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Benutzername: 
iGirl
Wohnort: 
Bad Nauheim

Bewertungen

Insgesamt 147 Bewertungen
Bewertung vom 16.09.2021
Barbara stirbt nicht
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht


ausgezeichnet

Metamorphose eines Patriarchen

Herr Schmidt ist ein typischer Mann der 50/60-er Jahre. Mittlerweile in die Jahre gekommen, aber nach wie vor patriarchisch, unfreundlich bis ungezogen, nach wie vor in der Rolle des absoluten Familienoberhaupts hat er natürlich mit 'Frauenthemen', wie Kochen und Haushalt überhaupt nichts am Hut. Doch urplötzlich passiert es: seine Frau Barbara 'fällt aus' und Herr Schmidt findet sich völlig unvorbereitet in der Rolle des Hausmannes wieder. Das klingt erst mal richtig lustig, jedoch leuchtet zwischen den Zeilen die Tragödie der Beziehung, der Familie, von verpassten Gelegenheiten, aber auch Herrn Schmidts Vorurteile und Borniertheit hervor. Eigentlich kann man als Leserin diesen Mann nur hassen – und doch ist da ein Kern in ihm, der im Lauf der Geschichte einen besonderen Menschen erkennen lässt.

Der Mix aus Tragik und feinsinniger Situationskomik dieses ungewöhnlichen Ehe- und Familienlebens ist auf wunderbar selbstverständliche Weise geschrieben. Ich, als Leserin, hatte das Gefühl, quasi voyeuristisch, in das Leben der Schmidts hinein katapultiert zu werden. Manchmal dachte ich, ja - diesen Typ Mann, diese Form einer langjährigen Ehe, kenne ich von Erlebnissen im Supermarkt, auf Reisen, in der Nachbarschaft, im elterlichen Bekanntenkreis. Doch gerade dieses 'déjà vu' macht die Geschichte für mich so greifbar, so nahe gehend, so berührend.

Mein Fazit: 'Barbara stirbt nicht' ist ein beeindruckend geschriebenes Buch, das nachdenklich macht über das Älterwerden, über verfestigte Strukturen, über Rollenbilder. Mich hat die Geschichte sehr beeindruckt - daher eine eindeutige Leseempfehlung meinerseits.

Bewertung vom 13.09.2021
Die Mäusekönigin
Kay, Jay

Die Mäusekönigin


ausgezeichnet

Man muss nicht perfekt sein, um Großes zu bewirken.

Jay Kay nimmt uns mit auf eine märchenhafte Lesereise. In klarer Sprache zeichnet er Bilder in den Kopf des Lesenden. Ich habe es genossen! Daher mein Fazit gleich jetzt: 'Die Mäusekönigin' ist ein wunderbares Buch, das von Freundschaft, Zuversicht und Stärke der außergewöhnlichen Protagonisten geprägt ist. Auf alle Fälle ist es für mich ein Buch, das man gerne auch ein zweites Mal lesen mag.

Die ungewöhnlichen Protagonisten, Nhi und Thang, beide gezeichnet durch die Auswirkungen von Agent Orange, dem ihre schwangeren Mütter während des Vietnamkrieges ausgesetzt waren. Doch gerade ihre individuellen Behinderungen verleihen ihnen auch ungewöhnliche Fähigkeiten. So scheint sich Nhi mit Tieren verständigen zu können. Ihre besten Freunde sind der blinde Thang und Bao, die Maus. Mit Erreichen der Volljährigkeit müssen Nhi und Thang die Einrichtung verlassen, in der sie bisher gelebt haben. Sie werden zu entfernten Verwandten Nhis gebracht, die in einem Dorf leben und dort der besonderen Produktion von Giftschlagen nachgehen. Hier entdeckt das Trio merkwürdige Vorgänge, die für sie gefährlich werden.

