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Verena

Bewertungen

Insgesamt 137 Bewertungen
Bewertung vom 30.06.2022
Inselheimat
Page, Libby

Inselheimat


sehr gut

Leichte Lektüre mit Tiefgang

Nach über 20 Jahren kehrt Lorna zurück auf die winzige schottische Insel Kip, wo sie geboren wurde und aufgewachsen ist. Die sprichwörtlichen Geister der Vergangenheit lassen sie nicht los. Alice ist keine Insulanerin, sondern hinzugezogen, nachdem sie sich in Jack verliebt hat. Jetzt hat sie nicht nur die Beerdigung ihrer Schwiegereltern vorzubereiten, sondern auch Jacks Schwester zu Gast, die vor langer Zeit der Insel den Rücken gekehrt hat. In alternierenden Kapiteln wird die Geschichte aus den Perspektiven von Lorna und Alice erzählt – Schwägerinnen, die sich gerade erst kennenlernen und schneller zur Familie füreinander werden, als sie erwartet hätten. Der Grund dafür, warum Lorna die Insel verlassen hat, hätte irgendwo erwähnt werden sollen; wenn nicht im Klappentext, dann in einer Inhaltswarnung. Für Menschen, die Ähnliches erleiden mussten wie die Geschwister Lorna und Jack, könnte es bei der Lektüreauswahl sehr hilfreich sein, zu entscheiden, ob sie darüber lesen möchten oder nicht. Ohne spoilern zu wollen: das tatsächliche Trauma ist gut und innerhalb der Geschichte mit Fingerspitzengefühl beschrieben. Auch Themen wie Einsamkeit, Gemeinschaft, Familie und Heimat werden toll aufgearbeitet. Die Insel selbst macht Lust auf abgelegene schottische Gegenden. Eine leichte Lektüre mit Tiefgang, die hier und da ein paar Längen hat, sich aber dennoch angenehm lesen lässt.

Bewertung vom 23.06.2022
Städte aus Papier
Fortier, Dominique

Städte aus Papier


ausgezeichnet

“I am out with lanterns, looking for myself.”
Es ist eine spezielle Herangehensweise an das Leben der Dichterin Emily Dickinson, die Dominique Fortier mit „Städte aus Papier“ gewagt hat. Dennoch ist es irgendwie recht passend – doch wie passend kann eine Biografie überhaupt sein, wenn kaum etwas über die portraitierte Person bekannt ist? Es ist sehr gelungen, wie die Autorin die wenigen Details, die man heute über Emily Dickinson kennt, eingearbeitet hat, in kurze, aber dafür umso prägnantere und dennoch poetische Episoden. Die Metapher mit den titelgebenden Papierstädten hat mir sehr gut gefallen. Dickinson, die ihrer Zeit weit voraus war, wird heute vielleicht eher verstanden als im 19. Jahrhundert. Ich konnte mich auf jeden Fall gut mit der dargestellten Emily identifizieren (einige Parallelen waren mir beinahe unheimlich). Worauf ich hingegen hätte verzichten könnten, waren die (vielen) Kapitel, in denen die Autorin über ihre verschiedenen Häuser, Wohnungen und Umzüge berichtet. Die Intention dahinter verstehe ich zwar, aber das hätte auch gerne kürzer behandelt werden dürfen. Dennoch ein sehr gelungenes, kleines, aber feines Buch, das zwar sicher nicht die Massen begeistern wird, aber sicher bei etlichen Emily-Fans für Inspiration sorgen wird. Die „poetischen Bilder“, so der Blurb, blieben zumindest mir lange in Erinnerung, mein Kopf rattert, beschäftigt sich damit und auch ganz plötzlich denke ich wieder daran, wenn ich die Amseln im Garten beobachte.

Bewertung vom 14.06.2022
The Moment I Lost You / Lost Moments Bd.1
Weiler, Rebekka

The Moment I Lost You / Lost Moments Bd.1


ausgezeichnet

Lovestory im Flüsterton
Darum geht’s: Mias bester Freund Brant starb vor 4 Jahren auf einer Party und jetzt steht plötzlich Nate vor ihr, der Brant auf dem Gewissen hat. Auch wenn sie ihn eigentlich nur hassen und am besten nie wieder sehen will, laufen sie sich immer wieder über den Weg. Während Mia immer noch ihre Trauer verarbeitet, muss sie nun auch mit den ungewollten Gefühlen Nate gegenüber zurechtkommen. Rebekka hat ihrer Protagonistin Mia also ein ziemlich heftiges Päckchen geschnürt. Doch mit viel Fingerspitzengefühl schafft sie es, Mia behutsam durch das gleichermaßen verwirrende wie belastende Gefühlschaos hindurch zu navigieren. Besonders bedacht geht sie mit den Themen Trauer, Depression, Panikattacken um. Diese werden zwar heutzutage beinahe inflationär in Geschichten eingebaut, aber selten erweisen ihnen die Autor:innen den nötigen Respekt. Mit „The Moment I Lost You“ hat Rebekka aber genau das geschafft.

