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schreibtrieb

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Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 12.05.2016
Mut zur Lücke, liebe Eltern!
Wiebe, Silia

Mut zur Lücke, liebe Eltern!


gut

Silia Wiebe spricht von einer hippen Elterngeneration, die alles packen will. Kinder, Arbeit, Freizeit, Partnerschaft – sprich die Vereinbarungs-Eltern, die immer nur sehen, was sie gerade nicht mehr geschafft haben, immer im Stress sind und doch nicht fertig werden. Mit verschiedenen Erfahrungsberichten, Rezepten, Tipps und Interviews gibt sie hierbei im Grunde nur einen Rat: Nehmt alles nicht so wichtig und lebt ein bisschen mehr.
Die Grundaussage des Buches gefällt mir sehr gut. Schon allein, dass die Eltern, die versuchen, alles unter einen Hut zu bekommen, hier nicht gleich als überforderte Helikoptereltern ausgeschrieben werden, hat mir gefallen. Stattdessen sind sie hier „cool“ und jugendlich, erfrischend und erfolgreich. Erst auf den zweiten Blick sieht der Leser dann, dass nicht alles Gold ist was glänzt, dass auch der Zwang zur „Coolness“ dafür sorgt, dass nichts mehr wirklich locker ist. Der Einstieg ist darum wirklich gut gewählt und ansprechend.
Etwas schwieriger war es für mich den Rest des Buches damit in Einklang zu bringen. Zum einen sind die unterschiedlichen Kapitel teilweise ohne großen Zusammenhang aneinandergereiht. Hier ein Bericht, da ein Rezept und hier ein paar lustige Anekdoten – den tiefen Sinn hinter diesen habe ich dann auch nicht immer gleich verstanden. Aufzeigen, wie es nicht geht? Oder einfach ein Beispiel für manche, die es noch schlimmer treiben, als ich? Kurz: Was soll das denn jetzt?
Während der Stil angenehm wertungsfrei und flüssig bleibt, wandelt der Inhalt zwischen banal und interessant. Großes Manko aus meiner Sicht: Obwohl in Überschrift, Klappentext und Einleitung „Eltern“ angesprochen werden, geht die Autorin doch schnell dazu über von „gerade uns Müttern“ zu sprechen und den Vater in die zweite Liga zu verbannen. Auch ein Gespräch mit ihrem Mann, dass ein Kapitel darstellt, hilft da nicht viel, sondern zeigt viel mehr, wie verhärtet die Fronten „Hausfrau“ – „Arbeitsmann“ auch hier sind.
Ein im Grunde vor allem unterhaltsames Büchlein, dass etwas den Druck nehmen will, den Sprung zur „Elternliteratur“ aber nicht wirklich schafft. Schade.

