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Miro76
Wohnort: 
Österreich

Bewertungen

Insgesamt 151 Bewertungen
Bewertung vom 13.10.2022
Geschichte eines Kindes
Kim, Anna

Geschichte eines Kindes


sehr gut

Daniel Truttman ist in den 50er Jahren in der Kleinstadt Greenbay geboren und wurde von seiner Mutter dem Sozialdienst übergeben, weil sie ihn nicht behalten wollte. Den Vater will sie nicht preisgeben und verschleiert seine Identität auf diverse Arten. Nur eins soll er angeblich nicht sein, ein Farbiger.

Doch Danny sieht aus wie ein Mischlingskind. Die zuständige Sozialarbeiterin verbeißt sich in die Frage der Rassenbestimmung, als gäbe es nichts Wichtigeres! Sie verhindert sogar eine mögliche Adoption, weil die Identität noch nicht geklärt ist.

Diese Abschnitte lesen wir als Protokolle der Untersuchungen und Befragungen. Im zeitlichen Kontext sind sie wahrscheinlich recht realistisch verfasst, doch für unsere heutigen Sprachgebrauch ist das manchmal echt hart zu verdauen. Es macht einen regelrecht wütend beim Lesen.

Doch die Frage der Herkunft stellt sich nicht nur in der Vergangenheit, denn die Aufdeckerin der Geschichte ist ebenfalls halb europäisch, halb asiatisch. Sie landet zufällig als Untermieterin bei Danny's Frau und man sollte annehmen, gerade sie, die ihr Leben mit einer Person of Color verbracht hat, sollte etwas sensibler damit umgehen. Doch sie beharrt immer wieder auf den Unterschieden. In der Gegenwart ist sie wohl die schlimmste Rassistin.

Zusätzlich zur Rassenthematik stellt die Autorin auch die Mutterschaft infrage. Sämtlich Mütter in diesem Buch haben ihre Kinder verlassen oder in Anwesenheit vernachlässigt. Einzig Danny's Adoptivmutter scheint eine gute Mutter gewesen zu sein.

Die Verbindungen zwischen "dem Kind" und der Ich-Erzählerin sind vielfältig und doch unterscheidet sie einiges. Die Zeit in der sie leben, verbaut nur Danny die Zukunft, doch die fehlende Mutterliebe lässt beide nicht los.

"Geschichte eines Kindes" beleuchtet Rassismus hauptsächlich in historischem Kontext und die Verfehlungen der Vergangenheit sind uns größtenteils bekannt. Daher empfinde ich dieses Buch eher als Beitrag zur Erinnerungskultur. Große Fragen zur Diskussion wirft das Buch eigentlich nicht auf. Nach Sensibilität im Sprachgebrauch muss hier nicht gefragt werden, denn das Drama spielt sich in den 50er Jahren ab und wir alle wissen, welche Begriffe damals gebräuchlich waren.

Dennoch empfehle ich das Buch, denn es ist ein weiterer Beitrag, der deutlich macht, dass es keine Rassen gibt, sonder nur Menschen, die als Menschen wahrgenommen werden wollen!

Bewertung vom 05.10.2022
Kangal
Schentke, Anna Yeliz

Kangal


ausgezeichnet

Dilek ist nach Deutschland geflüchtet, doch sie weiß noch nicht genau, ob sie bleiben möchte. Auch hier fühlt sie sich nicht sicher.

Seit dem Putsch 2016 müssen Systemkritiker um ihre Freiheit fürchten. Ihre Möglichkeiten sind stark begrenzt. Doch Dilek und ihre Freunde lassen sich den Mund nicht verbieten. Als Kangal1210 veröffentlicht sich ihren Widerstand im Internet. Doch eine unterschwellige Bedrohung ist immer zu spüren und immer mehr Menschen verschwinden hinter den Mauern aus Stein.

Eine Freundin wurde bereits verhaftet, ein weitere Freund wartet auf seinen Prozess. Dilek hat Angst und haut ab.