Bewertung vom 12.06.2022
Ein Wein für zwei
Dent, Lizzy

Ein Wein für zwei


sehr gut

Inhaltswarnung: Alkohol und auch Alkoholismus spielen eine große Rolle.

Birdy gibt sich für ihre beste Freundin Heather aus, die kurzfristig einen Sommerjob nicht antritt. 1. Problem: Birdy denkt, sie könne sich durchmogeln, so wie bisher immer. Wenn ihr etwas nicht gefällt, einfach abbrechen – Schule, Beziehungen, Jobs. Schnell merkt sie, dass es nicht nur um sie geht, sondern auch um die berufliche Zukunft etlicher Menschen, die sie sofort ins Herz schließt. 2. Problem: Heather ist ausgebildete Sommelière, hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht & hart gearbeitet für ihren guten Ruf. Birdy kennt sich mit Wein überhaupt nicht aus.

Bewertung vom 01.06.2022
Up to Date - Drei Dates machen noch keine Liebe - oder doch?
O'Leary, Beth

Up to Date - Drei Dates machen noch keine Liebe - oder doch?


weniger gut

Ich bin seit „The Flatshare“ und „The Switch“ großer Beth O’Leary Fan. Ihr 3. Roman „The Roadtrip“ konnte mich inhaltlich nicht überzeugen, dennoch war klar, dass ich „The No-Show“ lesen möchte. Leider war ich echt sehr enttäuscht. „Drei Frauen. Drei Dates. Ein Mann, der nicht auftaucht…“ – „Drei Dates machen noch keine Liebe – oder doch?“ Alles, wirklich alles an Klappentext & der Vermarktung deutet auf eine lustige, romantische Story hin. Dem ist nicht so. Spoilerwarnung. ¾ des Buches wird suggeriert, dass Joseph ein A+ Idiot ist, der mit 3 Frauen gleichzeitig was am Laufen hat. Siobhan, Miranda & Jane wissen nichts voneinander; es gibt nach und nach Hinweise auf die anderen; man wartet nur darauf, dass sie es rausfinden & gemeinsam Joseph in den Wind schießen. Dann kommt der Plottwist & plötzlich sollen wir Joseph alle total toll finden, nachdem er gefühlt 300 Seiten lang als manipulativer Frauenheld dargestellt wird? Während mich selbst der Inhalt nicht getriggert hat, kann ich mir durchaus vorstellen, dass viele Leserinnen das Buch auswählen, eine entspannte Romcom erwarten & plötzlich vom eigenen Trauma überrascht werden, auf das NICHTS hindeutet (auch das zuckersüß verspielte Cover passt null). Überhaupt: Trauer & Trauma als Plottwist sind ein No-Go. Eine ernstere, nicht ganz so leichte Liebesgeschichte, wie Joseph mit seiner Trauer klar kommt & sich langsam öffnet, nachdem er mit eigenen Augen ansehen musste, wie seine große Liebe tödlich verunglückt – ich hätte das gelesen, aber ich will wissen, was hinter der Verpackung steckt. Weil es 3 Timelines mit 3 Protagonistinnen & etlichen Nebenfiguren gibt, bleiben die Charaktere sehr oberflächlich. „Raffiniert, herzerwärmend und romantisch“ war leider nichts. 2 Sterne, weil O’Learys flüssiger Schreibstil angenehm ist & Miranda & AJ einigermaßen erträglich.

