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Ste

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Insgesamt 200 Bewertungen
Bewertung vom 11.05.2022
Als hätte jemals ein Vogel verlangt, dass man ihm ein Haus baut
Malcovati, Marie

Als hätte jemals ein Vogel verlangt, dass man ihm ein Haus baut


ausgezeichnet

Ein tiefgründer Roman mit einem interessanten Figurengeflecht

Inhalt: Die hochschwangere Iona steht vor dem Haus von Tahvo, ihrem Vater, den sie noch nie getroffen hat. Doch auf ihr Klingeln reagiert niemand. Kurzerhand bricht sie in das Haus ein. Allerdings bleibt der Einbruch nicht lange unbemerkt: Tine, eine Nachbarin, die eine besondere Beziehung zu Tahvo hat, wird bei Iona vorstellig. Da Tahvo verschwunden bleibt, begeben sich die beiden auf Spurensuche. Und ehe sie es sich versehen, schließt sich eine dritte Frau der Suche an…

Persönliche Meinung: „Als hätte jemals ein Vogel verlangt, dass man ihm ein Haus baut“ ist ein Roman von Marie Malcovati. Erzählt wird die Handlung von einem auktorialen Erzähler, der wechselweise Leben und Gedankenwelt der drei weiblichen Figuren (Iona, Tine und Karolin), die Tahvos Verbleib nachspüren, beleuchtet. Gerade zu Beginn der Handlung ist die Beziehung der drei suchenden Frauen, die gewissermaßen eine Schicksalsgemeinschaft bilden, eher durch rivalisierende Gedanken geprägt. Einziger gemeinsamer Bezugspunkt ist zunächst allein die Suche nach Tahvo, der Abdrücke in jedem der drei Leben hinterlassen hat. Je weiter der (unfreiwillige) Road-Trip jedoch voranschreitet, desto stärker entwickeln sich Sympathien zwischen den dreien. Was Iona, Tine und Karolin bewegt, was genau sie antreibt, bleibt anfangs eher offen und wird erst sukzessiv deutlich: Nach und nach, in Vergangenheitssequenzen, werden die Hintergrundgeschichten der drei weiblichen Figuren erzählt, wodurch sich eine latente Spannung durch den Roman zieht. Tahvo, gewissermaßen das Ziel der Handlung, ist im Vergleich zu den Protagonistinnen schemenhaft gezeichnet. Er agiert fast nur in den Vergangenheitssequenzen und bleibt – bis zuletzt – in einem diffusen Licht. Nicht Tahvo ist Kern des Romans, sondern die Lebenslinien von Iona, Tine und Karolin, die sich an einem bestimmten Punkt mit Tahvos Linie überschnitten. Auch der Erzählstil von Marie Malcovati hat mir sehr gut gefallen. Er ist immer klar und deutlich, zugleich poetisch und psychologisch-sezierend. So werden vergangene und gegenwärtige Problemlagen der Figuren geöffnet, innere Konflikte ausgefochten, Brüche im Leben thematisiert und traumatische Ereignisse behandelt. Dabei finden sich immer wieder tiefgründige Gedanken, die auch jenseits der Denke der einzelnen Figuren Relevanz besitzen. Insgesamt ist „Als hätte jemals ein Vogel verlangt, dass man ihm ein Haus baut“ ein sprachlich schöner, tiefgründiger Roman mit einem interessanten Figurengeflecht.

Bewertung vom 08.05.2022
Jetzt greifen sie uns alle an / Bloom Bd.3
Oppel, Kenneth

Jetzt greifen sie uns alle an / Bloom Bd.3


ausgezeichnet

Ein sehr gelungener Abschluss der Trilogie

Vorab: „Bloom – Jetzt greifen sie uns alle an“ ist der finale Band der „Bloom“-Trilogie. Da die Handlung der drei Bände aufeinander aufbaut, sollten sie chronologisch gelesen werden. Die Rezension beinhaltet daher auch Spoiler zu den ersten beiden Bänden.

