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Circlestonesbooks.blog
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Lesebegeisterte Literaturbloggerin, https://www.circlestonesbooks.blog/

Bewertungen

Insgesamt 411 Bewertungen
Bewertung vom 21.08.2022
Die Überlebensbibliothek
Moritz, Rainer

Die Überlebensbibliothek


ausgezeichnet

Erste Hilfe durch Bücher

„Die Auswahl ist durch und durch subjektiv, doch jeder, der eine Wahl trifft, hofft insgeheim darauf, dass er Gesinnungsfreunde findet, sei es in Oberschwaben oder Griechenland. (Zitat Seite 11)

Thema und Inhalt
In der Einleitung dieser interessant zu lesenden, aber auch eigenwilligen, mit Humor erstellten Aufzählung von unterschiedlichen Lebenssituationen, überlegt der Autor, ob es Sinn macht, in Romanen und Erzählungen eine Art hilfreiche Anleitung für das eigene Leben zu suchen. Es sind insgesamt acht übergeordnete Situationen und Befindlichkeiten, welche der Autor dann in speziellere Themen unterteilt und zu jedem dieser Themen schlägt er ein passendes Buch vor.

Gestaltung
Unter den Buchvorschlägen finden sich ein Märchen von Hans Christian Andersen, Klassiker wie Gustave Flaubert, Theodor Fontane und natürlich Marcel Proust, aber auch moderne Autorinnen und Autoren wie Sibylle Berg, Karen Duve und Wolf Haas. Es ist eine breit gefächerte Auswahl und selbst wenn man einen Teil der Bücher bereits gelesen hat oder zumindest kennt, wird man auch auf bisher unbekannte Romane stoßen, die auf Grund der Beschreibung von Rainer Moritz sofort auf die persönliche Wunschliste kommen. Denn es ist genau die Vorstellung der empfohlenen Bücher, die dieses Buch selbst zu einer ansprechenden, interessanten Lektüre machen. Es wird nicht nur der Inhalt beschrieben, sondern auch die einzelnen Figuren und ihre Themen, Gefühle und Handlungsweisen. Er geht auf die Autoren und Autorinnen ein und verknüpft alle diese Informationen mit seinen eigenen Gedanken zum jeweiligen Buch und so wird jede einzelne Besprechung selbst zu einem lesenswerten, unterhaltsamen Text. Am Ende jeder Buchvorstellung finden sich genaue Angaben über Autor, Titel, Verlag, Erscheinungsjahr. Am Ende des Buches sind nochmals alle Autoren und Autorinnen in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet, mit dem hier vorgestellten Buch.

Fazit
Eine informative, unterhaltsame Reise durch die literarische Vielfalt der Romane und Erzählungen, und eine Aufzählung von möglichen Situationen im eigenen Leben, zu denen sie thematisch besonders passen.

Bewertung vom 20.08.2022
Kazimira
Leiber, Svenja

Kazimira


ausgezeichnet

Ein großartiger Generationenroman

„Kazimira hat das Gefühl, als verknote sie sich selbst zunehmend. Ein Knäuel, in dem irgendwo ein viel zu wildes verfangenes Herz rast.“ (Zitat Seite 72)

Inhalt
Auch an diesem Samstag im Herbst 2012 geht Nadja Semjonowa auf dem Weg oberhalb des Tagebaus zur Arbeit, an der Hand ihre kleine Tochter Ika. Dort steht noch der Seilbagger, an dem Nadja vor Jahren gearbeitet hat, sie wäre gerne bei dieser Arbeit geblieben, doch das Bernsteinkombinat von Jantarny ist insolvent und Nadja muss nun im Geschäft Schmuck verkaufen. Manchmal, wenn sie an der Annagrube vorbeigeht, hört sie eine Art Raunen, ein Raunen aus der Vergangenheit, über das sie nie etwas wissen wollte.
Auch Kazimira „Kaz“ Morautene wollte lieber wie die Männer in der Grube arbeiten, statt mit ihrem Sohn Ake zu Hause zu bleiben und den Haushalt zu führen. Doch Ende des 19. Jahrhunderts war daran nicht zu denken. Dennoch, es sind der Bernstein und die Annagrube, die das Schicksal der Menschen dort an der Nehrung und in Königsberg bestimmen.

