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Benutzername: 
Sonja Knobbe
Wohnort: 
Bochum

Bewertungen

Bewertung vom 04.12.2013
Die Wirtschaft ist für den Menschen da
Hemel, Ulrich

Die Wirtschaft ist für den Menschen da


ausgezeichnet

„Die neutrale Instrumentalität des Kapitals, also sein Werkzeugcharakter, verdeckt in vielen Fällen, wie tief die Verstrickung der Entstehung und der Verwendung von Kapital in die Beziehungsgeschichten der beteiligten Personen hineinführt.“ (Hemel 2013, S. 147)

Der Direktor des Instituts für Sozialstrategie Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel ist Theologe, Philosoph, Unternehmensberater und Wirtschaftspraktiker. In seinem neuen Buch betrachtet er die Beziehung des Menschen zum Kapital, welche so allgegenwärtig und alltäglich ist, dass sie bislang zumeist unhinterfragt bleibt. Hemel analysiert den Prozess kapitalistischer Transformationen und führt ihn auf die Urformel „Tausche Geld gegen Träume“ (Hemel 2013, S. 22) zurück. So wird ein Rückbezug der oft als kalt und unmenschlich erfahrenen Wirtschaft in die soziale Lebenswelt des Menschen möglich. Übersichtlich und verständlich illustriert Hemel sowohl die helle als auch die dunkle Seite des Kapitals und die daraus entstehenden Implikationen. Interdependenzen und Zusammenhänge der Trias Kapital/Wirtschaft/Mensch werden eindrucksvoll herausgestellt und beleuchtet:
„Wertrationale und nutzenrationale Interessen fallen trotz aller Widersprüche langfristig zusammen. Denn Sinn, Bedeutung und soziale Anerkennung sind wesentliche Treiber wirtschaftlicher Tätigkeit, die damit eben immer auch sozial determiniert ist!“ (Hemel 2013, S. 245)

Anschaulich und anhand vieler Beispiele aus dem Alltag werden komplexe, wirtschaftliche Sachverhalte analysiert. Dies macht das Buch zu einem angenehmen Leseerlebnis und auch für den Laien verständlich. Die vorhandenen Bezüge zur Philosophie und Theologie der genuin interdisziplinären Herangehensweise tragen aber auch zur aktuellen wissenschaftlichen Debatte bei: Hemels heuristisches Verständnis von Kapital ermöglicht einen umfassenden Rückbezug zum Feld der Wirtschaftsanthropologie: Ihm nach muss der wirtschaftende Mensch immer im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Kooperation (Hemel 2013, S. 211), zwischen seiner Verletzlichkeit und Schöpferkraft (Hemel 2013, S. 245) betrachtet werden. Nur so kann, zum Beispiel im Anschluss an Karl Polanyi, ein Rückbezug des Ökonomischen in die gesellschaftliche Sphäre erfolgen.

Neben vielen Impulsen und Anregungen zur weiterführenden Lektüre führt der letzte Teil des Buches über die Theorie des Kapitals hinaus in den Bereich seiner Anwendung: So kann ein ganzheitlicher Kapitalbegriff in Kombination mit der Anerkennung der Herausbildung einer globalen Zivilgesellschaft die Grundlage bieten für eine wahrhaft soziale Marktwirtschaft – auch im moralischen Sinne. Der Gedanke der Ökosozialen Marktwirtschaft und weitere konkrete Projekte dienen hier als eindrucksvolle Fallbeispiele.
Denn:
„Für die Realisierung solcher Gedanken wird Kapital benötigt, aber eben nicht nur Kapital. Die ursprüngliche kapitalistische Transformation ist der Tausch von Geld gegen Träume. […][Und] wir [sollten] Träume rund um die gelingende Gestaltung des sozialen Lebens nicht vorschnell aufgeben.“ (Hemel 2013, S. 243)