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kaffeeelse

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Insgesamt 564 Bewertungen
Bewertung vom 04.04.2023
Helene Hegemann über Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition
Hegemann, Helene

Helene Hegemann über Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition


sehr gut

Ein Enfant terrible blickt auf ein anderes Enfant terrible, dies erweckt schon von diesem Punkt her mein Interesse. Helene Hegemann fiel mir mit ihrem Buch "Bungalow" sehr positiv auf. Die erzeugte Grundstimmung verriet mir ein großes Können der jungen Autorin. Ich wurde neugierig. Als ich die Irrungen und Wirrungen um ihren Erstling "Axolotl Roadkill" mitbekam, steigerte sich mein Interesse noch. Denn mir drängt sich hier der Gedanke nach einem Warum auf. Aber gut. Zu diesem Punkt ergieße ich mich vielleicht an anderer Stelle.
Dann Helene Hegemann und Patti Smith. Als ich "Im Jahr des Affen" beendete, welches ein starkes Interesse am Tun der Autorin und Sängerin Patti Smith bei mir auslöste und mir anschließend das Cover von Helene Hegemanns Essay über den Weg lief, dachte ich dies passt irgendwie. Und genau dies macht dieses Buch. Es passt einfach.
Denn Helene Hegemann blickt hier nicht nur sezierend auf Patti Smith, was auch irgendwie in meinen Augen vermessen wäre. Sie blickt auf sich und ihren Blick auf Patti, was wieder stimmig wirkt, denn wer könnte wohl einer Patti Smith gerecht werden. Dies müsste in meinen Augen jemand sein, der Patti Smith schon länger begleitet oder erlebt hat, dies müsste jemand sein, dessen Gedanken ähnlich verzaubert, poetisch und eindringlich wirken und dies müsste jemand sein, der ebenso über eine große Lebenserfahrung verfügt und von daher schon einen empathischeren Blick besitzt. Einiges trifft auf Helene Hegemann zu, trotz ihrer jungen Jahre. Aber definitiv nicht alle genannten Punkte. Von daher passt dieser Blick aus einem gewissen Abstand für mich sehr gut.
Und es passt auch sehr gut, dass Helene Hegemann nicht nur auf Patti Smith blickt, sondern auch auf sich selbst. Denn gerade durch diese Selbstbeschau, durch eine gewisse Ehrlichkeit darin, wird auch "Bungalow" plötzlich zu einem anderen Buch für mich, gewinnt eine neue Bedeutung. Denn "Bungalow" ist nicht nur eine gesellschaftskritische Abrechnung, sondern auch ein Blick zurück in Helenes Leben und damit auch eine Abrechnung damit. In gewisser Weise vielleicht.
Mein Interesse an beiden Frauen ist geblieben und lässt mich sicher nach weiterem Zeilenzauber beider Autorinnen greifen.