Thema und Genre
Den historischen Hintergrund dieses Generationenromans bildet die wechselvolle Geschichte dieses Landstriches an der Ostseeküste im ehemaligen Ostpreußen, zwischen Memel und Königsberg, heute Klaipėda, Litauen und Kaliningrad, Russland. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen der Bernsteinabbau und die politischen Umbrüche zweier Weltkriege, deren Gewalt und Grausamkeit die auch vor den Menschen in diesen entlegenen Orten nicht Halt machen und besonders die Mädchen und Frauen treffen.

Charaktere
Kazimira, eigenständig, unangepasst und auf Grund ihrer Neigungen eine Außenseiterin, ist die erste von insgesamt fünf Generationen von Frauen und Mädchen, alle auf der Suche nach ihrem eigenen Weg. Jede ist auf ihre Art unbeugsam und besonders, passt nicht in die engen Normen ihrer Zeit, oder will sich diesen Normen nicht widerspruchslos unterordnen.

Handlung und Schreibstil
Der Zeitrahmen der Handlung ist in zwei Hauptteile gegliedert, der erste Teil endet mit dem Ende des ersten Weltkrieges, der zweite Teil beginnt 1930 und berichtet über die Jahre bis bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Ein zweiter Handlungsstrang spielt in der aktuellen Zeit im Jahr 2012 und daraus bildet sich ein Bogen, der aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart führt. Die Erzählstränge wechseln einander ab, wobei die einzelnen Kapitel sehr übersichtlich als Überschrift jeweils den betreffenden Ort und die Jahreszahl tragen. Es ist auch die wunderbare Erzählsprache der Autorin, die leise, aber tief, in das Leben und in die Gefühlswelt ihrer Figuren eindringt, die mich schon in den ersten Seiten in den Bann dieser Geschichte gezogen hat.

Fazit
Es ist ein eindrücklicher, atmosphärisch dichter Roman, erzählt in einer einprägsamen Sprache, die sich mit ihren Bildern und einfühlsamen Schilderungen beim Lesen sofort in die Gedanken gräbt und unsere Gedanken noch lange beschäftigt.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.08.2022
Das neunte Gemälde / Lennard Lomberg Bd.1
Storm, Andreas

Das neunte Gemälde / Lennard Lomberg Bd.1


ausgezeichnet

Packender Kriminalroman um Raubkunst

„Drei Jahrzehnte war Julies Vater im Dunkel der Familiengeschichte umhergetappt, bevor ihm schließlich ein Mann namens Gilles Dupret den Weg zum Lichtschalter gewiesen hatte.“ (Zitat Pos. 4390)

Inhalt
Dr. Lennard Lomberg, ist Experte für Europäische Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts und ein international tätiger Gutachter. Am 22. April 2016 ist er auf dem Weg nach London, um ein Wertgutachten zu erstellen, als er einen Anruf erhält, in dem es um ein Gemälde geht, das ursprünglich einer jüdischen Familie in Frankreich gehörte, welche 1942 von den Nationalsozialisten enteignet wurde. Am 25. April ist Lomberg wieder zurück in Bonn, doch er hat keine Lust, Duprets Auftrag anzunehmen. Dupret bleibt hartnäckig, deutet einen Zusammenhang mit Lombergs Familie an, kommt aber nicht zum vereinbarten Treffen. Er wird tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden, das Gemälde ist verschwunden. Doch nicht nur Kriminalrätin Sina Röhm, Spezialgebiet Kunstkriminalität, ermittelt, auch Lennard Lomberg beginnt mit intensiven Recherchen, unterstützt von seiner Tochter Julie, welche die umfangreichen Unterlagen ihres 1995 verstorbenen Großvaters Ernst Lomberg sichtet. Dieser war ab 1942 als Mitglied der deutschen Wehrmacht in Paris für den Kunstsektor eingeteilt. Lomberg sucht nach dem Gemälde, vor allem aber will er aufdecken, was damals wirklich passiert ist, doch sehr einflussreiche Kreise wollen mit allen Mitteln genau dies verhindern.

Thema und Genre
Dieser Kriminalroman ist reine Fiktion, der Autor baut jedoch zeitgeschichtlich dokumentierte Fakten in seine Geschichte ein. Es geht um den internationalen Kunstmarkt, NS-Raubkunst, die sich heute noch versteckt in Privatbesitz befindet, um den Einfluss von ehemaligen NS-Mitgliedern bei der Besetzung von einflussreichen Positionen. Wichtige Themen sind Freundschaft und Familie.