Die wunderbare Erzählerin Bao, schildert die unglaublichen Ereignisse aus ihrer Mäusesicht. Für mich ist die Geschichte eine Mischung aus Krimi, Zeitgeschichte und Märchen. Der klare Schreibstil und der Spannungsaufbau, gemischt mit Einsichten in die Empfindungen der Protagonisten und den bildhaften Schilderungen der Örtlichkeiten und Personen ziehen uns Lesende unwillkürlich in die Geschichte hinein. Man leidet und fiebert mit den Protagonisten. Daher fällt es wirklich schwer das Buch aus der Hand zu legen. Und man wird auch nicht enttäuscht - das Ende ist ungewöhnlich, überraschend und voller Hoffnung.

Bewertung vom 11.09.2021
Wo auch immer ihr seid
Pham, Khuê

Wo auch immer ihr seid


ausgezeichnet

Die Umgewurzelte

Wenn dieses Buch nicht geschrieben wäre, dann müsste es das dringend werden. Auf alle Fälle muss es mit Zärtlichkeit und Bedacht gelesen werden. Khuê, die Protagonistin, Tochter vietnamesischer Eltern, wächst in Deutschland auf. Seit ihrer Kindheit will sie Deutsch sein, wie alle anderen um sie herum auch. Allein die Traditionen ihrer Familie kleben an ihr wie Honig an den Füßen und machen ihr das selbständige Gehen schwer. Als die Großmutter stirbt fliegt die junge Frau zusammen mit ihren Eltern erstmalig nach Kalifornien zum Rest der Familie und wird in deren vietnamesisch-amerikanisches Leben hineinkatapultiert. Parallel erfahren wir die Geschichten ihres Vaters Minh und dessen Bruder Son und deren Leben in Vietnam während und nach dem Vietnamkrieg. Minh erhielt bereits Ende der 60er die Möglichkeit zum Studium nach Deutschland zu gehen, während der Rest seiner Familie noch viele Jahre den Repressalien der neuen vietnamesischen Herrscher ausgesetzt war. Für Khuê ergeben sich während ihres Aufenthalts neue Sichtweisen, die ihr eigenes Leben verändern und in der Erzählung in diesem wunderbaren Buch münden.

Khuê war für mich von der ersten Zeile an eine liebenswerte junge Frau, deren Gefühle ich sehr gut nachempfinden konnte. 'Wo auch immer ihr seid' ist eine wunderbar geschriebene, feinfühlige Familiengeschichte, die das Leiden, die Zerrissenheit, die Entwurzelung, aber auch die Hoffnung auf ein neues Leben in einem anderen Land erzählt.

Ich erkenne im Buch einen sehr aktuellen Bezug zwischen dem Krieg in Vietnam und demjenigen in Afghanistan. Im Buch wird der Abzug der Amerikaner durch das zynische Zitat: 'Es tut uns leid' grausam auf den Punkt gebracht. Uns tut es leid und das nachfolgende Leiden der verbliebenen Menschen wird aus der Ferne mit sensationslüsternem Bedauern kommentiert.

Mein Fazit: So ein Buch wünscht man sich mehrmals im Jahr damit man sieht wo, wann und wie man lebt. Unbedingt lesenswert!

