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Andreas Schmitt

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Bewertung vom 20.12.2011
Hellseher und Astrologen im Dienste der Macht
Berndt, Stephan

Hellseher und Astrologen im Dienste der Macht


schlecht

Da der Abschnitt zu den Hellsehern und Astrologen im Dritten Reich der größte ist, konzentriere ich mich als Beispiel ganz auf dieses Kapitel.
Doch so bemerkenswert gut und lesbar das Buch gegliedert und geschrieben ist: Schon bei den Bemühungen um die Definition von Okkultismus in der Bucheinleitung, DEM zentralen Schlüsselbegriff des Buches, geht der Autor so fahrlässig wie willkürlich vor, dass man schon hier weiß, dass er allem und jedem "Okkultismus" unterstellen will. So zitiert Berndt den Brockhaus mit dessen Okkultismus-Definition, die eigene wird demgegenüber als "Sammelbegriff für die Astrologie und die Hellseherei verwendet, also für Methoden der Zukunftsdeutung, die heutzutage von der Wissenschaft abgelehnt werden".
Das hindert den Autor aber im weiteren Verlauf des Buches nicht daran, zeitgleich auch die gebräuchliche Definition zu benutzen, wo es für ihn vermutlich von Nutzen ist.
Weiter erkennt man sehr oft, wie selektiv der Autor seine Quellen verwendet - und deutet. Ein schönes Beispiel befindet sich auf S. 139, Berndt zitiert:
"Nachdem die Parteiamtliche Prüfungskommision durch einen Führerverfügung [...] eine erweiterte Verbotsfunktion auf dem Gebiet des Schrifttums erhalten hatte, nutzte sie dies sogleich dazu aus, das astrologische Schrifttum zu schützen und bereits erlassene Verbote, die auf unseren Antrag hin vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda ausgesprochen worden waren, wieder aufzuheben."
Berndt meint dazu, der Absatz sei eine Sensation, er würde nicht anderes besagen, als dass Adolf Hitler um die Jahreswende 1940/1941 höchstpersönlich durch eine Führerverfügung dafür sorgte, dass ein Verbot okkulter Literatur (....) von Heß & Co. wieder aufgehoben werden konnte. Doch dies lässt sich schon aus dem abgedruckten Zitat so nicht entnehmen.
Doch zitiert Berndt nicht vollständig, es fehlt ein kleiner Zusatz, den er durch [...] kennzeichnet. Das Zitat lautet vollständig:
"Nachdem die Parteiamtliche Prüfungskommission durch eine Führerverfügung, die wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem neuen Auftrag der Reichsstelle für das Schul- und Unterrichtsschrifttum steht, eine erweiterte Verbotsfunktion auf dem Gebiet des Schrifttums erhalten hatte, nutzte sie dies sogleich dazu aus, das astrologische Schrifttum zu schützen und bereits erlassene Verbote, die auf unseren Antrag hin vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda ausgesprochen worden waren, wieder aufzuheben."
Mit dem vollständigen Zitat wird klar, dass die sehr gewollte Deutung dieser Zeilen durch den Autor erst recht keinerlei Grundlage gehabt hätte/hat. Hat er deswegen den 2. Teilsatz ausgelassen?
Der angeblich okkulte Hintergrund Hitlers, von Heß und Himmler:
Wenn Berndt seine Quelle Elic Howe seriös benutzt hätte, so hätte Berndt auch geschrieben, dass sich die NSDAP der 1920er Jahre in München auch aus dem Umfeld einer völkischen Ideologie gespeist hätte. Namentlich auch aus dem Umfeld der Thule-Gesellschaft und den Artamanen. Sowohl bei Thule wie Artamanen fanden sich unter anderem gewisse esoterische, theosophische bzw. ariosophische (Arier-Ideologie, Hakenkreuz!) Positionen. Heß war Thule-Mitglied, Himmler bei den Artamanen, wie auch Höß und Darré. Und sogar Alfred Rosenberg wie von Schirach sprachen 1929 auf dem Reichsthing der Artamanen....Statt unablässig das vielseitige Schlagwort "Okkultismus" zu verwenden, hätte Berndt schreiben können, dass die Ariosophie einer der ideologischen Hintergründe der frühen NS-Bewegung gewesen war. Das hätte sich nur nicht so mysteriös-gefährlich angehört?

Geistesgeschichtlich fährt der Autor nur auf Sichtweite. Ohne jede weitere Auseinandersetzung und ohne jede vertiefte und nennenswerte Kenntnis der Geistesgeschichte, der Geschichte von Astrologie, Theosophie oder Okkultismus und Ariosophie hat er mit enormen Einsatz und Recherche-Aufwand ein weitgehend nutzloses Werk geschrieben. Ein vielfach fährlässiges, nicht selten in naiver Weise manipulatives Werk.

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