Inhalt: Die Kryptogenen sind auf der Erde gelandet. Die endgültige Kolonisierung steht kurz bevor. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: Nicht jedes kryptogene Wesen zielt auf eine Invasion. Im Gegenteil: Eine Gruppe von Rebellen möchte das kryptogene Herrschaftssystem stürzen und damit die beginnende Invasion beenden. Um die Erde zu retten, müssen Seth, Anaya und Petra mit den rebellischen Kryptogenen zusammenarbeiten – ob die drei wollen oder nicht.

Persönliche Meinung: „Bloom – Jetzt greifen sie uns alle an“ ist ein Jugendbuch von Kenneth Oppel. Anders als die ersten beiden Bände, die eher in Richtung Dystopie tendieren, ist der dritte Band mit dem Auftritt der Kryptogenen, ihren Raumschiffen, Waffen und technischen Gadgets stärker ein Sci-Fi-Roman (Die Sci-Fi-Elemente sind interessant und haben mir richtig gut gefallen – mehr kann ich ohne Spoiler nicht sagen). Erzählt wird der dritte Band – wie bereits die Vorgänger – aus den personalen Erzählperspektiven von Anaya, Petra und Seth, die sowohl menschliche als auch kryptogene DNA in sich tragen. Jede der drei Figuren steht anders zu ihrer hybriden DNA: Während Petra lieber vollständig menschlich wäre, möchte Seth seine kryptogenen Fähigkeiten nicht missen. Anaya hingegen versucht die goldene Mitte zwischen menschlicher und kryptogener Identität zu finden. Diese Identitätskonflikte, die in allen drei Bänden angelegt sind, werden im dritten Band zugspitzt, wodurch die Handlung an Spannung gewinnt. Die Entwicklung, die die Figuren über die drei Bände hinweg erfahren, wird im Abschlussband außerdem zu einem schönen Ende geführt. Auch der Handlungsbogen, der stimmig an die Vorgängerbände anschließt, hat mir sehr gut gefallen. Für Spannung beim Lesen sorgt, dass man sich nicht 100%ig sicher sein kann, welche Figuren auf welcher Seite steht. Auch gibt es die ein oder andere unerwartete Wendung, sodass der Fortgang der Handlung überraschend und schwer zu erahnen ist. Der Schreibstil von Kenneth Oppel ist angenehm und flüssig zu lesen. Insgesamt ist „Bloom – Jetzt greifen sie uns alle an“ ein spannender Sci-Fi-Roman, der die „Bloom“-Trilogie sehr gelungen und stimmig abschließt.

Bewertung vom 18.04.2022
Freeman und Co. III
Darabant, Tamas

Freeman und Co. III


ausgezeichnet

Ein spannender Whodunit-Krimi mit toll ausgestalteten Figuren

Inhalt: Joeys adliger Urgroßonkel aus England sucht einen Erben für sein Vermögen. Daher lädt er alle in Frage kommenden Verwandten auf seinen Sitz, Schloss Ravensworth, ein. Ein Auswahlkriterium ist dabei, dass der Erbe kinderlos sein muss. Joey fällt, da er bald Vater wird, nicht mehr unter die Kategorie „potenzieller Erbe“, doch lässt er es sich nicht nehmen, trotzdem nach England zu reisen, um seine weitverzweigte Verwandtschaft kennenzulernen. Mit dabei: Spencer und Big-Boy, die sich nach den nervenaufreibenden Fällen der letzten Monate eine Auszeit erhoffen. Doch plötzlich häufen sich die Mordfälle auf Schloss Ravensworth, sodass sich Joey, Spencer und Big-Boy unversehens in einem neuen Fall befinden…