Doch auch in Deutschland kann sie sich nicht sicher fühlen, denn 63% der Türken hier haben für ein System gestimmt, in dem sie ganz bestimmt nicht leben möchten!

In kurzen Kapiteln erzählt uns Dilek ihre Geschichte, ihre Ängste und Sorgen, aber auch ihre Vergangenheit. Es kommen außerdem ihre Cousine und ihre Lebensgefährte zu Wort, die alle einen anderen Blick auf die Situation haben.

Die Autorin spielt mit den Zweifeln der Protagonist*innen und der Leser*innen. Wer ist im Recht, wer reagiert über und wer nimmt die Realität nicht wahr? Wem können wir glauben?

Die unterschwellige Bedrohung ist in jeder Zeile zu spüren. Als Leserin wird mir da Ausmaß der Tragödie noch viel stärker bewusst und ich fühle mich mit Dilek auf der Flucht.

Für mich ist es kaum vorstellbar, seiner freien Meinung beraubt zu sein. Ich finde, Anna Yelitz Schentke hat hier ein wichtiges Buch geschrieben, dass uns zeigt, dass dieser Konflikt auch vor unserer Haustüre lauert.

Bewertung vom 03.10.2022
Das Haus über dem Fjord
Valla, Kristin

Das Haus über dem Fjord


ausgezeichnet

Elin wusste schon als Kind ziemlich genau, was sie wollte und was sie nicht wollte, war von ihrer Mutter wie eine Puppe ausstaffiert zu werden. So endet der Streit über die Anziehsachen damit, dass Elin zuhause bleiben muss. Um allein zu bleiben ist sie natürlich noch nicht alt genug. Also fährt nur der Vater mit den beiden Söhnen zu seinen Eltern und Elin und ihre Mutter bleiben für immer allein zurück.

Diese Tragödie war kaum zu verarbeiten. Nie wieder wird Elin eine Schwester sein. So wächst sie auf, mit einem schweren Schatten auf ihren Schultern. Die Mutter zieht sich immer mehr zurück und Elin lebt später bei ihrer Großmutter in Oslo. Sie wird Journalistin und landet nach einigen Jahren bei großen Zeitungen bei einem Modemagazin als Chefin vom Dienst.

Nach dem Tod ihrer Mutter kehrt Elin in ihren Geburtsort zurück, um das Haus auszuräumen. Dabei entdeckt sie verschiedenste Hinweise, die ihr zu denken geben. So macht sie sich auf die Suche nach der Vergangenheit ihres Vaters und stößt auf eine Spur, die sich bis nach Frankreich führt.

Das Haus auf dem Fjord ist Elins Elternhaus, das sie liebt, aber nicht behalten möchte, denn die Erinnerungen lasten zu schwer. Sie ist eine Frau, die von ihrem Schicksal gezeichnet ist. Die Schwere der Tragödie hat sie etwas unsicher gemacht, aber eigentlich geht sie ihren Weg ganz unbeirrt. Mir gefällt diese junge Frau. Sie ist nicht perfekt, hat ein großes Herz, ist neugierig und stellt die richtigen Fragen. Und sie entdeckt Erstaunliches!

Gerade dieses Geheimnis hat diese Geschichte noch besser gemacht, aber das kann ich hier natürlich nicht verraten. Ein bisschen Spannung soll schon sein!

Von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung an alle. Das Buch ist interessant, emotional, spannend und überraschend. Der Stil ist einfach und flüssig. Einmal zur Hand genommen, will man es eigentlich nicht mehr weglegen!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.10.2022
Die Kriegerin
Bukowski, Helene

Die Kriegerin


ausgezeichnet

Die Kriegerin bekommt erst ganz spät im Buch einen Namen, denn das ist es, worauf sie vorerst reduziert wird. Sie ist stark, unverwundbar und macht, was sie will. Zumindest ist es das, was Lisbeth in ihr sieht.