Bewertung vom 23.04.2016
Lily Frost
Weetman, Nova

Lily Frost


gut

Bei Gulliver ist dieses Jahr Lily Frost erschienen, 235 Seiten von Nora Weetman, übersetzt von Friederike Levin.
Lily zieht mit ihrer Familie in ein winziges Dorf, in ein verfallenes, unheimliches Haus. Gefrustet von der Geldnot der Eltern, die den Umzug nötig machen, muss Lily ihr altes Leben hinter sich lassen. Doch richtig ankommen kann sie in ihrem neuen Zuhause auch nicht. In ihrem Zimmer entstehen aus dem Nichts Pfützen, im Dunkeln hört sie ein fremdes Atmen und eine rote Kapuzenjacke taucht auf, die Lily nicht gehört. Dann erfährt sie, dass in ihrem Haus vorher ein Mädchen gelebt hat, das eines Tages plötzlich verschwunden ist – Tilly. Und Lily ist besessen davon, ihr Geheimnis zu lüften.
Der Stil ist gut. Lilys Verzweiflung, ihre innere Wut und der Frust sind gut zu erkennen. Trotzig wie ein kleines Kind, aber ironisch wie eine Erwachsene versucht sie, gegen ihre Eltern anzukämpfen. Auch die Faszination der Gefahr ist gut verdeutlicht. Lily hat Angst vor dem Dachboden – und beschließt dann ausgerechnet in dieses Zimmer zu ziehen. Trotz ihrer Ängste und Überlegungen ist sie sehr stark und mutig. Die Selbstsicherheit entsteht genau in den Momenten, in denen sie sie nötig hat.
Ziemlich flach ist dagegen der Verlauf. Im Grunde wird das Ende der Geschichte bereits in Lilys erstem Rückblick an das Schwimmbecken der Nachbarn vorweggenommen und schnell deuten alle Geschehnisse darauf hin, was passiert ist und wo Tilly ist. Diese Eindeutigkeit nimmt dem Buch relativ schnell viel Spannung und es geht dann nur noch darum, wie lange Lily dafür braucht, es heraus zu finden. Die Bedrohung durch Tilly wird auch immer wieder allein dadurch relativiert, dass Lily zu ihr will und keinen Moment zögert.
Auch die Nebenfiguren sind zwar gut gezeichnet, bleiben dann aber oberflächlich. Der Nachbarsjunge, für den Lily Gefühle hat, der selbst zerrissen ist und dem am Ende ohne große Worte die Schuld für Tillys Tod zugeschoben wird – bitte schön, jetzt lebe damit. Oder seiner Schwester, die bellt, aber nicht beißt und am Ende einfach untergegangen zu sein scheint. Der kleine Bruder, der scheinbar nur deswegen da ist, damit es in der Familie einen Gegenpart zu Lily geben kann – oder deren beste Freundin, die mal dies, mal das sagt.
Wirklich ins Gruseln bin ich bei Lily Frost nicht gekommen – dafür war das Buch zu vorhersehbar. Gerade das hat dann auch dem eigentlich guten Stil viel genommen. Figuren wie Handlung bleiben oberflächlich und bietet zwar kurzfristige Unterhaltung, versinken dann aber auch passenderweise schnell wieder.

Bewertung vom 23.04.2016
Die Mutterglück-Lüge
Fischer, Sarah

Die Mutterglück-Lüge


sehr gut

Die Mutterglücklüge – Sarah Fischer
Ermutigt durch die Debatte um #regrettingmotherhood hat Sarah Fischer ihre Geschichte aufgeschrieben – nun erschienen als Die Mutterglücklüge bei Ludwig mit 238 Seiten.
Sarah ist eigentlich ganz zufrieden. Sie ist erfolgreich im Beruf, hat einen tollen Freund und dann verkündet der Schwangerschaftstest, dass es Zuwachs gibt. „Nur kein Trara“, denkt sie sich und glaubt, Mutterschaft sei auch kein großes Ding. Dann wird sie mit Floskeln und gesellschaftlichen Tabus konfrontiert, mit KiTa-Platzmangel und Geldnot, mit beruflichen Rückschritten und Spielplatzmüttern. Und Sarah wird unglücklich, denkt sich, dass es vielleicht ein Fehler war, ein Kind zu bekommen.
Sarah Fischer ist geübt im Schreiben. Sie ist Vortragsreferentin über das Thema Mongolei, hat Reiseführer geschrieben und fürs Fernsehen gearbeitet. Mit einer Co-Autorin (Shirley Michaela Seul) an ihrer Seite hat sie nun von ihrer Mutterschaft erzählt und warum sie damit unglücklich ist. Groß belegt und belehrt sie dabei immer wieder: Sie liebt ihre Tochter, sie würde alles für sie tun, tut es im Grunde ja auch, und dieses Buch schreibt sie auch dafür, dass ihre Tochter sich später nicht mehr rechtfertigen muss. Im Grunde ist das Buch nur das: Ein Aufbegehren dagegen, alles für das Kind tun zu müssen mit der Begründung, es für das Kind zu tun. Klingt paradox.
Vielleicht habe ich ihr deswegen nicht wirklich glauben können. Gerade weil die Autorin hier die Rolle der Erzählerin einnehmen will und ihre Erlebnisse in Bezug zur #regrettingmotherhood-Debatte setzt, glaube ich nicht, dass Sarah Fischer ihre Mutterschaft per se bereut. Sie gibt selbst zu, dass sie glücklich war und manchmal noch ist. Dass sie die Schwangerschaft genossen hat, die ersten Tage mit ihrer Tochter, die Glückseligkeit des Frischmutterseins.
Hier springt der Untertitel Warum ich lieber Vater geworden wäre ins Auge, denn Sarah Fischer leidet unter der gesellschaftlichen Vorstellung von Mutter, die sie gar nicht erfüllen will. Sie lässt sich unter Druck setzen und drückt gleich selbst noch einmal mehr dazu. Sie will alles leisten, 200%, voll arbeiten gehen, voll Mutter sein – und macht dann doch bei beiden Bereichen Abstriche, die sie nicht machen will. Sie ist nicht in die Mutterfalle geraten, sondern in die Vereinbarkeitsfalle.
Tatsächlich geht es wenig um das Muttersein an sich. Es geht nicht um Müdigkeit und Kinderkrankheiten, Elternabende oder Trotzattacken. Nicht einmal darum, dass der Mann sich nicht ums Kind kümmert, denn Sarah Fischer hat einen Mann, der nach dem Heimkommen sofort zum Kind rennt und mitspielt. Es geht vielmehr um die Trägheit, die das Muttersein mit sich bringt. Das Gefühl immer dasselbe zu tun, ohne dass sich etwas ändert, der persönliche Stillstand, während um sie herum alles weitergeht. Die tiefe Tristesse beim fünfzigsten Schaukeln des Kindes noch „hui“ zu rufen. Und den permanenten Blick von außen, der mehr will, kritisiert und nie zufrieden gestellt werden kann.
Vielleicht hätte Frau Fischer in einem anderen Land eine sehr glückliche Mutter werden können. Eine, die sich nicht zwischen „Ich will beweisen, dass ich alles kann“ und „Ich muss mich dem Druck beugen“ zerreißt. Insofern ist dieses Buch weniger persönliches Schicksal einer mit der Mutterschaft an sich unglücklichen Frau, die die Zeit zurückdrehen will, sondern vielmehr das Aufzeigen eines gesellschaftlichen Ungleichgewichts, eines nicht zu erfüllenden Ideals. Unter dem Deckmantel „Ich tue das für meine Tochter“ wird dann aber auch diese Aussage heruntergefahren. Dabei sollte die Autorin wenigstens den Mut haben zu sagen: Ich will, dass sich etwas für mich ändert, ich schreibe das für mich.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.04.2016
Warten auf Gonzo
Cousins, Dave

