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YukBook
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München

Bewertungen

Insgesamt 273 Bewertungen
Bewertung vom 16.03.2022
Und dann kommt das Meer in Sicht
Kallert, Tamina

Und dann kommt das Meer in Sicht


ausgezeichnet

Schon länger habe ich die „Wunderschön“-Moderatorin Tamina Kallert im Fernsehen vermisst und führte das auf die Pandemie zurück. Tatsächlich wurde sie wie so viele ihrer Kollegen durch die Corona-Beschränkungen ausgebremst, doch sie nutzte die Zeit, um ein neues Buch zu schreiben. Darin erzählt sie von besonderen Reiseerlebnissen, Dreharbeiten und Begegnungen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

So mancher Beitrag kam mir bekannt vor, zum Beispiel der über Fritz Sendlhofer und seine berühmten selbstgemachten Kasnocken. Was sich jedoch hinter der Kamera abspielte, wie strapaziös die Vorbereitungen sein können und unter welchem Druck das Fernsehteam oft steht, um alles perfekt in Szene zu setzen, erfährt man erst durch ihre anschaulichen Schilderungen. Tamina Kallert gibt dabei nicht nur Einblicke hinter die Kulissen, sondern auch in ihre Gedanken und Gefühle und welchen prägenden Einfluss eine bestimmte Begegnung oder eine Erfahrung auf ihr eigenes Leben hatte.

Ich begleitete die Autorin nicht nur zu verschiedenen Drehorten wie Liverpool, Rom, die Krimmler Wasserfälle oder Ibiza, sondern auch auf ihren verschiedenen Lebensabschnitten, beruflich und privat. Sehr offen, ehrlich und selbstkritisch erzählt sie von ihrer größten Lebenskrise mit Mitte Zwanzig, von schwierigen Entscheidungen, gesundheitlichen Einschnitten, Panik- und Glücksmomenten. Tamina Kallert, die ich im Fernsehen so fröhlich und herzlich erlebe, zeigt sich hier auch von einer nachdenklichen und verletzlichen Seite. Sie hat ein sehr persönliches, mutmachendes Buch geschrieben, das uns lehrt, wie man von wertvollen Erfahrungen und Begegnungen, von Familie, Freunden und kleinen Freuden im Alltag zehren und schwierige Zeiten wie diese durchstehen kann.

Bewertung vom 12.03.2022
Tell
Schmidt, Joachim B.

Tell


ausgezeichnet

Der Klappentext verspricht nicht zu viel: dieser Roman ist wirklich ein Pageturner, in dem eine Szene die nächste jagt. Einerseits hatte ich leichte Schwierigkeiten, die zahlreichen Figuren einzuordnen; andererseits ist dies ein interessanter Kniff, um Wilhelm Tell und sein Schicksal aus verschiedensten Blickwinkeln zu verfolgen. Mit der Zeit bekam ich ein immer klareres Bild des eigenbrötlerischen Wilderers, der die Schikanen des Landvogts Gessler und seiner Handlanger nicht auf sich sitzen lässt.

Der Autor präsentiert uns eine kurzweilige, originelle Version der Tell-Sage, in der auch die Apfelschuss-Szene nicht zu kurz kommt. Trotz des rasanten Tempos versäumt er es dabei nicht, uns eindringlich die harten Lebensbedingungen der Bauern, die Ungerechtigkeit der Vögte, die Grausamkeit der Habsburger Soldaten und die schroffe, mystische Landschaft im Isental spüren zu lassen. Für mich ist der Roman sowohl stilistisch als auch dramaturgisch rundum gelungen.

Bewertung vom 01.03.2022
Chatter - Die Stimme in deinem Kopf
Kross, Ethan

Chatter - Die Stimme in deinem Kopf


ausgezeichnet

Das Buchcover ist sehr gelungen. Genauso fühlt es sich für mich an, wenn ich in Grübeleien verfalle und das Geplapper nicht mehr zum Schweigen bringe. Ethan Kross, Experimentalpsychologe und Neurowissenschaftler an der University of Michigan, hat sich genauer mit diesem Phänomen beschäftigt und stellt uns die Forschungsergebnisse vor.

Interessant sind nicht nur die wissenschaftlichen Erklärungen, sondern auch seine anschaulichen Beispiele für Auswirkungen destruktiver Selbstgespräche – sich selbst eingeschlossen. Gleich am Anfang erzählt er, wie ihn ein Drohbrief völlig aus der Bahn warf und wie es ihm durch einen kleinen sprachlichen Kunstgriff gelang, innere Distanz zu gewinnen. Auch bei einer angehenden Geheimagentin aus West Philly verengte sich der Blick auf einen kleinen Aspekt ihrer Lage und trieb sie in einen gedanklichen Teufelskreis, bis sie schließlich wieder das große Ganze einschließlich ihres kulturellen Hintergrunds erkennen konnte.

