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MaWiOr
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Halle

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Insgesamt 3573 Bewertungen
Bewertung vom 12.01.2025
Unmöglicher Abschied
Kang, Han

Unmöglicher Abschied


ausgezeichnet

2024 wurde die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang mit dem Literaturnobelpreis geehrt. In ihrem Roman „Unmöglicher Abschied“, einem Hauptwerk ihres vielseitigen Schaffens, greift sie erneut die oft verschwiegene Gewaltgeschichte ihres Landes auf. erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Frauen. Die Erzählerin Gyeongha wird von einer langjährigen Freundin, die im Krankenhaus liegt, gebeten, auf einer tiefverschneiten Insel sich um ihren geliebten Papagei zu kümmern. Auf der Insel fand 1948 ein Massaker, als koreanische Truppen einen angeblich kommunistischen Aufstand niedergeschlagen hatten. Ganze Dörfer wurden damals ausgelöscht und mehr als 30.000 Menschen brutal getötet.

In der Schneewüste mit ihrer surreal-magischen Atmosphäre werden die verdrängten Ereignisse jedoch wieder sichtbar. Unter der friedlich scheinenden Schneedecke kommen die Grausamkeiten quasi wieder ans Licht. Han Kang schreibt beeindruckend bildgewaltig auf unterschiedlichen Ebenen und benutzt symbolträchtige Erklärungen oder Metaphern. Im Verlauf der Handlung berichtet die Autorin mittels Briefen und Zeitungsartikeln die Gyenongha im Haus findet, in eindringlicher und bedrückender Weise von den Massakern. Die Autorin, die der Frage nach dem „Warum“ nachgeht, erzählt aber auch von der Kraft der Poesie und der Hoffnung, die durch Freundschaft, Liebe und Mitmenschlichkeit entsteht.

Fazit: Ein Roman, der sowohl durch seine literarische Qualität als auch durch seine historische Relevanz besticht.

Bewertung vom 07.01.2025
Jean Sbogar
Nodier, Charles

Jean Sbogar


ausgezeichnet

Charles Nodier (1780-1844) war ein französischer Schriftsteller, Übersetzer und bedeutender Bibliothekar, der mit Abenteuerromanen, mit romantisch-fantastischen Novellen sowie Gothic- und Vampirgeschichten zu Lebzeiten einen großen Zuspruch beim damaligen Lesepublikum hatte. Er wurde zum Ritter der Ehrenlegion ernannt und war Mitglied der Nationalen Gesellschaft der Altertumsforscher Frankreichs. Sein Ruhm erlitt jedoch nach seinem Tod einen drastischen Rückgang. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwachte das Interesse an Nodier wieder.

Hundert Jahre später scheint man sich nun wieder an Nodier und sein literarisches Werk zu erinnern. Im Heidelberger Flur Verlag ist mit dem romantischen Räuberroman „Jean Sbogar“ (1818) eines seiner bekanntesten Werke erschienen. Die Handlung spielt in Venedig, Triest und Slowenien zur Zeit der Napoleonischen Kriege und erzählt von Jean Sbogar, einem unerschrockenen Piraten, der von allen bewundert wird. Er führt aber als geheimnisvoller Lothario eine Doppelexistenz. Die zarte Antonia, ein Mädchen aus reichem Haus, verliebt sich in den edlen Banditen, der jedoch im Verlies landet.

Die tragisch endende Geschichte erschien 1818 anonym, obwohl die Leser schnell herausfanden, dass Nodier der Autor war, dem damit der literarische Durchbruch gelang. 1832 erschien dann eine zweite Ausgabe des Romans, diesmal mit einem umfangreichen Vorwort des Autors, das auch in der Flur-Neuerscheinung dankenswerterweise abgedruckt ist. Der Roman wurde auch durch die Anekdote (oder wahre Begebenheit?) bekannt, dass Napoleon diesen Roman auf Sankt Helena in einer Nacht durchgelesen haben soll. Also eifern wir Napoleon nach, die 200 Seiten voller Spannung und Abenteuer lohnen es.

Bewertung vom 17.12.2024
ECCENTRIC

ECCENTRIC


ausgezeichnet

Die Ausstellung ECCENTRIC in der Pinakothek der Moderne feiert vom 25.10.2024 bis zum 27.04.2025 die Vielfalt und Vielschichtigkeit der zeitgenössischen Kunst. Unter dem Titel „Ästhetik der Freiheit“ setzt sich die Ausstellung mit der Exzentrik in der bildenden Kunst auseinander. Im Mittelpunkt steht die zeitgenössische bildende Kunst des gesamten Gattungsspektrums seit 1980 mit Werken aus Malerei, Skulptur, Installation, Medienkunst und Performance. In fünf Ausstellungskapiteln werden mutige Überschreitungen der Normen, Offenheit gegenüber anderen Perspektiven und die Unabhängigkeit des Exzentrischen gezeigt.