Warten auf Gonzo


ausgezeichnet

Oz muss umziehen. Seine Eltern schleifen ihn und seine Schwester in ein kleines Kaff, weg von London, und obwohl er sich bemüht, Anschluss zu finden, gelingt es ihm gleich am ersten Tag, sich den Spitznamen "Slips" zuzulegen und mit der unheimlichen Nachbarstochter und ihrem Hund anzulegen. Er schlittert von Fettnäpfchen in Bratenpfanne. Seine siebzehnjährige Schwester aber, Mustertochter, schafft es mühelos, seine Entgleisungen zu toppen. Sie wird schwanger und das stellt nicht nur ihr Leben auf den Kopf. Mit Ryan an seiner Seite, der sich in seiner Freizeit als Hobbit verkleidet, "Psycho" in seinem Nacken und der zweifelnden Meg in seinem Haus wartet Oz auf Gonzo, das Baby, und erzählt ihm seine Geschichte.

Ich muss zugeben, ich habe zugegriffen, weil ich Warten auf Godot gelesen habe und wissen wollte, wie der Autor auf das Drama anspielt. Antwort: Nur mit dem Titel. Gut, vielleicht schwingt auch in Warten auf Gonzo so einiges an Philosophie mit, aber zum Glück wesentlich unterhaltsamer und mit mehr Aktionen als bei Beckett. Oz ist ein liebevoller Tollpatsch, der im Grunde keiner ist, und eigentlich nur ein ganz normales Leben führen will. Er ist kein Held und kein Sonderling, Durchschnitt und gerade deswegen besonders. Er liebt sein altes Leben und will dahin zurück, arrangiert sich aber einfach in seiner neuen Situation, so liebevoll wie es ein Jugendlicher seinen Eltern gegenüber nur kann.

Er gibt dem Ungeborenen den Namen "Gonzo" und gibt ihm damit auch eine Chance auf Leben, macht es real und will, dass Meg ihr Kind bekommt. Damit steht er am Anfang noch ziemlich alleine, setzt sich aber durch, indem er nahezu nichts macht. Diese Involviertheit durch Nebensächlichkeiten finde ich so real und gut gemacht, dass ich das Buch nicht mehr weglegen konnte. Ohne viel Trara komm Oz in der Situation "Meine Schwester ist schwanger" an und hilft im Grunde der ganzen Familie, damit klar zu kommen. Um seiner Schwester zu helfen, geht er soweit, ihr vorgeblich bei einem Einbruch helfen zu wollen, denn er kann ihre Zerrissenheit, ihre Wut auf das Leben, nachvollziehen und weiß, dass er sie nicht einfach vom Tisch fegen kann. Oz denkt manchmal wie ein Kind und manchmal wie ein Erwachsener, ist gleichzeitig treu und egoistisch, ein toller Kerl und ein Vollidiot.