Persönliche Meinung: „Das Erbe des Lords“ von Tamás Darabánt ist der dritte Band der Krimi-Reihe „Freeman und Co.“ Die Reihe dreht sich um Spencer Freeman, der nach einem Unfall mit Tieren sprechen kann und gemeinsam mit dem Waschbären Big-Boy eine Detektei gründet. Man kann „Das Erbe des Lords“ auch ohne Kenntnis der Vorgänger lesen, da zu Beginn der Handlung alle nötigen Informationen genannt werden. Mehr Spaß macht die Lektüre aber, wenn man zunächst die ersten beiden Bände gelesen hat, da die Figuren über die Einzeltitel hinweg eine schöne Entwicklung durchmachen. Erzählt wird „Das Erbe des Lords“ aus verschiedenen personalen Erzählperspektiven. So wird neben den Sichtweisen von Spencer, Joey und Big-Boy auch die Perspektive der Täterfigur eingenommen. Anders als die Vorgängerbände spielt „Das Erbe des Lords“ nicht in New Orleans, sondern in England, genauer: in London und in einem alten Schloss. Das Setting des Schlosses mit seiner leicht gruseligen Atmosphäre hat mir hierbei besonders gut gefallen. Der Plot des Krimis folgt der klassischen Whodunit-Struktur: Auf dem abgelegenen Schloss geschehen Mordfälle; die „richtige“ Polizei ist nicht in der Lage, zu helfen, sodass Spencer, Joey und Big-Boy die Ermittlungen aufnehmen. Die Frage nach der Täterfigur ist dabei bis zuletzt offen und überraschend, wodurch Spannung innerhalb der Handlung entsteht. Wie schon in den Vorgängerbänden trifft man auch in „Das Erbe des Lords“ auf viele Figuren, die liebevoll ausgestaltet worden sind (bin schon sehr gespannt, wen wir davon alles wiedersehen werden :D). Der Schreibstil von Tamás Darabánt ist flüssig und lässt sich angenehm lesen. Insgesamt ist „Das Erbe des Lords“ ein spannender Whodunit-Krimi mit toll ausgestalteten Figuren. Für mich ist der dritte Band der - bisher - beste Band der Reihe.

Bewertung vom 16.04.2022
Tell
Schmidt, Joachim B.

Tell


sehr gut

Eine rasant erzählte Neuinterpretation des Tell-Stoffes

Inhalt: Gemeinsam mit seinem Sohn Walter begibt Wilhelm Tell sich auf Bärenjagd. An einer schroffen, alpinen Felswand treffen die beiden auf den neuen habsburgischen Landvogt Hermann Gessler, der gemeinsam mit dem Soldaten Harras die Berge durchstreift. So zufällig die Begegnung der vier ist, so groß sind ihre Auswirkungen auf die Zukunft.

Persönliche Meinung: „Tell“, verfasst von Joachim B. Schmidt, ist eine moderne Interpretation des Tell-Stoffes. Erzählt wird der Roman in fast 100 kurzen Sequenzen (meist 2-3 Seiten lang) aus der Ich-Perspektive von 20 verschiedenen Figuren (u.a. dem Dorfpriester, Bauern, Mitgliedern der Familie Tell, Soldaten). Das Erzähltempo ist dementsprechend hoch; die Handlung wird rasant erzählt, sodass man nur so durch die Seiten fliegt. Spannend ist bei diesen Perspektivierungen, dass die Sichtweise des titelgebenden Helden erst zum Schluss des Romans eingenommen wird. Wer Tell wirklich ist, was ihn antreibt und bewegt, erfahren die Lesenden daher erst zum Ende hin. Zuvor lernen die Lesenden Tell nur aus den Perspektiven der anderen Ich-Erzähler kennen. Diese beurteilen Tell meist aus der Distanz, können aber nicht zu seinem Kern vordringen. Dadurch, dass sie Tell nicht greifen können, aber trotzdem über ihn reden, nähren sie gewissermaßen den Mythos „Tell“. Tell ist eine interessant ausgestaltete Figur mit einer modernen Hintergrundgeschichte, die man in dieser Form nicht erwartet hätte: Er tritt mürrisch auf, ist verschlossen und besitzt Züge eines Anti-Helden. Insgesamt ist er eine äußerst tragische Figur, geplagt von Geistern der Vergangenheit, gefangen in einer Rolle, die er nicht einnehmen wollte. Kurzum: Ein Freiheitskämpfer wider Willen. Tell gegenüber steht der habsburgische Landvogt Gessler, der Antagonist, der eigentlich keiner ist. Ähnlich wie Tell ist er eine tragische Figur, der eine Rolle übergestülpt worden ist, wodurch Gessler an Vielschichtigkeit gewinnt. Dem unfreiwilligen Freiheitskämpfer wird ein Despot wider Willen entgegengesetzt. Doch „Tell“ geht nicht allein in der Gestaltung dieser beiden Charaktere auf. Der im Tell-Stoff angelegte Hang zum Familiendrama wird in „Tell“ weitergedacht. Ohne inhaltlich zu viel spoilern zu wollen: „Tell“ erzählt nicht nur eine moderne Version des legendären Schweizer Freiheitskämpfers, sondern thematisiert in gleichem Maße die Familie Tell, deren Vergangenheit und Gegenwart nicht reibungslos ist. Der Schreibstil von Joachim B. Schmidt lässt sich angenehm und flüssig lesen. Insgesamt ist „Tell“ eine moderne, vielstimmige und rasant erzählte Neuinterpretation des Tell-Stoffes.