Bewertung vom 31.05.2022
Ein Zug voller Hoffnung
Ardone, Viola

Ein Zug voller Hoffnung


sehr gut

Der Roman nimmt uns mit ins Neapel der Nachkriegszeit. 1946 lebt dort der 7 Jahre alte Amerigo mit seiner Mama in großer Armut. Eine Gruppe von Kommunist:innen möchte den Kindern aus dem armen Süden des Landes ermöglichen für ein halbes Jahr im Norden bei Familien zu leben, denen es nicht so schlecht geht. Über 100.000 Kinder wurden damals „verschickt“. 6 Monate wirken zunächst recht kurz. Doch was das mit den Kindern, den Eltern und auch den Gastfamilien macht zeigt der Roman. In vier Teilen lernen wir zunächst Amerigos Leben in Neapel kennen. Er hat ständig Hunger und zählt Schuhe, denn für ihn, der er noch nie ein Paar neuer Schuhe nur für sich hatte, gibt es keinen größeren Luxus und wenn er auf der Straße jemanden mit neuen Schuhen sieht, freut er sich, als wären es seine eigenen. Der zweite Teil spielt in Modena, wo Amerigo bei seiner Gastfamilie nicht nur gut gefüttert wird. Er lernt dort neben der Gemeinschaft, die er erlebt, auch seine Liebe zur Musik kennen und bekommt sogar eine eigene Geige. Zurück in Neapel im dritten Teil muss er all das wieder hinter sich lassen. Der letzte Teil spielt 1994. Der Roman behandelt ein schweres Thema, aber durch Amerigos Perspektive und die damit verbundene kindliche Naivität erhält er trotzdem eine gewisse Leichtigkeit. Amerigo ist ein so unglaublich niedliches Kind und man leidet mit ihm mit, wie er zerrissen ist zwischen dem neuen Leben, das er im Norden kennen lernen durfte, und der Zuneigung zu seiner Mutter, die ihm all das nicht bieten kann. Ich habe den Roman am Stück durchgelesen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es mit dem kleinen Jungen weitergeht. Der vierte Teil, der aus der Perspektive des erwachsenen Amerigo geschrieben ist, konnte mich zwar nicht so abholen wie die Teile zuvor – vor allem, weil Amerigo in diesem Teil sehr unnahbar wirkt – aber der Roman ist dennoch eine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 25.05.2022
Über Carl reden wir morgen
Taschler, Judith W.

Über Carl reden wir morgen


sehr gut

Vorweg: der Klappentext ist ein wenig irreführend. Eugen, der seit Jahren in Amerika lebt, ist zu Besuch in der Hofmühle und auf einmal steht im Winter 1918 sein Zwillingsbruder Carl vor der Tür. Die Familie glaubte, er sei im Krieg gefallen. Tatsächlich ist die Generation von Carl und Eugen die dritte Generation, die dieser Familienroman erzählt. Als Leser:in verbringt man also erstmal sehr viel Zeit mit den anderen Familienmitgliedern, bevor der titelgebende Carl überhaupt erst geboren wird. Der Roman ist sehr unaufgeregt, beschäftigt sich intensiv mit seinen Figuren, packt verschiedenste Themen an. Subtil, aber dennoch berührend wird über die Schicksale der Familie gesprochen.

Sprache und Stil bereiteten mir große Freude. Komplex eingearbeitet sind Sprünge zwischen den Zeitebenen. Zunächst sind diese zwar ein bisschen verwirrend – die vielen ähnlichen Namen der Figuren sind da anfangs nicht sehr hilfreich – aber bald gewöhnt man sich daran. Immer wieder werden durch diese Zeitsprünge Situationen aus den Perspektiven der unterschiedlichen Figuren erzählt, oft setzen sich lose Enden erst später zusammen. Definitiv kein Roman, den man schnell zwischendurch liest, aber man muss sich davon auch nicht abschrecken lassen.

Einziger Wehmutstropfen für mich war der letzte Teil, als ein bisschen viel Dramatik geherrscht hat und die Schicksale ein bisschen zu konstruiert wirkten. Dennoch eine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 13.05.2022
Süße Träume im Cottage am Strand
Hepburn, Holly

Süße Träume im Cottage am Strand


gut

Merry, erfolgreiche Autorin romantischer Romane, hat eine Schreibblockade. Dann trennt sich auch noch ihr Freund Alex, mit dem sie seit Jugendtagen zusammen war, aus heiterem Himmel von ihr. Allein in der einst gemeinsamen Londoner Wohnung, mit dem blanken Bildschirm, will sie nur eins: weg. Sie bewirbt sich für ein Writer in Residence Programm auf den Orkney Inseln in Schottland und wird genommen. 6 Monate verbringt sie auf der kleinen Insel in einem süßen Cottage am Strand, lernt die Insel und ihre Bewohner:innen kennen und lieben, findet zu sich selbst und kann auch ihre Schreibblockade überwinden. Das von Alex gebrochene Herz schlägt zudem bei gleich zwei Inselbewohnern schneller: der islandäische Bootsbauer Magnus und der örtliche Bibliothekar Niall (der eine gleicht Thor, der andere Clark Kent^^).

Der Roman ist nett. Eine süße Geschichte, die irgendwie sehr geradlinig daherkommt. Damit kann man natürlich nicht viel falsch machen, aber es ist auch der Grund, dass sie nur so vor sich hinplätschert. Merry macht ja eigentlich eine große Entwicklung durch, aber viele Gefühle werden nicht transportiert. Als sich Alex im Restaurant von ihr trennt, als sie die Aurora Borealis mit Magnus betrachtet, einen Halbmarathon läuft, nach langem Hin und Her endlich ihren Auserwählten küsst - all das wird relativ emotionslos beschrieben. Die tolle Location wird weniger atmosphärisch genutzt, sondern gleicht eher einer Art Reiseführer. Süße Idee, aber – und ich kann kaum glauben, dass ich das sage – ich hätte mir fast ein bisschen mehr Kitsch und Drama und Gefühlschaos gewünscht.