Bewertung vom 09.09.2021
Letzter Knödel / Gasperlmaier Bd.9
Dutzler, Herbert

Letzter Knödel / Gasperlmaier Bd.9


sehr gut

Chicago im Ausseerland

Ja, der Gasperlmaier ist schon ein besonderer Typ, etwas älter, konservativer Familienmensch und einem guten Essen und dem einen oder anderen Schnapserl nie abgeneigt, eben ein Ausseer Urgestein. Dass seine Tochter plötzliche eine Freundin hat trifft ihn daher zunächst unvorbereitet, aber eigentlich findet er die ja dann doch ganz nett. Und dass diese auch noch eine wichtige Rolle in der Krimihandlung spielen wird macht es für ihn zu einer Herzenssache. Denn mitten im beschaulichen Leben des Gasperlmaiers gibt es im Rahmen des Politgipfels zwei Tote. Gasperlmaiers Kenntnisse der Leute im Ort und der Örtlichkeiten im Ausseerland helfen ihm und der leitenden Ermittlerin, der Frau Doktor, während der Ermittlungen immer wieder weiter. Dabei scheinen die Ermittlungen in immer dunklere Kanäle zu führen. Welche Rolle spielt die nationalistische Partei mit ihren unerträglichen Parteimitgliedern, der Verflechtung zu den Russen und gibt es da sogar einen Vertuschungsversuch eines Vorgesetzten? Und wie sind der verdeckte Ermittler und der Starkoch in die ganze Sache verwickelt? Detektivische Kleinarbeit und unermüdliche Beharrlichkeit führen das Team über viele Wege zum Erfolg.
Obwohl sich die Geschichte für meinen Geschmack anfangs etwas zog, trugen die dann steigende Dynamik und die vielen Verwicklungen in der Erzählung schnell dazu bei, dass mir das Lesen zunehmend Vergnügen bereitete. Besonders das Lokalkolorit der Orte, der Personen, der Familie, Freunde, Bekannte und Nachbarn Gasperlmaiers fand ich richtig gut. Da ich in der Jugend viele Familienurlaube im Ausseerland verbracht habe, sind mir mehrere der genannten Orte, Seen, Traditionshotels und Geschäfte bestens bekannt. Das macht die Geschichte für mich natürlich noch greifbarer und sind mit wunderbaren Erinnerungen verbunden. Die vielen verschiedenen Handlungsstränge und die involvierten Personen halten die Geschichte lebendig und die Geschehnisse spannend. Bis zum Ende des Buchs ist es durchaus nicht klar wer der Mörder war und was dessen Motive gewesen sind.
Fazit: 'Letzter Knödel' ist ein leicht zu lesender Krimi mit einem sympathischen Ermittlerteam, das neben dem Beruf auch eine Familie hat. Empfehlenswert für alle Liebhaber des Ausseerlands.

Bewertung vom 05.09.2021
Flucht nach Patagonien
Revedin, Jana

Flucht nach Patagonien


ausgezeichnet

Aufstieg und Fall zweier außergewöhnlicher Menschen

Das Abschiednehmen, das Ankommen, das Reisen und eine besondere Frau – über das Bild des Buchcovers werden wir Lesende bereits an die Geschichte herangeführt. Und dennoch, ist es eine graue, neblige Zeit: die Zeit vor Beginn des zweiten Weltkriegs. Jean, Anfang 40, jüdisch, gezeichnet durch die Auswirkungen einer Kinderlähmung, begleitet die glamouröse Eugenia, erfolgreiche Geschäftsfrau und Mäzenin bekannter Kunst- und Kulturschaffender, auf der Schiffsreise nach Patagonien. Seine Aufgabe: die Gesamteinrichtung eines neuen Grandhotels, auf der familieneigenen Insel Eugenias, umzusetzen. Jean verfügt über die besondere Gabe mit Materialien zu experimentieren und diese ungewöhnlich einzusetzen. Zusammen mit seinem besonderen Blick für Farben entwickelt er daraus den Stil der Leere und steigt in Paris schnell zu einem gefragten Innenarchitekten auf. Eugenias erstklassige Kontakte zu Künstlern, Intellektuellen und Geschäftsleuten öffnet ihm Türen in die internationalen Häuser. Während der Schiffsreise nach Patagonien schreibt Jean seine Memoiren, so erfahren die Lesenden seine Vergangenheit mit der schweren Kindheit, die Anfänge mit Eugenia und den gesellschaftlichen Aufstieg. Doch wer oben ist kann auch tief fallen. Der zunehmende Einfluss der Nazis spielt in Jeans Leben eine zunehmend bedrohliche Rolle.

Die Geschichte führt uns Lesende in das 'who is who' der Society und des Show Biz: Cole Porter, Guerlain, Hermes, Giacometti, Berard, Poulenc, Picasso, Thomas & Klaus Mann, Dali, Rockefeller, Roosevelt, Walt Disney, Greta Garbo und weitere berühmte Personen der Vergangenheit werden teils Kunden Jeans, teils flüchtige Bekanntschaften auf Empfängen, aber auch enge Freunde. So lernt Jean auch Thaddäus Lovett, seine große Liebe kennen.