So manches rückte Ethan Kross für mich in ein neues Licht, zum Beispiel das Gespräche mit Nahestehenden nicht zwangsläufig helfen, wenn sie auf gemeinsames Grübeln hinauslaufen. Auch von passivem Teilhaben an sozialen Netzwerken rät er ab. Nützliche Werkzeuge dagegen seien selbstdistanzierende Selbstgespräche, mentale Zeitreisen, Ehrfurcht auslösende Erlebnisse und viele mehr, die er zum Schluss übersichtlich zusammenfasst.

Ich habe das Buch in wenigen Tagen verschlungen. Wissenschaft kann so spannend sein, wenn es verständlich, persönlich und packend vermittelt wird wie von Ethan Kross!

Bewertung vom 20.02.2022
Dein falsches Herz
Scott, Stephanie

Dein falsches Herz


sehr gut

In diesem Roman nimmt die Hauptfigur Sumiko bereits am Anfang einiges vorweg. Ihre Mutter Rina Satô – so erfahren wir – kam nicht bei einem Autounfall um, wie man sie glauben ließ, sondern wurde ermordet. Es vergeht jedoch eine geraume Zeit, bis Sumiko die Wahrheit herausfindet, und so lässt sie auch den Leser zappeln und holt weit aus.

Die Tragödie nahm ihren Anfang, als Sumikos Vater eine Agentur beauftragte, seine Ehe zu sabotieren, um eine leichte Scheidung herbeizuführen. Für den Mitarbeiter Kaitarô ist das nichts Ungewöhnliches, denn als „Wakaresaseya“ ist es sein Job, Ehefrauen zu verführen und belastende Beweise zu beschaffen. Was jedoch nicht seiner Gewohnheit entspricht, ist, dass er sich in das Opfer verliebt.

Stephanie Scott erzählt die Liebesgeschichte zwischen Kai und Rina sehr sinnlich und deutet anhand ihrer gemeinsamen Leidenschaft für die Fotografie an, welche Träume von einst sie vergraben haben und wie ihr Leben hätte anders verlaufen können. Manches hätte man ein wenig straffen können, dafür habe ich Interessantes über das japanische Rechtssystem gelernt. Wortgewandt beschwört die Autorin britisch-singapurischer Abstammung die Atmosphäre verschiedener Schauplätze wie die Tokioter Nobelmeile Ginza oder die touristische Hafenstadt Shimoda und lässt uns an einer bestürzenden Geschichte teilhaben, die auf einem wahren Fall beruht.

Bewertung vom 15.02.2022
Meine kleine Welt
Arenz, Ewald

Meine kleine Welt


sehr gut

Die Familie ist doch ein höchst mysteriöses Konstrukt: An einem Tag ist sie Quell großer Freude, an einem anderen treibt sie einen in den Wahnsinn. Ähnliche Erfahrungen scheint auch Heinrich, das Alter Ego von Ewald Arenz, zu machen.

Völlig harmlose Aktivitäten wie ein Familieneinkauf, ein Zoo- oder ein Kinobesuch können durch einen kleinen Zwischenfall oder eine zweideutige Bemerkung schnell in eine Katastrophe münden. Wenn dabei ein Siebzehnjähriger, der Bismarck nacheifert, eine ständig nörgelnde Teenagerin und ein Dreijähriger, der ohne zu zögern Playmobilfiguren ins Klo wirft, mit von der Partie und, macht es die Sache nicht leichter. Ganz zu schweigen von der Familienkatze, die sich gern heimlich ins Auto schleicht. Was habe ich gelacht, als der Erzähler die betrunkene Katze zum Tierarzt fahren muss und in einen Autokorso von Fußballfans gerät.

Einige Szenen kamen mir sehr bekannt vor, zum Beispiel wie Ehefrau Juliane vor einem Termin noch schnell ein paar Hausarbeiten erledigt und den fix und fertig angezogenen Mann warten lässt. Einige Geschichten sprühen vor Situationskomik – herrlich, wie der Erzähler eine Kunstinstallation nicht als solche erkennt –, ließen zum Ende hin jedoch etwas nach, zumal sie mit einem versöhnlichen Ende einem ähnlichen Muster entsprechen.

Es sind auch interessante Beobachtungen dabei, zum Beispiel dass heutzutage alles mögliche mit dem Zusatz „& mehr“ angeboten wird. „Meine kleine Welt“ dagegen sind pure unterhaltsame Familiengeschichten, nicht mehr und nicht weniger.