Bewertung vom 03.05.2022
Die Sammlerin der verlorenen Wörter
Williams, Pip

Die Sammlerin der verlorenen Wörter


weniger gut

Wer bestimmt eigentlich welche Wörter in einem Wörterbuch aufgenommen werden? Und wer bestimmt deren Bedeutung?

Das Oxford English Dictionary spricht auf seiner Homepage von “the definite record of the English language” und hält die Bedeutung, Geschichte und Aussprache von 600.000 Wörtern der englischen Sprache fest.

In “Die Sammlerin der verlorenen Wörter” wird anhand einer fiktiven Figur, Esme, die Geschichte der Entstehung des OED erzählt; zumindest ein gewisser Teil davon. Im Jahr 1901 wurde festgestellt, dass das Wort “bondmaid” in der ersten Ausgabe des Wörterbuches fehlte. Im Roman dient dieses Wort als Einstieg, den Entstehungsprozess unter feministischen Aspekten zu betrachten. Über die Jahre hinweg findet Esme - zunächst als Kind, später als Mitarbeiterin – immer wieder Wörter, die als unwichtig betrachtet werden. Jedes einzelne davon betrifft Frauen.

Es ist ein unglaublich interessanter Ansatz, dem der Roman folgen will. Die Arbeit am OED an sich ist bereits total spannend (zumindest für mich, die ich einen sprachwissenschaftlichen Hintergrund habe); das Ganze dann auch noch unter dem Aspekt der Gleichberechtigung zu betrachten ist aktueller denn je. Überhaupt: da sich Sprache stets weiterentwickelt, ist der Prozess eigentlich nie abgeschlossen. Ich hatte auch den Eindruck, dass die historischen und sprachwissenschaftlichen Aspekte des Romans gut recherchiert wurden. Das große Problem jedoch sind die fiktiven Elemente. Esme ist so eindimensional und blutleer geschrieben; die Autorin schaffte es nie, die historischen Ereignisse, die realen Personen wirklich mit den fiktiven zu verbinden. Es kam mir deshalb manchmal so vor, als würde Esme durch die Geschichte (und tausende Mal durch Oxford) gescheucht, vom OED zu den Suffragetten, zum 1. Weltkrieg, zu privaten Dramen, …. Sehr, sehr schade, denn dadurch wurden die 500 Seiten sehr lang.

Bewertung vom 27.04.2022
Nebenan
Bilkau, Kristine

Nebenan


ausgezeichnet

Subtil, mit Wucht

Die Protagonistinnen von "Nebenan" leben in einem kleinen Ort am Nord-Ostsee-Kanal und für eine kurze Zeit begleitet der Roman sie ihrem Alltag. Julia ist Ende 30, erst kürzlich mit ihrem Partner hergezogen. Die Ärztin Astrid, fast doppelt so alt, kennt die Gegend von klein auf. Vordergründig scheinen Julias unerfüllter Kinderwunsch und Astrids alternde Tante, um die sie sich kümmert, im Mittelpunkt zu stehen. Doch "Nebenan" ist viel mehr. Denn da ist noch eine dritte Frau; verschwunden mitsamt ihrer Familie und niemand weiß etwas. Nicht nur ob dieses Verschwindens liest sich der Roman, der keinesfalls ein Thriller ist, wie ein ebensolcher. Wie ein roter Faden zieht sich die Thematik häusliche Gewalt durch die Erzählung. Der Autorin gelingt ein Spagat, dieses Thema nie plakativ und laut in den Mittelpunkt zu stellen, sondern subtil in die Geschichte zu verweben. Es ist da. Wenn man hinsieht und es nicht ignoriert (wie viele männliche Kritiker).

Die Figuren der Julia und der Astrid sind so angelegt, dass sie einerseits als komplexe, tiefgründige Charaktere funktionieren - Leser:innen erhalten Einblick in ihre (unerfüllten) Sehnsüchte, Ängste, Wünsche, Geheimnisse. Gleichzeitig könnten die Figuren aber auch Frauen sein, die jede:r von uns kennt. Diese Mischung schaffte für mich eine besondere Verbundenheit. Am Ende präsentiert Bilkau noch ein thrillerwürdiges Geständnis, dass ebenso subtil eingeflochten wurde, wie der Roman es bisher vorgab, aber gleichzeitig keineswegs eine Kleinigkeit ist.