Charaktere
Die einzelnen Charaktere sind sehr gut beschrieben, stimmig, und ihre Handlungen sind nachvollziehbar. Auch dort, wo es Überraschungen gibt, bleiben sie glaubhaft und realistisch.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte führt uns, von Deutschland ausgehend, quer durch Europa nach Frankreich, Spanien und in die Schweiz. Sie nimmt ihren Anfang im Sommer 1914, den die befreundeten Künstler Picasso, Braque und Derain im gemeinsamen künstlerischen Austausch verbringen wollten. Ein weiterer Erzählstrang beginnt im besetzten Frankreich 1942/43 und führt weiter bis in das Jahr 1966. Die aktuelle Handlung spielt in einem straffen Zeitrahmen in den Monaten April bis Juni 2016. Die Handlungen werden abwechselnd, jedoch in längeren Abschnitten, erzählt. Gerade dieses von Kapitel zu Kapitel dichter werdende, mit großer Kreativität intelligent gewobene Netz aus Verbindungen, Überraschungen und logischen Konsequenzen ist sehr spannend, interessant und absolut stimmig. Es ist Fiktion, könnte jedoch durchaus tatsächlich so stattgefunden haben.

Fazit
Dieser erste Band einer neuen Serie von Kriminalromanen mit dem Kunstexperten Lennard Lomberg ist ein packendes Lesevergnügen, das begeistert, überzeugt und schon jetzt Vorfreude auf Band 2 macht.

Bewertung vom 13.08.2022
Die Nackten fürchten kein Wasser
Aikins, Matthieu

Die Nackten fürchten kein Wasser


ausgezeichnet

Packend, informativ, wichtig

„Ich war zuversichtlich, dass wir Afghanistan in jedem Fall gemeinsam verlassen würden. Und mit unserer Flucht würde sich ein Kreis schließen, denn seitdem wir uns kannten, meinte ich, eine Parallelwelt im Verlauf unseres jeweiligen Lebens zu erkennen.“ (Zitat Pos. 183)

Thema und Inhalt
Dieses Buch ist der Tatsachenbericht einer Flucht, teilweise geführt von Schleusern, mehrmals gefasst und zurückgeschickt. Millionen von Flüchtlingen nehmen diesen gefährlichen Weg durch die Wüste, über Gebirgspfade in die Türkei und dann über das Meer bis nach Griechenland auf sich.
Omar, ein afghanischer Journalist und Übersetzer, hatte in Afghanistan einige Jahre lang als Dolmetscher für die USA gearbeitet und als er den Entschluss fasst, sein Land zu verlassen, sucht er daher um ein Special Immigrant Visa für Amerika an. Sein Ansuchen wird abgelehnt und so bleibt nur die Schleuserroute nach Europa. Seit 2009 ist er mit dem Journalisten und Kriegsberichterstatter Matthieu Aikins befreundet und dieser beschließt spontan, seinen Freund zu begleiten, ebenfalls als afghanischer Flüchtling und mit einer passenden, genau einstudierten Identität. Dies war im August 2015, im Juli 2016 fällt die endgültige Entscheidung zum Aufbruch. Der ursprünglich geplante Flug nach Istanbul mit einem gekauften Visum im Pass ist jedoch nicht mehr möglich. Dies bedeutet Plan B. Ende August 2016 treten sie den ersten Abschnitt ihrer Reise an: viereinhalbtausend Kilometer über Land, von Kabul aus durch den Iran nach Istanbul.

Umsetzung
Die Geschichte ist in vier große Teile gegliedert: Der Krieg – Der Weg – Das Lager – Die Stadt. Beginnend mit einem kurzen Abschnitt über Geschichte der Familien von Omar und Matthieu und prägende Kindheitserlebnisse, berichtet der Journalist chronologisch über den Verlauf der Reise. Täglich spricht er seine Notizen über den Ablauf und die Ereignisse des Tages auf sein Smartphone und ergänzt diese mit Fotos und Videos. Wo sich ihre Wege zwischendurch trennen, schildert er seine eigenen Erlebnisse und ergänzt diese später mit Omars Erzählungen. Dieser Bericht zeigt auch die Hilfsbereitschaft und den Zusammenhalt, die ihnen begegnen, unter den Flüchtlingen, aber auch von unerwarteter Seite. Auch die Tätigkeit der Schleuser sieht man nach diesem Buch wohl etwas differenzierter. Ergänzt wird die Geschichte ihrer gefährlichen Reise durch Fakten und Daten aus aktuellen Forschungsberichten und Expertenarbeiten, aus Berichten über die politischen Hintergründe, Entscheidungen und Gesetze dieser Jahre und ihre Auswirkungen. Im Anhang folgt ein Namens- und Literaturverzeichnis mit ausführlichen Quellenangaben aller Zitate.

