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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 04.12.2022
Fifty-Fifty / Eddie Flynn Bd.5
Cavanagh, Steve

Fifty-Fifty / Eddie Flynn Bd.5


ausgezeichnet

Ein Toter, zwei Verdächtige und ein Verteidiger, dessen Chancen „Fifty-Fifty“ stehen, dass er auf das richtige Pferd – respektive auf die richtige Mandantin – gesetzt hat.

Eddie Flynn steckt in der Zwickmühle. Er, der nur dann die Verteidigung eines/einer Angeklagten übernimmt, wenn er von dessen/deren Unschuld überzeugt ist, hat es diesmal mit einem Fall zu tun, in dem er während des Prozessverlaufs von Zweifeln geplagt und seine Gewissheit immer wieder erschüttert wird.

Zwei Schwestern melden unabhängig voneinander den Tod ihres Vaters und beschuldigen gleichzeitig die jeweils andere, diesen ermordet zu haben. Die Beweise sind nicht eindeutig, und so kommt es zu einem Prozess, in dem die die wahre Täterin entlarvt werden muss.

Von Justizthrillern kann man in der Regel immer dann glaubwürdige Szenarien erwarten, wenn die Autoren/Autorinnen das Gerichtsmilieu aus eigener Anschauung kennen. Das haben beispielsweise Anne Holt, John Grisham, Scott Turow und Gianrico Carofiglio, allesamt ausgebildete Juristen, hinlänglich bewiesen. Nun wird dieser Zirkel von dem nordirischen Steve Cavanagh ergänzt, der sich in der Vergangenheit als Bürgerrechtsanwalt einen Namen gemacht hat und in der Tat eine echte Bereicherung darstellt.

Zieht sich z.B. bei Grisham die Handlung oft durch detaillierte Hintergrund-Informationen zum juristischen Prozedere in die Länge, setzt Cavanagh hier durch multiperspektivisches Erzählen auf Tempo. Und auch der sympathische Protagonist, in seinen Handlungen nicht immer ganz regelkonform, sorgt damit für Abwechslung. Und dann wäre da noch der raffinierte Plot mit seinen unerwarteten Wendungen, der immer wieder sämtliche Gewissheiten der Leser auf den Kopf stellt. Hochspannung par excellence! Lest selbst, und ihr werdet begeistert sein.

„Fifty-Fifty“ ist nach „Thirteen“ Teil 5 der Eddie-Flynn-Reihe, kann aber, da in sich abgeschlossen, problemlos ohne Kenntnis der vorherigen Bände, die nach und nach in den kommenden Monaten erscheinen (teilweise in Neuauflage wie Bd. 1 und 2), gelesen werden.

Bewertung vom 02.12.2022
Die tausend Verbrechen des Ming Tsu
Lin, Tom

Die tausend Verbrechen des Ming Tsu


ausgezeichnet

Ming Tsu, chinesisches Einwandererkind, das sehr früh seine Eltern verliert. Niemand kümmert sich um ihn, bis sich der berüchtigte Anführer eines Verbrechersyndikats seiner annimmt und ihn zum Killer ausbildet. Fortan erledigt er das, was man ihm aufträgt. Stellt sein Handeln nicht in Frage. Bis, ja bis er sich in Ada, die Tochter eines Eisenbahntycoons verliebt und mit ihr durchbrennt, was natürlich ihrem Vater nicht passt. Dessen Handlanger heften sich auf die Fährte des Paares, entführen Ada, nehmen Ming Tsu gefangen und verkaufen ihn an die Eisenbahngesellschaft, wo er mit vielen seiner Landsleute (lt. Quellen ca. 90 % der Arbeiter) als Zwangsarbeiter bei Sprengungen, dem Verlegen der Schienen etc. eingesetzt wird. Wusstet ihr, dass der Bau der ersten transkontinentalen Eisenbahn ohne chinesische Zwangsarbeiter nicht möglich gewesen wäre?

Zehn Jahre harte Knochenarbeit, viele seiner Leidensgenossen sterben, aber nicht Ming Tsu. Getrieben von dem Wunsch nach einem Wiedersehen mit seiner geliebten Ada beißt er sich durch, aber all diejenigen, die für ihre gewaltsame Trennung verantwortlich sind, sollen bluten. Er erstellt eine Liste mit deren Namen, verbündet sich mit einem hellsichtigen alten Landsmann und zieht, zusätzlich unterstützt von einer Gauklertruppe mit übernatürlichen Kräften, Richtung Westen. Dorthin, wo er Ada vermutet. Aber nicht, ohne eine veritable Blutspur hinter sich her zu ziehen.