Cousins schafft es dabei immer wieder dem Klischee ein Schnippchen zu schlagen und spielt ausgezeichnet mit Erwartungen und Formulierungen. Oz und "G" teilen sich den Mittelpunkt der Geschichte, denn Oz erzählt und "G" hört zu. Dass es hierbei wirklich einen gelungenen Ausgleich wird und die Geschichte weder in die eine noch andere Schieflage gerät ist bemerkenswert und einfach toll gemacht. Prädikat: Lesenswert.

Bewertung vom 19.04.2016
Krummbüchel und die Baustelle des Lebens
List, Ulrich

Krummbüchel und die Baustelle des Lebens


gut

Die Gedichte erzählen konsequent vom Bauarbeiter Krummbüchel, die Themen dahinter sind vielfältig. Beziehungen, Alter, Familie, Politik, Gesellschaft. Ein großer Rundumschlag in die Welt der Diskurse. Außerdem gibt es ein Kapitel mit dialektalen Gedichten zu Köln.
Der Klappentext behauptet, der Autor selbst schlüpfe in die Rolle Krummbüchels. Da bin ich vorsichtiger. Krummbüchel, lyrisches Er/Du/Ich, zeigt selten Gefühle. Viele Texte zeigen deutliche Kritik, das Medium Lyrik wird dabei nicht ausgenutzt, lieber geht es mit dem gewaltigen Zaunpfahl gegen diese und jene Missstände. Korruption, Scheidung, Stammtische, Gesellschaft. Allzu oberflächlich nach meinem Geschmack. Auch die Fähigkeiten der Lyrik, die Tropen, Reimformen, Rhythmen, werden nicht ausgenutzt, bleiben zumindest ähnlich. Ein Stil, auf jeden Fall, ein einfacher aber.
Das ist schade, die Themenvielfalt hätte mehr Eindruck verdient. Auch die oft kalauernde Sprache mag ab und an passen, banalisiert die Aussage aber allzu sehr. Die Kritik wird lächerlich gemacht und der große Sinn der Gedichte selbst in Frage gestellt. Dabei sind die eingesponnenen Witze oft alt und nicht besonders aufregend. Im Grunde nimmt der Text sich so sehr viel.
Handwerklich sind die Gedichte dabei keinesfalls schlecht. Der jeweilige Rhythmus stimmt, das Reimschema wird eingehalten, die Betonungen sitzen. Trotzdem bleiben sie oft simpel und das Gefühl kommt auf, dass der Dichter durchaus zu mehr in der Lage wäre.
Lyrik ist eine Herzenssache. Kritik daran zu üben ist immer ein sehr subjektiver Vorgang. Der stetige Kalauer ging mir relativ schnell auf die Nerven. Als ob der Dichter sich eine eigene lyrische Meinung nicht zutraut, verpackt er sie immer in einen müden Scherz und setzt noch Krummbüchel als Zwischenfigur ein, die ein Gedicht, das ohnehin ein vom Autor getrennt zu betrachtendes lyrisches Ich hat, im Grunde nicht benötigt.
Als kleine Kapriole zwischendurch mag so ein Gedicht schon durchgehen. Geballt im Buch wirken sie zwanghaft komisch im Kritisieren und ermüden.