Fazit
Gerade die sachliche, empathische Sprache dieses packenden Tatsachenberichtes prägt sich ein und führt zu einem besseren Verständnis dafür, welche Strapazen und Lebensgefahren jeder Flüchtling voller Zukunftsträume und Hoffnungen auf sich nimmt, wenn das Leben in der Heimat unmöglich geworden ist.

Bewertung vom 06.08.2022
Brooklyn soll mein Name sein
Lago, Eduardo

Brooklyn soll mein Name sein


ausgezeichnet

Ein beeindruckendes Leseerlebnis

„Ich weiß nicht, nach was ich suche, ich weiß nur, dass es sich hinter den Tausenden von Wörtern verbirgt, die ich nicht aufhören kann zu schreiben. Ich weiß nicht, was es ist, was es sein kann, aber ich würde es gerne herausfinden und ihm eine Form verleihen, nur für dich. Für dich werde ich dieses Buch schreiben, Brooklyn.“ (Zitat Seite 266, 267)

Inhalt
Der Journalist Néstor Chapman entdeckt eines Abends bei einem Spaziergang durch Brooklyn Heights zufällig das Lokal „Oakland Bar & Grill“. Neugierig geworden, betritt er einen erstaunlichen Ort und an einem Tisch in einer Ecke sieht er einen Mann, der völlig unbeeindruckt von dem Trubel der anderen Gäste in ein Heft schreibt. So lernt er den Schriftsteller Gal Ackerman kennen und sie treffen einander regelmäßig im Oakland. Eines Tages nimmt Gal ihn in sein Studio mit und zeigt ihm eine Fülle von voll beschriebenen Heften, darunter auch das besondere „Brooklyn-Heft“, die Notizen für den Roman, den er für seine große Liebe Nadja Orlov schreiben wollte. Doch Gal weiß bereits, dass er nicht in der Lage ist, dieses Buch zu beenden. Néstor „Ness“ soll dies für ihn tun. Kurze Zeit später ist Gal tot und Néstor weiß, er hatte im Grunde nie eine Wahl, als das ihm anvertraute Archiv zu übernehmen und Gals Bitte zu erfüllen.

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um das Leben, um Literatur, um Freundschaft und Liebe. Wir treffen unterschiedliche Protagonisten und ihre Geschichten, die diesen Roman tragen. Natürlich geht es auch um New York, vor allem jedoch um Brooklyn und das Oakland, eine Bar in den Docks von Brooklyn, die für viele Menschen eine Art von Heimat geworden ist. „Sieh mal, dieses Licht, Néstor. Es ist das Licht, über das Louise in ihrem Gedicht spricht. Das Licht Brooklyns.“ Zitat Seite 26)

Charaktere
Es sind viele unterschiedlichen Protagonisten, die diese Geschichten beleben, jede Person ist auf ihre Art einzigartig und besonders. Manche tauchen nur kurz auf, stehen im Mittelpunkt einer Episode, eines Ereignisses, andere bleiben und begleiten uns durch das gesamte Buch.

Handlung und Schreibstil
Der Roman wird nicht chronologisch erzählt, die einzelnen Kapitel reisen kreuz und quer zwischen den Jahren und Personen. Im Anhang findet sich eine genaue Chronologie der Ereignisse und ein ausführliches Personenregister. Die Rahmenhandlung, die alle weiteren Geschichten immer wieder eint und sich zwischen die einzelnen Episoden setzt, trägt Néstor als Ich-Erzähler. Er verbindet die Geschichten der einzelnen Hefte, erinnert sich an die Gespräche mit Gal, an Ereignisse, die Gal ihm aus seinem Leben und seiner Vergangenheit erzählt hat. Vor allem schildert Néstor diese besondere Zeit, die er selbst mit dem Sichten der Unterlagen, weiteren Recherchen und Gesprächen, und dem Schreiben verbracht hat. Diese Art des Erzählens in Verbindung mit den eindrücklichen, bunten, lebhaften Beschreibungen der Menschen und prägenden Orte, macht den besonderen Sog und Charme dieses außergewöhnlichen Romans aus.