Der Sprachstil des Romans ist bemerkenswert bildhaft, nahegehend und gefühlvoll. Farben, Einrichtungsgegenstände, Landschaften und Personen werden dadurch unmittelbar sichtbar. Die Verletzbarkeit Jeans, seine innere Zerrissenheit, seine Ängste, aber auch seine Stärke und Hinwendung zu Eugenie sind hervorragend geschildert. Die Summ- und Knurrgeräusche, aber auch das Schweigen Eugenies genügen Jean, um deren Stimmung und Meinung zu entschlüsseln. Jedoch duldet die Erzählung keine Unaufmerksamkeit. Die Dialoge enthalten Vermutungen oder Verweise auf Vergangenes. Auch die vielen Personen und Protagonisten der Geschichte, die zur Gesamthandlung beitragen, bedürfen immer wieder ein Zurückblättern, um den Zusammenhang wieder herzustellen. Man muss also genau lesen, um keine, für die spätere Handlung, wichtige Information zu verpassen.
Sehr gut gefallen haben mir die Fotos Eugenies und Jeans im Inneren des Buchdeckels – hier wird der starke Charakter der beiden Protagonisten sichtbar.

Fazit: Das Buch hat mich tief beeindruckt – ein wahrhaft literarisches Werk. Bereits nach wenigen Seiten war ich Teil der Geschichte, um mit Jean am Schreibtisch zu sitzen, mit zu feiern, mit zu leiden, mit zu kämpfen.

Bewertung vom 31.08.2021
Ritchie Girl
Pflüger, Andreas

Ritchie Girl


ausgezeichnet

Die Fratze des Krieges

Die Geschichte konfrontiert uns Lesende schonungslos mit den Grausamkeiten des 2. Weltkriegs und der Nachkriegszeit, mit all seiner Härte und Entmenschlichung. Paula, die mehrsprachige Protagonistin mit deutsch-amerikanischen Wurzeln, arbeitet nach dem Krieg für die Amerikaner. Dabei gelangt sie über mehrere Stationen schließlich zurück nach Deutschland, um dort bei Verhören von Naziverbrechern mitzuwirken. Es geht um die Rolle der Drahtzieher des Grauens: Gehlen, Baun, Rauff, Wolff, Höß, Schacht und die Kriegsgewinnler: Dulles und die IG-Farben-Chefs - aber wie sieht es mit Paulas eigenem Vater und ihrer vermissten großen Liebe, Georg, aus? Und wer ist der mysteriöse Topagent 'Sieben'?

Paula ist eine unglaublich starke Frau, emanzipiert, integer und gleichzeitig durch ihre eigene Gefühlswelt zerrissen. Auf ihrem Weg durch ihr Vergangenheitsdunkel, in dem Schuld und Sühne verschmelzen, geht sie, zusammen mit ihrem amerikanischen Kollegen Sam (langjähriger Freund, jüdisch, integer) Schritt für Schritt in eine für sie mögliche Zukunft. Auf diesem Weg begegnen ihr viele beeindruckende Menschen, abscheuliche Menschen und Menschen mit vielen Gesichtern. Die Verhöre mit dem geheimnisumwobenen 'Sieben', einem potentiellen Topagenten, stürzt Paula in ein Netz von Vertrauen und Misstrauen, Wahrheit und Lüge. Dabei entpuppen sich Personen ihres bisherigen Umfelds als Überraschungspakete: darin kann sich ein wunderbar duftendes Parfum befinden oder ein entsetzlich stinkender Scheißhaufen.

Sehr stark geschildert fand ich die Beobachtungen Paulas während ihrer Überfahrt von Amerika, den emotionslosen Schilderungen der Kriegserlebnisse ihres Fahrers, ihren Empfindungen während der Verhöre und verschiedener Gespräche. Allegorisch beschreibt Paula immer wieder ihre Gefühle, anhand von 'entarteten' Bildern berühmter Maler. Dabei steht Otto Dix im Vordergrund. Ihre Schilderungen von Grausamkeit und Töten geraten zur Normalität, ja Bagatelle, als Beispiel ist hier der Gewaltexzess am toten Mussolini auf der Piazza in Mailand zu nennen. Jeder kleine Glücksmoment scheint durch das vorherrschende Grauen zerstört zu werden.