Rache-Odyssee, Neo-Western, Love Story, Sozialreportage, Pulp, Thriller – all das ist „Die tausend Verbrechen des Ming Tsu“, das Debüt Tom Lins, 2022 mit der prestigeträchtigen Andrew Carnegie Medal for Excellence in Fiction ausgezeichnet.

Ein wilder Ritt, im wahrsten Sinne des Wortes. Vielfältig, unterhaltsam, spannend, eindringlich. Liebt ihr die Filme Tarantinos und/oder der Coen Brüder? Dann solltet ihr unbedingt zugreifen. Und wenn nicht, dann auch.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.11.2022
Erdschwarz / Eira Sjödin Bd.2
Alsterdal, Tove

Erdschwarz / Eira Sjödin Bd.2


ausgezeichnet

Mit „Erdschwarz“ wird nach „Sturmrot“ die auf drei Bände angelegte Geschichte der Polizistin Eira Sjödins fortgeschrieben. Da ihre demente Mutter Hilfe im Alltag benötigt, hat sie ihrer Stelle in Stockholm den Rücken gekehrt und ist in ihre Heimat im Norden zurückgekommen, wo sie nun Kommissar Georg „GG“ Georgssons Team verstärkt. Sie kennt die Gegend und die Menschen, weiß wie sie ticken, ist empathisch. Fähigkeiten, die in dem aktuellen Fall mehr denn je gefragt sind, da bei dessen Klärung die Kripo in Kramfors auf der Stelle tritt.

Ein toter Mann in einem verlassenen Haus in den Wäldern Ångermanlands, dem zwei Finger abgetrennt wurden. Kein Einzelfall, denn auch in der ehemaligen Bergbau-Gemeinde Malberget wird eine männliche Leiche gefunden. Die Gemeinsamkeiten in beiden Fällen sind nicht zu übersehen. Beide Opfer wurden über einen längeren Zeitraum in menschenleeren Gegenden ohne Nahrung und Wasser gefangen gehalten. Und es gibt in beiden Fällen Gerüchte, dass die Mafia ihre Finger im Spiel haben könnte. Und dann sind da noch Eiras familiäre Verwicklungen in einem ungeklärten Mordfall.

Bei Trilogien ist der mittlere Band in der Regel eher dürftig, da er vor allem als Bindeglied zwischen dem einführenden ersten und dem abschließenden dritten Teil genutzt wird. Nicht so bei Tove Alsterdal. Den besonderen Reiz macht dabei die Komplexität ihres Erzählens aus. Sie beschränkt sich nicht nur auf die akribisch beschriebene Polizeiarbeit und das Privatleben ihrer Protagonistin, sondern macht ihre Leser auch mit dieser menschenleeren Landschaft im Norden Schwedens vertraut, was durchaus seinen Reiz hat. Es ist eine Gegend, die schon wesentlich bessere Tage gesehen hat. Ångermanland, früher boomenden durch die Holzindustrie, aber seit der Stilllegung der Fabriken wie ausgestorben. Malberget, bekannt durch seine Eisenerzgruben, die den Ort unterhöhlten, das Erdreich absacken ließen und deshalb großangelegte Umsiedlungsmaßnahmen zur Folge hatten.

Aus diesen unterschiedlichen Faktoren hat die Autorin eine dichte, fesselnde und vielschichtige Reihe kreiert, die auf die leisen Töne setzt und es deshalb nicht nötig hat, mit Brutalität zu punkten. Die Mordfälle sind nur die Aufhänger, denn im Wesentlichen geht es ihr um die Menschen, um das, was sich wie in Malberget unter der Oberfläche abspielt und auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist.

Der Abschlussband „Nebelblau“ wird im Juli 2023 erscheinen. Ich freue mich sehr darauf, bin aber gleichzeitig auch traurig, dass damit die Trilogie abgeschlossen sein wird.

Bewertung vom 28.11.2022
Unschuld
Würger, Takis

Unschuld


weniger gut

Im Zentrum von Takis Würgers neuem Roman „Unschuld“ steht Molly Carver, dreiundzwanzig, an Angststörungen und Panikattacken leidend und deshalb medikamentenabhängig. Sie lebt mit ihrem Onkel Mick in einer kleinen Kellerwohnung in Queens, in der sämtliche Freiflächen mit Zeitungsartikeln über ihren Vater Florentin beklebt sind. Dieser hat sich des Mordes am Sohn der vermögenden Rosendales aus dem Hudson Valley schuldig bekannt und sitzt nun seit zehn Jahren in der Todeszelle. Nun steht der Termin für seine Hinrichtung fest und Molly, überzeugt von seiner Unschuld, bleiben nur 35 Tage, um diese zu beweisen. Dafür muss sie aber in die Vergangenheit eintauchen, und wo könnte das besser gelingen als auf dem Anwesen der Rosendales?

