilisi (Tiflis). Er ist nach Georgien geflogen, nachdem erst sein Vater Irakli und schließlich auch sein älterer Bruder hier verschwunden sind. Die Familie war einst nach England geflohen, musste die Mutter jedoch zurücklassen. Sabas Bruder hat nun eine Spur gelegt, welcher Saba folgen soll, ohne dass die Polizei das Ziel errät. Denn auch diese ist auf der Suche nach Irakli und kassiert am Flughafen erst einmal Sabas Pass ein.

Außerdem streifen wilde Tiere durch die Stadt, die aus dem örtlichen Zoo ausgebrochen sind. Während die gesamte Geschichte mit märchenhaften Elementen durchwoben ist, beruht dieses Detail auf Tatsachen, denn vor 9 Jahren kam es in Tbilisi zu einer Überschwemmung, bei der viele Tiere entkamen. Ein Mann wurde dabei sogar von einem Tiger getötet.

All das trägt zu der gefahrvollen Atmosphäre bei, die sich durch das Buch zieht. Aber es gibt auch lustige Momente und Nodarrrrr (mit einem langen gerollten R am Ende) wird mir wohl noch lange in Erinnerung bleiben.

Es ist ein herzzerreißendes Buch, dank dessen ich mich - neben der täglichen Nachrichten - die letzten Tage intensiv mit Land und Leuten auseinandergesetzt habe. Ich habe mir sogar das diesjährige Europakonzert der Berliner Philharmoniker in Georgien angesehen und drücke diesem gebeutelten, aber tapferen Volk ganz fest die Daumen, dass sie ihre Unabhängigkeit verteidigen können und nicht die nächsten sind, nach denen Putin greift.