Der Sprachstil Andreas Pflügers ist erzählerisch stark, direkt, bildhaft und detailreich, um die Schrecken des Kriegs spürbar zu machen. Die Gefühlswelt Paulas ist teils gnadenlos hart, teils metaphorisch beschrieben – ihre Gefühle von Hass, Gefühllosigkeit, aber auch Vergebung konnte ich absolut nachempfinden. Immer wieder deutlich wird auch das vorherrschende Frauenbild in der Nachkriegszeit: nützlich und niedlich. Sehr gut gefallen hat mir, dass es am Ende des Buches Verweise zu den tatsächlichen Personen gibt. Dadurch wird die Unglaublichkeit der Schilderungen plötzlich nochmals sehr realitätsnah und wieder einmal bleibe ich kopfschüttelnd zurück, wie schon häufig bei Hintergründen zu diesem dunklen Thema.

Fazit: 'Ritchie Girl' ist ein fantastisch gut geschriebenes Buch gegen das Vergessen und für das Lernen aus der Vergangenheit für eine friedlichere Zukunft.

Bewertung vom 22.08.2021
Sein oder Totsein / Lesen auf eigene Gefahr Bd.2
Seibold, Jürgen

Sein oder Totsein / Lesen auf eigene Gefahr Bd.2


ausgezeichnet

Das bessere Teil der Tapferkeit ist – Besonnenheit.

Robert Mondrian, Buchhändler und ehemaliger Geheimagent und seine schillernde Hilfsagententruppe ermitteln zum unerklärlichen Mord an einer Paketbotin. Nach und nach decken sie Ungewöhnliches im Leben der jungen Frau auf. Doch welche Rolle spielt das Shakespeare-Sonett und der Achat, die auf der Toten gefunden wurden. Trotz aller Anstrengung scheint keiner der Hinweise einen Sinn zu ergeben, außer dass der Mörder Mondrian etwas mitteilen will.

In gewohnt leichter Sprache und spannenden Handlungsteilchen, die scheinbar lose ins Nichts führen, gelingt es Jürgen Seibold wieder einmal, es einem schwer zu machen mit dem Lesen aufzuhören. Die Protagonist*innen und Figuren der Geschichte sind bildhaft geschildert. So hatte ich fast das Gefühl, beim dritten hervorragenden Tortenstück und koffeinfreiem Kaffee der neugierigen Nachbarinnen, mit Alfons zusammen am Tisch zu sitzen. Auch die Ausflüge in die Welt der Geheimagenten fand ich überzeugend in die Geschichte eingebunden. Und ein bißchen Herzschmerz darf ja immer dabei sein, um alles abzurunden. Trotzdem am Ende alle Handlungspuzzleteilchen zueinander finden, war der Ausgang der Geschichte wirklich überraschend und keineswegs vorhersehbar.

Mir hat 'Sein oder Totsein' sehr gut gefallen. Mittlerweile bin ich ein richtiger Fan der Seiboldschen Krimis geworden. Auch dieser Teil von Mondrian als Ermittler bietet wiederum eine bildhafte, spannende Leseunterhaltung, für alle diejenigen, die im Krimi keine problembeladenen Kommissare und detailreiche Schilderungen von Grausamkeiten brauchen.

Fazit: Von mir gibt es für diesen Mondrian-Krimi ein eindeutiges '5-Sterne-Like'.

Bewertung vom 20.08.2021
Schneesterben (eBook, ePUB)
Chaplet, Anne

Schneesterben (eBook, ePUB)


sehr gut

Thriller in dörflicher Idylle

Für mich war es das erste Buch aus der Stark&Bremer-Reihe und ich wurde überrascht durch einen Mix aus Heimatroman und Thriller. Zur Handlung: alles entzündet sich nach dem Fund der Leiche des Kriegsberichtserstatters Michael Hansen, in einem Dorf nahe Frankfurt. Schnell scheint der Fall gelöst, da Krista Regler zugibt den Mann überfahren zu haben. Vermutet wird eine Beziehungstat. Als jedoch ihr Ehemann, der Kinderarzt Thomas Regler, die Schuld auf sich nimmt und dafür ins Gefängnis geht, wird schnell klar, dass viel mehr hinter allem steckt. Paul Bremer, der im Dorf lebt und Karen Stark, die Staatsanwältin, nehmen die Ermittlungen auf.

