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Juma

Bewertungen

Insgesamt 96 Bewertungen
78910
Bewertung vom 13.04.2022
Schallplattensommer
Bronsky, Alina

Schallplattensommer


sehr gut

Anders, als erwartet: Maseratis Coming of Age

Von Alina Bronsky habe ich eigentlich Ironie, beißenden Spott, absurde Begegnungen und jede Menge Übermut erwartet. Aber dieses Buch ist ganz anders, als die, die ich bisher las. Sanft, gedankenverloren, unsicher, die Hauptfiguren an der Grenze zwischen verspielten Kindern und jungen, unfertigen Erwachsenen. Eine Coming-of-Age-Geschichte in der ostdeutschen Pampa wird hier erzählt.
Maserati lebt auf dem Dorf, fernab der Großstadt hat sich ihre Oma mit ihr niedergelassen und betreibt eine kleine Gaststätte. Maserati, so ein Vorname muss einem ja auch erst einmal einfallen, aber da der kleine Bruder Paris heißt, ahnt man, woher der Wind weht. Die Mutter offenbar eine verkrachte Künstlerexistenz, der Vater nicht genau zu definieren, so kam Maserati aus "zerrütteten" Verhältnissen zu ihrer Oma, die nun als Erziehungsberechtigte leider in eine immer stärker werdende Demenz abdriftet, aber noch gut kochen kann. Den "Rest" stemmt Maserati als Vollzeitkraft und lässt die Schule sausen. Dass ihr Lehrer sie gern zurückholen würde, ändert nichts am Drama der Verhältnisse. Maserati sitzt die Angst im Nacken, dass irgend jemand merkt, dass die Oma nicht mehr als Erziehungsberechtigte taugt und sie und auch die Oma in ein Heim müssten. Denn Maserati wird im Buch gerade erst 17.
Und mit ihren 17 Jahren hat sie nun jede Menge um die Ohren, es zieht eine Familie ins Dorf, die alles andere als "pflegeleicht" ist. Annabell, die Mutter, ist ziemlich ungeeignet, sich um den halbwüchsigen Theo und seinen Cousin Casper zu kümmern, die beiden machen auf ihre Art Bekanntschaft mit Maserati und ihr auch abwechselnd und mit wechselndem Erfolg den Hof. Beide irgendwie mit Traumata behaftet, die erst nach und nach ans Licht kommen. Maserati ist mit Georg, einem tauben jungen Mann befreundet, den sie je nach Stimmung ausnutzt und benutzt, bis es ihm zu viel wird. Er geht als Gärtner und Haushälter in Annabells Villa und kommt als heimlicher Liebhaber wieder heraus. Nichts für die zarte Seele von Maserati.
Eine tragende Rolle im Buch spielt außerdem ein altes Schallplattencover, auf dem zur Verblüffung von Theo und Caspar ein Abbild von Maserati zu sehen ist, dass es ihre Mutter ist, weiß man von Anfang an, Theo hat sich die Platte zur Lebens- oder auch Sterbensmelodie auserkoren, das zieht sich durchs ganze Buch.
Die Gedanken und Erlebnisse von Maserati, Theo und Caspar sind liebevoll geschildert, man glaubt, die drei zu kennen am Ende des Buches. Ob man sie kennen möchte, sei dahingestellt, besonders, wenn man schon selbst im Oma-Alter ist.

Bewertung vom 01.04.2022
Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2
Pötzsch, Oliver

Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2


ausgezeichnet

Perfekte Unterhaltung - Der Totengräber ist wieder da!

Das Buch und das Hörbuch sind frisch erschienen, lang erwartet, habe ich mich aufs Hörbuch gestürzt und bin genauso begeistert, wie vom ersten Band "Das Buch des Totengräbers". Hans Jürgen Stockerl liest es so wunderbar, jede Szene ist herrlich, der leichte österreichische Unterton gibt dem Ganzen eine besondere Würze.
Der tote Professor im Museum ist ja erst der Anfang der Geschichte, es schälen sich da ungeahnte Entwicklungen heraus. Inspektor Leopold von Herzfeldt hat auch in diesem Buch neben dem Kriminalfall mit dem unterschwelligen und teilweise auch sehr heftig daherkommenden Antisemitismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu kämpfen. Das macht aus den teilweise kauzigen Figuren schnell einmal Leute, die man per se nicht mag.
Wie sich von Herzfeldt und der Totengräber Augustin Rothmayer nun mit dem Mord abmühen, besser gesagt mit des Aufklärung, das verrate ich hier nicht.
Lese- und Hörempfehlung von mir!