Bewertung vom 11.04.2016
Das letzte Nashorn
Oord, Lodewijk van

Das letzte Nashorn


ausgezeichnet

Edo Morell will einen Zoo retten. Der junge Direktor, der aus der Filmbranche kommt, plant eine Umstrukturierung des Amsterdamer Zoos Artis. Er will mehr Erlebnis, mehr Fremde, mehr Attraktion in die alten Gehege bringen und fängt mit „Afrika“ an, einem neuen Themenabschnitt. Neue Tiere will er dazu anschaffen, vor allem auch drei vom Aussterben bedrohte Nashörner. Damit unter denen die Paarung klappt holt er Sariah an Bord, afrikanische Nashorn-Spezialistin und mit Leib und Seele am Fortbestand dieser Spezies interessiert. Doch so leicht machen es ihm weder Sariah, noch die Nashörner.
Der Roman wird aus drei unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zum einen ist da Edo, zielorientiert, der eine große Nummer abliefern will, Attraktion und Ruhm. In ihm selbst sieht es dagegen ziemlich kaputt aus. Innerlich kaputt ist auch Sariah, die Mann und ungeborenes Kind bei einem Angriff durch Wilderer verloren hat. Sie lebt für die Nashörner und erzählt aus ihrer Perspektive die Zerrissenheit zwischen dem Wunsch, die Rasse zu erhalten und dem Gefühl, den Tieren unrecht zu tun, solange sie eingesperrt sind. Dritter Ich-Erzähler ist Frank, Gremienmitglied, in die Tage gekommen, philosophierend über Dürer und das Nashorn.
Dabei wird Geschichte mit Fiktion verwoben. Die reale Geschichte des Nashorns in der Kunst und in Europa, sein Mythos, die Schaulustigkeit der Menschen und die Haltung der Tiere werden mit dem fiktiven Ausblick auf das Ende der Rasse zusammengeführt. Nashörner sind gefährdet – womöglich so sehr, dass dieser Roman durchaus auch Realität werden könnte – noch ist er es aber nicht. Doch allein das Aufzeigen der Möglichkeit, beunruhigt. Denn es ist kein natürliches Artensterben, es ist ein brutales Abschlachten, das in diesem Roman die Nashörner vernichtet. Der Mensch.
Der Gefahr der Wilderer in der „freien“ Natur wird die Gefangenschaft im Zoo gegenübergestellt. Sicherer? Nicht, wenn es nach diesem Buch geht. Wilderer machen vor Zoomauern nicht halt, der Umgang mit den lebenden Geschöpfen gerade durch seine hier aufgezeigte Alltäglichkeit erschütternd, bewegend. Darf Tier noch Tier sein? Edo, der nicht aufhören kann im Rahmen eines Filmspektakels zu denken, der inszeniert, um jeden Preis, kann im Grunde zu keiner Sekunde Retter der Rasse werden. Er verbraucht, spielt ein Spiel mit den Medien. Und Sariah, die jedes tote Nashorn mehr zerbricht, bleibt darin eine Spielfigur.
Das letzte Nashorn ist ein unglaublich witziger Roman, spielt selbst mit Sichtweisen, Abgründen und Situation. Zugleich ist er ein erschütternd nachdenklicher Roman, weil er unseren gesamten Umgang mit Tieren in Frage stellt, vom Wilderer bis zum Tierschützer. Dies eingebettet in den historischen Kontext des europäischen Nashorninteresses, lässt den Menschen als im Grunde nicht lernfähig erscheinen. Die Besucher der Zoos und Veranstaltungen sind mit keiner Faser besser, als jene, die das Nashorn als Jahrmarktsattraktion bestaunten oder jene, die es töten, um die angeblich aphrodisierende Wirkung seines Horns verkaufen zu können. Tiere sind Profit, Dinge, keine Lebewesen. Ein dunkles Fazit.
Das letzte Nashorn ist ein kluges Buch, gut geschrieben, nicht per se anklagend, hetzerisch, fanatisch dem Tierschutz zugeschrieben. Sehr subtil setzt es Zeichen, zeigt Vergleiche und Verbindungen auf hinter der Geschichte um das letzte Nashorn, das hier leider auch nur Mittel zum Zweck ist. Sehr lesenswert.

Bewertung vom 10.04.2016
Die Traumweberin
Bennett, Ben

Die Traumweberin


schlecht

Die junge Ruby arbeitet an einem Hospiz und begleitet alte Menschen durch ihre letzten Tage. Die verträumte junge Frau glaubt an die große Liebe, die Magie des Lebens und an ihre Großmutter Tilda, die Traumweberin, die Menschen in ihren Träumen zusammenbringen und verbinden kann. Eines Tages wird an der Küste des kleinen Dorfes ein bewusstloser Mann angespült. Die Mediziner wissen sich keinen Rat und schicken ihn schließlich in das Hospiz, in dem Ruby arbeitet. Sie aber kann nicht loslassen und will um jeden Preis erfahren, wer er ist, denn sie ahnt, dass sie allein ihm helfen kann.