Die ersten Kapitel des Buches lesen sich wie ein Heimatroman mit allen Vor- und Nachteilen des Dorflebens: da ist die ländliche Idylle und der Zusammenhalt, wenn es darauf ankommt, aber auch das gegenseitige Belauern, die Gerüchteküche, der Dorftratsch, das Wegsehen und das Vertuschen, die alten Dorfgeheimnisse, aber auch die gegenseitige Hilfe. Anfangs fiel es mir nicht leicht den Überblick über die vielen Personen im Dorf zu behalten. Aber, ebenso wie sich all die kleinen Handlungsfetzen im Verlauf der Geschichte zu einem Bild zusammenfügen, haben letztendlich auch alle Personen ihren Platz darin. Detailgenau durchziehen banale, alltägliche Lebensmomente im Dorf die Erzählung. Ich hatte den Eindruck, dass die Autorin Szenen aus ihrem eigenen dörflichen Wohnort schildert. Daneben finden auch immer wieder persönliche Probleme der Staatsanwältin und des Ermittlers Einlass in der Handlung.
Beeindruckend fand ich wie der Autorin der abrupte Erzählwechsel gelingt von den scheinbar belanglosen Begebenheiten hin zum schonungslosen Entsetzlichen. Die Erzählstränge wechseln zwischen Dorfleben, Ermittlungsarbeit und Knastleben. Wobei Letzteres geprägt ist durch Rangordnung, Gewalt, Gnadenlosigkeit, die Welt der Analphabeten und korrupten Aufsehern: „Es gibt Menschen, deren Brutalität nur noch von ihrer Dummheit übertroffen wird“.

Die Erinnerung der in sich zerrissenen Schlüsselfigur,Thomas Regler, an die Vorkommnisse seiner Kindheit, das Erlebte im Kinderheim sowie die Erniedrigung und Unterwerfung im Knast vermischen sich mit seinen Schuldgefühlen. Sowohl im Gefängnis, als auch im Dorf geht es um archaische Muster, um die Dynamik der Gruppe, um Schuldzuweisung und Vergeltung: „Wer die ländliche Ordnung stört, verletzt das Gewebe der Gemeinschaft, gefährdet das Leben und Überleben.“ Letztendlich kommt alles ins Reine, wie es im Dorf eben sein muss, damit alles seine Ordnung hat.
Mein Fazit: 'Schneesterben' ist kein gewöhnlicher Krimi. Nach der sich etwas in die Länge ziehenden Eingangsphase entwickelte sich die Geschichte hochdynamisch und spannungsgeladen, so dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen mochte.

Bewertung vom 15.08.2021
Heimatsterben
Höflich, Sarah

Heimatsterben


ausgezeichnet

Debütantischer Volltreffer zu einem brandaktuellen Thema

Sarah Höflich ist mit „Heimatsterben“ eine beeindruckende Verknüpfung von Familiengeschichte und politischem Thriller gelungen. Sprachgewaltig und nahe gehend führt die Autorin in drei, durch Jahreszeiten gekennzeichneten, Teilen durch die hochspannende Geschichte. Alles beginnt als Tilde Ahrens, 97 Jahre alt, nach einem Treppensturz auf der Intensivstation liegt. So macht sich ihre Lieblingsenkelin und Protagonistin Hanna aus den USA auf den Weg nach Deutschland. Auf dem Flug liest Hanna die Erfolgsgeschichte ihres Schwagers Felix, der mittlerweile Parteichef der neu gegründeten Partei 'BürgerUnion' ist. 'Wir sind Heimat', der Slogan dieser rechts orientierten Partei, wird durch Felix, nach seiner Metamorphose zum bürgernahen rechtskonservativen Politiker mit adligem Stammbaum und Vorzeigefamilie, überzeugend vertreten. Großmutter Tilde hat die Schrecken der Diktatur während des Krieges erlebt, die Flucht und den Tod hautnah erfahren. Und Hanna? Sie soll nun Felix parteipolitischen Weg zur Kanzlerschaft beraterisch unterstützen.