Bewertung vom 04.04.2023
Im Jahr des Affen
Smith, Patti

Im Jahr des Affen


ausgezeichnet

Was für ein Buch! Was für eine Autorin! Was für eine Gedankenwelt! Mein erstes Buch von Patti Smith! Einfach nur wow!!! Patti Smith blickt poetisch und interessant in "Im Jahr des Affen" auf das Jahr 2016, und dieses Buch/diese Schreibe wirkt anders und traumhaft, versponnen und verwoben, poetisch und künstlerisch, einnehmend und interessant, irreal und märchenhaft, belesen und traumhaft. Diese Schreibe/diese Frau/diese Gedanken machen neugierig, bewirken bei mir eine Lust auf mehr aus der Feder von Patti Smith. Und jeder, der mich kennt, weiß, dass bald mehr Zeilenzauber von dieser Autorin zu mir wandern wird. Denn diese Frau verzaubert, dieses Buch/diese Schreibe ist direkt ein Volltreffer.
Nicht nur, dass die Schreibe/die künstlerische Art der Schreibe direkt in mein Herz wandern. Auch der sonstige Inhalt macht dies.
Denn dieses Jahr des Affen bringt viel Veränderung für Patti Smith, im Privaten durch den Verlust, durch die Erfahrung des Loslassens, durch die Veränderung. Und ich finde es sehr interessant, wie Patti Smith gerade über dieses Thema des Verlustes schreibt/denkt/empfindet. Denn es ist ja ein Thema, welches uns Menschen begleitet, welches man ja irgendwie annehmen muss, auch wenn es schmerzt. Und Pattis Gedanken dazu sind sehr eindringlich, gehen mir nahe, berühren mich intensiv.
Ebenso bringt das Jahr des Affen auch viel Veränderung in der amerikanischen Politik. Natürlich verzweifelt man darüber als Amerikanerin noch mehr. Wenn ich überdenke, wie ich damals von dieser Wahl betroffen war, kann ich mir ungefähr vorstellen, wie dies bei Patti Smith und ähnlich denkenden Amerikanern eingeschlagen hat. Und auch wenn das Heute auf eine Veränderung in Amerika blickt, dennoch lässt dieses Gestern einen schaurigen Nachhall zurück. denn die Trumps dieser Welt machen ja weiter und versuchen immer wieder ihren dumpfen Geist in der Welt stranden zu lassen. Ihre Anhängerschaft wächst durch verschiedene Szenarien weiter, ist aggressiver und entdeckt neue Kanäle und Einflussmöglichkeiten.
Aber nicht nur durch diese Thematiken beeindruckt Patti Smith, besonders beeindruckt Patti Smith durch ihre Ehrlichkeit, die die Leserschaft an diesem ereignisreichen Jahr durch Patti Smiths Sicht teilnehmen lässt. Dadurch entsteht eine Nähe, besonders wenn man vielleicht oft ähnlich tickt, sich wieder findet, aber auch wegen der Vielfalt der Gedanken auch ins Staunen und in die Ehrfurcht verfällt.
Ein nachhallendes Buch! Ein interessantes Buch!
Und wieder eine interessante Autorin mehr, die ich kennenlernen durfte. Hach, was kann das Leben schön sein!

Bewertung vom 04.04.2023
Freiheit (eBook, ePUB)
Krien, Daniela

Freiheit (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Weil in "Freiheit" zwei Kurzgeschichten aus dem Kurzgeschichtenband "Muldental" zu finden sind, bekommt "Freiheit" die gleiche Rezension und die Leser von "Freiheit" den Hinweis unbedingt "Muldental" zu lesen.



Hier geht es um ein Buch einer Autorin, von der ich schon "Die Liebe im Ernstfall" bewundern durfte. Schon hier beweist Daniela Krien eine ungeheure Intensität in ihrer Schreibe, die sie aber in ihrem Werk "Muldental" noch deutlich überbietet. Es sind Kurzgeschichten. Aber es sind Kurzgeschichten, die es in sich haben, die den Leser berühren, mit jeder Geschichte immer mehr berühren, manchmal in ihrer Intensität kaum noch ertragbar sind. Man hält inne beim Lesen, atmet durch und ist tief betroffen. Dass eine Autorin so etwas, in solch einer Intensität bei Kurzgeschichten schafft, ist mir neu und ich möchte mich in Ovationen ergehen.



Es sind Geschichten aus dem Osten, einigen merkt dies jeder Leser an, den meisten merkt man das aber nur an, wenn man den Osten sehr genau kennt, ihm eventuell sogar entstammt. Den Lesern aus anderen Landstrichen wird vieles vielleicht befremdlich erscheinen und sie werden rufen, dass kann es doch überall geben. Ja, durchaus. Aber im Osten gibt es solche Geschichten vielleicht prozentual mehr. Und dieses Düstere/Beklemmende ist vielleicht auch in abgehängten Gegenden mehr spürbar, oder in Gegenden, die sich selbst als abgehängt erachten. Ich habe dieses Buch in einer Leserunde genießen dürfen und genau solche Reaktionen gesehen/gehört/gelesen. Und ich hoffe, dass dieses Buch vielleicht auch ein besseres Verständnis bewirkt und vielleicht hilft bestehende Risse zu kitten. Und dazu muss ich noch sagen, ich gehöre nicht zu denen, die den Osten verherrlichen. Es gibt kein Schwarz oder Weiß, alles ist Grau, bei allem gibt es Gutes und auch Schlechtes. Und für mich verkörpern Daniela Kriens Geschichten auch genau das. Ich mag ebenso dieses Düstere und Beklemmende, auch das schafft Daniela Krien meisterhaft, aber hier bei diesem Buch komme auch ich an den Rand des Ertragbaren. Aber gerade durch dieses kaum mehr Ertragbare/gerade durch diese Intensität ist dieses Buch für mich ein 5 Sterne Kandidat!