Fazit
Es ist schwer, dieses beeindruckende Leseerlebnis zu beschreiben, die Vielfalt der Figuren, Schicksale, Orte, die tiefe Freundschaft, welche die Personen verbindet und sich durch die Geschichten zieht. Ich hatte das Buch gerade erst erhalten, wollte nur kurz die ersten Seiten lesen und geriet sofort in den Bann dieser faszinierenden Erzählform und Sprache. Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen und es reihte sich sofort in die Liste meiner zeitlos gültigen Lieblingsbücher ein.

Bewertung vom 05.08.2022
Landverstand
Küntzle, Timo

Landverstand


ausgezeichnet

Interesssant, wissenswert, lesenwert

„Allerdings ist das Meinungsklima der vergangenen Jahre durch einige wenige Umweltgruppen viel stärker geprägt, als es deren Fachkompetenz und Wissenschaftstreue rechtfertigen würde.“ (Zitat Seite 9)

Thema und Inhalt
Dieses Sachbuch trägt den Untertitel „Was wir über unser Essen wirklich wissen sollten“, und genau darum geht es. Thema sind die vielen unterschiedlichen Aspekte der brisanten Frage, ob das globale Ernährungssystem auch nachhaltig und biologisch funktionieren kann. Damit verbunden die Überlegungen, welche Zugeständnisse in Landwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion und Tierhaltung notwendig sind, um die Menschen weltweit ernähren zu können.

Umsetzung
Der Autor, Agrarwissenschaftler und Journalist, ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er beginnt mit einem Vorwort, welches das Themenfeld beschreibt, die Zielsetzung und seine Intentionen. Es folgen neun in Abschnitte unterteilte Kapitel. Die vielfältigen Themenkreise beginnen mit dem Urprinzip der Landwirtschaft und führen weiter über die Bedeutung der Landnutzung für das Klima und entsprechende Lösungsansätze, und zu den Fragen rund um den Schutz der Artenvielfalt. In den letzten drei Kapiteln geht es um die heftig diskutierten und sehr umstrittenen Themen Kunstdünger, Pestizide und Gentechnik. Jedes Kapitel stellt Vorstellungen, Forschung und Praxis in einen größeren Kontext und endet mit einer kurzen Zusammenfassung. Kapitel zehn ist ein persönliches Resümee des Autors, gefolgt von einem Anhang mit den Quellenangaben zu den verwendeten Statistiken und Forschungsberichten. Die Sprache entspricht den wissenschaftlichen, informativen Anforderungen von Sachliteratur, ohne jedoch fachlich überladen zu sein. Dadurch ist sie sehr gut lesbar und bleibt verständlich. Auf Seite 172 fragt er uns Lesende: „Sind Sie noch da?“ und ich persönlich konnte antworten: „Klar, Sie haben mich auf keiner Seite und keine Minute lang verloren.“

Fazit
Auch wenn man, wie auch ich, in einzelnen Kapiteln und Aussagen sicher nicht die Meinung des Autors teilen wird, ist dieses Sachbuch eine wichtige, sehr interessant zu lesende und umfassend recherchierte Zusammenfassung der derzeit wichtigsten Themen und vielseitigen Aspekte im Zusammenhang mit Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ernährung. Der Autor stellt viele Fragen, zeigt mögliche Antworten aus Sicht der Landwirtschaft, untermauert diese mit Untersuchungen des Weltklimarates. Er selbst fordert in seinem Resümee auf, dieses Buch, aber auch alle Statistiken und Informationen der Umwelt-NGOs kritisch zu hinterfragen. Dieses Buch brachte mir perönlich nicht nur mehr aktuelle Fakten und dadurch mehr Wissen zu den Themenschwerpunkten der Kapitel sieben bis neun, sondern führte zum Nach- und teilweisen Umdenken in meiner bisherigen Meinung.

Bewertung vom 03.08.2022
Der Schrank
Sailer, Simon

Der Schrank


ausgezeichnet

Welches Geheimnis birgt dieser Schrank?