Bewertung vom 06.04.2022
The Maid / Regency Grand Hotel Bd.1
Prose, Nita

The Maid / Regency Grand Hotel Bd.1


sehr gut

EIn kurzweiliger Cosy-Krimi

Inhalt: London. Molly Gray arbeitet als Zimmermädchen im Regency Grand Hotel. Hier blüht sie auf, weiß genau, was zu tun ist, und führt ihren Job perfekt aus. Doch ihre Welt gerät aus den Fugen, als sie bei einer routinemäßigen Reinigung die Leiche Mr. Blacks, eines Stammgastes des Hotels, auffindet. Schnell steht fest: Mr. Black ist ermordet worden. Unversehens findet Molly sich inmitten der polizeilichen Ermittlungen wieder und avanciert – unfreiwillig – zur Hauptverdächtigen.

Persönliche Meinung: „The Maid – Ein Zimmermädchen ermittelt“ ist ein Kriminalroman von Nita Prose. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive von Molly, die auch im Mittelpunkt des Krimis steht und in deren Gedankenwelt man ausführliche Einblicke erhält. Molly wird insgesamt detailliert und lebendig gezeichnet. Sie ist eine liebenswürdige Figur, die es aber nicht leicht hat. Ihre einzige Bezugsperson (ihre Großmutter) ist vor Kurzem gestorben, sodass Molly sich einsam und verloren fühlt. Gleichzeitig fällt es ihr schwer, neue Freunde zu finden: Dadurch, dass sie bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist, ist sie teilweise weltfremd und zu gutgläubig. Besonders zu Beginn der Handlung weist Molly – soweit ich es beurteilen kann – leicht autistische Züge auf. Es fällt ihr schwer, die Mimik anderer Personen zu verstehen, und oft nimmt sie Redewendungen, Vergleiche o.Ä. wörtlich. Insgesamt ist sie voller Herzensgüte, was aber die Wenigsten sehen. Durch Mollys Arglosigkeit ist man ihr während der Lektüre immer einen Schritt voraus – so scheint es zumindest. Denn: Die Handlung endet mit einem überraschenden Twist, durch den Molly bedingt in einem anderen Licht erscheint. Die Ermittlungen im Fall „Mr. Black“ rücken durch den Fokus auf Molly in den Hintergrund, was mich persönlich aber nicht gestört hat. Den Untertitel „Ein Zimmermädchen ermittelt“ finde ich allerdings etwas irreführend. Molly selbst ermittelt eigentlich gar nicht so viel: Sie gerät unfreiwillig in den Fokus der Ermittlungen und bedarf eines besonderen Beistandes, um ihre Unschuld zu beweisen. In diesem Punkt lag für mich auch die Spannung des Romans: Wie gelingt es, die Ermittlerfiguren bzw. das Gericht von Mollys Unschuld zu überzeugen, obwohl Molly sich selbst immer weiter in Widersprüche verstrickt? Der Schreibstil von Nita Prose ist eingängig und lässt sich flüssig lesen. Insgesamt ist „The Maid“ ein kurzweiliger und unterhaltsamer Cosy-Krimi mit einer liebenswürdigen Protagonistin.