Bewertung vom 18.03.2022
Doppelporträt
Pleijel, Agneta

Doppelporträt


ausgezeichnet

Ein magisches Buch
Es gibt Bücher, die werden wie Freunde, wenn man sie zu Ende gelesen hat, möchte man sie in den Arm nehmen, an sich drücken und flüstern, Du bist wunderbar. Doppelporträt ist eines dieser seltenen Bücher. Es hat auf mich magisch gewirkt, wie ein warmer Wind am Mittelmeerstrand, wie ein Sonnenstrahl im Winter.
Oskar Kokoschka, hochbetagt, berühmt, wird um ein Porträt von Agatha Christie gebeten. Sie mag es nicht, angestarrt zu werden, schon gar nicht gemalt zu werden. Sie findet sich mit ihren knapp achtzig Jahren vielleicht auch nicht mehr schön und attraktiv genug. Trotzdem gibt sie nach, ihrem Enkel Matthew und ihrem Mann Max zuliebe wird sie sich zu sechs Sitzungen mit Kokoschka entscheiden, nicht mehr nicht weniger.
Es ist ein Vergnügen, zu lesen, wie der alte Maler sich aus dem Taxi windet und mit seiner Frau Olda und allen Malutensilien, wozu natürlich auch Whiskey gehört, und bei Agatha Christie zur ersten Sitzung erscheint. Olda macht sich schnell aus dem Staub und es beginnt das äußerst schwierige Kennenlernen. Oskar ist derjenige, der spricht, Agatha hält sich zurück, sie redet nicht gern, sie schreibt lieber. Aber dieser Oskar Kokoschka bringt es doch fertig, sie wie eine verklemmte Auster Stück für Stück zu öffnen. Er breitet vor ihr sein Liebesdrama mit Alma Mahler aus, erzählt von Kindheit und Krieg, und er lässt nicht ein bisschen locker. Agatha scheint reserviert, aber sie hat längst Feuer gefangen und fast am Ende der Sitzungen entblößt auch sie ihr Innerstes, erzählt wie in Trance von ihrem Verschwinden für einige Wochen, das nicht nur ihren Ehemann, sondern ganz England damals in Unruhe versetzte. Diese beiden alten Künstler entwickeln ein so inniges Verhältnis, dass es zu Tränen rührt. Aber noch immer weigert sich Agatha standhaft, das Porträt anzusehen, das nun in der sechsten Sitzung tatsächlich fertig geworden ist, das mit keinem Pinselstrich mehr verbessert werden könnte, das so sehr Agatha ist, dass jeder, der es sieht, fasziniert ist. Kokoschka hängt seine schmutzige Malerschürze darüber und es muss bis zur „Einweihung“ warten. Als Agatha es sieht, moniert sie nur die Nase, mehr nicht.
Aus diesen sechs Sitzungen und dem Porträt ist eine Freundschaft entstanden, die bis zum Tod der beiden Künstler und darüber hinaus reicht. Aber sie sehen sich nie wieder, nur Briefe werden gewechselt, diese aber anrührend und von großer Menschlichkeit geprägt.
Kokoschka schreibt, was er heute nicht schreiben könnte angesichts der Katastrophe, die in der Ukraine geschieht: „Alt zu werden, …, ist nicht so übel. Erst da kann man die Struktur erkennen. Lass uns übrigens einander gratulieren, dass kein Krieg herrscht. Hast du daran gedacht, Agatha, dass jetzt mehr Jahre vergangen sind, als zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg lagen?“ Agatha, die Skeptikerin, fragt zurück. „Soll das eine Garantie sein?“
Für mich eines der schönsten Bücher der letzten Zeit, wundervoll geschrieben und übersetzt, stilvoll bis zur letzten Zeile. Das Original ist schwedisch, ich bin froh, dass es eine so schöne deutsche Entsprechung gefunden hat. Die Typographie angemessen großzügig und edel.
Ich habe nur eines vermisst, das Porträt von Agatha Christie, das es ja tatsächlich gibt, auch wenn die Geschichte der sechs Sitzungen und der dabei geführten Gespräche fiktiv sind. Ich habe mir das farbenfreudige Bild im Internet angeschaut. Eine alte Frau schaut den Maler an, etwas irritiert, wie es scheint, sitzt sie vor ihrem Bücherschrank in einem großen Sessel, harrt der Dinge, die da kommen. Das Bild hat eine beachtliche Größe von 112 mal 81 cm und befindet sich nach wie vor in Privatbesitz, vermutlich in der Familie. Die Glücklichen!