Leider klingt die Handlung in der Zusammenfassung um einiges spannender, als im Roman. Der Plot ist so stringent, dass alles vorhersehbar ist und Ruby weder gegen Windmühlen, noch Ritter antritt. In einfachem Stil fokussiert der Roman von Anfang an das Ende und lässt die Frage nach der Figurenentwicklung außen vor. Die Mystik der Traumweberin geht unter, sie ist so selbstverständlich wie belächelt. Im Grunde passt zu diesen simplen Grundpfeilern, dass die Liebesgeschichte sich mehr oder weniger zwischen Kindern abspielt.

Der Roman hätte dabei genug Potential, aufzuwirbeln, ein wirkliches Thema zu entwickeln, und nicht nur so lapidar daher zu dümpeln. Doch diese Fragen werden erst gar nicht gestellt und so geht der Moment vorbei und die Möglichkeit, der Geschichte Farbe zu verleihen, unter. Sie bleibt grau. Genauso wie die Figuren, die so weichgezeichnet sind, dass nahezu keine Konturen entstehen. Jede Hürde wird sofort beiseitegelegt, jeder Entwicklungsansatz gar nicht erst zugelassen.

In der Geschichte anzukommen ist darum gleichzeitig leicht und schwer. Der oberflächliche Blick ist sofort da, aber es fehlt durchweg die Tiefe. Die Umgebung wie auch die Figuren, die Dialoge wie die Emotionen, alles bleibt zu dünn und die Handlung hat keine Möglichkeit, sich wirklich zu entwickeln. Immerhin ist das Ende zu diesem weichen Brei stimmig, genauso weich, genauso luftig.

Dieses Buch hat mich nicht nur als Liebesroman enttäuscht, sondern als Buch an sich. Eine absolut oberflächliche, lächerlich unaufregende und farblose Romanze mit minimalem fantastischen Einschlag.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.04.2016
Die Katze, der Hund, Rotkäppchen, die explodierenden Eier, der Wolf und Omas Kleiderschrank
Fox, Diane;Fox, Christyan

Die Katze, der Hund, Rotkäppchen, die explodierenden Eier, der Wolf und Omas Kleiderschrank


sehr gut

Die Katze liest Rotkäppchen und der Hund will zuhören. Doch dann stellt er mehr Fragen, als still zu sein und bringt die Katze und das Märchen immer wieder durcheinander. Dabei will die Katze nur eine tolle Geschichte erzählen, die eben nicht mit Superhelden zu tun hat. So ganz will der Hund das nicht verstehen und macht aus Rotkäppchen Kapuzen-Girl.
Die Zeichnungen sind minimalistisch. Die Protagonisten selbst kommen nur mit Konturen daher, allein das Buch ist, wie könnte es anders sein, rot. Hin und wieder tauchen die Figuren ins Märchen ein und ein paar Bäume oder ein alter Kleiderschrank kommen dazu. Das finde ich ganz gut, denn es gibt der Phantasie auf mehrfacher Ebene Raum. Zum einen innerhalb der Geschichte selbst, denn die Farben zeigen, was die Figuren sich vorstellen, zum anderen natürlich für Leser und Zuhörer. Außerdem richtet sich der Fokus so mehr auf die Geschichte, als auf die Farben und das ist wichtig.
Ich musste ab der ersten Seite grinsen. Als Viel-Lesern und Mama kenne ich die Situation der Katze sehr gut. Der eigene Wunsch, weiterzulesen und in die Geschichte einzutauchen – oder auch nur in ihr voranzukommen – wird gerne mal durch neugierige Fragen torpediert, bis die hoch gepriesene Geduld am Ende ist. Gleichzeitig verstehe ich den Hund. Er will aus der allbekannten Geschichte seine Geschichte machen, Rotkäppchen eine neue Färbung geben und interpretiert, dichtet dazu, fragt nach.
Hund und Katze sind dabei gar nicht so unterschiedlich, wie sie tun. Beide wollen die Geschichte erfahren, nur auf unterschiedliche Arten. Dass anhand einer einfachen Geschichte diese Unterschiede dargestellt werden, so mühelos und unterhaltsam, finde ich wirklich toll. Immerhin spricht der Hund aus, was manch Leser / Zuhörer bestimmt schon gedacht hat (vielleicht erst beim zehnten Lesen von Rotkäppchen, aber immerhin). Es sind Fragen zum Schmunzeln, zum Kichern, zum Nicken, und manchmal auch heftig diskutierte, wie die, ob das „blutige“ Märchen überhaupt für Kinder geeignet ist.
Mir hat das Buch darum sehr gut gefallen und auch wenn ich im Grunde für die Katze plädiere, verstehe ich den armen, naiven, neugierigen Hund. Was ich schwierig finde ist der Humor dahinter und die Perspektive, die mehr den erwachsenen Vorleser, als das Kind anspricht. Einige Witze sind für Kinder – gerade solche, die sich noch vorlesen lassen und Bücher mit vielen Illustrationen mögen – einfach nicht zu verstehen, schon allein, weil viel Ironie dazugehört. Außerdem wird der Hund als Vertreter des Kindes eingesetzt und dieses dadurch mit dem Prädikat „nervig“ versehen, denn so präsentiert sich der Vierbeiner gegenüber der Katze.
Ja, das Buch regt dazu an, nicht nur diese Geschichte MITeinander zu lesen, sondern auch bei anderen Mal vom vorgeschriebenen Weg abzuweichen, ist aber bestimmt nicht für jedes Kind geeignet. Es ist unterhaltsam und auf jeden Fall einzigartig, was mir sehr gut gefällt. Ob meine Kinder daran genauso große Freude haben, bezweifle ich allerdings leicht.