Chapeau Frau Krien!!! Diese Autorin ist definitiv jemand, die man beobachten muss, der man folgen muss. Denn ich bin mir sicher, hier kommt noch einiges interessantes und berührendes.

Bewertung vom 04.04.2023
Viva la Vida! Frida Kahlo
Seemann, Annette

Viva la Vida! Frida Kahlo


ausgezeichnet

Viva la Vida! Lebe das Leben! Genieße das Leben! Es lebe das Leben! Leitgedanken einer Frau, die ich seit einer langen Zeit verehre, deren Bilder ich liebe. Eine Frau, die aufgrund ihres Lebens wenig Grund hatte, ihr Leben zu feiern, die genau dies aber dennoch, oder gerade deswegen, gefeiert hat. Sie hat es ausgekostet in vollen Zügen und bis zur Neige. Mit einer Kraft, für die ich sie besonders verehre, ja, fast beneide. Obwohl der Neid nicht wirklich zu meinen Eigenschaften zählt. Und auch wenn ich weiß, dass alles, was man im Leben macht, einen Preis hat, bin ich dennoch gewillt dieses bis zur Neige ebenso zu zelebrieren. Denn ich möchte, wenn ich einmal gehe, sagen, es war schön, ich komme gern wieder, wenn ich darf.
Die Bilder der Kahlo besitzen eine ungeheure Kraft, diese liegt in meinen Augen nicht nur im Leben/im negativen und positiven Erleben der Kahlo begründet. Sondern in den Bildern wohnt auch etwas Archaisches. Die Verbindung der Kahlo zur indianischen Welt findet sich auch in den Bildern dieser außergewöhnlichen Künstlerin wieder und eben dadurch schlummert in diesen Bildern auch etwas Archaisches. ebenso wie dort das Sinnliche, aber ebenso auch das Leiden wohnt. Eine Frau, die ihr Leben bis zur Neige auskostet, zeigt genau dies halt auch in ihren Bildern.
Annette Seemann lässt in dieses Buch neue wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen, erweitert damit die Biografie dieser Ausnahmekünstlerin/dieser Ausnahmefrau ungemein, verfestigt aber auch mein schon bestehendes Bild dieser starken Frau. Und da ich diese Frau schon sehr lange verehre, besitze ich natürlich in meinen heiligen Bücherhallen ein Frida Kahlo Regal, welches durch dieses schöne kleine Buch über mein Idol Frida Kahlo wunderbaren Zuwachs erhält. Ich bin halt Frida-Kahlo-Fan und ich sammle Bücher über Frida Kahlo. Nicht nur, sondern auch, denn meine Sammelleidenschaft betrifft natürlich auch Anderes. Aber bei Frida kommt halt einiges zusammen, eine starke Persönlichkeit, die Obsession, das Drama, die Liebe zu den Altamerikanern, eine wunderbare Kunst, die mich in den Tiefen meiner Seele berührt. Eine Frau, der ich liebend gern begegnet wäre und mit der ich so ein/zwei Gin Tonic getrunken hätte und über das Leben philosophiert hätte, mit der ich über die Männer und mit den Männern gelacht hätte und die ich auch als gute Freundin in mein Herz hätte ziehen lassen.
Viva la Vida!!!