„Eine Wand gehörte dem Schrank. Er lehnte daran, als wäre er der eigentliche Bewohner des Raums, der wahre Herr des Hauses, und blickte verärgert auf das verhängte Bett.“ (Zitat Seite 30)

Inhalt
Lena Kovac ist Möbelpackerin. Eigentlich wäre der Auftrag an diesem Nachmittag kein Problem: einen Schrank in einer Villa im neunzehnten Wiener Bezirk abholen und in eine Wohnung im ersten Bezirk bringen. Doch dann hat das Team vom Vortag den Wagen nicht vollgetankt und Korni, neben Yilmaz der Dritte in ihrem Team, kommt wie immer zu spät. Die Zeit wird knapp, denn der Schrank muss unbedingt noch am selben Tag ankommen. Sie holen den wuchtigen Schrank ab, doch als sie ihn im Wagen fixieren, bricht ein Bein ab. Lena trifft die erste von mehreren Entscheidungen, und ihre Welt gerät aus den Fugen.

Thema und Genre
Eine erstaunliche, schwer zuordenbare Erzählung, die als Wiener Alltagsstudie beginnt und rasch ins Genre Phantastik wechselt.

Charaktere
Die toughe Lena ist mit ihrem Leben zufrieden, sie ist gewohnt, verlässlich und effizient zu arbeiten. Das ist nicht einfach an solchen Tagen, wo der Chef sie unter Zeitdruck setzt, die beiden Kollegen mehr Pausen verlangen und sie selbst am Abend pünktlich zu Hause sein wollte.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte beginnt am Abend, Lena kommt nach Hause, Feierabend, während ihr Freund Hakan seinen Nachdienst antritt. Am Nachmittag des nächsten Tages wartet der letzte Auftrag. Sobald sie den Schrank abgeholt haben, passieren eigenartige Dinge, die immer rätselhafter und skurriler werden. Wir wissen nicht, wer die Geschichte Lenas erzählt und der Erzähler überlässt es uns, über mögliche Erklärungen nachzudenken. Er berichtet über erstaunliche Ereignisse und Begegnungen, vielleicht als Folge von Lenas Entscheidungen, wir wissen es nicht. Vielleicht ist es ja auch nur ein schlimmer Alptraum und Lena erwacht am Morgen, der Tag mit dem Schranktransport beginnt erst.

Fazit
Eine erstaunliche Geschichte, in deren Mittelpunkt ein robuster alter Schrank und viele Tiere stehen und deren zunächst gemütliche, humorvolle Szenen rasch ins grotesk-phantastisch-Schaurige kippen und viel Raum zum Nachdenken über mögliche Hintergründe und Erklärungen lassen.

Bewertung vom 29.07.2022
Der gute Hirte / Taifun Çoban Bd.1
Hartz, Cornelius

Der gute Hirte / Taifun Çoban Bd.1


ausgezeichnet

Interessanter Fall, originelles Team

„Die Farben des Fotos waren ausgeblichen, der Abzug war definitiv älteren Datums. Soweit er das beurteilen kann, mussten Kleidung und Frisuren aus den Siebzigern stammen.“ (Zitat Pos. 901)

Inhalt
Taifun Çoban leitet beim LKA Kiel die Abteilung für Identitätsfeststellung von unbekannten Toten. Daher wird der Kommissar selten in Dörfer wie Harmsbüttel gerufen, wo meistens alle einander kennen. Doch hier ist es anders. Niemand kennt den unbekannten Toten, der zufällig am 10. Mai 2021 im Kellerfundament des geplanten neuen Hauses der Familie Landmann gefunden wird. Am 13. Mai 2021 trifft Taifun Çoban daher in Harmsbüttel ein, um gemeinsam mit Polizeihauptmeister Raimund Wernersen, dem Polizisten vor Ort, und der Kriminalkommissarin Fanta Braun von der Kripo Ratzeburg zu ermitteln. Çoban kennt den Ort Harmsbüttel im Zusammenhang mit einem Cold Case, der vor nunmehr einundvierzig Jahren stattgefunden hat. Ein kleiner, verschlafener Ort, zwei Gewaltverbrechen, gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Fällen, fragt sich Çoban.

Thema und Genre
In diesem Kriminalroman, der in Norddeutschland spielt, geht es um die Ermittlungsarbeit in einer geschlossenen Dorfgemeinschaft, um prägende Kindheitserinnerungen und ihre Folgen.