Bewertung vom 05.04.2016
Die Abschaffung der Mutter
Wilk, Denise;Bronsky, Alina

Die Abschaffung der Mutter


weniger gut

Angefangen bei den Untersuchungen in der Schwangerschaft werfen die Autorinnen einen Blick auf alles, womit sich eine Mutter heute konfrontiert sieht. Die Bevormundung durch Mediziner, die Anleitungen zur Kindererziehung, den Druck, zu arbeiten. Eine Abwertung der Mutter meinen Frau Bronsky und Frau Wilk.
Diesem Buch lässt sich schwer zu Leibe rücken, ohne persönliche Kommentar einfließen zu lassen. Schon allein, weil beide Autorinnen vor allem ihre eigenen Erlebnisse aufgreifen und pauschalisiert wiedergeben (das geben die beiden auch in ihrer Einleitung zu). Ich möchte hier trotzdem trennen und den Versuch einer vernünftigen Kritik unternehmen.
Viele Punkte, die die Autorinnen aufgreifen, sind interessant, diskussionswürdig und wichtig. Die stetige Abwertung der Hebammen durch die immer weiter steigenden Krankenkassenbeiträge beispielsweise, gegen die trotz gesellschaftlichem Protest nichts unternommen wird. Der von der Empfängnis an lastende Druck auf einer Frau, „plötzlich“ Mutter zu sein und die überhöhten, unerreichbaren Eigenschaften, die damit verbunden sind. Doch bereits hier zeigt sich eine erste Diskrepanz. Während Frau Bronsky und Frau Wilk nämlich in einem Satz eben jene Erhöhung kritisieren, ist es im Grunde gerade sie, die beide erhalten wollen. Das zeigt nicht erst dann, wenn beide den Vätern absprechen, adäquate Bezugspersonen zu sein oder sie den Platz einer Mutter an der Seite ihres Kindes sehen und Kleinkindbetreuung in der KiTa oder bei Tageseltern ablehnen. Es zeigt sich an der Tatsache, wie die Autorinnen mit der Mutterfigur in ihrem Buch umgehen und wie sie immer wieder tiefe Seitenschläge auf andere Meinungen austeilen.
Als Quellen nutzen die Beiden dabei nicht etwa Fachliteratur, sondern fast ausschließlich journalistische Texte, oft Kommentare und Kolumnen, die durch ihre Textgattung bereit gefärbt sind und deren Aussagekraft je nachdem als krasser Gegenpunkt herhalten muss oder als längst belegte eigene Meinung. Hier zeigt sich sehr deutlich, wie leicht es sein kann, der eigenen Meinung polarisierende und pauschalisierende Stimmen hinzuzufügen, um den Anschein einer fundierten Grundlage zu wahren. Doch Die Autorinnen gehen – was eigentlich wichtig wäre – nicht konstruktiv mit den verwendeten Texten um, sie reflektieren ihre eigenen Aussagen nicht und gehen auch nicht auf bestehende Gegenstimmen zu ihren Theorien ein.
Im Grunde wird Die Abschaffung der Mutter, dessen Kernaussage so viel mehr verdient hätte, zu einer Ansammlung von Vorwürfen und Schreckensbildern, angefangen von „gezwungenen“ Untersuchungen und Geburten bis zur Enteignung des Kindes durch die staatliche Erziehung. Ein Buch, das ich keiner werdenden Mutter wünsche, sie wird weder sich, noch ihrem Mann oder ihrem Umfeld mehr vertrauen. Im Grunde sprechen die Autorinnen, allen Müttern, die sich für ein Krankenhaus als Geburtsort oder einen frühen KiTa-Platz entscheiden ihre Mütterlichkeit ab. Selbst homosexuelle Paare, die ein Kind adoptieren werden angegriffen, weil die Mutter fehlt, Leihmutterschaft (ohne Frage ein großes Problem) wird gemeinsam mit „Retortenkindern“ verteufelt, immer mit dem netten Spruch „Wir wünschen allen, die es anders machen alles gute“, der hier mehr nach einem „Kannst es ja probieren, ist aber trotzdem falsch“ klingt.