Spannend dargestellt sind die Mitglieder der Familie. Jede/r für sich ist ein sehr spezieller Charakter. Sie alle vertreten durchaus konträre Ansichten und Lebensformen. Gut fand ich, dass im Einband der Stammbaum der Familie Ahrens abgebildet ist. Dadurch ist es leicht den Überblick darüber zu behalten, wie die Akteure zueinander verwandt sind. Hanna ist hin und her gerissen sich loyal gegenüber ihrem Schwager und ihrer Schwester zu verhalten, dabei jedoch nicht ihre eigene Integrität aufs Spiel zu setzen. Dieser Gewissenskonflikt ist stark und nachvollziehbar beschrieben. Für mich verkörpern die Familienmitglieder verschiedene Teile unserer Gesellschaft mit entsprechend diversen Formen ihres Lebens, ihrer Haltung und ihrer politischen Meinung. Beeindruckt hat mich die Dynamik des Einflusses der BürgerUnion auf die Gesellschaft und die Auswirkung der braunen Wurzeln des Faschismus, der durch die alte (adlige) Familie zur Mühlen verkörpert wird. Das Bild des faulenden Apfels, der durchaus seinen Sinn im Lebenszyklus auf der Erde hat, der jedoch auch stinken kann, wenn er auf den falschen Untergrund fällt. Dieses Bild auf dem Buchcocer fasst die Geschichte gut zusammen.

Fazit: Chapeau, für dieses gelungene Debüt! „Heimatsterben“ ist ein unbedingt lesenswertes Buch, das ich kaum aus der Hand legen konnte. „Wehret den Anfängen“, das Motto auf dem Plakat der politischen Gegenbewegung, bringt es auf den Punkt. Wir sollten es für die kommende Wahl im September in Erinnerung behalten.

Bewertung vom 12.08.2021
Eine Prise Meersalz
Burba, Nanni

Eine Prise Meersalz


sehr gut

Unerschütterliche Zuversicht und Lebensmut

Die Gastronomen, Nanni und Harald Burba, lassen nach einem Bankrott in Deutschland alles hinter sich und starten in Mallorca neu durch. Die beiden sind Gastronomen mit Leib & Seele wobei ihr Leben ein ständiges Auf und Ab der Erfolge und Misserfolge ist. Jedoch lässt ihr uneingeschränktes Vertrauen zueinander und ihr Zusammenhalt sie die richtigen Entscheidungen treffen und so durch manche tiefe Verzweiflung kommen. Neben der Lebensgeschichte der beiden Protagonisten ist die Erzählung gewürzt mit Anekdoten ihrer Gäste. Witzig fand ich diejenige über die Bestellungen der (eingebildet) Allergiebeladenen und das Erlebnis mit dem vegetarischen Hund. Sehr bildhaft schildert Nanni die Erfahrungen mit falschen Freunden, fiesen und hervorragenden Vermietern, dekadenten Snobs und wie bekannte Namen der Filmbranche angesagte Kneipen übernehmen und durch das neue Publikum der Charme des Städtchens nach und nach verblasst. Beeindruckt hat mich das positive Herangehen an eine plötzliche Krankheit und der Umgang mit den stetigen Geldsorgen, genauso wie das leichte Lebensgefühl mit der Vespa, den Möbeln vom Flohmarkt und das Glück mit dem Alleskönner Ecki und den Erlebnisse mit der Filmcrew.

Allerdings fand ich das Gespräch mit der Freundin und das Interview mit dem Freund, der für ein Lifestyle-Interview schreibt., zu langatmig. Die Rückblicke dabei, in die Vergangenheit in Deutschland, haben meiner Meinung nach zu viel Raum bekommen und gehen am Thema des Buchs vorbei. Schließlich spielt 'Eine Prise Meersalz' doch auf Mallorca. Dafür ziehe ich einen Bewertungspunkt ab.

Das Buch macht Mut für einen Neuanfang und bietet Zuversicht, dass vieles gelingt, wenn man sich nicht kleinkriegen lässt und einen Partner hat auf den man sich vollständig verlassen kann. Kurzum, langweilig wird es bei den Burbas nie. Ich wünsche den beiden, dass sie trotz der unfreiwilligen Coronapausen ihren Weg in der Gastronomiewelt erfolgreich zu Ende gehen können.