Bewertung vom 05.02.2022
Selma Lagerlöf - sie lebte die Freiheit und erfand Nils Holgersson
Feyerabend, Charlotte von

Selma Lagerlöf - sie lebte die Freiheit und erfand Nils Holgersson


ausgezeichnet

Bekannt wurde Selma Lagerlöf vor allem durch ihr Schulbuch „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“. Auch ihre Romanbiografie von Charlotte von Feyerabend liest sich wie eine Reise quer durch ihr Heimatland. Sie beginnt damit, dass Selma den Gutshof in Mårbacka verkaufen muss und mit ihrer Mutter und Tante nach Landskrona zieht. Noch kann sie nicht vom Schreiben leben und arbeitet als Lehrerin. Mit viel Humor wird die Atmosphäre in der Schule und die Arbeit mit ihren verknöcherten Kolleginnen beschrieben.

Hin und weg ist Selma dagegen von der anmutigen Schriftstellerin Sophie Elkan, mit der sie zahlreiche Reisen durch Schweden, nach Italien und Jerusalem unternimmt. Ihre Gespräche über das Schreiben, die Stellung der Frau in der Gesellschaft, ihre Entdeckerlust und den Freiheitsdrang fand ich sehr inspirierend. Mit viel Feingefühl beschreibt Feyerabend die Seelenverwandtschaft zwischen den beiden Frauen und wie sehr Selma darunter leidet, dass ihre Liebe nicht in gleicher Weise erwidert wird. Noch komplizierter wird es, als sich Valborg, die Selma als Lektorin unterstützt, in ihr Leben mischt.

Feyerabend schildert nicht nur Selmas Werdegang zur Nobelpreisträgerin und Gutsbesitzerin, sondern lässt uns auch in blumiger Sprache spüren, was Schwedens Natur, Kultur und Gesellschaft um 1900 ausmacht. Sie hat mir in diesem Porträt eine unkonventionelle, willensstarke und leidenschaftliche Schriftstellerin näher gebracht, von der ich unbedingt einige der genannten Werke lesen möchte.

Bewertung vom 01.02.2022
Löwenherz
Helfer, Monika

Löwenherz


ausgezeichnet

Monika Helfer, von der ich schon viele wunderbare Kurzgeschichten gelesen habe, erinnert sich in diesem Hörbuch an ihren jüngeren Bruder Richard, einen Schriftsetzer, Maler und Geschichtenerzähler. Welche Wende sein Leben nimmt, als eine schwangere Frau ihn vor dem Ertrinken rettet und im Gegenzug ihre Tochter mit dem Spitznamen Putzi in seine Obhut gibt, ist schon spannend genug, doch aus Monikas Sicht geschildert, gewinnt die Geschichte eine ganz besondere Note.

Ein Charakterzug sticht besonders heraus: Richard ist ein Mensch, der Dinge mit sich geschehen lässt statt selbst die Initiative zu ergreifen, was sowohl zu unbeschwerten, glücklichen Momenten als auch zu heiklen Situationen führt. Nur Putzi wächst ihm so sehr ans Herz, dass er bereit ist, für sie zu kämpfen. Schreibend und im Dialog mit ihrem Ehemann tastet sich die Autorin an ihren Bruder heran, mal staunend und bewundernd, dann liebe- und verständnisvoll, mal fassungslos und voller Sorge. Sehr gut gefiel mir auch, wie sie ihre Kindheit beschreibt, in der sie und ihre Schwestern nach dem Tod der Mutter stark zusammenhielten während Richard getrennt von ihnen bei der Tante aufwuchs.

An ihre rauhe Stimme und fast monoton wirkende Vortragsweise musste ich mich erst einmal gewöhnen, doch dann merkte ich, dass durch den gleichmäßigen Rhythmus die Kette von Ereignissen eine umso dramatischere Wirkung entfalten. Ich kann es kaum erwarten, die übrigen Bücher ihrer Familientrilogie zu lesen.

Bewertung vom 27.01.2022
Die Nähmaschine
Fergie, Natalie

Die Nähmaschine


ausgezeichnet

Nicht nur Menschen, auch Gegenstände können auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. In diesem Roman ist es eine Nähmaschine, genauer gesagt eine über hundert Jahre alte Singer 99K, die mehrere Generationen verbindet.

Einblick in die Herstellung und schlechten Arbeitsbedingungen in den Singer-Werken im schottischen Clydebank bekommen wir anhand der Geschichte rund um Jean, die 1911 aufgrund eines Massenstreiks ihre Arbeitsstelle verliert. 43 Jahre später spielt auch für Kathleen, die in Edinburgh mit Näharbeiten ihre Familie ernährt, und ihre Tochter Connie die Nähmaschine eine zentrale Rolle.