Im Hirmer Verlag ist der reich illustrierte Begleitkatalog (dt./engl.) zu dieser außergewöhnlichen Ausstellung erschienen. Wie diese feiert er ebenso die Überschreitungen in der Kunst. Die Kunst wie die Gesellschaft brauchen die exzentrischen Ränder, denn sie bieten eine Vielfalt an Veränderungen. Der Katalog greift die fünf Ausstellungsthemen auf und präsentiert 50 Künstler meist auf jeweils zwei Doppelseiten mit einem informativen Text und zwei, drei Abbildungen wichtiger Werke. Das Spektrum reicht von John Bock, Maurizio Cattelan, Jonathan Meese, Pipilotti Rist oder Anna Uddenberg bis zu vielen weiteren internationalen Künstler*innen. Da kann man lebensgroße Polarbären in knallbunten Federkostümen von Paola Pivi, ein lebensgroßes Krokodil von Maurizio Cattelan oder eine Art urzeitliche Kreatur aus erdigen, verfilzten Fasern von Klará Hosnedlová bewundern.

Eine moderne Ausstattung und ein farbenfrohes Design zeichnen den anregenden Katalog ebenfalls aus. Mögen sich zahlreiche Besucher*innen von der Ausstellung und ebenso zahlreiche Leser*innen von der wirklich tollen Publikation inspirieren lassen.

Bewertung vom 16.12.2024
Gesammelte Gedichte
Mayröcker, Friederike

Gesammelte Gedichte


ausgezeichnet

Die österreichische Dichterin Friederike Mayröcker, am 20. Dezember 1924 in Wien geboren, hat von jeher in ihrer Poesie auf die Zusammenhänge von Zeit, Ort und Kausalität verzichtet. Ihre Gedichte sind virtuose Montagen von Dialogen, Assoziationen, Reflexionen, Erinnerungsfragmenten, Zitaten und Wortneuschöpfungen, womit immer wieder neue Bezüge hergestellt werden. Hauptthemen sind die Magie der Sprache und die Bildende Kunst. Friederike Mayröcker war 46 Jahre lang die Lebensgefährtin von Ernst Jandl. Sie waren "das Paar" der dichterischen Avantgarde, beide auf unverwechselbare Weise genial. Sie beeinflussten einander und gingen trotzdem jeder seinen eigenen Weg. Obwohl Mayröcker sehr zurückgezogen lebte, hat sie das Draußen stets in ihre Gedichte aufgenommen.

Zum ihrem 80. Geburtstag hatte der Suhrkamp Verlag 2004 mit dem Band „Gesammelte Gedichte“ alle Gedichte aus den 65 zurückliegenden Jahren herausgegeben. Danach hatte sich die Schriftstellerin, die 2021 verstarb, entschlossen, „in eine ganz neue Richtung aufzubrechen“. Das Ergebnis waren vor allem Prosagedichte, die danach in einigen Lyrikbänden erschienenen und die jetzt zum 100. Geburtstag in dem Band „Gesammelte Gedichte 2004-2021“ noch einmal als Würdigung herausgegeben wurden. Daneben wurden verstreut veröffentliche und unveröffentlichte Gedichte und Proëme aufgenommen, die teilweise in ihrem Nachlass aufgefunden wurden.

"Man weiß nicht, wohin man kommt - man lässt sich tagtäglich neu überraschen", hat Friederike Mayröcker ihr dichterisches Credo einmal beschrieben. Es ist die immer erneute Suche nach einer Zeile, die sie vorantreibt. „Wenn ich ein, zwei Tage nicht schreiben kann, bin ich verzweifelt.“ Eines der Wunder von Mayröckers Poesie liegt in der Kunst, der Sprache Verblüffendes zu entlocken, was beim Leser immer wieder Erstaunen hervorruft. Bei allem, was Friederike Mayröcker schrieb, war sie stets eine Grenzgängerin zwischen den literarischen Genres, vom Surrealismus über die experimentelle Poesie bis zur typischen Mayröcker-Textmontage. Im Laufe der Schaffensperioden haben sich so unterschiedliche Ausdrucksformen entwickelt.