Bewertung vom 03.04.2022
Man vergisst nicht, wie man schwimmt
Huber, Christian

Man vergisst nicht, wie man schwimmt


ausgezeichnet

Die perfekte Sommerlektüre

Inhalt: Der 31. August 1999. In Bodenstein knallt die Sonne; die Hitze steht und die Luft flirrt. Der 15-jährige Pascal, von allen nur Krüger genannt, versucht den Tag in seinem Zimmer zu überstehen. Doch da hat er nicht mit seinem besten Freund Viktor gerechnet: Dieser überredet Krüger, zum Müller-Markt zu gehen, um gemeinsam „Tony Hawk’s Pro Skater“ zu spielen. Dort begegnen die beiden zufällig Jacky, einem Mädchen aus dem Zirkus, der gerade in Bodenstein gastiert. Ein Treffen, das Krügers Leben für immer verändern wird.

Persönliche Meinung: „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ ist ein Coming of Age-Roman von Christian Huber. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive Pascals (aka Krügers). Die Handlung ist durchzogen von 90er Vibes. So finden sich einerseits viele Referenzen auf die Popkultur der (späten) 90er: Krüger und Viktor spielen „Tony Hawk’s“, der (befürchtete) Millennium-Bug wird thematisiert, typische Produkte (wie das Tamagotchi oder die Super Soaker) werden genannt und das Nokia 3210 spielt eine nicht geringe Rolle im Roman. Auch tönt der Sound der 90er durch „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“: Goldfinger und Oasis werden ebenso abgespielt wie Eminem, Massive Töne oder die Red Hot Chili Peppers. Zur Handlung selbst möchte ich gar nicht so viel verraten. Nur: Es geht um Freundschaft, das Erwachsenwerden, das Verarbeiten traumatischer Erlebnisse und die erste Liebe. Eingeflochten in die Handlung sind außerdem kurze Geschichten Krügers: Dieser möchte Schriftsteller werden und schreibt in sein Notizbuch einzelne Kurzgeschichten, die aber keiner außer ihm sehen soll. Für Spannung innerhalb des Romans sorgt ein besonderes Geheimnis, das Krüger in sich birgt und das zum Ende der Handlung offenbart wird. Sehr gut hat mir auch gefallen, wie Christian Huber zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit changiert. So heiter, fast unbekümmert der Roman beginnt, so bedeutungsvoll und ernst ist er zum Ende hin. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich auch bei den drei Protagonisten Krüger, Viktor und Jacky. Auf den ersten Blick erscheinen sie als „normale“ Jugendliche (die übrigens lebendig gezeichnet sind). Je weiter die Handlung fortschreitet, desto stärker offenbart sich aber ihre Tiefgründigkeit. Das Ende ist bittersüß und könnte nicht perfekter sein. Der Roman lässt sich sehr flüssig lesen, benutzt Umgangs- und Jugendsprache, was sehr gut zu den Protagonisten passt. Insgesamt ist „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ ein spannender Coming of Age-Roman, den 90er Vibes durchziehen und der eine feine Liebesgeschichte besitzt. Er spielt in einer ähnlichen Liga wie Benedict Wells „Hard Land“, wobei mir persönlich „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ aufgrund der räumlichen und zeitlichen Nähe der Handlung (nicht Grady in den 80ern, sondern ein deutsches Kaff in den 90ern) noch einen Tacken besser gefallen hat. Schnipsinger!

Bewertung vom 31.03.2022
Singe ich, tanzen die Berge
Solà, Irene

Singe ich, tanzen die Berge


ausgezeichnet

Inhalt: Prall gefüllt und unheilschwanger ziehen dunkle Wolken über die Pyrenäen. Erste Blitze brechen sich Bahn. Einer trifft Domènec, einen dichtenden Bauern, der gerade vor dem Gewitter flüchtet. Zurück bleiben seine Frau Sió und die beiden Kinder Mia und Hilari. Doch der Tod Domènecs wird nicht das einzige Unglück bleiben, das die Familie ereilt.