Bewertung vom 04.04.2023
Stirb doch, Liebling
Harwicz, Ariana

Stirb doch, Liebling


ausgezeichnet

Ein Büchlein. Von der Seitenzahl vielleicht, denn es sind nur 126 Seiten. Vom Thema her ist es aber überhaupt kein Büchlein. Schon der Titel klingt recht scharf gewürzt, ist irgendwie eine Ansage, eine Ansage, die innehalten lässt. Eine Ansage, die neugierig macht.
Für mich war dieses Buch ein intensiver, düsterer und nachhallender Blick auf die Rolle der Frau, ich bin tief beeindruckt über den Mut der Autorin so etwas zu schreiben in unserer Männerwelt, in unserer Männerwelt, die uns Frauen zu dominieren weiß. Auch dieses Buch zu verlegen finde ich wunderbar vom C. H. Beck Verlag. Ein durchhallender und langanhaltender Applaus ertönt von meiner Seite deswegen an die Autorin Ariana Harwicz und auch an den C. H. Beck Verlag, wie auch an die großartige Übersetzerin Dagmar Ploetz!
"Stirb doch, Liebling" ist ein Buch, welches polarisiert, welches zu Diskussionen anregt, welches die geneigte Leserschaft nachdenken lässt. Und "Stirb doch, Liebling" ist ein Buch, welches einer größeren Lesergruppe bekannt sein sollte. Man sieht es recht wenig auf den bekannten Seiten, in den Communitys. Das ist etwas, was sich ändern sollte. Denn dieses Buch besticht, schockiert nicht nur thematisch. Es ist auch sprachlich ein Genuss. Natürlich wird dieses Buch nicht Jedem gefallen. Man sollte schon einen etwas weiter gefächerten Geschmack besitzen, nicht so eingeengt im Denken sein, über den Tellerrand schauen können.
In dem Buch spricht eine Frau, eine Mutter über destruktive, zerstörerische Gedanken, über ihre Unzufriedenheit in ihrer Rolle, in ihrer ihr zugedachten Rolle. Diese Gedanken klingen bedrohlich, schockieren. Aber sie regen auch zum Nachdenken an. Geht wirklich jede Frau in ihrer Mutterrolle auf? Oder ist diese Zeit für manche Frauen nicht auch mit unschönen Attributen verknüpft. Man könnte dieses Empfinden der Hauptperson ins Kranke abschieben, abdriften lassen. Aber macht man es sich damit nicht etwas zu einfach? So dass alles wieder in unsere ach so hochgelobte Rollenverteilung passt. Denn gibt es nicht manchmal diese Gedanken in uns diesem manchmal drögen Trott entfliehen zu wollen? Eine andere Welt zu haben. Frei zu sein.
Ein nachhallendes und nachdenklich machendes Buch, welches sprachlich begeistert, welches durch zugespitzte Gedanken schockiert, schockieren soll. Ein interessantes Buch!

Bewertung vom 04.04.2023
Lamento
Nielsen, Madame

Lamento


ausgezeichnet

Schon mit "Der endlose Sommer" hatte mich Madame Nielsen verzaubert/berührt/beschäftigt. Da ist etwas Einzigartiges in ihrer Schreibe, in den Worten, im Klang. Man könnte es Poesie nennen, aber irgendwie trifft es auch diese Schublade nicht richtig. Madame Nielsen schreibt intensiv, durchdringend, einzigartig, dunkel, düster, bedrohlich. Da ist eine immense Kraft, das spürt man, aber diese immense Kraft muss diese Autorin auch haben, wenn man an ihren Werdegang denkt.

Auch in "Der endlose Sommer" beschäftigt sich die Autorin mit dem Leben, mit der Leidenschaft. Aber in "Lamento" steht sie noch zentraler, die Leidenschaft, das Feuer, die Möglichkeit zu brennen. Aber auch die Möglichkeit, dass das Feuer erlischt und man später in der Zukunft auf diese Vergangenheit/auf dieses vergangene Brennen schaut. Eine Erinnerung bei sich behält. Eine kleine Flamme bei sich behält, sie behütet und nicht vergisst.