Die Kriegerin ist alles, was Lisbeth nicht ist. Denn Lisbeth ist schwach, wehrt sich nicht, wenn es drauf ankommt und nicht einmal ihre Haut ist eine schützende Barriere zur Umwelt. Immer wieder blüht die Neurodermitis so stark, dass sich Lisbeth blutig kratzt. Immer dann, wenn ihr alles zu viel wird.

So kommt es, dass Lisbeth alles zurücklässt und auf einem Kreuzfahrtschiff anheuert. Wortlos verlässt sie Mann und Kind.

Damit rührt Helene Bukowski an einen Tabuthema. Wie kann eine Mutter ihr Kind verlassen! Doch wenn man Lisbeth unvoreingenommen folgt auf ihrer Reise durch die Welt und ihrer Suche nach Vergebung, dann lernt man eine zutiefst verletzte Frau kennen, der Narben bis in die Kindheit zurückreichen.

Die Kriegerin lernte sie bei der Bundeswehr kennen, doch auch diesen Weg konnte sie nicht zu Ende gehen. Aber eine Verbindung blieb, denn Lisbeth träumt die Träume ihrer Freundin. Auch die Geschichte der Kriegerin birgt einige Brüche und sie trägt schwer an ihrem Schicksal.

Wie bereits mit ihrem Debüt "Milchzähne" überzeugt Helen Bukowski auch hier mit einem intensiven Leseerlebnis. Ihre direkte, schnörkellose Sprache vermittelt die Härte des Alltags ihrer Protagonistinnen ungeschönt und erzeugt einen Lesesog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Die Autorin hat mich quasi an der Hand gepackt und führt mich in rasantem Tempo durch diese beiden Leben, öffnet mir die Augen für Verletzlichkeit und zeigt mir, wie wichtig es ist, sich selbst zu vergeben.

Eine großartige Geschichte über zwei eigenwillige Frauen, die einen unüblichen Weg gehen!

Bewertung vom 22.09.2022
Der betrunkene Berg
Steinfest, Heinrich

Der betrunkene Berg


ausgezeichnet

Auf irgendeinem Berg mit Kogel im Namen hat sich Katharina ihr Refugium geschaffen; die höchste Buchhandlung der Welt, als Anbau einer Schutzhütte.

Und Katharina liebt ihren kleinen Laden mit noch kleinerer Wohnung hinten dran. Sie verbringt sogar den Winter einsam auf ihrem Berg.

Doch in diesem Jahr ist alles anders, denn Katharina findet auf dem Weg zum Gipfel einen Mann im Schnee. Eingerollt liegt er in einer Mulde. Seine Kleidung ist viel zu dünn, seine Schuhe nicht wirklich tauglich und seine Lider sind fast schon zugefroren. Doch er lebt und taut auch langsam auf. Katharina nimmt ihn mit in ihr Reich, gibt ihm einen Namen und lässt ihn langsam wieder zu sich kommen.

Erinnerung um Erinnerung steigt in ihm auf. Erst erinnern sich seine Hände, beim Kochen der Mahlzeiten oder beim bauen von Schneeskulpturen, doch langsam beginnt auch sein Kopf wieder zu erahnen, wer er mal war und was er hinter sich gelassen hatte. Nur warum er sich auf dem Berg eingefunden hatte, will sich nicht einstellen.

Auch Katharina hat ein Geheimnis und so verbindet die beiden mehr als sie ahnen. Beide haben Schuld auf sich geladen, beiden hat das Schicksal übel mitgespielt, doch wie es zu diesen Enthüllungen kommt, wird hier nicht verraten. Nur noch so viel: Steinfest hat hier eine spannende, etwas schräge Geschichte geschrieben, die großartig unterhält. Sprachgewandt erzählt er uns, wie der betrunkene Berg das Leben seiner Bewohner lenkt. Und wer jetzt wissen möchte, wie ein Berg betrunken sein kann, der sollte unbedingt das Buch lesen! Der Titel wird ausreichend erläutert.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2022
Das Glück auf der letzten Seite
Bonidan, Cathy

Das Glück auf der letzten Seite


ausgezeichnet

Anne-Lise kann nicht gut einschlafen, ohne vorher ein paar Seiten gelesen zu haben. Auf der Suche nach Lektüre öffnet sie den Nachttisch in ihrem Hotelzimmer und siehe da, sie findet ein Manuskript, das jemand da vergessen haben musste.