Persönliche Meinung: „Singe ich, tanzen die Berge“ ist ein Roman der katalanischen Schriftstellerin Irene Solà. Erzählt wird der Roman episodenartig aus einer Vielzahl von Ich-Perspektiven. Hierbei kommen nicht nur menschliche Figuren (wie Sió oder Mia) zu Wort, sondern auch ein Rehbock, ein Geist, Pilze und die Pyrenäen selbst. Das Besondere ist, dass jede Perspektive eine unverwechselbare Erzählstimme und Sichtweise besitzt, die sich von den anderen Perspektiven unterscheiden. Die Episoden erscheinen auf den ersten Blick als eher unzusammenhängende Sequenzen. Allerdings ergeben sie, je weiter man liest, – einem Mosaik gleich – ein Gesamtbild. Die Lektüre von „Singe ich, tanzen die Berge“ ist insgesamt sehr intensiv. Dies hängt einerseits mit der sprachlichen Seite des Romans zusammen: Solà schreibt sehr bildhaft, metaphorisch und lyrisch; Wortwahl und Satzbau sind ungezähmt, stellenweise urwüchsig (Petra Zickmanns Übersetzung aus dem Katalanischen fängt dies großartig ein). Die beeindruckende Sprachgewandtheit und Bildgewalt spürt man auf jeder Seite: Während der Lektüre wird man auf eine angenehme Art mit Worten und Bildern gesättigt, sodass man nach jedem der 18 Kapitel – ähnlich wie die Wolken zu Beginn des Romans, aber in einem positiven Sinne – prall gefüllt ist. Durch diese sprachliche Intensität ist „Singe ich, tanzen die Berge“ umfassender, als seine etwas mehr als 200 Seiten annehmen lassen. Der zweite Aspekt, der die Lektüre so intensiv macht, ist die Handlung des Romans: Auf der einen Seite fängt Solà Einzelschicksale wie in einem Brennglas ein: Diese sind selten bruchlos, oft tragisch, teilweise aber auch ungemein lebensbejahend. Auf der anderen Seite werden diese Einzelschicksale durch die Perspektiven der mystischen Wesen oder der Pyrenäen – quasi im Weitwinkel – relativiert. So tragisch oder erfüllend sie auch sind: Im Fluss der Zeit verlieren sie ein Stück weit an Bedeutung. Insgesamt ist „Singe ich, tanzen die Berge“ ein vielstimmiger, sprachgewaltiger, ja stellenweise ungestümer Roman, dessen Lektüre intensiv ist.

Bewertung vom 27.03.2022
Freeman und Co. II
Darabant, Tamas

Freeman und Co. II


sehr gut

Inhalt: New Orleans. Unerwartet stattet Colonel, der alte Alligator, der Detektei Freeman und Co. einen Besuch ab. Sein Anliegen: Der Sumpf nahe der Stadt scheint verseucht zu sein, sodass er Spencer und den Waschbären Big-Boy bittet, der Sache auf den Grund zu gehen. Unverzüglich machen sich die beiden auf den Weg. Doch illegal entsorgte Chemikalien sind nicht das Einzige, was Spencer und Big-Boy entdecken…

Persönliche Meinung: „Die giftigen Sümpfe“ ist der zweite Band der „Freeman und Co.“-Reihe von Tamás Darabánt. Die Reihe dreht sich um Spencer Freeman, der nach einem Unfall die besondere Gabe besitzt, mit Tieren sprechen zu können. Nach anfänglichen Schwierigkeiten macht er sich die Gabe zunutze und eröffnet gemeinsam mit dem Waschbären Big-Boy eine Detektei. Man kann „Die giftigen Sümpfe“ auch ohne Kenntnis des ersten Bandes „Der Teufel von New Orleans“ lesen, allerdings ist es sinnvoll, zunächst mit dem „Teufel“ zu beginnen, da man so die Beziehungen der Figuren besser verstehen kann. Erzählt wird der Krimi temporeich in meist kurzen Kapiteln aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Handlung setzt zwei Schwerpunkte: Einerseits spielen die Ermittlungen im Fall der illegalen Entsorgung der Chemikalien eine Rolle. Hierbei fand ich etwas schade, dass der Täter für die Lesenden schon recht früh bekannt ist. Dadurch ging für mich ein Stück weit Spannung verloren. Dies wird aber durch die zweite Schwerpunktsetzung, der Ausgestaltung der Figuren bzw. ihrer Entwicklung, ausgeglichen. So ändern sich die Beziehungen einzelner Figuren, neue, z.T. schräge Figuren treten hinzu und auch alte Bekannte, mit denen man nicht unbedingt gerechnet hat, spielen wieder eine Rolle. Was mir an den Protagonisten am besten gefällt, ist, dass sie durchweg liebenswürdig sind. Ebenfalls gefallen hat mir, dass der Krimi humorvoll erzählt wird: Mehrfach kommt es zu lustigen und teilweise absurden Szenen, in deren Mittelpunkt häufig – aber nicht nur – Big-Boy steht (auch zwei neue Figuren sorgen für einige Schmunzler). Der Krimi lässt sich außerdem sehr angenehm lesen. Insgesamt ist „Die giftigen Sümpfe“ ein humorvoll erzählter Krimi, der besonders durch liebenswürdig gestaltete Figuren besticht.