Connie setzt die Tradition ihrer Mutter fort, jede Näharbeit mit einem Stück verarbeiteten Stoff in einem Nähjournal festzuhalten – ein Ritual, das mich sehr faszinierte, spiegelt doch jeder Eintrag eine freud- oder schmerzvolle Situation eines Menschen wider. Als wiederum ein halbes Jahrhundert später der arbeitslose Fred die Wohnung seines Großvaters samt einer alten Nähmaschine erbt, fängt er selbst an zu nähen, taucht immer tiefer in seine Familiengeschichte ein und deckt ein lang gehütetes Geheimnis auf.

Die Autorin und ehemalige schottische Krankenschwester, die für ihre Nähmaschinensammlung vor Jahren eine gebrauchte Singer 99K kaufte, wollte deren Herkunft nachgehen und ihr ein Denkmal setzen. Das ist ihr mit dieser nostalgischen Familiengeschichte gelungen.

Bewertung vom 04.01.2022
Kinder als Lehrer
De Stefano, Cristina

Kinder als Lehrer


ausgezeichnet

Cristina De Stefano erzählt in fünf Teilen die bewegende Lebensgeschichte der Pädagogin Maria Montessori – von ihrer Kindheit über die Gründung des ersten Kinderhauses in Rom bis hin zur weltweiten Verbreitung ihrer Lehrmethoden. Dabei überraschte sie mich mit vielen mir unbekannten Facetten: zum Beispiel, dass Montessori Medizin studierte, sich in Freiwilligendiensten mit Feministinnen zusammenschloss und für Frauenrechte kämpfte, ihre pädagogische Lehre in einer Nervenheilanstalt begann und durch eine Lebenskrise zur streng gläubigen Katholikin wurde. Ihre Berufung sah sie jedoch darin, durch zurückhaltende Beobachtung den kindlichen Geist zu erforschen und das Schulwesen zu reformieren.

Die Biografie hat mich in vielerlei Hinsicht tief beeindruckt. Zum einen beschreibt De Stefano sehr anschaulich, anhand welcher Beobachtungen Montessori zu ihren Erkenntnissen kam und ihre didaktischen Materialien und Methoden Stück für Stück verfeinerte und weiterentwickelte. In ihrem Umgang mit Wissenschaftlern, der Kirche und finanziellen Unterstützern wird sowohl ihre Hingabe und Zielstrebigkeit als auch ihr herrischer und unbeugsamer Charakter deutlich.

Mit Spannung begleitete ich Montessori auf ihren Ausbildungslehrgängen quer durch die Welt und bewunderte, wie sie nach jedem Rückschlag wieder bei Null anfing. Sehr gekonnt zitiert die Autorin aus akribisch recherchierten Quellen wie Tagebüchern, Briefen und Berichten ihrer Wegbegleiter und schafft so ein höchst lesenswertes Porträt einer charismatischen Frau, die ihrer Zeit voraus war.

Bewertung vom 21.12.2021
Hundstagekönig
Gudmundsson, Einar Már

Hundstagekönig


sehr gut

Dieses Buch war in jeder Hinsicht Neuland für mich: Ich kannte weder den Autor noch den König von Island, den er porträtiert, noch war ich jemals auf der Insel. Gleich zu Beginn spannt uns der Autor auf die Folter, indem er Jörgen Jörgensen aus Kopenhagen als einzigartig und schillernder als die meisten Romanfiguren bezeichnet. Jörgensens Lebensgeschichte liest sich tatsächlich wie ein Abenteuerroman, denn er segelte nicht nur 1809 nach Island und riss für zwei Sommermonate die Macht an sich – daher der titelgebende Spitzname –, sondern war auch Entdecker, Gefangener, Spion, Autor und Polizist.

So unterschiedlich wie die Lebensphasen sind auch die Quellen, auf die sich der Autor bezieht. Er zitiert sowohl aus Jörgensens Autobiografien als auch aus Berichten von Zeitgenossen, die teilweise ein widersprüchliches Bild ergeben. Was den Lesefluss leider stört, sind die vielen Namensnennungen, Nebenfiguren, -schauplätze und Zeitsprünge.

Sehr unterhaltsam dagegen ist Gudmundssons polemischer Stil und sein entlarvender Blick auf Legenden, Mythen und die Geschichtsschreibung. Auch wenn ich leichte Schwierigkeiten hatte, den historischen Ereignissen zu folgen, bekam ich einen interessanten Einblick in die damaligen Handelsbeziehungen zwischen Dänemark, Island und England.