Voller Begeisterung liest sie die maschinengeschriebenen Seiten und entdeckt irgendwo in der Mitte tatsächlich eine Adresse. Sie überlegt nicht lange und schickt das Manuskript mit einigen Zeilen zu seinem Besitzer zurück.

Dieser hatte sein unfertiges Buch allerdings vor 30 Jahren verloren! Und was noch mysteriöser ist: Jemand hat es fertig geschrieben.

Aus dieser kuriosen Tatsache entwickelt sich ein Briefwechsel und eine Dedektivgeschichte, die den Weg des Manuskripts rückwärts nachvollziehen wird.

Diese Spurensuche führt zu interessanten Begegnungen mit den verschiedensten Menschen, die das Manuskript auf diverse Arten berührt hat und manchmal zu lebensverändernden Entscheidungen geführt hat. Vergessen hat diese Geschichte niemand.

Und so schreiben sich alle Beteiligten Briefe in deren Zentrum Anne-Lise steht, die Initiatorin der Suche. Es scheint, dass diese altmodische Art zu kommunizieren, die Menschen einander viel näher bringt, als e-mails das jemals könnten. Die Worte werden bedächtiger gewählt und die Menschen geben offener Einblick in ihre Erfahrungen. Es sind Briefe, "die Klarheit ins Denken bringen und den Geist freimachen". (S. 265)

Mir hat es großen Spaß gemacht, dieser Reise zu folgen. Ich war skeptisch, denn um Briefromane habe ich bisher einen großen Bogen gemacht. Aber der Autorin ist es hervorragend gelungen, mich bei Laune zu halten. Die Briefe sind ansprechend, interessant und sorgen immer wieder Mal für Lacher mit feinsinnigem Humor.

Cathy Bonidan konnte mich wirklich begeistern mit diesem warmherzigen Roman. Ich empfehle es allen, die einfach ein schönes Buch lesen wollen, das ohne Kitsch auskommt. Es ist ein Buch für die kalten Tage, denn es zaubert den Leser*innen ein warmes Lächeln ins Gesicht!

Bewertung vom 30.08.2022
Freiheitsgeld (eBook, ePUB)
Eschbach, Andreas

Freiheitsgeld (eBook, ePUB)


sehr gut

Das war mein erster Ausflug ins Genre Sience Fiction und ich fand ihn recht interessant. Eschbach legt seinen Roman in die gar nicht so ferne Zukunft und greift hier Themen auf, die uns jetzt schon beschäftigen.

Die Klimakrise wurde relativ radikal gelöst mit riesigen Naturschutzzonen, in denen die Umwelt wieder völlig sich selbst überlassen bleibt. Es wurden Unmengen an Bäume gepflanzt und die Artenvielfalt soll sich dort wieder erholen können.

Die Menschen leben mehr oder weniger frei von ökonomischen Sorgen, denn das bedingungslose Grundeinkommen nimmt ihnen den Zwang zu arbeiten. Deshalb trägt es auch den klingenden Namen Freiheitsgeld und dieses feiert demnächst sein 30jähriges Jubiläum. Zu diesem Zweck soll der ehemalige EU-Präsident eine Rede halten. Doch kurz vorher wird er tot in seiner Badewanne aufgefunden. Außerdem ist sein ehemaliger Widersacher, ein Journalist der alten Schule ebenfalls tot in seiner Wohnung gefunden worden.