Ein Register im Anhang der Neuerscheinung ermöglicht die Einordnung der Texte in ihren ursprünglichen Publikationszusammenhang. Ein editorisches Nachwort des Herausgebers und Dichterkollegen Marcel Beyer rundet den wirklich gelungenen Sammelband ab.

Bewertung vom 08.12.2024
Barthli der Korber
Gotthelf, Jeremias;Theisohn, Philipp

Barthli der Korber


ausgezeichnet

Im Vorjahr startete der Diogenes Verlag eine schöne und umfassende Ausgabe der Werke von Jeremias Gotthelf, die seine sämtlichen Erzählungen und Romane in 15 Bänden bringen wird. Nach dem Band „Die schwarze Spinne“ ist mit „Barthli der Korber“ ein weiterer Band mit Erzählungen des Schweizer Schriftstellers erschienen. Die Neuerscheinung versammelt weitgehend die späten Erzählungen Gotthelfs.

Die Titelgeschichte „Barthli der Korber“, erschienen 1852, erzählt von dem alten Korbmacher Barthli, der mit seiner Tochter Züseli im Emmental in einer maroden, windschiefen Hütte haust. Während der Alte ein geiziger und boshafter Zwerg ist, ist Züseli ein anmutiges und offenes Mädchen. Barthli hat alle Hände voll zu tun, die heiratslustigen Freier von seiner Tochter fernzuhalten. Der tüchtige Knecht Benz ist dabei der Aufdringlichste. Als Benz die beiden bei einem schweren Unwetter rettet, ist das für Barthli immer noch kein Grund, ihm zu danken. Erst als ein neues Häuschen notwendig ist, gibt er murrend sein Jawort. Doch seine Lebenskraft ist erschöpft und er stirbt.

„Hans Joggeli der Erbvetter“ und „Harzer Hans; auch ein Erbvetter“ sind zwei Dorfgeschichten, die vom Erben und der Erbschleicherei handeln. In „Michels Brautschau“ (1850) wird der kräftige Jungbauer Michel von den Dorfbewohnern verlacht, weil er immer noch bei seiner Ziehmutter Anni wohnt. Als die Einberufung ins Militär droht, entschließt er sich zu heiraten, doch die Brautsuche gestaltet sich schwieriger als gedacht. „Das Erdbeerimareili“ (1851) erzählt von einem scheuen Mädchen, das im Wald bei den Tieren und Pflanzen zu Hause ist. Als seine Mutter stirbt, tritt es in den Dienst eines Schlossfräuleins und kann später das Haus kaufen, in dem sie mit ihrer Mutter gewohnt hat.

Die Erzählungen „Kurt von Koppingen“, „Niggi Ju. Ein Lebensbild unserer Zeit“ und „Der Besenbinder von Rychiswyl“ komplettieren den Auswahlband. Die Diogenes-Ausgabe orientiert sich an den Erstdrucken von Gotthelfs Texten, die zwar in deutsche Sprache erschienen, aber viele Redewendungen und Ausdrücke des Berner Dialekts enthielten. Daher ist ein mehrseitiges Glossar mit Erläuterungen angefügt, sowie Hinweise zu Berner Währungen, Gewichte und Maße.

Der Erzählungen zeigen Gotthelfs fabulierfreudige Erzählkunst und liefern ein milieugetreues Abbild des Schweizer Dorflebens zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Diesen Umstand betont auch der Schweizer Schriftsteller Christian Haller in seinem Nachwort „Ein Heilmittel gegen die Nostalgie“.

Bewertung vom 08.12.2024
Der Narr in Christo Emanuel Quint
Hauptmann, Gerhart

Der Narr in Christo Emanuel Quint


ausgezeichnet

Der Roman „Der Narr in Christo Emanuel Quint“ des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann entstand in den Jahren 1901-1902, der aber erst einige Jahre später veröffentlicht wurde. In dreißig Kapiteln wird die Geschichte von dem jungen Emanuel Quint erzählt, einem eigenbrötlerischem Tischlergesellen aus dem kleinen Dorf Giersdorf, der beschließt, sein Leben als Narr in Christus zu verbringen. Ohne Geld und nur mit einem Exemplar des Neuen Testaments zieht er als Bußprediger durch Schlesien. Er predigt auf öffentlichen Plätzen gegen Reiche und Herrscher. Angesichts des sozialen Elends prophezeit er das Jüngste Gericht. Nach und nach wähnt er sich als der von Gott erwählte Messias. Als Quintus‘ Agitation und Popularität immer größere Ausmaße annimmt, schreitet schließlich die Polizei ein, doch in einer adligen und pietistisch frommen Dame findet er eine Wohltäterin, die ihm zunächst auf ihren Besitzungen Asyl gewährt. Doch als sie ihre Privilegien bedroht sieht, bietet sie Quint keinen Schutz mehr. Er begibt sich in die Provinzhauptstadt Breslau, wo er nach einem Mordverdacht alle menschlichen Kontakte abbricht und durch ganz Deutschland irrt. In den verschneiten Alpen verliert sich schließlich seine Spur.