Ein Plot, der vertraut klingt und den wir aus zahlreichen Justizthrillern kennen. Allerdings sind es dort in der Regel die Profis, die sich dieser Herausforderung annehmen und seltener bis nie eine junge Frau mit zahlreichen Handicaps. Dieser Thriller-Aspekt tritt aber relativ schnell in den Hintergrund und macht Platz für jede Menge gesellschaftspolitischer Themen, die sich dem Autor bei seinen Aufenthalten in den Vereinigten Staaten offenbar aufgedrängt haben. Allerdings liegen diese, auch wenn man die amerikanischen Verhältnisse nur auch der Ferne betrachtet, so glasklar auf der Hand, dass man darüber kaum noch sprechen muss: Soziale Ungerechtigkeit, Superreiche, die über dem Gesetz stehen, Arme, die ihre Seele verkaufen, die Macht der Waffenlobby, tief verankert durch den zweiten Zusatzartikel zur Verfassung, Medikamentenmissbrauch, Todesstrafe und seltene Krankheit. Wenig überraschen, thematisch überfrachtet, aber genauso oberflächlich abgehandelt wie die Beschreibungen der persönlichen Beziehungen.

Ein Gesellschaftsroman, der gerne eine Kriminalgeschichte wäre? Oder doch umgekehrt? Funktioniert leider auf beiden Ebenen nicht zufriedenstellend.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.11.2022
Hell's Kitchen
Zaschke, Christian

Hell's Kitchen


weniger gut

Christian Zaschke schreibt seit 2001 für die Süddeutsche Zeitung, zuerst in München, zwischen 2011 und 2017 in London und seit 2017 New York. Für seine Heimatredaktion hat er in dieser Zeit nicht nur über die amerikanische Tagespolitik berichtet, sondern auch zusätzlich eine Kolumne gefüttert, in der er in 107 Beiträgen sein Leben in „Hell’s Kitchen“ beschrieben hat, diesem einstmals wegen seiner Bandenkriege und hoher Kriminalitätsrate berüchtigten Viertel in Manhattan, mittlerweile aber auch, wie so viele New Yorker Stadtteile mit Geschichte, der Gentrifizierung zum Opfer gefallen.

Aber darum geht es dem Autor nicht. Weder erfährt man Details zur Geschichte des Viertels, noch zu New York. Stattdessen nervt er mit nichtssagenden, inhaltsleeren und sich permanent wiederholenden Aussagen über sein Apartment im 17. Stock des ehemaligen Schwesternwohnheims, seinen ständig zitternden Friseur, der entweder alkoholabhängig oder an Parkinson erkrankt und deshalb nicht in der Lage ist, einen ordentlichen Haarschnitt hinzubekommen, die Schrottbar Rudy’s, deren Adresse aus welchen Gründen auch immer nicht genannt werden darf und in der er Stammgast ist. Tipps zu den interessanten und einzigartigen Ecken des Big Apple? Fehlanzeige, und sehr frustrierend für alle, die sich Infos über Erlebenswertes abseits der Touristenpfade von einem Insider erhoffen. Und unterm Strich null Erkenntnisgewinn für all diejenigen, die schon mehrfach in New York waren.

Mein Resümee? Eine Anhäufung von Banalitäten, die man sich getrost sparen kann. Da wäre selbst die Schilderung meines Aufenthaltes in der Notaufnahme in der Lower East Side unterhaltsamer gewesen.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.11.2022
Die Stunde der Hyänen
Groschupf, Johannes

Die Stunde der Hyänen


sehr gut

Wenn es Nacht wird, streifen in einem Berliner Kiez die Hyänen auf der Suche nach Beute durch die Nacht. Johannes Groschupf nimmt uns mit in die dunklen Ecken der Hauptstadt und gewährt einen ungeschönten Blick auf deren dunkle Ecken.