Auch "Lamento" besteht aus diesem außergewöhnlichen Schreibstil, der die Leserschaft schier überrollt. Lange schachtelartige Sätze, die aber hier in "Lamento" den Lesefluss nicht behindern, was in "Der endlose Sommer" leider noch teilweise so war. Aber dennoch denke ich dieses Buch/diese Schreibe ist nicht für jeden etwas. Man muss sich darauf einlassen können. Ich konnte dies und mich hat dieses Buch auch mitgerissen. Noch mehr als "Der endlose Sommer". Dieser künstlerische Blick auf das Leiden, auf die Leidenschaft, aufs Brennen verzaubert und dieser Blick hallt nach. Dieses Buch besteht aus einer poetischen und kraftvollen Sprache, die klingt und hallt und brennt und das Thema hakt sich ein in den Gedanken, in den Gefühlen und im Hirn. Wer selbst schon lichterloh brannte, wird sich hier gut wiederfinden können, wird das Geschriebene gut nachvollziehen können, denke ich. Vielleicht erklärt dieser Gedanke dieses unterschiedliche Empfinden von Madame Nielsens Schreibe.

Bewertung vom 04.04.2023
Connemara
Mathieu, Nicolas

Connemara


ausgezeichnet

5 Sterne für dieses Buch! Schon mit "Rose Royal" hatte mich der französische Autor Nicolas Mathieu begeistert und auch mit "Connemara" schafft Mathieu dies.
Hélène und Christophe, eine gemeinsam verbrachte Jugend und ein erneutes Aufeinandertreffen zu späterer Zeit. Die Vergangenheit und Jetzt treffen aufeinander und münden in einer Affäre. Doch dieses Buch auf eine Affäre zu reduzieren wäre unverzeihlich. Denn obwohl diese Affäre in dem Buch einen hohen Stellenwert hat, steht sie doch in meinen Augen nicht zentral. Denn dieses Zentrale in dem Buch ist in meinen Augen eine intensive Abrechnung mit der französischen Gesellschaft. Denn Hélène und Christophe treffen in einer kleinen Stadt im Osten Frankreichs aufeinander, genau die Stadt, in der sie ihre Jugend verbracht haben und genau die Stadt, der Hélène entfliehen konnte. Und damit steht ein Stadt-Landgefälle zentral. Aber nicht nur dies. Nicolas Mathieu lässt Hélène auf ihr Gestern, auf ihren Werdegang und auf ihr Jetzt blicken und darin lässt sich ebenso diese Geschlechterungleichheit erkennen. Ein feministisches Buch eines männlichen Autors. Schon in "Rose Royal" ließ sich diese Kritik an dem Umgang mit der Weiblichkeit in unserer patriarchalen Gesellschaft ablesen und auch in "Connemara" ermöglicht Nicolas Mathieu einen feministischen Blick. Dies ist etwas, was ich sehr schätze. Denn in genau dieser Ungleichheit liegt ein großes Problem in unserer Gesellschaft, ja, auch in unserer Gesellschaft, nicht nur in der französischen Gesellschaft, die der Autor hier schildert. Aber nicht nur dieses Thema steht zentral, sondern ebenso blickt Nicolas Mathieu hier auf unser Wirtschaftsleben, auf die Brutalität in diesem, auf diesen männlichen Krieg in dieser Wirtschaftswelt. Ein Krieg und ein Druck, welcher gefährlich und sezierend in unseren Gesellschaften wirkt, die Schere in unseren Gesellschaften immer weiter auseinanderdriften lässt und schlussendlich die Gefahr des Zusammenbruchs beinhaltet. Denn irgendwann versteht die Wirtschaftswelt/die großstädtische Welt die anderen Bevölkerungsschichten nicht mehr und darin liegt eine beträchtliche Gefahr in meinen Augen.
Schon in "Rose Royal" konnte Nicolas Mathieu mit einem wachen und intensiven Blick auf seine Charaktere und auf unsere Gesellschaft punkten. Auch in "Connemara" gelingt ihm dies bravourös und genau deshalb bekommt "Connemara" von mir auch diese 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 04.04.2023
Die Süße von Wasser
Harris, Nathan