Bewertung vom 27.03.2022
Vertraute Qualen (eBook, ePUB)
Nähle, Kirsten

Vertraute Qualen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Inhalt: Würzburg. Nach einer Partynacht verschwindet Leon, ein Schüler einer örtlichen Realschule, spurlos. Handelt es sich um eine Straftat oder ist er von sich aus weggelaufen? Um den Fall zu klären, kehrt die Oberkommissarin Victoria Stahl frühzeitig in den Dienst zurück. Denn: Leon ist der Freund ihrer Tochter Marie. Als ein weiterer Schüler aus Leons Klasse verschwindet, beginnt ein Rennen gegen die Zeit.

Persönliche Meinung: „Vertraute Qualen“ ist ein Krimi mit Thrillerelementen von Kirsten Nähle. Nach „Zwölf Sünden“ ist es der zweite Krimi, der sich um das Ermittlerduo Victoria Stahl und Daniel Freund dreht. Der Fall von „Vertraute Qualen“ ist in sich abgeschlossen, sodass man nicht zwangsläufig den Vorgänger gelesen haben muss. Um die Figuren und ihre Beziehungen besser verstehen zu können, ist es aber sinnvoll, zunächst mit „Zwölf Sünden“ zu starten. Erzählt wird „Vertraute Qualen“ aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven, sodass die Handlung ein schönes Tempo gewinnt. So werden neben den Perspektiven von Victoria Stahl und Daniel Freund auch die Sichtweisen von Marie und eines weiteren Schülers eingenommen (den Namen nenne ich zur Spoilervermeidung bewusst nicht). Zum Inhalt des Krimis möchte ich gar nicht zu viel vorwegnehmen. Nur: Kern des Plots ist Mobbing an der Schule. Die Handlung selbst besitzt eine schöne Spannungskurve und ist stimmig. Auch werden mehrere falsche Fährten gelegt, sodass die Täteridentität überraschend ist. Die Handlungen des Täters werden teilweise detailliert und explizit beschrieben, sodass man stellenweise „hartgesottene*r“ Thrillerleser*in sein muss. Der Schreibstil von Kirsten Nähle lässt sich sehr flüssig und angenehm lesen, sodass „Vertraute Qualen“ insgesamt ein richtiger Pageturner ist. Sehr gut an dem Krimi hat mir auch gefallen, wie die emotionale Seite des Falles thematisiert wird. Dadurch, dass der Verschwundene der Freund von Marie ist, sind Victoria und Marie direkt in den Fall involviert, was Folgen für die Handlung hat: Der Fall wird nicht „einfach“ nach einem bestimmten Schema geklärt, sondern die Protagonisten leiden während der Aufklärung mit und reiben sich emotional auf. Insgesamt ist „Vertraute Qualen“ ein flüssig zu lesender Krimi mit einer spannenden Handlung und schön ausgearbeiteten Figuren.