In dem modernen Messiasroman gestaltete Hauptmann auch den Lebensweg des Wanderdichters und Naturpropheten Gusto Gräser (1879-1958) nach. Der Roman ist jetzt im Quintus Verlag im Rahmen der Erkneraner Ausgabe (als sechster Band) von Gerhart Hauptmanns Werken erschienen. In seinem Nachwort gibt Stefan Rohlfs, Leiter des Gerhart-Hauptmann-Museums Erkner, einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Romans.

Bewertung vom 07.12.2024
Schönes Deutschland / Beautiful Germany

Schönes Deutschland / Beautiful Germany


ausgezeichnet

„Ja, wir lieben dieses Land“ – so Kurt Tucholsky in seinem Text „Heimat“, der dem Bild-Text-Bild „Schönes Deutschland“ („Beautiful Germany“) als Einleitung vorgestellt ist. Die zweisprachige (dt./engl.) Neuerscheinung präsentiert die bekanntesten Sehenswürdigkeiten der sechszehn Bundesländer – von den Küstenlandschaften der Nord- und Ostsee bis zu den Alpen, vom Saarland im Westen bis zur Oder im Osten.

Schleswig-Holstein punktet mit einen ehrwürdigen Leuchttürmen, der Nordseeinsel Helgoland oder einigen Seebädern. In Hamburg sind die Elbphilharmonie oder die Binnenalster die touristischen Highlights. In Brandenburg sind Schloss Sanssouci, der Spreewald und die Landeshauptstadt Potsdam die Besuchermagnete. In Rheinland-Pfalz werden die Porta Nigra in Trier, das Deutsche Eck in Koblenz oder die Burg Trifels in Wort und Bild vorgestellt. In Bayern sollte man den Münchner Marienplatz, den Chiemsee oder die Zugspitze besuchen. Jedes Bundesland wird mit zwölf Sehenswürdigkeiten (mit Farbfoto und zweisprachigen Hintergrundinformationen) vorgestellt. Und auf dem Cover grüßt das Schloss Neuschwanstein.

Fazit: Ein idealer Band mit vielen touristischen Anregungen.

Bewertung vom 07.12.2024
Ein Cappuccino ist die Welt
Rotta, Linde

Ein Cappuccino ist die Welt


ausgezeichnet

Die gebürtige österreichische Journalistin Linde Rotta, die seit 2000 in Leipzig wohnt, arbeitete jahrelang für den Westdeutschen Rundfunk, den Deutschlandfunk und die Zeitschrift "Brigitte". Sie verfasste Erzählungen, Essays, Hörspiele und Features. Für ihre Arbeiten erhielt sie zahlreiche Preise.
Die Neuerscheinung „Ein Cappuccino ist die Welt“ des Heidelberger Morio Verlages versammelt Texte von Rotta, die sie für Radio und Zeitschriften geschrieben hat. Die thematische Breite der Artikel reicht von Paolo Pasolini (10. Todestag), über den Aufbruch der spanischen Frauen (Rosa Montero), die Frauen in Hollywood, das Sprengstoffattentat im österreichischen Burgenland bis zu den Gründungsjahren des Institutes für Literatur in Leipzig.

An der Seite des Schriftstellers Erich Loest, dessen letzte Lebensgefährtin sie war erlebte sie die friedliche Revolution. Seinem Engagement und Werk widmete sich in verschiedenen Beiträgen. In „Die Stasi hatte mitgeschrieben“ beleuchtet die Entstehung von Loests Roman „Der Zorn des Schafes“, in dem der Schriftsteller das Leben schilderte, wie er es erlebt hat, und mit dem konfrontiert, was die Stasi daraus gemacht hat. Der Beitrag „Grenzgänger zwischen Ost und West: Erich Loest“ erschien dann im Oktober 1989, wenige Tage vor der Maueröffnung. In „Loslassen“, dem letzten Text der Auswahl, hält Rotta in Tagebuchform die letzten Tage (im August/September 2013) ihres Lebensgefährten fest. Fazit: Ein ehrliches und lesenswertes Buch.