Die Süße von Wasser


sehr gut

Bücher über die Südstaaten ziehen mich immer magisch an. Woran dies liegt? Nun denn, an verschiedenen Komponenten. Erst einmal mag ich es sehr, mir diese schwüle, süße und grüne Welt vorzustellen. Diesen schon klebrigen Duft der Blumen, das Wasser, den dschungelartigen Wald, die Sümpfe, die Wasservögel, die Alligatoren. Eine in meinen Augen sehr sinnliche Welt. Dann die Menschen. Die alten indianischen Kulturen des Südostens, ihre Klassengesellschaften, ihre recht eindrücklichen Riten, ihre Städte, ihre Tempel, ihre sehr eindrucksvolle und einzigartige Welt, ein Übergang von den Jägerkulturen des Nordens zu den mächtigen Staaten Lateinamerikas. Eine interessante und eindrückliche Welt. Eine verschwundene Welt, aber gleichzeitig auch eine Welt, die Spuren hinterlassen hat. Dann die Eroberung durch die neuen spanischen, französischen und englischen Herren. Eine Entvölkerung, die bald den Zuzug von Arbeitskräften aus Afrika aus der Sicht der Eroberer bedingt. Eine Verbindung der alten indianischen Bewohner und der neuen Einwanderer erfolgte, beide sind durch die Europäer unterdrückt worden, schon dies erzeugte Gemeinsamkeiten, neue Kulturen entstanden. Ein Bürgerkrieg, vordergründig um die Entrechtung und Versklavung der afrikanischen Einwanderer geführt, hintergründig geht es aber wie immer beim Menschen um Gier, Macht und Geld. Die Krankheiten der alten weißen Männer halt. Nun denn, es gibt also Vieles, was ich mit den Südstaaten assoziiere. Und damit entsteht auch eine gewisse Erwartungshaltung. Eine Erwartungshaltung, die "Die Süße von Wasser" bedingt erfüllen konnte. Aber was ist "Die Süße von Wasser" für mich. Dieses Buch ist ein Abenteuerroman, welcher mit den gesellschaftlichen Verwerfungen nach dem Bürgerkrieg spielt und sich dabei leider etwas übernimmt. Denn manchmal erscheint mir das Ganze durchaus etwas langatmig und auch etwas zu konstruiert. Dieser Eindruck kann aber durchaus an meinen Erwartungen an Südstaatenromane liegen, denn eine gewisse Spannung besitzt "Die Süße von Wasser" durchaus und ich habe diesen Blick auf Schwarz und Weiß und auch diesen Blick auf die Konflikte zwischen Nord und Süd dennoch gern gelesen und die vier Sterne von mir sprechen ja durchaus für dieses Buch.

Bewertung vom 04.04.2023
Die Mauersegler
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