Bewertung vom 11.03.2022
Im Rausch des Aufruhrs
Bommarius, Christian

Im Rausch des Aufruhrs


gut

1923 - mehr als nur das Jahr des Hitlerputsches
Ich interessiere mich sehr für die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es gibt einige Schriftsteller, die die Art des "Kalenderschreibens" oder "Jahrbuchschreibens" bereits eingeführt haben. Ich nenne hier Florian Illies, der mit "1913" das erste Buch dieser Art schrieb, das ich gelesen habe. Danach noch einige mehr, nun hatte ich "1923" vorablesen können.
Dieses Buch, die Ereignisse und Begebenheiten nach Monaten geordnet, hat es mir aber doch recht schwer gemacht, durchzuhalten bis zum Schluss. Christian Bommarius schreibt zu den einzelnen Personen und Geschehnissen sehr ausführlich und gewissenhaft. Ein wenig erinnerte mich das an Dissertationen, die sich mit Vehemenz der Thematik zuwenden und nicht damit rechnen, dass auch Leser diesen Text konsumieren könnten, die nicht so tief in der Materie stehen. Für mich blieb in der Fülle der Informationen der Unterhaltungswert stecken, so dass ich die eine oder andere Seite sogar überblättert habe.
Trotzdem habe ich für mich Neues und Interessantes entdeckt und auch gern gelesen. So zum Beispiel über die Besetzung von Rheinland und Ruhrgebiet, mein Vater wurde 1911 in Hamborn (heute Duisburg) geboren, er erlebte als Arbeiterkind mit fünf Geschwistern die Armut, den Hunger, die Inflation, den Kappputsch und die schwierigen Verhältnisse machten ihn zum Kommunisten.
Wenn wir heute auf die Tanksäule schauen und ob der nach oben gehenden Preise den Kopf schütteln, denke ich an die Brotpreise, die Bommarius in seinem Buch zu einer Art "Barometer" der Inflation macht.
Eine weitere Geschichte, die mich sehr interessierte, war die von Maximilian Harden, über den ich so ausführlich noch nichts gelesen hatte.
Das Buch bietet einen weiten Überblick, zeigt die Widersprüchlichkeit der Entwicklung in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg. Aus meiner Sicht ein gutes Nachschlagewerk für Geschichtsinteressierte.
Übrigens: das Cover passt hervorragend in die Zeit, das Buch hält aber nicht ganz das Versprechen einer unterhaltsamen Lektüre. Es ist doch eher eine wissenschaftliche Art des Herangehens, auch wenn einige Ironie eingeflochten wurde.