Bewertung vom 01.04.2016
Mimikry

Mimikry


ausgezeichnet

Ein Literaturverwirrspielbuch? Nichts wie her damit, dachte sich mein Literaturwissenschaftlerinnenherz das gleichnamige Buch zum Spiel Mimikry zog bei mir ein, erschienen bei Blumenbar (Aufbau Verlag) 2016.
Das Spiel Mimikry ist schnell erklärt und doch nicht ganz einfach zu verstehen. Eine Gruppe Menschen trifft sich, ein Spielleiter wird festgelegt. Dann begeben sich die Teilnehmer auf Buchsuche und wählen einige Werke aus, die „gespielt“ werden sollen. Der Spielleiter liest einige möglichst prägnante Stellen aus dem jeweiligen Buch vor, bis die Teilnehmer glauben, den Stil nachvollziehen zu können. Dann wird geschrieben. Die Teilnehmer versuchen den ersten Abschnitt des Buches zu verfassen, besser gesagt einen möglichst authentischen ersten Abschnitt für das Buch.
Diese ersten Abschnitte diverser Spielabende sind nun in Mimikry gesammelt. 400 Seiten voller Einstiege, die sich mal mehr, mal weniger ähneln. Die Auflösung gibt es selbstverständlich auch. So wird Mimikry – das Buch – zu einem eigenen Ratespiel. Erstaunlich, welche Formulierungen da erzeugt wurden, welche Ansätze, welche bekannten Phrasen und literarischen Größen eingebaut wurden und wo die Texte kreuz und quer durcheinandergehen.
Mehr als nur ein Ratespiel ist das Buch Mimikry aber bei weitem. Es ist eine Momentaufnahme der Literatur, durchzogen von Nachkriegsliteratur und Lyrik, Gegenwartsliteratur, fremdsprachiger und deutscher Literatur. Romantisches und Tragisches, Humoristisches, Verwirrendes und Spannendes. Mimikry besticht auch deswegen als Querschnitt durch die Literatur, weil so viele Genres und Epochen der neuen Literatur zur Sprache kommen und eine Vielfalt auf den (im Vergleich dazu) wenigen Seiten greifbar wird, die kaum ein Regal zu bieten hat.
Neben diesem Einblick in so unterschiedliche Bücher wird zu den einzelnen Spielabenden auch in die Runde geschaut, in den jeweils eigenen Stilen der Spielleiter. Der/die Gastgeber/in und das Ambiente wird unter die Lupe genommen, mal mehr, mal weniger ausführlich. Auch die Vorstellung der gespielten Bücher erfolgt unterschiedlich. Wie bei den einzelnen Büchern dominiert also auch hier die Varianz, die Vielseitigkeit, die kein Muster kennt.
Vielleicht stimmt es nachdenklich, wenn einem just die Romananfänge aus der Feder des einen oder anderen Mitspielers immer am authentischsten erscheinen, vielleicht ist es aber auch die geballte Ambivalenz, die aus den einen Zeilen einen Romananfang machen, aus den anderen einen Spielbeitrag, fest steht, Mimikry regt zum Nachdenken an. Über das geschriebene Wort, über Sprache und Literatur an sich und die Kunst des Nachahmens.