Achmad, ein motivierter Polizist vermutet eine Verbindung zwischen diesen beiden Toden und wühlt sich durch Unmengen an Aufzeichnungen, Indizien und Verdachtsmomenten, die ihn tief hineinziehen in eine eventuelle Verschwörung.

Andreas Eschbach hat hier ein Buch vorgelegt, das wirklich gut unterhält. Die erbaute Welt ist gut vorstellbar und regt zum Nachdenken über das bedingungslose Grundeinkommen an. Wie würden wir damit umgehen? Könnte es funktionieren? Und wie würde es finanziert werden?

Hoffentlich nicht so, wie im Roman. :)

Den Kriminalfall im Buch fand ich nur mäßig spannend. Die Enthüllungen, die den Fall weiterbringen, konnte ich alle erahnen, weil doch recht klar darauf hingewiesen wurden. Das war mir etwas zu einfach. Deshalb ziehe ich bei meiner Bewertung einen Stern ab. Das Worldbuilding überzeugt und mit dem Schluss konnte mich der Autor doch noch überraschen.

Alles in allem hat mich der Roman gut unterhalten!

Bewertung vom 24.08.2022
Svendborg 1937
Jeschke, Tanja

Svendborg 1937


sehr gut

Oz Dinkelspiel hatte eine Kunstgalerie in Stuttgart bis sich die Lage in Deutschland zuspitzte. Als die Gestapo vieler seiner Bilder beschlagnahmt, zögert er nicht lange und flieht mit seiner Familie nach Dänemark, wo sie bei einer entfernten Tante unterkommen. Sie hatte einst einen Quäker geheiratet und ist konvertiert. Ihr Mann ist mittlerweile verstorben und sie kann das Geld der Dinkelspiels gut brauchen.

So versuchen Oz und Malka Dinkelspiel mit ihren drei Kindern, Ricarda, Meret und Friedrich die Zeit dort auszusitzen.

Ricarda und Meret, die großen Töchter hadern sehr mit ihrem Schicksal. Sie mussten ihre Jugend und ihre Zukunft zurücklassen. Ricarda wollte studieren und mit ihrem Verlobten zusammenleben und Meret sollte bald Abitur machen. Beiden haben das Gefühl, alles verloren zu haben.

Sie alle müssen sich neu orientieren. Schlußendlich auch die Tante, denn diese fünf Gäste bringen ihr ordentliches Leben ganz schön durcheinander.

Doch die Autorin erzählt uns nicht nur von dieser Familie und ihren Schwierigkeiten im Exil. Auch Bert Brecht ist in Svendborg gelandet und Meret freundet sich mit seiner Geliebten Grete Steffin an. So erfahren wir nebenbei einiges über ihn und andere Persönlichkeiten, die in Dänemark die ersten Kriegsjahre verbringen.

Tanja Jeschke gelingt es gut, nachvollziehbar zu schildern, wie es sich anfühlt alles hinter sich zu lassen; wie sich so ein Bruch in der Lebenslinie auswirkt. Es geht nicht nur darum, was man alles zurücklassen musste, sondern auch darum, welche Möglichkeiten sich gar nicht erst bieten. Und man beginnt zu verstehen, dass zwar einerseits Leben gerettet sind, aber auch, dass zählt wie viel verloren wurde. Vielleicht hinterfragt man nach der Lektüre die große Dankbarkeit, die hierzulande gerne von den Geflüchteten gefordert wird. Denn so viel Unterschied ist da gar nicht.

Meret schafft es in diesem Jahr 1937 in Svendborg anzukommen und der Epilog gibt Ausblick auf das weitere Leben der anderen Familienmitglieder.

Diese Geschichte um die Familie Dinkelspiel hat mich sehr berührt. Manche Exkurse in die Welt der exilierten High Society hätte ich nicht unbedingt gebraucht. Sie machen die Geschichte etwas unpersönlicher. Deshalb ziehe ich bei meiner Bewertung einen Stern ab.