Bewertung vom 25.01.2022
Der letzte Sommer in der Stadt
Calligarich, Gianfranco

Der letzte Sommer in der Stadt


ausgezeichnet

Sehr melancholische Lebens- und Liebesgeschichte

Die Leseprobe ließ mich etwas ratlos zurück, der Beginn des Romans las sich flüssig und der romantische, melancholische Stil machte mich neugierig, obwohl nicht zu erahnen war, wohin die Geschichte führt.
Als das Buch kam, war ich schon vom Äußeren total begeistert. Der warme Farbton des Schutzumschlags, der junge Mann über der im Dunst liegenden Stadt Rom, einfach ein Buch zum Zugreifen.
Ich las das ganze Buch wie in Trance, Rom war einer der "Hauptdarsteller", wie ein Film mit einem magischen Ambiente umfing mich das Gefühl der Stadt. Ich fragte mich tatsächlich, wie jemand, der Rom, die Piazza Navona, die Piazza del Popolo, die traumhaften Gassen, die sieben Hügel, den Lärm, den Gestank der Vespas, die verlotterten Toiletten in den Cafés, die schwatzenden Leute und die Geschäfte, die überquellen von bunten, teuren, schicken Sachen, wie jemand, der all das nie gesehen hat, dieses Buch aufnimmt. Denn sich in Leo Gazzaro hineinzuversetzen, der mit gerade mal dreißig Jahren daherkommt wie in einer schweren Midlifecrisis, der sich in die verrückte, sensible Arianna verliebt und doch nicht richtig verliebt ist, der mit dem Arbeiten so seine Probleme hat und mit der Freizeit auch, das ist trotz des einschmeichelnden Stils gar nicht so leicht.
Trotzdem kommt man nach ein paar Seiten nicht mehr los von diesem Buch, die Probleme, die Leo sieht, die er hat und die ihm das Leben schwer machen, sind greifbar. Seine Fahrt in die Heimatstadt Mailand, das Beobachten seiner Eltern, ohne sie - es ist Weihnachten - zu besuchen, das ging mir unter die Haut.
Auch der Tod seines Freundes ist ein Gewicht, das Leo hinabzieht, und dann ist da immer wieder Arianna, die er plötzlich wiedertrifft und sie doch nicht haben kann, denn sie lebt mit einem anderen und will heiraten. Leo ist am Ende, er sieht in seinem Leben nur eine überflüssige Zeit, die er verbringt. Sehr, sehr traurig, trotzdem sehr, sehr schön geschrieben.
Dass dieses Buch bereits 1973 erstmals erschienen ist, lässt einen verwundert auf das Rom von heute und die Leute um die 30 von heute blicken. Hat sich irgendetwas geändert in 49 Jahren? Ja, heute hätte jede Figur im Buch ein Handy am Ohr und zu dem Lärm in Rom käme das ständige Klingeln der Smartphones und das ununterbrochene Brabbeln, Schwatzen, Schreien der Telefonierenden hinzu. Aber sonst? Rom ist eine ewige Stadt, sie bleibt Rom bis ans Ende ihrer Tage. Dieser Roman setzt auch ihr ein Denkmal. Brillant.

Bewertung vom 03.06.2021
Tod auf Madeira / Comissário Torres Bd.1 (eBook, ePUB)
Bento, Tomás

Tod auf Madeira / Comissário Torres Bd.1 (eBook, ePUB)


gut

Laura, eine Schriftstellerin in der Ehekrise und mit leichtem Burnout landet in der Madeira-Reisegruppe ihrer besten Freundin Britta. Es soll sie ablenken vom untreuen Ehemann und auf andere Gedanken bringen. Brittas Plan geht auf, obwohl die Reisegruppenteilnehmer schon recht gewöhnungsbedürftig sind. Aber solange Laura interessantes "Material" wittert, nimmt sie das gelassen hin. Doch schon bei der ersten großen Wanderung geht etwas gehörig schief, Stefan stirbt vor aller Augen an einem anaphylaktischen Schock. Klar wird auf den ersten Blick nur: Schuld ist der Kuchen, es waren wohl Erdnüsse drin. Damit beginnt das Drama der Suche, zuerst nur nach einem Schuldigen, dann nach einem Mörder, denn alles deutet darauf hin, dass Stefan der Kuchen absichtlich verabreicht wurde und sein Notfallset spurlos verschwunden ist. Laura wird vom portugiesischen Kriminalkommissar mir nicht, dir nichts zur Dolmetscherin gemacht und so bekommt sie einen guten Einblick in die Arbeit der Polizei und die unterschiedlichsten Charaktere ihrer Reisegruppe und des Hotelpersonals. Als dann Britta als Verdächtige verhaftet wird, ist es aus mit Lauras Zurückhaltung, sie fühlt sich gezwungen, selbst zu ermitteln. Was dabei herauskommt und wer der Täter ist, verrate ich natürlich nicht.
Die Geschichte gestaltet sich unterhaltsam und abwechslungsreich, das Buch liest sich schnell und leicht. Mich störten die vielen, sich oftmals wiederholenden Klischees, egal ob es um den Alkoholiker Philip oder die schwer melancholischen Portugiesen - inklusive Kommissar Torres - geht, und andauern gibt es Bica oder Poncha. Was mir aber gefallen hat, waren die Beschreibungen Madeiras; das passt auch zum schöner Coverfoto. Für mich ein echter Anreiz, dort einmal hinzufliegen. Fazit: unterhaltsame Urlaubslektüre.

78910