sehr gut

Ich habe mich auf den neuen Roman von Fernando Aramburu gefreut, habe gleichzeitig aber auch etwas Angst gehabt. Denn mit "Patria" hatte mich der Autor erreicht und begeistert. Dies baut ja einen gewissen Druck, gewisse Erwartungshaltungen auf. Dies ist sicher nichts Hilfreiches, ist aber dennoch so. Nun ist aber "Die Mauersegler" thematisch von "Patria" weit entfernt. "Patria" blickt auf eine Gemeinschaft, blickt auf den Horror, blickt auf den Terror und beleuchtet die Folgen aus diesem schrecklichen Tun. "Die Mauersegler" schaut aber eher auf einen Mann, blickt auf dessen Denken, blickt auf einen Antihelden. Einen nicht wirklich sympathischen Charakter. Dies macht es der Leserschaft in meinen Augen auch sehr schwer sich auf diesen Antihelden Toni einzulassen. Denn dieser macht es der Leserschaft natürlich nicht einfach. Dennoch entsteht nach und nach in mir eine Neugier, den Fernando Aramburu erschafft diesen Toni nicht nur in einem sehr negativ wirkenden Charme, er beschreibt auch das Warum, er lässt die Leserschaft verstehen, wenn man denn verstehen will. Denn natürlich gibt es Gründe, warum Menschen zu den Personen werden, die sie sind. Und diese Gründe, diese Zeichnung eines Menschen, diese Einblicke in eine Seele lassen mich dann nach und nach den verdienten vierten Stern zücken. Denn dieses Psychogramm des Toni in seiner Tiefe verdient Aufmerksamkeit, lässt Erinnerungen an die Zeichnungen der Charaktere in "Patria" hochkommen, lässt mich schneller durch dieses Buch schweben. Allerdings braucht man eine gewisse Zeit um warm zu werden mit diesem doch recht patriarchalen und damit doch sehr abstoßenden Toni. Und obwohl Fernando Aramburu hier eher auf einen Menschen schaut, gelingt es ihm dennoch auch Blicke auf ein Land einzubauen, Blicke auf Spanien zu ermöglichen. Kritische Blicke. Blicke, die nachdenklich machen. Denn diese Tonis gibt es wohl überall. Wenn man denn genauer hinschaut. Diese sich von der Welt verraten fühlenden Männer, diese von der Weiblichkeit verletzten Männer, die aber nicht weiterblicken können und/oder wollen. Denn diese Schuldzuweisungen an Andere machen den Blick auf das eigene Sein runder/einfacher/lebbarer/sinnvoller. Bis es das dann nicht mehr lebbar ist und es zu gewissen Reaktionen kommt. Reaktionen, die ein soziales Netz abfedern könnte, wenn man denn eines hat!
Fernando Aramburu hat mit "Die Mauersegler" ein lehrreiches Buch verfasst, dessen Zauber man aber erst nach und nach in der Lektüre erkennt. Ein Buch, welches bis auf die Tiefe der Charakterzeichnung so gar nichts mit "Patria" zu tun hat. Ein Buch, welches aber dennoch berührt, wenn man sich denn auf diesen doch sehr abstoßenden Toni einlassen kann.

Bewertung vom 04.04.2023
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


ausgezeichnet

Mit diesem Buch erreicht mich Celeste Ng vollkommen. Mit ihrem vorigen Buch "Kleine Feuer überall" schafft sie eine 4-Sterne-Bewertung bei mir. Aber bei diesem nachhallenden Buch hier greife ich zum verdienten fünften Stern.

Celeste Ng erschafft in mir fast sofort eine Verbindung und erreicht mich vollkommen. Die Autorin trifft mit ihrer Geschichte, mit Bird und seinem Vater, mit der fehlenden Mutter Margaret Miu und ihrem Weggang, mit den Gründen für diesen Weggang fast sofort mein Herz. Dieser dystopische Staat und die Einteilung seiner Bürger und die Überwachung des Einzelnen durch den Staat knipsen mich auch fast sofort an. Ich bin hin und weg, wie man so schön sagt.



Der amerikanische Traum und dieses Amerika First, schon seit dem 11. September 2001 lässt sich eine Veränderung im amerikanischen Denken, im amerikanischen Tun bemerken. Wenn man dies denn will. Wie wird es dann wohl amerikanischen Autoren gehen, die in diesem Land leben, mit seinem Tun konfrontiert werden und damit auch mit eigenen Ängsten. Und was tun Autoren dann? Sie schreiben gegen die eigenen Ängste an. Und lassen die Kultur zu einer Waffe gegen Überwachung und Angst werden. Eine Kultur, die hoffentlich viel Aufmerksamkeit erfährt. Denn diese Veränderungen zu mehr Überwachung sind wohl in vielen Winkeln der Erde zu finden, diese Angst vor dem Bürger blüht an verschiedenen Orten und in verschiedensten Institutionen. Das ist etwas, was Angst macht, nicht nur den Autoren, auch den normalen Menschen, die mit offenen Augen durch ihre Zeit schreiten.



Und auch aus diesem Grund kann man nur hoffen, dass eben diese dystopischen Werke, die altbekannten, wie auch die neueren nie in Vergessenheit geraten und der Mensch wachsam gegen gewisses Tun in der Welt, in der Politik ist. Damit nicht erst die Kultur eine Waffe werden muss, wie in diesem beeindruckenden Buch von Celeste Ng.