Charaktere
Taifun Çoban ist Deutscher, doch seine türkischen Wurzeln sind offensichtlich und dies führt in Harmsbüttel zu einigen Missverständnissen, was Çoban meistens mit Humor nimmt, ein bemühtes „Salam Aleikum“ beantwortet er mit einem knappen „Moin“. Er ist ein intensiver, kreativer Ermittler und weiß, zusammen mit der toughen Fanta Braun und dem etwas bequemen Raimund Wernersen wird er irgendwo das Schweigen der Dorfbewohner durchbrechen können und das Rätsel lösen.

Handlung und Schreibstil
Die drei unterschiedlichen Handlungsstränge, die einander abwechseln, spielen in der Vergangenheit, im Mai 2021 und einige Zeit später. Dies macht die Geschichte interessant und gibt uns Lesenden Hinweise und Details für eigene Vermutungen. Doch obwohl man vielleicht manche Zusammenhänge erkennt, sorgt der Autor bis zum Schluss für Überraschungen, wobei die Geschichte im Bereich des Logischen und Nachvollziehbaren bleibt. Es ist ein interessanter, sehr gut aufgebauter Fall mit brisanten Hintergrundthemen. Die Sprache passt zum Genre, ist sehr angenehm und spannend zu lesen und wird durch Szenen mit einem humorvollen Augenzwinkern aufgelockert.

Fazit
Ein interessanter Fall, eine sehr gut und schlüssig aufgebaute Handlung mit zeitlos aktuellen Themen und eigenwillige Charaktere, die während der gemeinsamen Ermittlungen ein originelles Team in einem ebenso originellen Umfeld ergeben.

Bewertung vom 28.07.2022
Samson und Nadjeschda
Kurkow, Andrej

Samson und Nadjeschda


ausgezeichnet

Ein interessanter historischer Kriminalroman

„Dem musste er einfach zustimmen. Und erkannte plötzlich, dass manchmal das Denken störte. Genau dann, wenn man nur ohne zu überlegen etwas Wichtiges tun konnte. (Zitat Seite 211)

Inhalt
Am 11. Mai 1919 ermorden Kosaken Samsons Vater. Er selbst entkommt verletzt, doch dieser Tag verändert sein Leben für immer. Als kurze Zeit später der Schreibtisch seines Vaters requiriert wird, folgt er dem Möbelstück in das Milizrevier. Den unrechtmäßig beschlagnahmten Schreibtisch erhält er zwar nicht zurück, dafür aber einen Posten bei der Polizei, an seinem Schreibtisch. Seine Aufgabe ist es, Diebstähle zu bekämpfen und die Ordnung zu hüten. Er entdeckt einige Kisten mit von Rotarmisten eindeutig unrechtmäßig beschlagnahmtem und nicht abgeliefertem Diebesgut und auf Grund der Besonderheit einiger Gegenstände beginnt er zu recherchieren.

Thema und Genre
Dieser sozialkritische, politische Kriminalroman spielt in Kiew, im Jahr 1919, mitten in der Zeit der politischen Umbrüche. Es geht um das Leben der Menschen in dieser gefährlichen, unsicheren Zeit, um Armut, Korruption, aber auch um Anständigkeit, Freundschaft und die Liebe.

Charaktere
Samson glaubt an die Ordnung, das Recht und ist überzeugt von der Tätigkeit der neuen Miliz. Doch obwohl er rasch in seine Arbeit als Polizist hineinwächst, ist er auf Grund seiner Jugend etwas naiv und manchmal zu vertrauensselig. Andererseits besitzt er seit dem Anschlag eine besondere Gabe, die ihm bei seinen Ermittlungen hilft. Nadjeschda hat Pharmazie studiert, arbeitet jedoch aus Überzeugung in der Statistikabteilung des Gouvernementsbüros, sie glaubt an die Zukunft und will etwas Sinnvolles für die Gesellschaft tun.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte spielt in einer politisch spannenden Zeit der Umbrüche, des Aufbruchs, doch noch herrschen große Armut und eine gefährliche Unsicherheit. Die Handlung verläuft chronologisch von Tag zu Tag. Der Autor nimmt sich Zeit, nicht nur Samsons Ermittlungen und Erlebnisse zu schildern, sondern auch die unterschiedlichsten Menschen, die Samson dabei trifft und die alltäglichen Lebensumstände und Probleme dieser Zeit. Als Schauplatz wählt er die Stadt Kiew, die in diesem bedeutungsvollen Jahr 1919 im Mittelpunkt der Kämpfe unterschiedlicher Gruppierungen und politischer Umstürze stand. Genau diese Themen bilden die wichtige, abwechslungsreiche Handlung, die den Kriminalfall umschließt.