Bewertung vom 16.08.2022
Jahre mit Martha
Kordic, Martin

Jahre mit Martha


ausgezeichnet

Zeljko, der in Deutschland der Einfachheit halber Jimmy heißt, lebt mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einer Zweizimmerwohnung in Ludwigshafen. Sein Vater arbeitet am Bau, seine Mutter putzt an mehreren Stellen, damit die Kinder es einmal besser haben.

Und Zeljko ist motiviert. Er lernt fleissig, schreibt gute Noten und liest sehr viel in seiner spärlichen Freizeit. Denn auch die Kinder müssen manchmal bei einem Putzjob einspringen.

Als er Martha, eine der Chefinnen seiner Mutter kennenlernt, entspinnt sich schnell ein Gespräch und eine ganz eigene Anziehungskraft. Immerhin ist Zeljko erst 15 und Martha fast 20 Jahre älter als er.

Doch was nicht sein soll, lässt die beiden doch nie ganz los und so unterstützt Martha Zeljko beim Studium, begleitet ihn auf seinem Weg ins Erwachsenenleben und lebt eine ganz eigene Form von Beziehung mit ihm, wenn auch aus der Ferne.

Martin Kordic geht sehr einfühlsam um mit seinen Figuren und lässt hier nichts Missbräuchliches aufkommen. Martha kann wieder jung sein mit Zeljko und Zeljko kann sich entfalten, sich ausprobieren. Dass er sich dabei auch verläuft, hat wenig mit Martha zu tun.

Mir hat dieser Roman über Selbstfindung, Erwachsenwerden, Migration und sozialen Aufstieg sehr gut gefallen. Die Probleme und Möglichkeiten werden glaubhaft geschildert und bringen uns die Schwierigkeiten der 2. Generation näher. Für mich war der Roman ein echter Pageturner, der mich am Ende doch sehr gerührt hat.

Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung! Das Buch gehört definitiv zu meinen Highlights in diesem Lesejahr.

Bewertung vom 02.08.2022
Ellis
Mariani, Selene

Ellis


sehr gut

Ellis ist in Italien geboren und hat dort ihre ersten Lebensjahre verbracht, bevor sie mit ihrer Mutter in deren Heimat Deutschland übersiedelte. Zweisprachig aufgewachsen, mit einem Fuß in Italien und einem in Deutschland ist sie immer irgendwie fremd. Da fragt man sie, wo sie herkommt, dort wird sie wie eine Touristin behandelt.

In der Schule wurde sie schwer gemobbt, bis ein neues Mädchen in ihrem Haus einzieht und in ihre Klasse kommt. In Grace findet Ellis endlich eine Freundin. Doch diese Freundin entpuppt sich als wenig vertrauenswürdig, denn immer wieder schließt sie sich dem Klassenmob an und verletzt Ellis zutiefst.

Als sie sich Jahre später wieder begegnen, schließt sich Ellis ihr nicht vorbehaltlos an. Die alten Zweifel nagen und Grace hat sich auch nicht völlig verändert.

Selene Mariani erzählt uns Ellis Geschichte sehr fragmentarisch. In kurzen Kapiteln springt die Erzählung durch die Zeit und durch die Länder. Man muss aufmerksam lesen, damit sich die Geschichte zusammensetzt und wir bekommen einen tiefen Einblick in diese leicht toxische Beziehung zwischen den Mädchen bzw. zwischen den beiden Frauen.

Die vielen Auslassungen geben uns Leser*innen Raum für eigene Gedanken und Gefühle. Das hat mir prinzipiell gut gefallen, wird aber gegen Ende hin doch etwas zu weit getrieben. Wenn ein ganzes Gespräch nur mehr in Satzfragmenten zu finden ist, dann fühle ich mich damit doch etwas verloren. Schlußendlich hängen Ellis und Grace am Ende irgendwie in der Luft und bleiben meiner Fantasie überlassen. Deshalb ziehe ich bei meiner Bewertung auch einen Stern ab. Ansonsten war es ein intensiver Lesegenuss.