Bewertung vom 21.03.2022
Martin Walser
Hieber, Jochen

Martin Walser


ausgezeichnet

„Martin Walser. Der Romantiker vom Bodensee“ ist eine Biografie von Jochen Hieber, die sich mit dem Leben und Werk des Schriftstellers Martin Walser beschäftigt. Jochen Hieber setzt in seiner Biografie zwei Schwerpunkte: Zwar gibt Hieber einen kursorischen Überblick über das Gesamtwerk Walsers, doch legt er den Fokus auf Walsers Veröffentlichungen ab 1998. Wie Hieber ausführlich begründet, versteht er Martin Walser als partiellen Romantiker, der die Maximen der Aufklärung für realisiert erachte und daher für die Gegenwart neue Antworten jenseits der Aufklärung suche. Walser befinde sich außerdem – den Romantikern nicht unähnlich – in einem permanenten Schreib- und Reflexionsprozess, weshalb er nicht das eine Hauptwerk geschaffen habe. Zugleich – und das ist der zweite Schwerpunkt – behandelt Hieber Walser in seiner Biografie weniger als ein Individuum, sondern stärker als Schriftsteller in einem spezifischen Literatursystem, wobei auch Wechselwirkungen zwischen Individuum und System dargestellt werden. Hieber schreibt also keine bloße Biografie, sondern auch eine Abhandlung über die deutsche Gegenwartsliteratur, in deren Mittelpunkt die Perspektive Martin Walsers gesetzt wird. Denn: Obwohl, so Hieber, Martin Walsers Relevanz für die Gegenwartsliteratur nicht ausreichend genug betont werden könne, falle er – gerade im angelsächsischen Raum – häufig hintüber und bekomme nicht die Aufmerksamkeit, die ihm eigentlich zustehe. Um Walsers Relevanz für die Gegenwartsliteratur herauszustellen, geht Hieber einen besonderen, nicht-chronologischen Weg. So wird Walsers Leben und Werk in Bezug zum Literatursystem (bestehend aus Schriftsteller*innen, Leser*innen, Rezensent*innen und dem Literaturmarkt) beschrieben. Daher spielen neben Martin Walser auch Größen der Gegenwartsliteratur wie Hans Magnus Enzensberger und Günter Grass in der Biografie eine Rolle (gerade zu Beginn wird das aus Enzensberger, Grass und Walser bestehende Triumvirat der deutschen Gegenwartliteratur häufig thematisiert). Ein besonderes Augenmerk wird auch auf die österreichisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger gelegt, die eine langjährige Freundin Walsers war (bis sie die Freundschaft nach der Veröffentlichung von Walsers „Tod eines Kritikers“ beendete). Hierbei beschäftigt sich Hieber ausführlich mit Klügers „weiter leben“, welches er parallelisierend zu Walsers „Ein springender Brunnen“ analysiert. Den größten Raum in Hiebers Biografie nehmen aber Walsers Paulskirchenrede 1998 und sein Buch „Tod eines Kritikers“ (2002) ein. Beide führten dazu, dass Walser (u.a. von Marcel Reich-Ranicki und Frank Schirrmacher) vorgeworfen wurde, ein Antisemit zu sein. Hieber beschreibt in diesem Kontext ausführlich die Genese des Antisemitismus-Vorwurfes und diskutiert gleichzeitig, inwiefern dieser gerechtfertigt ist. Wie bereits angeführt, schreibt Hieber Walsers Biografie vor dem Hintergrund des Literatursystems. Interessant an dieser Perspektivierung ist, dass Jochen Hieber – als langjähriger FAZ-Feuilleton-Redakteur und Literaturkritiker – ebenfalls Teil dieses Systems ist. Er kennt Martin Walser persönlich, hat mit Reich-Ranicki und Schirrmacher zusammengearbeitet, wodurch die Biografie insgesamt eine persönliche Note besitzt. Gleichzeitig geht Hieber allerdings mit einer kritischen Sorgfalt vor und begründet seine Ansichten transparent, sodass keine undifferenzierten Parteinahmen geäußert werden. Insgesamt ist „Martin Walser. Der Romantiker vom Bodensee“ eine informative und verständlich geschriebene Biografie über Walser, die nicht nur dessen Leben, sondern auch das zeitgenössische Literatursystem behandelt.