Autos brennen, Angst greift um sich, die Bewohner werden aktiv und gehen auf Streife, weil die Polizei nicht vorwärts kommt. Romina, die strafversetzte Romni beim Dezernat für Branddelikte, verbündet sich mit Jette, der Journalistin, um den Verantwortlichen dingfest zu machen. Der obdachlose Radek, ehemaliger Trucker, wird zum Opfer, aber steigt wie Phönix aus den Flammen auf. Ein Geläuterter, der nun seine Botschaft verkünden muss. Wie auch die Mitglieder einer dubiosen Jahwe-Sekte, unter ihnen auch Maurice, der Postbote, der die Gegend wie seine Westentasche kennt und sich jede Nacht aus der Wohnung schleicht. Aber es sind nicht nur die inneren Dämonen, die all diejenigen auf die nächtlichen Straßen treiben.

„Die Stunde der Hyänen“ ist nicht nur ein atmosphärischer Urban Noir Thriller sondern auch eine Milieustudie, genau beobachtet, packend und mit ansteigender Spannung erzählt. Die Sprache transportiert den Sound des Kiez, ist rau, direkt, nicht gefällig, realistisch und ohne Bling-Bling.

Neben der Suche nach dem Brandstifter gibt es allerdings noch jede Menge aktuelle Themen, die Groschupf anreißt und mit der Lebenswirklichkeit seiner Personen verknüpft. Obdachlosigkeit, Diskriminierung und Misogynie, Gewalt gegen Frauen, Missbrauch, Selbstjustiz angesichts der Untätigkeit der offiziellen Stellen, was angesichts der überschaubaren Länge dieses Thrillers etwas überladen ist. Und auch die eine oder andere Wendung zum Schluss hin ist leider nicht wirklich überzeugend und nachvollziehbar herausgearbeitet.

Aber dennoch, „Die Stunde der Hyänen“ ist ein tiefschwarzer, ein großartiger, schonungsloser Großstadtroman, den ich in einem Rutsch gelesen habe und gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 20.11.2022
Königsmörder
Harris, Robert

Königsmörder


sehr gut

1660. Der englische Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des absolutistischen König Charles I. und den „Roundheads“ um den frömmelnden Puritaner Oliver Cromwell ist Geschichte. Nach der Enthauptung seines Vaters 1649 sitzt mittlerweile „The Merry Monarch“ Charles II. auf dem Thron, der 1660 den „Act of Oblivion“ (so der Originaltitel des Romans) erlässt, und damit all jene begnadigt, die gegen den König gekämpft haben. Alle, mit Ausnahme der Unterzeichner des Urteils, aufgrund dessen Charles I. geköpft wurde. Diese werden gnadenlos verfolgt, gefangen genommen und mit äußerster Brutalität hingerichtet. Doch zwei „Königsmörder“ aus den Reihen Cromwells können sich diesem Schicksal entziehen, Edward Whalley, ein Cousin Cromwells und sein Schwiegersohn William Goffe, beide keine jungen Männer, verlassen ihre Heimat, gehen an Bord eines Schiffes, verlassen ihre Heimat, fliehen nach Amerika und finden in einer puritanischen Kolonie in Neuengland Unterschlupf. Ihnen auf den Fersen ist Richard Nayler, Sekretär des Geheimen Rats, übrigens die einzige fiktive Person dieses Romans, ein verbohrter, verbitterter und traumatisierter Mann, der geschworen hat, den Königsmord zu rächen. Die Jagd beginnt.

Robert Harris, der ehemalige politische Journalist, hat für diesen Roman gründlich recherchiert, man sehe sich nur die ausführliche Literaturliste im Anhang an. Dabei richtet er seinen Fokus aber nicht ausschließlich auf die Verfolgung der beiden Flüchtigen, sondern vermittelt durch Whalleys Aufzeichnungen auch einen überzeugenden Einblick in Leben und Denkweise dieser Epoche. Royalisten und Puritaner, auf der einen Seite das Festhalten an gottgegebenen Machtstrukturen, auf der anderen Seite die religiös geprägten Überzeugungen, die in Anklängen das revolutionäre Potenzial ahnen lassen, die ihnen innewohnt. Beide Gruppen überzeugt davon, dass nur ihr Leben und Handeln gottgefällig ist und seine Berechtigung hat.