Bewertung vom 02.12.2024
Die Käserei in der Vehfreude
Gotthelf, Jeremias;Theisohn, Philipp

Die Käserei in der Vehfreude


ausgezeichnet

Der Diogenes Verlag hat seine neue Jeremias-Gotthelf-Edition (auf 15 Bände angelegt) mit „Die Käserei in der Vehfreude“ fortgeführt. Erschienen 1850, war es der vorletzte Roman des Schweizer Schriftstellers und Pfarrers. Vehfreude ist ein verschlafenes Dorf im Emmental, das plötzlich den Fortschritt entdeckt. In den Nachbarorten gibt es längst Käsereien und man verdient damit gutes Geld. Also wird eine Genossenschaft gegründet und statt eines dringend notwendigen Schulhauses eine Käserei errichtet. Doch die Geldgier der Vehfreudener kennt bald keine Grenzen mehr, sodass kaum etwas für den Eigenbedarf oder für die Gäste übrigbleibt. Vor allem die Frauen sind frustriert, weil sie jetzt auf ihr „Nidle“ verzichten müssen. So kommt der Kapitalismus ins Dorf. Als man aber sogar verdünnte Milch und Milch von kranken Kühen abliefert, fliegt der Betrug auf und mit dem erwarteten Profit ist es erst einmal vorbei. Das Gemeinschaftswerk droht zu scheitern. Nur langsam kommen die Vehfreudener zur Besinnung. Auch die Liebesgeschichte zwischen Felix, dem Sohn des Gemeindeamtmannes, und dem Verdingkind Änneli kommt zu einem guten Ende. Gotthelf, der ebenfalls aus dem Emmental stammte, nimmt in dem Roman, der auch durch die realistische Darstellung des bäuerlichen Lebens besticht, allzumenschliche Charakterzüge unter die Lupe.

Die Diogenes-Ausgabe orientiert sich an dem Erstdruck von 1850, die zwar in deutsche Sprache erschien, aber viele Redewendungen und Ausdrücke des Berner Dialekts enthielt. Daher ist ein mehrseitiges Glossar mit Erläuterungen angefügt, sowie Hinweise zu Berner Währungen, Gewichte und Maße. In ihrem Nachwort beleuchtet die Schweizer Schriftstellerin Zora del Buono u.a. die Geschichte der Schweizer Dorfkäsereien.

Der Roman zeigt Gotthelf als großartigen Erzähler, der mit seinen Romanen und Erzählung ein milieugetreues Abbild des wirklichen Lebens und keine romantisch geschönte Darstellung des Dorflebens im 18. Jahrhundert bietet.

Bewertung vom 30.11.2024
Aus vollen Gläsern quillt die Zeit
Sokolowski, Lilia; Sokolowski, Leonid

Aus vollen Gläsern quillt die Zeit


ausgezeichnet

Die vielseitige Künstlerin Anja Sokolowski wurde 1971 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft entwickelte sie eine Vorliebe für das Chanson und trat als Straßenmusikerin in Paris auf. Danach war sie Regieassistentin in Leipzig und Stuttgart. Anschließend diverse Kleinkunstprogramme und Mitglied des TangOperaProjects. 2019 Gründung der musikalischen Performancegruppe „SCHMULT“. Daneben Ausbildung zur Logopädin. 2022 dann der frühe Tod.

Soweit die biografischen Stationen von Anja Sokolowski. Im halleschen Verlag ist nun eine Auswahl ihrer Lieder und Gedicht erschienen, ergänzt durch Prosa und Skizzen. Ihre französischen Vorbilder offenbart sie gleich im ersten Gedicht: „Ich bin eine Braut mit Rimbaud unterm Arm“. Dabei wär sie gern „eine Lilie, ganz zart und androgyn“. In ihrer „Hymne“ heißt es dann „Ich bin ein Gast auf dieser Welt“. Ihre Prosatexte sind phantasie-voll und märchenhaft. Und am Ende die wunderbare Zeile „Wenn du nicht da bist, les ich in Lyrikbänden meine Sehnsucht nach“.

Neben den sehr persönlichen Gedanken ist die gediegene Neuerscheinung mit einigen Porträts und Kopien von Originalmanuskripten ausgeschmückt. Ein Gedichtband für eine stille Stunde.