Fazit
Ein interessanter historischer Kriminalroman, der in einer Zeit der Unruhen, Straßenkämpfe und politischen Umbrüche in der Stadt Kiew spielt. Der junge Polizist Samson Koletschko, eigentlich studierter Elektromaschinenbauer, ermittelt in seinem ersten Kriminalfall.

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Bewertung vom 27.07.2022
Lektionen in Dunkler Materie
Knoll, Ursula

Lektionen in Dunkler Materie


ausgezeichnet

Aktuell, überzeugend, lesenswert

„Dunkle Materie ist für alles der Grund. Ein Zeug, von dem man nur weiß, dass es Schwerkraft ausübt, dass es viermal so viel davon gibt wie von sichtbarer Materie und dass es durch seine Gravitation wie ein Kitt die Strukturen im Universum zusammenhält.“ (Zitat Seite 51)

Inhalt
Während Katalin gerade auf der Raumstation ISS im Weltall unterwegs ist und mit der KI Simon diskutiert, sorgt ihre Zwillingsschwester Eszeter als Polizistin für Ordnung im Alltag von Wien und als Managerin ihres Hedgefonds auch im internationalen Dschungel der Finanzwelt. Die Umweltaktivistin Dr. Milka Andrić ist Mitglied einer NGO und setzt sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen bei der Produktion von Lebensmitteln ein, denn für sie ist das Gegenteil von Armut nicht Reichtum, sondern Gerechtigkeit. Seit beinahe zwanzig Jahren teilt Milka eine WG mit Martin und Ines. Ines Geiger, die in der Asylbehörde Anträge prüft und dabei laufend von ihrem Vorgesetzten mit internen Weisungen unterbrochen wird, zusätzliche Schulungen, Nachschulungen, Formulierungshilfen für ablehnende Bescheide. Fatima leitet einen Kindergarten, dessen Öffnungszeiten mit den Arbeitszeiten der seit ihrer Trennung von Katalin alleinerziehenden Mutter Heide unvereinbar sind – sie alle erkennen plötzlich, dass man immer etwas tun kann, und jede von ihnen trifft eine spontane Entscheidung.

Thema und Genre
Es ist ein Roman, der unterschiedliche Geschichten erzählt, mit einzelnen Situationen und Episoden als Auslöser für Veränderungen. Es geht um gesellschaftspolitische Probleme, Forschung, Wirtschaft, Finanzmärkte, doch auch um Themen wie zwischenmenschliche Beziehungen in ihren unterschiedlichen Formen, Freundschaft, Familie.

Charaktere
Im Zentrum dieses Romans stehen Frauen, jede auf ihre Weise individuell, mutig, zunächst der jeweiligen persönlichen Situation noch irgendwie angepasst, werden sie aktiv, als sie immer wieder an ihre Grenzen stoßen.

Handlung und Schreibstil
Dieser Roman spielt in Wien. Die Handlung greift viele brisante Themen unserer Zeit auf, konfrontiert die Protagonistinnen mit spontanen Konfliktsituationen und gibt ihnen Raum, Entscheidungen zu treffen, spontan und teilweise chaotisch. Nicht immer verlaufen die Ereignisse chronologisch und auch mögliche Beziehungen zwischen ihren Figuren deckt die Autorin nicht sofort auf, sondern lässt uns die Zusammenhänge erst nach und nach erkennen, manchmal treffen die Figuren unerwartet und zufällig aufeinander. Diese Geschichten sind keine Wohlfühllektüre, dennoch ist man ihnen und vor allem den einzelnen Protagonistinnen sofort verfallen, folgt ihrem Alltag, ihren Entscheidungen. Denn die Autorin schreibt engagiert, direkt, aber auch mit viel Einfühlungsvermögen und Humor. Es ist diese schwer zu beschreibende Mischung, die diesen Roman lesenswert und empfehlenswert macht.

Fazit
„Was also sollten sie mit diesem bisschen ungebetenen Glücks namens Leben in Zukunft anstellen?“ (Zitat Seite 247). Das Leben stellt unterschiedliche Anforderungen an die modernen Frauen in diesem Roman, doch sie haben eines gemeinsam: sie wollen etwas verändern, im persönlichen Umfeld, aber auch im großen Ganzen.