Königsmörder ist zwar ein historischer Roman, aber er spielt in einer komplett anderen Liga als das, was man üblicherweise von diesem Genre kennt. Über weite Strecken ähnelt er zwar einem Sachbuch, was aber dennoch nicht zu Lasten des Lesevergnügens geht. Allerdings sollte man weniger an amourösen Verwicklungen als an historischen Fakten, insbesondere an denen, die Großbritannien nicht nur in der Vergangenheit sondern auch in der Brexit-Gegenwart betreffen, interessiert sein. All denen kann ich diesen beeindruckenden Roman wärmstens empfehlen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.11.2022
Die Heimkehr
Grisham, John

Die Heimkehr


sehr gut

John Grishams aktuelles Buch „Die Heimkehr“ beinhaltet drei Kurzromane unterschiedlicher Thematik, die aber, wie bei diesem Autor erwartet, nicht nur die dunklen Seiten des Anwaltsberufes sondern auch das amerikanische Rechtssystem kritisch unter die Lupe nehmen.

In „Die Heimkehr“ (155 Seiten) gibt es ein Wiederlesen mit zwei alten Bekannten, Harry Rex und Jake Brigance. Letzterer wird von Mack Stafford kontaktiert, einem ehemaligen Anwaltskollegen, der vor drei Jahren ohne Spuren zu hinterlassen verschwunden ist. Aber nicht, ohne vorher seine Reisekasse üppig mit Geld aufzufüllen, das eigentlich seinen Mandanten aus einem Vergleich zugesprochen wurde. Nun meldet sich sein Gewissen. Er würde gerne wieder zurückkommen, und Jake soll das für ihn möglich machen. Leider gestaltet sich die Heimkehr nicht so problemlos wie gedacht, zu viele offene Rechnungen warten darauf, beglichen zu werden.

„Erdbeermond“ (63 Seiten) ist die beeindruckende Momentaufnahme der letzten drei Stunden im Leben des Cody Wallace, 29jähriger Insasse des Todestrakts, bevor er seinen letzten Gang antreten muss. Er hat seinen Frieden gemacht, wartet auf die bestellte TK-Pizza und führt letzte Gespräche mit dem Geistlichen, seinem Anwalt und einer unverhofften Besucherin. Bleibt nur noch die Erfüllung des letzten Wunsches, bevor sein Leben beendet wird. Grisham ist Vorstandsmitglied von Innocence Project, einer gemeinnützigen Organisation, die für die Entlassung und Rehabilitation von unrechtmäßig Verurteilten einsetzt, und er ist ein erklärter Gegner der Todesstrafe. So verwundert es nicht, dass er in dieser Geschichte einmal mehr kritisch auf das barbarische und zutiefst rassistische Strafrechtssystem der Vereinigten Staaten schaut. Wie kann es möglich sein, dass ein Vierzehnjähriger, der lediglich Schmiere stand und nicht geschossen hat, zum Tode verurteilt wird und jedes Anrecht auf Begnadigung verwirkt?

Aller guten Dinge sind drei, und „Sparringspartner“ (155 Seiten) hätte, wenn an den richtigen Stellen „aufgefüllt“, in der Tat das Zeug zu einem Roman, wie wir ihn von Grisham kennen. Die Kanzlei Malloy & Malloy wird von zwei Brüdern betrieben, die sich spinnefeind sind. Sie haben sie von ihrem Vater geerbt, der eine längere Haftstrafe absitzt, aber auf seine Begnadigung hofft. Eine höchst dysfunktionale Familie, in der keiner dem Gegenüber etwas gönnt. Einig sind sie sich nur dann, wenn es um das Geld geht, das der Buchhalter seines Vaters auf eine kreative Reise um die Welt geschickt hat. Hier fährt der Autor nochmal alles auf, was wir aus seinen Büchern kennen: Steuerhinterziehung, Betrug, Bestechung, politische Korruption und Verrat, alles vorhanden und schlüssig mit der Story verwoben. Aber wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte…

Trotz der Kürze sind die Geschichten realistisch, spannend, unterhaltsam und sehr geradlinig aufgebaut. Und glücklicherweise wird auf die ausufernden Beschreibungen von juristischen Verfahren verzichtet, die in den Romanen teilweise für Langatmigkeit sorgen. Somit ist „Die Heimkehr“ die ideale Lektüre für Grisham-Fans, um die Wartezeit bis zum Erscheinen seines neuesten Roman „Feinde“ (ET 29.03.2023) zu verkürzen.

Bewertung vom 14.11.2022
Feldpost
Borrmann, Mechtild

Feldpost


sehr gut

Wer die Romane von Mechtild Borrmann kennt, weiß um die ganz besondere Fähigkeit dieser Autorin, Einzel- oder Familienschicksale mit zeitgeschichtlichen Themen zu verbinden, wobei ihr besonderes Interesse nicht nur der Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg sondern auch den Auswirkungen gilt, die Kriegseinsatz oder Flucht oder Alltag im Nationalsozialismus auf die junge Generation haben. Für ihren neuen Roman „Feldpost“ hat sie im Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen recherchiert, in dem seit 1998 private Lebenserinnerungen (aktuell ca. 25.000 Zeitzeugnisse von über 5.000 Menschen) aus der Zeitspanne 18. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart aufbewahrt werden.

Alles beginnt mit einer alten Aktentasche, voll mit vergilbten Fotos, Briefen und einem unleserlichen Kaufvertrag, zurückgelassen von einer Unbekannten, die sich in einem Café an den Tisch der Anwältin Cara Russo setzt und kurz darauf spurlos verschwindet. Deren Bemühen, die Tasche samt Inhalt dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben, lässt sie tief in die tragische Geschichte zweier Geschwisterpaare in den Kriegs- und Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkriegs eintauchen. Eine Geschichte, die geprägt von einer großen Liebe ist, die nicht sein darf und im Verborgenen gelebt werden muss. Von einer Liebe, die zurückgewiesen wird und deshalb Schuld auf sich lädt. Von einem Freundschaftsdienst, der schmählich verraten und ausgenutzt wird, der letztendlich nur Mittel zum Zweck der eigenen Bereicherung ist. Eine Geschichte, die zeigt, welches Leid solche Erfahrungen den Menschen zufügen.

Borrmann erzählt wie immer sehr feinfühlig auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen, wobei die Gegenwart nur einen kleinen Raum einnimmt. Durch kurze Kapitel und wechselnde Erzählperspektiven taucht man tief in Leben und Fühlen der Protagonisten ein, ist an Cara Russos Seite und setzt wie diese Stück für Stück das Puzzle dieser melancholischen Geschichte voll persönlicher Tragödien zusammen. Aber es gibt auch einen Wermutstropfen, denn alles in allem entwickelt sich der Plot doch recht vorhersehbar in eine Richtung, die man so (oder so ähnlich) schon mehrfach gelesen hat. Schade.

Bewertung vom 10.11.2022
Die dunkle Spur des Blutes / Detective Sergeant Logan McRae Bd.12
Macbride, Stuart

Die dunkle Spur des Blutes / Detective Sergeant Logan McRae Bd.12


sehr gut

Vorbemerkung: „Die dunkle Spur des Blutes“ des schottischen Autors Stuart MacBride ist der zwölfte Band in der McRae-Reihe, und natürlich kann man diesen Tartan Noir ohne Vorkenntnis der anderen Bücher lesen. Aber um die persönlichen Hintergründe sowie die Interaktionen der verschiedenen Personen besser einordnen zu können, empfehle ich die chronologische Lektüre.

DI Logan McRae ist nach einjähriger Rekonvaleszenz zurück im Job. Eigentlich hat er für die Wiedereingliederung auf einen einfachen Job gehofft, aber dieser Wunsch soll nicht in Erfüllung gehen, da seine Chefin andere Pläne mit ihm hat. Ein umstrittener Verfassungsrechtler, der seine Meinung zu den schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen immer wieder lautstark in den sozialen Medien kundgetan hat, ist spurlos verschwunden. Nicht der übliche Vermisstenfall, denn die Blutspuren auf seinem Küchentisch und das Päckchen mit brisantem Inhalt, das wenig später BBC Schottland erhält, sprechen eine andere Sprache.

Verantwortlich für den Fall ist DI King. Dieser ist nicht unumstritten, da ihm Kontakte zu nationalistischen Terroristen nachgesagt werden und eine Enthüllungsstory droht. McRae soll dies überprüfen und ihn gleichzeitig während der Ermittlungen im Auge behalten. Eine mehr als undankbare Aufgabe, die auch seinen Kopf kosten könnte.

Dass schottische Autoren gerne gesellschaftspolitisch relevante Themen in ihre Kriminalromane einarbeiten, weiß jeder, dessen Interesse den Vertretern des Tartan Noir gilt. McIlvanney, Rankin, Mina, Brookmyre und wie sie alle heißen mögen, aber kaum eine/r beherrscht diese unnachahmliche Mischung aus Dunkel und Licht, brutalem Verbrechen und schwarzem Humor, wie MacBride. Mit dieser Fähigkeit ausgestattet, kann er auch ein solch emotionales und politisches Thema wie die polarisierenden Debatten und ihre hässlichen Auswirkungen rund um die schottische Unabhängigkeit zur Sprache bringen.

Politisch, spannend und unterhaltsam – wie erwartet eine gute Mischung.